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Rente in der Krise: Was trauen sich Union und SPD?


Tagesanbruch
Her mit dem Rentendeckel


07.04.2025 - 05:27 UhrLesedauer: 6 Min.
Deutsche Rentenversicherung in Berlin: Das Verhältnis zwischen Einzahlern und Rentnern hat sich verschoben, doch der große Wurf an Reformen ist nicht in Sicht.Vergrößern des Bildes
Deutsche Rentenversicherung in Berlin: Das Verhältnis zwischen Einzahlern und Rentnern hat sich verschoben, doch der große Wurf an Reformen ist nicht in Sicht. (Quelle: Joko/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Bauwerk mit drei Säulen. Die dickste in der Mitte bröckelt und wird notdürftig geflickt, der linken fehlt die Hälfte der Steine und die rechte ist so dünn, dass sie jeden Moment einknicken könnte. Für wie sicher würden Sie dieses Gebilde halten?

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Wenn Union und SPD in diesen Tagen weiter versuchen, sich auf einen Koalitionsvertrag zu einigen, geht es auch um dieses marode Drei-Säulen-Bauwerk – das System der deutschen Altersvorsorge. Ein Sanierungsplan muss her, mindestens. An mancher Stelle sogar die Abrissbirne. Doch traut sich Schwarz-Rot, die gesetzliche Rentenversicherung (mittlere Säule), die betriebliche Altersversorgung (linke Säule) und die private Vorsorge (rechte Säule) grundlegend zu modernisieren?

Ein Blick auf den bisher bekannten Stand der Verhandlungen lässt daran zweifeln: Vor allem bei der dicksten Säule, der gesetzlichen Rentenversicherung, soll mehr geflickt als nachhaltig umgebaut werden – wenn überhaupt. Denn einig war man sich zumindest in den Arbeitsgruppen an vielen Stellen noch nicht. Beispiel Rentenniveau: "Wir werden die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße stellen. Deshalb sichern wir das Rentenniveau", heißt es zwar in den Verhandlungsergebnissen der "AG 5 Arbeit und Soziales", doch danach bricht die schwarze Schrift ab und wird durch Einschübe in Rot (SPD-Forderung) und Blau (Unionsforderung) abgelöst.

Um das Rentenniveau zu sichern, möchten CDU und CSU den Bürgern mehr abverlangen als die SPD. Sie schreiben: "Die Zu- und Abschläge bei frühzeitigem oder späterem Renteneintritt werden wir neu berechnen." Zumindest für die Frührente dürfte "neu berechnen" bedeuten: Die Abschläge werden größer – und die vorzeitige Altersrente damit unattraktiver. Generell ist die Union auf der Rentenbaustelle mehr mit dem Presslufthammer unterwegs, während die SPD die Risse im Mauerwerk mit Panzertape zuklebt. So möchten die Sozialdemokraten das Rentenniveau "dauerhaft bei 48 Prozent" sichern. Oder anders gesagt: ein weiteres Absinken gesetzlich verbieten.

Das ist gut gemeint, schließlich schreibt man so im Kern eine Mindesthöhe für Renten fest, es ist bloß falsch herum aufgezäumt. Ein stabiles Rentenniveau sollte nicht vorgegeben sein, sondern sich aus einer vorausschauenden Rentenpolitik ergeben. Setzt sich die SPD durch, würde das bedeuten, dass vor allem die jüngeren Arbeitnehmer die Kosten tragen, weil die Rentenbeiträge und der Zuschuss aus der Steuerkasse steigen würden. Die Generation der Babyboomer hingegen könnte weiter von Rentenerhöhungen profitieren, die jedes Jahr stärker steigen, als sie es angesichts des demografischen Wandels dürften. Und das, obwohl sie es selbst vor Jahrzehnten versäumt hat, das Rentensystem stabiler aufzustellen. Mehr zum Zusammenhang zwischen Rentenniveau und der jährlichen Rentenanpassung lesen Sie hier.

Dabei könnte die Finanzierung auch anders laufen: nicht über eine Umverteilung von Jung zu Alt, sondern von Reich zu Arm innerhalb der Rentnergeneration. Monika Schnitzer, die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, einem Sachverständigenrat deutscher Top-Ökonomen, schlug schon vor gut zwei Jahren vor, wie sich das umsetzen ließe: indem Renten nicht mehr so stark steigen wie die Löhne und besonders hohe Renten gedeckelt werden. Beides träfe vor allem wohlhabende Rentner, die im Schnitt länger leben, daher besonders lange Rente beziehen und ohnehin oft zusätzlich betrieblich oder privat vorsorgen konnten.

