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HomePolitikUwe Vorkötter: Elder Statesman

US-Zölle zerstören Welthandel: Trumps Politik geht nach hinten los


Irrwitziger Auftritt
Wie Trump sich böse verkalkulierte

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

15.04.2025 - 12:51 UhrLesedauer: 5 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:250414-99-540411Vergrößern des Bildes
Donald Trump am Weißen Haus: Seine Zollankündigungen sorgen weltweit für Wirbel. (Quelle: Manuel Balce Ceneta)
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Donald Trump haut den Welthandel kurz und klein. Dabei verletzt er sich auch selbst. Nun gönnt er sich und der Welt eine Pause. Mehr nicht.

Ich lade Sie zu einem Gedankenspiel ein. Ein Wohlfühl-Experiment, versprochen. Also: Stellen Sie sich bitte vor, Sie hätten zu Hause einen eigenen Geldautomaten. Er steht in einer Ecke Ihres Wohnzimmers und sein Vorrat an Cash ist unerschöpflich. Egal, ob Sie den Wochenendeinkauf bezahlen müssen, ob's neue Angebote im Onlineshop gibt, ob Sie ein Auto finanzieren oder die Traumreise buchen: Sie sind immer liquide, man hofiert Sie und Ihre Familie als gute Kunden. Eine schöne Vorstellung. Aber doch eine Illusion, oder?

Ja, für Sie und mich. Für die Volkswirtschaft der USA ist das Realität. Die Amerikaner sind ein konsumfreudiges Volk. Sie kaufen Elektronik in China, Autos in Deutschland und Kaffee in Kolumbien – gern auf Pump, dafür haben sie die Kreditkarte erfunden. Unternehmen bestellen Rohstoffe und Maschinen in aller Welt. Und der Staat leistet sich jedes Jahr ein Budget, da passt unser Sondervermögen für die Infrastruktur glatt zehnmal rein. Allein das Defizit ist mehr als dreimal so hoch wie der gesamte Bundeshaushalt in Deutschland.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Es ist eine schlichte Wahrheit: Die Amerikaner leben über ihre Verhältnisse. Seit Jahrzehnten. Unermüdlich weisen Ökonomen auf zwei große Risiken der Weltwirtschaft hin: das US-Handelsdefizit und das US-Budgetdefizit, die "Twin Deficits".

Wenn Sie und ich kontinuierlich mehr ausgeben als wir einnehmen, geht das schief. Erst schaut der Bankberater bedenklich drein, dann fordern die Gläubiger höhere Zinsen, dann bekommen wir keinen Kredit mehr. Und der Geldautomat streikt. Auch Staaten geht es so. Griechenland hat das bitter erfahren, als das Land 2010 seine Kredite nicht mehr bedienen konnte. Frankreich zieht zurzeit bedenkliche Blicke auf sich, Italiens Gläubiger verlangen eine Risikoprämie. Nur die USA blieben bisher völlig unbehelligt.

Eine Frage des Vertrauens

Das liegt daran, dass sie einen besonderen Geldautomaten haben. Der spuckt Dollars aus, so viel, wie sie brauchen. Auf Dollars ist die ganze Welt scharf. Wenn Afrikaner und Asiaten mit Bananen oder Computerchips handeln, wickeln sie ihre Geschäfte in Dollar ab. Wenn Türken oder Argentinier ihr Vermögen vor der Inflation schützen wollen, kaufen sie Wertpapiere, die auf Dollar lauten. Notenbanken halten Devisenreserven in Dollar. Das ist eine Frage des Vertrauens. Amerika genießt Vertrauen und ist Liebling der Anleger. Welch ein Privileg!

Und jetzt Donald Trump. Alles, was er in den vergangenen beiden Wochen angerichtet hat – mit seinen Zöllen, seinen Worten, seinem Handelskrieg – und was er mal so begründet hat, mal anders, was er dann wieder zurückgenommen hat, aber bisher nur vorübergehend, wie passt das dazu? Es gibt zwei Erklärungen.

Die erste ist sehr naheliegend. Donald Trump leugnet, dass Amerika über seine Verhältnisse lebt. Von der privilegierten Position seines Landes in der Weltwirtschaft will er nichts wissen. Für ihn wurzeln alle Probleme jenseits der Grenzen: Die anderen missbrauchen Amerika, bereichern sich auf Amerikas Kosten, betrügen Amerika. Alle anderen. Sein irrwitziger Auftritt im Rosengarten des Weißen Hauses: Wie Trump dort mit verkniffenem Blick, unflätig im Ton, wüst in der Sache, seine Strafen gegen 180 Länder verkündet, und wie seine Jünger auf den Klappstühlen, einer Sektengemeinde gleich, ihrem Prediger lauschen, andächtig, ergriffen, entrückt – Weltpolitik auf die bizarre Art.

So einfach ist es nicht

Das ist ungefähr so, als wenn Sie in einen Kaufrausch verfallen und hinterher Amazon, den Supermarkt, den Autohändler und Ihren Reiseveranstalter dafür beschimpfen, dass Sie so viel Geld ausgegeben haben. Verrückt. Typisch Trump? Der Mann ist eben irrational, starrsinnig, bösartig? So einfach ist es nicht.

