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Die USA erschüttern die Welt – auch, weil sie selbst erschüttert sind


Tagesanbruch
Amerika im Angesicht der Bedrohung

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 15.04.2025 - 07:31 UhrLesedauer: 7 Min.
Zerschossene Autos nach einer Polizeirazzia gegen Fentanyl-Schmuggler in Kansas.Vergrößern des Bildes
Zerschossene Autos nach einer Polizeirazzia gegen Fentanyl-Schmuggler in Kansas. (Quelle: imago images)
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In diesen Tagen gibt es viele Gründe, sich über Amerika aufzuregen. Der verhaltensauffällige Ex-Immobilienhai und Ex-Fernsehunterhalter im Präsidentenamt der ziemlich unvereinigten Staaten hält die Welt mit seinen Schnapsideen in Atem. Mal verdonnert er andere Länder zu Strafzöllen, dann verschiebt er diese wieder, was die Aktienkurse verrücktspielen und Anlagevermögen schmelzen lässt wie Eis in der Frühlingssonne. Mal lässt er Gastarbeiter deportieren oder Touristen einsperren, mal bedroht er Verbündete und schmeichelt Diktatoren, was die Welt auch nicht sicherer macht. Und wenn etwas schiefgeht, etwa die Kommunikation seiner Minister über einen Militärangriff, versucht er davon abzulenken, indem er einen neuen Gegner anpflaumt. So sagte er kürzlich Duschen den Kampf an. Ja, Sie haben richtig gelesen.

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Es ist schon wild, was da täglich aus Washington kommt. Kein Wunder, dass sich selbst notorische Amerikaversteher mittlerweile schwertun, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu verteidigen. Kein Wunder auch, dass Touristen dem Trump-Land den Rücken kehren. Die Kollegen der "Financial Times" haben herausgefunden, dass die Zahl der Westeuropäer, die mindestens eine Nacht in den USA verbringen, im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent eingebrochen ist, in Deutschland sogar um mehr als 20 Prozent. Es dürften also 100.000 Bundesbürger weniger sein, die sich in Amerika tummeln. Wenn das so weitergeht, bleiben die Amis bald allein auf ihren benzinschluckenden Pick-ups, ihrem süßen Whiskey und ihren Zöllen sitzen, während der Rest der Welt bilaterale Freihandelsabkommen schließt und miteinander redet statt Randale macht.

Eine internationale Gemeinschaft ohne die Amerikaner? Was linken und rechten Kritikern der US-Hegemonie wohl gelegen käme, wäre ziemlich gefährlich. Die USA unter Donald Trump mögen unberechenbar, verunsichernd, in mancherlei Hinsicht auch schädlich auftreten, aber sie bleiben die mächtigste Wirtschaftsnation sowie die stärkste Ordnungs- und Militärmacht, die glücklicherweise immer noch (überwiegend) nach demokratischen Regeln funktioniert. In anderthalb Jahren könnte sich das Blatt bei den Kongresswahlen schon wieder wenden und der Haudrauf im Weißen Haus von einer Demokraten-Mehrheit institutionelle Handschellen angelegt bekommen. Trumps texanischer Parteifreund Ted Cruz warnt bereits vor einem "politischen Blutbad".

Bis dahin aber muss sich die Welt mit dem Trump-Team herumschlagen. Das fällt auch skeptischen Deutschen möglicherweise leichter, wenn sie besser verstehen, was die Amerikaner so verunsichert, dass sie einen Typen wie Trump noch mal zum Präsidenten gewählt haben, obwohl der sie schon in der Corona-Pandemie in die Misere geritten hat. Warum so viele Amerikaner regelrecht paranoid geworden sind und sich einen "starken Mann" wünschen, der "mal richtig aufräumt".

