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Schwarz-rote Koalition wird unterschätzt: Chance für Merz


Tagesanbruch
Die Chance des Unterschätzten

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 14.04.2025 - 08:37 UhrLesedauer: 7 Min.
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Künftige Koalitionäre Lars Klingbeil (l.) und Friedrich Merz: Die meisten Deutschen trauen ihnen keinen Politikwechsel zu. (Quelle: Sebastian Christoph Gollnow/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

freuen Sie sich auch schon auf Ostern? Für mich ist es die schönste Zeit des Jahres: Die Tage werden endlich heller und länger, schlagartig grünt es da draußen, es summt und zwitschert, sprießt und knospt. Ein Versprechen von Neuanfang liegt in der Luft.

Auch Friedrich Merz freut sich nach den erbarmungslos schnellen Koalitionsverhandlungen auf ein paar Tage Urlaub, wie er der "Bild am Sonntag" verriet. Nach Ostern müssen seine CDU und die Sozialdemokraten noch das Vereinbarte absegnen und die Ministerposten final besetzt werden, am 6. Mai könnte er dann zum Kanzler gewählt werden.

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Eine passendere Jahreszeit als den Frühling hätten sich Merz und seine schwarz-rote Koalition nicht aussuchen können, um zu starten. Nach den düsteren Monaten des Stillstands lechzt Deutschland nach einem politischen Frühling, einem Neustart. Nichts weniger als das hatte Merz schließlich seinen Wählern versprochen. Allerdings sucht man das Wort auf den 144 Seiten des schwarz-roten Koalitionsvertrags vergebens und auch ansonsten enttäuscht der Inhalt, gemessen am Versprochenen: Dringend Notwendiges wird vertagt, zu wenig ambitioniert angepackt.

Kein Wunder also, dass die Mehrheit der Deutschen keinen Politikwechsel erwartet. Laut ZDF-Politbarometer glaubt nur ein Drittel, dass die künftige Regierung die wirtschaftliche Lage verbessern wird, die übrigen gehen davon aus, dass sich wenig verändert oder sich die Lage gar weiter verschlechtert. Selten startete ein Politiker zudem unbeliebter in seine wahrscheinliche Kanzlerschaft als Friedrich Merz: Auf einer Skala von +5 bis -5 fiel er auf seinen bislang schlechtesten Wert von -0,8. Hinter ihm liegen nur noch Olaf Scholz, Sahra Wagenknecht und Alice Weidel. Nun ja.

Dennoch liegt in all dem auch eine Chance. Wer erst die Erwartungen so hoch schraubt, dass er – egal, wie lang er auch sein mag – an sie selbst kaum heranreichen kann, der muss zwangsläufig enttäuschen. Überschätzte fallen tief. Unterschätzte dagegen können kaum enttäuschen, nur über sich hinauswachsen. Genau an dem Punkt ist Friedrich Merz jetzt. Er mag es nicht gern hören, aber Angela Merkel sollte ihm ein Beispiel sein.

Erinnern Sie sich noch an den November 2021? Damals legte die Ampel ihren Koalitionsvertrag vor, darin war viel von Fortschritt und Neustart die Rede. Selfies wurden gepostet, toll sei die Stimmung zwischen den Koalitionären, hieß es damals. Groß und positiv waren auch die Erwartungen der Deutschen: Eine satte Mehrheit von 58 Prozent versprach sich Gutes von der neuen Regierung. Und Olaf Scholz – man glaubt es kaum – trauten gar 77 Prozent der Befragten zu, dass er seine Sache als Kanzler gut machen werde. Es kam anders.

Merz, Klingbeil & Co. dagegen traut gerade kaum jemand zu, dass sie ein Frühlingserwachen im Land auslösen können. Sie werden eher als vorgezogene Eisheilige wahrgenommen. Der Koalitionsvertrag atmet an zu vielen Stellen den abgestandenen Hauch von faulem Kompromiss und Unausgegorenem: Etwa wenn da versprochen wird, das ungeliebte Heizungsgesetz werde abgeschafft, Unionsparteien und SPD darunter aber jeweils etwas anderes verstehen, wie mein Kollege Johannes Bebermeier hier erklärt. Ähnlich ist es bei der Zurückweisung von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen und mit dem, was im Vertrag zum Mindestlohn von 15 Euro steht oder der Senkung der Einkommenssteuer für niedrige und mittlere Einkommen.

