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Koalitionsvertrag von Union und SPD: Ein Wort kann zum Problem werden


Tagesanbruch
Ein Wort kann zum Problem werden


Aktualisiert am 10.04.2025Lesedauer: 7 Min.
Kanzler in spe Friedrich Merz (rechts) mit den SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken: Werden sie oder wollen sie nur?Vergrößern des Bildes
Kanzler in spe Friedrich Merz (rechts) mit den SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken: Werden sie handeln? (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Deutschland hat enormes Potenzial. Eine gut ausgebildete, überwiegend friedliche und solidarische Gesellschaft. Einen starken Sozial- und Rechtsstaat mit funktionierender Gewaltenteilung. Erfolgreiche Weltkonzerne, einen großen Mittelstand und kreative Selbstständige. Eine vielfältige Natur, pulsierende Städte und reiche Kulturszenen. Eine hohe Reputation in der ganzen Welt und verlässliche europäische Partner. Kurzum: Dieses Land zählt zu den besten Orten, an denen man leben kann.

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Deutschland ist aber auch ein Sanierungsfall. Die Infrastruktur bröckelt, die staatlichen Institutionen sind bürokratisch verkrustet, die Digitalisierung ist mehr als 30 Jahre nach Erfindung des Internets immer noch Neuland. Die Polizei kann die Grenzen nicht verlässlich sichern, die Migration wird kriminellen Schlepperbanden überlassen. Das Militär kann die Bevölkerung im Kriegsfall nicht verteidigen, im Renten- und im Gesundheitssystem explodieren die Kosten, während für junge Menschen außer Sonntagsreden wenig übrig bleibt.

Dieses Land hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt. Die Bürger haben ihren Wohlstand genossen und ebenso wie die politischen Eliten viel zu lang ignoriert, dass die Welt sich veränderte. Dass die USA bald kein verlässlicher Partner mehr sein würden, hätte man schon während Donald Trumps erster Präsidentschaft absehen können. Dass Kremlchef Putin Böses im Schilde führt und die Abhängigkeit vom russischen Erdgas sich irgendwann rächen könnte, hätte man schon bei der Annexion der Krim 2014 ahnen können.

Man wollte es nicht sehen, nun muss man mit den Folgen leben. Deutschland wird von einer Krise nach der anderen heimgesucht und hat bislang zu wenig überzeugende Antworten auf die zahlreichen Herausforderungen gefunden. Diesen Befund teilt es mit anderen EU-Staaten, eine deutsche Spezialität ist allerdings die miesepetrige Selbstkasteiung, mit der hierzulande ein halbvolles Glas stets als halbleer betrachtet wird.

Fakt ist: Ohne eine stabile, vertrauenswürdige und zu harten Einschnitten bereite Regierung lässt sich die Polikrise nicht bewältigen. Die Ampelkoalition war dazu nicht in der Lage: zu viel Streit, zu wenig Ehrgeiz, falsche Prioritäten, falsches Personal.

Kann es das schwarz-rote Bündnis unter dem künftigen Kanzler Friedrich Merz besser machen? Gestern haben die Parteichefs von CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag vorgestellt und einen echten Aufbruch versprochen (hier der Überblick). Der selbstbewusste Auftritt wirkte geschlossen, täuschte jedoch darüber hinweg, dass viele Sätze im Koalitionsvertrag mit den Wörtchen "wir wollen" statt "wir werden" beginnen.

Das ist keine Petitesse, sondern ein gravierender Unterschied: Viele Konflikte zwischen Union und SPD werden sprachlich verschleiert oder in Arbeitskreise verschoben und ihre Klärung auf später vertagt – falls man sich denn einigen kann und falls genug Geld für die Erfüllung aller Wünsche da ist. Die nötigen Großreformen bei der Rente, dem Steuer-, dem Bildungs-, dem Sozial- und dem Gesundheitssystem sind nicht zu erwarten. Mit dieser Unentschlossenheit streuen die Bündnispartner dasselbe Gift, das schon die Ampelkoalition umbrachte. "Dieser Koalitionsvertrag ist maximal eine Art Politikwechselchen, ein Neustart light, kein großer Wurf", kommentiert Florian Schmidt, der Leiter unseres Hauptstadtbüros.