Viel ist über die gesellschaftliche Spaltung Amerikas geschrieben worden, auch über den Niedergang der Industrie und die Verarmung der Mittelschicht. Das soll hier nicht wiederholt werden, stattdessen möchte ich Sie auf einen bemerkenswerten Bericht hinweisen, der mir in die Hände gefallen ist. In diesem Report analysieren die amerikanischen Geheimdienste, welchen Bedrohungen ihr Land gegenwärtig ausgesetzt ist. Ein kurzer Überblick:

  • Fentanyl und andere synthetische Drogen haben innerhalb eines Jahres mehr als 52.000 Tote in den USA gefordert. Mexikanische Kartelle und chinesische Händler haben US-Firmen den Rang abgelaufen und überfluten amerikanische Städte mit dem Teufelszeug: 5 Dollar pro Portion, 50 Mal stärker als Heroin, extreme Sucht. In Metropolen wie San Francisco und Philadelphia liegen Teenager und Senioren, Mütter und Väter als Wracks auf den Trottoirs, nun grassiert die Seuche auch in Kleinstädten und Dörfern. Die häufigste Todesursache bei Amerikanern unter 50 Jahren ist die Überdosis, meistens von Opioiden. Sogar die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA sinkt deshalb.
  • Die Terrormiliz "Islamischer Staat" betrachtet die USA nach wie vor als ihren Hauptfeind, plant Anschläge und inspiriert Selbstmordattentäter. Auch al-Qaida und ihre Ableger nehmen US-Bürger im In- und Ausland ins Visier. Der letzte islamistische Anschlag mit 15 Todesopfern in New Orleans ist erst gut drei Monate her.
  • Die Cyberkriminalität nimmt zu, Angriffe auf Krankenhäuser, Unternehmen und die Verkehrsinfrastruktur verursachen immer höhere Kosten und größere Schäden.
  • Die Zahl illegaler Migranten hat die Grenzbehörden überfordert – ist durch Trumps rigorose Abwehrmaßnahmen jedoch seit Januar deutlich gesunken.
  • China schwingt sich zur neuen Weltmacht auf, rüstet massiv auf und bedroht nicht mehr nur Taiwan, sondern auch die amerikanische Westküste. Zudem dominiert Peking den Handel mit Seltenen Erden und pharmazeutischen Grundstoffen; die amerikanische Abhängigkeit vom Reich der Mitte wächst sprunghaft: Ohne Importe aus China keine Computer und keine Smartphones, keine Antibiotika und keine Narkosemittel. Hier dürfte sich der Zollkonflikt bald bitter auswirken.
  • Die imperialistische Atommacht Russland führt nicht nur einen brutalen Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung, sondern bedroht auch Westeuropa und schürt an zahlreichen Konfliktherden Unruhe.
  • Das Mullah-Regime im Iran greift nach der Atombombe, will seinen Einfluss im Nahen Osten ausdehnen, die USA aus der Region verdrängen und den Verbündeten Israel ausradieren.
  • Der Diktator in Nordkorea baut sein Nuklearwaffenprogramm aus, hat eine strategische Allianz mit Russland geschmiedet und schickt wüste Drohungen gegen die USA.
  • Die Achse der Diktatoren schmiedet eine Front gegen den Westen und wird immer mächtiger: China, Russland, Iran und Nordkorea verstärken ihre wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit. Nordkoreanische und chinesische Soldaten kämpfen in der Ukraine, ukrainische Zivilisten werden von iranischen Drohnen getötet.

Komplexe Bedrohungen, und das sind nur die offensichtlichsten. Die Amerikaner rühmen sich ihres Selbstbewusstseins, aber im Laufe der Weltgeschichte sind Imperien schon unter kleineren Herausforderungen kollabiert. Natürlich werden alle diese Gefahren für die amerikanische Gesellschaft, die amerikanische Stellung in der Welt, den globalen Handel, die innere und äußere Sicherheit auch in amerikanischen Medien, Firmen und Familien diskutiert. Viele US-Bürger fürchten den Abstieg – ihren persönlichen, aber auch den ihres Landes. Das ist einer der Gründe, warum Trump nicht nur von fanatischen MAGA-Jüngern, sondern auch von aufgeklärten Zeitgenossen unterstützt wird.

Toll finden muss man das natürlich nicht. Doch um die schrille Weltlage zu verstehen, hilft es, solche Hintergründe zu kennen. Was der Zampano im Oval Office tagtäglich anrichtet, wird dadurch nicht besser. Aber vielleicht etwas besser erklärbar.