Etliches ist bewusst so vage gehalten, dass Streit unausweichlich sein dürfte. Alles stehe letztlich unter dem Finanzierungsvorbehalt, betonte Merz am Wochenende, heißt: Fehlt das Geld, wird nichts aus angekündigten Projekten. Und viele strittige Themen werden zudem erst einmal in Kommissionen und Gremien geschoben: eine Sozialstaatsreform zur Rechtsvereinfachung und zur Zusammenlegung von Sozialleistungen, eine große Pflegereform, die versprochene große Entbürokratisierung, mehr Wettbewerb und Künstliche Intelligenz – für all das sollen bis Ende des Jahres Arbeitsgruppen Vorschläge erarbeiten. Wie heißt es noch gleich? Wer nicht mehr weiterweiß, gründet einen Arbeitskreis ...

Und doch: Der Finanzierungsvorbehalt zwingt eben auch dazu, Prioritäten zu setzen. Er bietet Friedrich Merz die Chance, Führungsstärke zu zeigen. Und es muss auch nicht verkehrt sein, da, wo sich Unionsparteien und Sozialdemokraten nicht einigen können, Vorschläge von Experten erarbeiten zu lassen. Solange diese dann auch ernst genommen und zügig umgesetzt werden. Ist mir in jedem Fall lieber, als dass sich die Koalitionäre darüber vollends zerlegen.

Eines muss Schwarz-Rot ohnehin klar sein: Schmerzhaftes, Unbeliebtes, aber Notwendiges muss in der ersten Hälfte der Legislatur kommen – sonst wird die Wirkung zu spät einsetzen und die Wut der Enttäuschten groß sein. Schwarz-Rot ist keine junge Liebe, deshalb gibt es auch keine Flitterwochen und im Publikum keine Freudentränen. Im Moment fühlt sich diese Liaison wie die Neuauflage einer schon zu lange geführten Ehe an, die sich in Groko-Zeiten auseinandergelebt hatte und eigentlich getrennte Wege gehen wollte. Aber es gab nun mal keine anderen Partner. Eine solche Beziehung kann nur dann gelingen, wenn sie mit viel Pragmatismus und Einsicht in das Notwendige geführt wird. Gelingt ihr das, kann sie alle überraschen.

Oder, um es mit Helmut Kohl zu sagen: "Entscheidend ist, was hinten rauskommt." Kohl hatte übrigens auch oft sehr schlechte Umfragewerte – und überraschte am Ende dann doch immer wieder Anhänger wie Gegner.


Bilder des Tages

Offenbar geht es vielen von Ihnen wie mir: Sie sind Frühlingsfans. Wir haben auf unseren Leseraufruf vom Freitag überwältigend viele Bilder zugeschickt bekommen. Vielen Dank dafür! Karin Schrempf hat passend zur Karwoche diese Lämmer (oben) fotografiert. Und Resi Proenen hat uns einen Schmetterling im Kirschbaum zugesandt. Bis Ostern veröffentlichen wir täglich ausgewählte Frühlingsfotos hier im Tagesanbruch.

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Wird jetzt gedealt?

EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič ist in Washington und spricht mit der US-Regierung. Er will ausloten, ob sie nach den Verwüstungen, die Donald Trumps Zollgewitter in der letzten Woche verursacht hat, zu einem Deal bereit ist. Am Mittwoch hatten die USA die zunächst verhängten hohen Zölle auf alle Güter für eine Reihe von Ländern für 90 Tage auf zehn Prozent reduziert. Für die EU halbierte sich damit zwar der Zollsatz auf zehn Prozent – trotzdem ist das eine weiterhin hohe Belastung für europäische Hersteller, zumal für Stahl, Aluminium, Autos und Autoteile ein noch höherer Satz von 25 Prozent gilt.