Dennoch: Gänzlich schlecht ist dieses Papier nicht, sowohl bei der Migration als auch beim Bürokratieabbau als auch bei der Wirtschaftsförderung enthält es einige sinnvolle Vorhaben. Die Neukoalitionäre haben deshalb einen Vertrauensvorschuss seitens der Bürger verdient. Das gilt allerdings nur dann, wenn sie wirklich liefern, was sie versprechen, wenn sie es also besser machen als die vom Dauerzank gelähmte Ampel. "Das Wichtige ist jetzt, dass wir es machen. Dass wir es umsetzen", brachte es CSU-Chef Markus Söder gestern auf den Punkt.

Ein Plan für den deutschen Aufbruch liegt vor. Nun müssen die neuen Chefs liefern.

So viel von mir, Florian Harms. Nun übergebe ich an unseren USA-Korrespondenten Bastian Brauns:


Einen guten Morgen auch aus Washington,

im neuen deutschen Koalitionsvertrag spielt auch Amerika eine große Rolle. Darin heißt es: "Das transatlantische Bündnis und die enge Zusammenarbeit mit den USA bleiben für uns von zentraler Bedeutung" und "die Beziehungen zu den USA bleiben von überragender Bedeutung". So weit, so erwartbar.

Neben diesen bekannten Floskeln steht aber auch ein Satz, der diplomatisch klingt, der in Wahrheit aber eine Abkehr vom bisherigen Verhältnis ist: "Die transatlantische Partnerschaft ist eine große Erfolgsgeschichte für beide Seiten, die es auch unter den neuen Bedingungen fortzusetzen gilt." Diese neuen Bedingungen tragen in Wahrheit die Namen von drei Amerikanern: Sie heißen Donald Trump, JD Vance und Elon Musk.

Es gibt Gründe, warum CDU, CSU und SPD in ihrem Papier auch Kanada explizit erwähnen. Handelspolitisch suche man den engen Schulterschluss "mit ganz Nordamerika", ist zu lesen. Und weiter: "Kanada ist für uns zentraler Bestandteil der transatlantischen Partnerschaft, mit dem uns zahlreiche gemeinsame Interessen und Werte verbinden." Von gemeinsamen Werten mit den USA ist im Koalitionsvertrag hingegen nichts zu lesen.

Warum, dazu wurden Friedrich Merz und Lars Klingbeil in ihren öffentlichen Stellungnahmen deutlich. Die beiden Parteichefs ließen keinen Zweifel daran, dass sie die aktuellen Entwicklungen in den USA als Bedrohung für das deutsche Wohlstandsmodell und die bisherigen gemeinsamen Werte ansehen. Die alte neue Koalition aus CDU, CSU und SPD sieht sich einer zunehmend feindlich gesinnten Welt gegenüber – mit dem Kriegsverbrecher Putin im Osten und dem Handelskrieger Trump im Westen.

Fast kleinlaut klang Klingbeil bei der Präsentation des gemeinsamen Vertragswerks: Der SPD-Chef sagte, man werde sich nun vielleicht "nicht mehr alles" leisten können. Man müsse wegen der veränderten Weltlage eben jetzt "priorisieren". Was das genau heißt, wird die Bundesregierung ab sofort vor den deutschen Wählern verantworten müssen.

Gewissermaßen wird Deutschland damit amerikanischer. Denn zur Wahrheit, ganz unabhängig von Trump, gehört: Die USA haben zwar davon profitiert, dass sie in Europa und besonders in Deutschland ihre Interessen durchsetzen konnten. Die amerikanischen Steuerzahler haben dabei aber auch die Sicherheit und den anhaltenden Frieden auf dem Kontinent maßgeblich finanziert. Irgendwann begannen sie sich zu fragen, warum sie die hohen Kosten eigentlich schultern sollen.

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Diese nachvollziehbare Perspektive wollte in Deutschland über Jahrzehnte hinweg einfach kaum jemand verstehen. Leicht fiel es hingegen, sich über den rudimentären Sozialstaat in den USA lustig zu machen. Das schwarz-rote Bündnis muss nun beides balancieren – eine soziale Marktwirtschaft und eine glaubhafte Verteidigungsbereitschaft. Im Nacken sitzt ihr dabei, deutlich angewachsen, die AfD.

Die Konflikte, die derzeit unter Donald Trump in den USA ausgefochten werden, sind damit nicht in jeder Hinsicht vergleichbar. Aber die Verteilungskämpfe und der Richtungsstreit um das eigene Engagement in der Welt werden auch in Deutschland heftiger werden. Die soziale Marktwirtschaft Deutschlands und Europas stehen vor einer nie dagewesenen Probe. Die verschiedenen Befindlichkeiten der vielen Länder werden nur schwer miteinander zu vereinbaren sein.