Stresstest für den Koalitionsvertrag

Noch keine Woche ist die Vorstellung des schwarz-roten Koalitionsvertrags her, da streiten sich die Partner schon wie die Ampelleute. Steuersenkungen bei kleinen Einkommen und ein höherer Mindestlohn seien keineswegs fix, erklärte CDU-Chef Friedrich Merz – just bevor die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil auf einer Dialogkonferenz mit genau diesen sozialdemokratischen Verhandlungserfolgen um die Zustimmung der Parteibasis werben wollten. Juso-Chef Philipp Türmer lehnt die gefundenen Kompromisse ohnehin ab.

Vor diesem Hintergrund startet heute das digitale SPD-Mitgliedervotum, bei dem alle 358.000 Parteimitglieder bis zum 29. April ihre Stimme für oder gegen den Koalitionsvertrag abgeben dürfen. Da die CSU bereits zugestimmt hat und die CDU am 28. April nur einen 160 Mitglieder umfassenden Bundesausschuss entscheiden lässt, handelt es sich also um den letzten Stresstest für das neue Regierungsbündnis. Bleibt zu hoffen, dass sich alle Skeptiker und Spalter noch einmal vor Augen führen, was die Konsequenzen einer Ablehnung wären: eine CDU-Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Bei allem, was recht ist: bitte nicht!


Ein wenig Hoffnung

Heute sind es zwei Jahre, dass im Sudan Krieg herrscht: Seit dem 15. April 2023 liefern sich die Armee unter General Fattah al-Burhan und die paramilitärische RSF-Miliz seines einstigen Stellvertreters Mohammed Hamdan Daglo einen brutalen Kampf um die Macht in dem afrikanischen Land.

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Die Folgen für die Bevölkerung sind entsetzlich: Den Vereinten Nationen zufolge sind mehr als 30 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, die Hälfte von ihnen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Rund 12 Millionen Menschen wurden vertrieben, in den Flüchtlingslagern herrscht Hungersnot.

Einen Ausweg aus der Katastrophe suchen heute Außenminister aus 20 Staaten auf einer Konferenz in London. Neben Großbritannien zählen Deutschland, Frankreich und die Afrikanische Union zu den Gastgebern. Sie wollen sowohl einen besseren Schutz der Zivilbevölkerung ermöglichen als auch die Kämpfe deeskalieren. Deutschland stellt für humanitäre Hilfe weitere 125 Millionen Euro zur Verfügung.


Klima in Europa

Es ist eine alarmierende Wegmarke: Zum ersten Mal wurde im Kalenderjahr 2024 eine durchschnittliche Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau verzeichnet. Zwar ist es nach Einschätzung von Experten noch immer möglich, den langfristigen Temperaturanstieg zu begrenzen – doch manche Effekte des Klimawandels sind schon jetzt nicht mehr umkehrbar. Wie es um die Lage in Europa steht, untersuchen der EU-Klimawandeldienst Copernicus und die Weltwetterorganisation in einem Bericht, der heute vorgestellt wird.


Bild des Tages

Das heutige Frühlingsbild kommt von Tagesanbruch-Stammleser Klaus Schulze aus Borken. Herzlichen Dank und sonnige Grüße nach Westfalen!


Lesetipps

Deutsche Ökonomen warnen vor den dramatischen Folgen von Trumps Zollchaos allein ein Punkt macht Hoffnung, schreibt meine Kollegin Frederike Holewik.


Mit der Frühstart-Rente wollen CDU und CSU den Bürgern Aktien schmackhaft machen. Was sich hinter dem Konzept verbirgt und welche Summen herauskommen können, erklärt meine Kollegin Christine Holthoff.


Friedrich Merz triezt die Genossen – droht der SPD-Mitgliederentscheid deshalb zu kippen? Unser Reporter Daniel Mützel hat nachgehorcht.



Ohrenschmaus


Zum Schluss

Die Schwarzen und Roten sind sich total einig.

Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Tag. Und falls Sie im Herzen ein Borusse sind: Toi, toi, toi heute Abend!

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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