Deshalb die zweite Erklärung: Hinter Trumps Rundumschlag steckt die Erkenntnis, dass das Zwillingsdefizit tatsächlich ein Problem ist, das Amerikas Stärke latent bedroht. Alle seine Vorgänger waren nur zu schwach, es zu lösen. Deshalb soll Elon Musk nun das Staatsdefizit zusammenstreichen, Trump selbst nimmt sich das Handelsdefizit vor. Es gibt konventionelle Methoden, dieses Defizit zu senken: den ausufernden Konsum der US-Bürger einschränken, etwa durch höhere Zinsen; oder niedrigere Löhne in der Industrie, um mit Mexiko und China konkurrieren zu können. Das kommt aber für Trump nicht infrage. Er hat Amerika ein goldenes Zeitalter versprochen, nicht Blut, Schweiß und Tränen.

Die USA als Premium-Produkt

Steve Bannon, einer der intellektuellen Ideologen der "Make America great again"-Bewegung (kurz: MAGA), erklärt den "Zoll-Hammer" so: Der US-Markt ist ein Premium-Produkt, so ähnlich wie das Pay-TV. Wer Zugang zu diesem Markt will, muss dafür bezahlen, eben den Zoll. Oder sich freikaufen, also direkt investieren und Arbeitsplätze für die Arbeiter im Blaumann schaffen, für Trumps Basis.

Das seit 80 Jahren existierende Welthandelssystem, das unter amerikanischer Führung entstanden ist, sieht diese Zollpolitik nicht vor. Es verbietet sie. Ziel dieses Systems ist ein möglichst freier Welthandel. Der Freihandel verbessert das Leben der Menschen und erhöht den Wohlstand aller: Diese These hat der berühmteste aller Wirtschaftswissenschaftler, Adam Smith, bereits Ende des 18. Jahrhunderts aufgestellt. Heute spricht man von einer Win-win-Situation durch den Freihandel, in Theorie und Praxis ist das vielfach bewiesen.

Aber Trump hält den Freihandel nicht für erstrebenswert. Das US-Defizit ist ihm Beweis genug, dass etwas nicht stimmt in diesem System. Er präferiert ein ganz altes System, den Merkantilismus. Schon Ludwig XIV., der Sonnenkönig, verhängte Zölle, um den Wohlstand seines Landes zu mehren. Historisch ist der Merkantilismus die Wirtschaftsform des Absolutismus. Nun ja, das passt zu Trump.

Und jetzt ohne Ironie: Aus dieser Analyse folgt, dass es in der 90-Tage-Pause nicht vorrangig um den einen oder anderen Deal mit einzelnen Ländern gehen wird. Das hoffen ja viele, die dem US-Präsidenten in den vergangenen Wochen – Vorsicht, O-Ton Trump – "den Arsch geküsst" und "um Verhandlungen gebettelt" haben. Er hat aber wenig Interesse an Kompromissen, er wird nur geschmeidiger agieren als zuletzt. Das zeigen seine Personalentscheidungen: Peter Navarro, den Hardliner, hat er abgemeiert, der moderatere Finanzminister Scott Bessent soll nun die Handelspolitik steuern.

Als wären sie Griechenland

Denn im ersten Anlauf ist Trump ein schwerer Fehler unterlaufen. Er hat das Welthandelssystem angegriffen, ohne Rücksicht auf das Weltfinanzsystem. Beide sind aber untrennbar miteinander verbunden. Trumps Leute hatten einkalkuliert, dass die Börsenkurse vorübergehend abstürzen würden. Sie hatten nicht einkalkuliert, dass die Zinsen für Dollar-Anleihen in die Höhe schießen würden. Das heißt: Er verhängte Strafzölle, die Finanzmärkte antworteten mit Strafzinsen. Als wären die Vereinigten Staaten irgendein Land, wie Frankreich oder Italien. Als könnten sie Griechenland werden.

Big Finance, die weltweite Finanzindustrie, hat Trump Grenzen aufgezeigt: Nicht einmal der Dollar ist unverwundbar. Und Vorsicht, der Versuch, die schlummernden Defizit-Bomben mit brachialem Werkzeug zu entschärfen, kann zu ihrer Zündung führen. Am schwarzen Montag der vergangenen Woche war nicht mehr klar, wie lange die US-Administration die Lage, die sie selbst heraufbeschworen hatte, noch kontrollieren konnte. Bis Mittwoch hielt Trump durch, haute noch ein paar Sprüche raus. Dann knickte er ein.

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Die Idee des Freihandels ist mächtig

Und nun? Nun sollte auch im Trump-Lager klar sein, was auf dem Spiel steht. Dass der Dollar-Automat seinen Dienst versagen könnte. Dass 180 Gegner auf der Welt schon sehr viele sind. Dass die Idee des Freihandels sich nicht einfach so abschaffen lässt. Trumps rechte Ideologen werden trotzdem nicht locker lassen. Sie sind bereit, einen Umweg zu gehen, aber sie lassen sich nicht vom Ziel abbringen. Und Trump selbst?

"Ich bin der Tod geworden, der Zerstörer der Welten." Das sagte Robert Oppenheimer, der Erfinder der Atombombe, nach der Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki. Man kann die Welt militärisch zerstören. Man kann sie auch ökonomisch ruinieren. Amerika wird nicht great again, wenn die Weltwirtschaft kollabiert. Trump ist ein Instinktpolitiker, vielleicht spürt er das. Vielleicht. In 90 Tagen wissen wir mehr.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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