Die erste große Hürde, die Europa gemeinsam nehmen muss, ist der Handelskonflikt mit Amerika. Auch dieses mitunter absurd anmutende Theater hat einen fundierten Kern, den man nicht einfach ignorieren kann: Große Teile der US-Bevölkerung fühlen sich als Verlierer der Globalisierung. Donald Trump gibt sich als ihr Anwalt. Ob seine Antworten in Form von hohen Zöllen die richtigen sind, ist zwar fraglich. Aber man muss damit umgehen.

Der US-Präsident ist trotz seiner Allmachtsallüren nicht allmächtig. Nach Tagen des Börsenbebens musste Trump gestern einknicken und hat eine "Zollpause" verkündet. Warum das eine empfindliche Niederlage für ihn ist, habe ich hier kommentiert. Den Kampf gegen China jedoch will Trump weiterführen – mit unabsehbaren Konsequenzen auch für Deutschland und Europa.

Die Handelspolitik der US-Regierung ist nur ein heikles Thema von vielen. Außenpolitisch ist vollkommen offen, was Trump mit der Ukraine, mit den Palästinensern in Gaza, mit dem Iran, mit Grönland, Panama und Kanada vorhat. Und alles hätte ebenfalls Auswirkungen auf Europa. Hinzu kommt Trumps Umgang mit dem eigenen Land, mit Migranten, mit Minderheiten, mit Andersdenkenden, mit Medien, Universitäten und Gerichten. Seine Politik treibt nun zwar Hunderttausende auf die Straßen – für ein Umdenken reicht das aber noch lange nicht.

Was bedeutet es, angesichts dieser Entwicklungen das transatlantische Verhältnis auch unter "neuen Bedingungen" fortzuführen, so wie es im Koalitionsvertrag steht? Es bedeutet auch, trotz einer nachvollziehbaren Frustration auf europäischer Seite wichtige Brücken nicht einstürzen zu lassen. Transatlantischer Austausch jenseits der Politik – in Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – ist aktuell vielleicht so wichtig wie noch nie.

Die Amerikaner brauchen uns. Gleich mehrere Demonstranten, mit denen ich in den vergangenen Wochen an verschiedenen Orten gesprochen habe, baten mich darum, eine Botschaft nach Deutschland zu übermitteln: "Bitte wendet euch nicht von uns ab."


Das steht an

Treffen der Verteidigungsminister der "Koalition der Willigen" in Brüssel. Das Bündnis arbeitet an einem Konzept für Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die nach einer Vereinbarung für einen Waffenstillstand greifen könnten. Koordinatoren sind Frankreich und Großbritannien.


Der globale Handelskonflikt geht in seine nächste Runde: China will heute seine Sonderzölle auf alle US-Produkte in Kraft setzen.


Altkanzler Gerhard Schröder klagt auf Anspruch eines Büros im Bundestag. Heute soll vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Urteil fallen.


Das historische Bild

1910 kam es in Mexiko zur Revolution, Emiliano Zapata wurde zur Legende. Mehr erfahren Sie hier.


Ohrenschmaus

Ich weiß nicht, ob Sie im Jahr 2020 die bitterböse britisch-amerikanische Komödie "I Care a Lot" gesehen haben. Ich tat es gestern und war auch angesichts der aktuellen Ereignisse erschrocken, wie nah wir dieser Fiktion in Wahrheit sind. Absolute Empfehlung – und dieser Song von DJ Shadow lief im Abspann.


Lesetipps

Wer die aggressive Zollpolitik von Donald Trump verstehen will, sollte sich Peter Navarro genauer anschauen. Unser Kollege David Schafbuch hat den Ökonomen porträtiert, der als Vordenker von Trumps Finanzpolitik gilt.


Der schwarz-rote Koalitionsvertrag liegt vor, er soll das Land "umfassend erneuern". Ob Merz und Klingbeil halten, was sie versprechen, und was jetzt auf Deutschland zukommt, beschreiben unsere Kollegen Daniel Mützel und Sara Sievert.


Thomas Müller zeigte gegen Inter Mailand, wie entscheidend er für den FC Bayern immer noch sein kann. Die Diskussionen um seine Rolle nehmen eine überraschende Wendung, berichtet unser Kollege Julian Buhl aus München.


Zum Schluss

Herzliche Grüße

Ihre

Florian Harms und Bastian Brauns
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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