Šefčovič will nun in der US-Hauptstadt versuchen, "Lösungen zu finden, die für uns alle von Vorteil sind", sagte ein Kommissionssprecher. Sollte das nicht gelingen, behalte man sich weiter alle Optionen vor. Soll heißen: Die ebenfalls für 90 Tage ausgesetzten, geplanten Gegenzölle auf mehrere US-Produkte könnten dann reaktiviert werden, aber auch eine Steuer auf Werbeeinnahmen von US-Digitalkonzernen gehört offenbar weiterhin ins Waffenarsenal.


Nanu, was trägt denn Markus Söder da?

Der bayerische Ministerpräsident überraschte mit einer ungewöhnlichen Kopfbedeckung. Beim Besuch eines indischen Sikh-Tempels wurde ihm ein orangefarbener traditioneller Turban umgebunden. Söder wandelt gerade auf außenpolitischen Pfaden und reist durch Indien. Dabei sprach er sozusagen als Teil der künftigen Regierung in Neu-Delhi mit dem indischen Außenminister Subrahmanyam Jaishankar über deutsche Rüstungsexporte. Nun geht es weiter ins Silicon Valley Indiens, nach Bengaluru (ehemals Bangalore). In Zeiten gestörter transatlantischer Beziehungen setzt Europa auf Freihandelsabkommen mit anderen Ländern. Deshalb hat Söder seine Reise auch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen abgestimmt. Indien biete da eine "Riesenmöglichkeit", schwärmte Söder.


Was hält die Basis vom Koalitionsvertrag? Die Antwort wird die SPD-Spitze Ende des Monats bekommen. Heute wirbt sie erst einmal in Hannover bei einer Dialogkonferenz für ihn. Zwölf Tage später findet in Baunatal eine weitere Online-Konferenz statt. Ab Dienstag, 0.00 Uhr, beginnt dann die Online-Abstimmung der Mitglieder, sie dauert 15 Tage und endet am 29. April um 23.59 Uhr. Das Ergebnis wird am 30. April verkündet. Zumindest Teile der sozialdemokratischen Jugend sind vom schwarz-roten Koalitionsvertrag nicht begeistert, sie riefen am Wochenende bereits dazu auf, gegen ihn zu stimmen.


Zum Mond schießen will er sie nicht, aber ins Weltall: Jeff Bezos, Amazon-Gründer und Tech-Milliardär, schickt seine Verlobte Lauren Sánchez zusammen mit Sängerin Katy Perry für einen Kurztrip ins All – natürlich mit seinem Raumfahrtunternehmen Blue Origin. Der Flug könnte sich jedoch kurzfristig noch verschieben, hieß es.


Historisches Bild

Eine von Menschenhand gemachte Naturkatastrophe suchte in den Dreißigerjahren die USA heim. Mehr erfahren Sie hier.


Lesetipps

Emotionen in der Politik: Angela Merkel galt als "Teflon-Kanzlerin", Olaf Scholz als eine Art "Roboter" – Regierende in Deutschland zeigen oft wenig Emotionen. Politikberater Johannes Hillje fordert im Interview mit meiner Kollegin Annika Leister: Das muss sich ändern.


Technik prägt Geschichte: Ein Hollywoodstar entwickelte eine revolutionäre Technik gegen Nazi-Deutschland, Donald Trump profitierte von einer Erfindung, die schon John F. Kennedy ins Weiße Haus brachte: Der Historiker Ronald D. Gerste hat meinem Kollegen Marc von Lüpke erzählt, wie Erfindungen den Lauf der Geschichte veränderten.


Karriereknick: Bekannt wurde Michael Kausch in den 80er-Jahren durch Serien wie "Schwarzwaldklinik" und "Liebling Kreuzberg". Dann überlebte er nur knapp einen schweren Unfall. Wie dieser seine Karriere nachhaltig beeinflusste und warum er ihn heute als Glücksmoment bezeichnet, hat Kausch unserer Unterhaltungschefin Ricarda Heil verraten.


Zu guter Letzt

Praktisch, so ein Koalitionsvertrag.

Egal, ob Sie nun schon Ferien haben oder noch arbeiten – ich wünsche Ihnen einen frühlingshaften Start in die Karwoche. Morgen schreibt Florian Harms Ihnen.

Herzliche Grüße

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel

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Mit Material von dpa.

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