Der Rentendeckel rüttelt allerdings an einer Grundfeste der gesetzlichen Rentenversicherung: dem sogenannten Äquivalenzprinzip. Demnach muss jeder Euro, den Sie im Berufsleben in die Rentenkasse einzahlen, später zu einem gleich hohen Rentenanspruch führen. Würden hohe Renten jedoch abgeschmolzen, würde ein Teil der Rentenbeiträge wertlos, so die Argumentation. Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Da Besserverdiener im Schnitt länger leben und somit auch länger Rente beziehen, ist das System bereits jetzt ungerecht. Nur eben zugunsten der Wohlhabenden.

Ein Rentendeckel würde nicht nur die Rentenversicherung entlasten, sondern Gerechtigkeit überhaupt wieder herstellen. Und selbst wenn es diese faktische Umverteilung von Versicherten mit niedrigem Einkommen zu Versicherten mit hohem Einkommen im Rentensystem nicht geben würde, wäre es legitim, dass sich starke Schultern stärker am Gemeinwohl beteiligen als schwache. So funktioniert schließlich auch das Steuersystem.

Es ist verwunderlich, dass sich die SPD diese Vorschläge nicht zu eigen macht. Stattdessen stimmt sie dem CSU-Wahlgeschenk zu, die Mütterrente auszuweiten. Eine zwar nachvollziehbare Wertschätzung für die Lasten der Kindererziehung, aber eben auch eine zusätzliche Belastung für das System. Vergebens sucht man in den Ergebnissen der Arbeitsgruppe übrigens eine Idee, die die Ampelkoalition nicht mehr umgesetzt bekommen hat und die tatsächlich eine immerhin kleine Rentenrevolution gewesen wäre: das Generationenkapital.

Damit hatte man eine zusätzliche Geldquelle erschließen wollen, indem eine unabhängige Stiftung jedes Jahr mehrere Milliarden Euro in Aktien und andere Wertpapiere anlegen sollte. Die Gewinne hätten ab Mitte der 2030er-Jahre als Zuschüsse in die Rentenkasse fließen sollen. Sicher, die Entlastung wäre minimal gewesen und an Aktien hätte man schon vor Jahrzehnten denken sollen. Das ist jedoch kein Grund, es jetzt komplett sein zu lassen. Im Gegenteil: Das Scheitern des Generationenkapitals ist die Chance, es gänzlich neu und effektiver aufzusetzen – indem wie in Schweden ein Teil der Rentenbeiträge in Aktien investiert wird.

Klingt utopisch? Ist es mit den aktuellen politischen Mehrheiten wohl leider auch. Zumal die Rentenbeiträge ja jetzt schon nicht reichen, um die Renten zu finanzieren. Man müsste auch die Einnahmenseite runderneuern, um davon einen Teil für den Kapitalmarkt abzwacken zu können – das heißt: Beamte und Selbstständige einbeziehen. Zwar haben auch die irgendwann eigene Rentenansprüche, doch bis dahin könnte man das Mehr an Geld für sich arbeiten lassen und ordentlich Rendite erzielen.

Für eine solche Kombination aus Erwerbstätigenversicherung und echter Aktienrente bräuchte es allerdings Mut zur Kernsanierung. Und den lassen Union und SPD nicht erkennen.


Was steht an?

Verhandlungen auf der Zielgeraden: Nicht nur bei der Rente müssen Union und SPD sich noch einigen, auch andere "dicke Klopper", wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, beschäftigen die Parteispitzen an diesem Montag weiter. Vor allem beim Thema Migration müsse sich die SPD kompromissbereiter zeigen, forderten am Wochenende mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete. Laut CSU-Chef Markus Söder beginnt mit der neuen Woche die Schlussrunde der Verhandlungen.

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Ausholen zum Gegenschlag: Wie antwortet die Europäische Union auf die Handelszölle von US-Präsident Donald Trump? Das wird heute Thema beim Treffen der EU-Handelsminister in Brüssel sein. Wahrscheinlich ist, dass die EU die US-Zölle in gleicher Höhe vergelten wird und nur auf solche Produkte abzielt, die sie leicht ersetzen kann. Auch neue Steuern auf digitale Dienstleistungen sind denkbar. Weitreichende Entscheidungen werden beim Handelsministertreffen allerdings noch nicht erwartet.


Temposünder im Visier: Heute beginnt in fast allen Bundesländern die erste sogenannte Speedweek des Jahres, bei der die Polizei auf unfallträchtigen Abschnitten und im Bereich von Schulen und Baustellen stärker als sonst die Geschwindigkeit kontrolliert. Hauptaktionstag ist der 9. April, umgangssprachlich auch bekannt als "Blitzermarathon". Mehr dazu lesen Sie hier.


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Zum Schluss

Kommen Sie gut in die neue Woche! Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie.

Herzliche Grüße

Christine Holthoff
Finanzredakteurin
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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