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Migration im Koalitionsvertrag: Dieser Satz wird für Probleme sorgen


Neuer Kurs bei Migration
Jetzt bekommt er ein Problem


11.04.2025 - 18:00 UhrLesedauer: 5 Min.
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Friedrich Merz: Vor der Wahl klang er kompromisslos. (Quelle: Florian Gaertner/imago)
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Der Koalitionsvertrag lässt bei der Migration eine große Frage offen: Zurückweisungen ohne Zustimmung der EU-Partner – ja oder nein? Merz, der lange nach Rambo klang, scheint umzudenken.

Der Koalitionsvertrag ist durch – und damit die wichtigsten Probleme behoben? Mitnichten. Beim Thema Migration bleibt das Papier vage und wirft Fragen auf. Mancher in den Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD aber zeigt derzeit wenig Bereitschaft, sich diesen Fragen zu stellen. Da verweisen SPD-Fachpolitiker an die Pressestelle ihrer Fraktion, da sagen CDU-Abgeordnete spontan bereits gesetzte Gesprächstermine ab.

Das liegt vor allem an einem Thema: der Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD dazu einen Satz festgehalten: "Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen."

Uneins aber ist man sich offenbar noch immer, was "in Abstimmung mit den Nachbarn" genau bedeuten soll. Will man nur zurückweisen, wenn die Nachbarländer zustimmen – oder notfalls den Alleingang wagen, die europäischen Partner nur informieren und so den Bruch mit ihnen und dem EU-Recht riskieren?

Merz warb mit dem radikalen Alleingang

Mit dem radikalen Alleingang hatten CDU und CSU im Wahlkampf gedroht und für sich geworben. Die von ihnen versprochene große Wende in der Migrationspolitik sollte nicht zuletzt durch das Signal erreicht werden: Die deutsche Grenze ist für Asylbewerber dicht. Keiner, der bereits in einem anderen EU-Land registriert wurde, kommt mehr rein. Juristische und politische Bedenken? Zweitrangig.

Viel versprach da vor allem der künftige Kanzler Friedrich Merz selbst: Am ersten Tag seiner Amtszeit werde er durchregieren, versprach er. Das Innenministerium werde er per Richtlinienkompetenz anweisen, "ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise" an den Grenzen zurückzuweisen. Das war im Januar, nach einer Messerattacke eines ausreisepflichtigen Afghanen in Aschaffenburg.

Kurz darauf brachte die Union ihren "Fünf-Punkte-Plan" zur Migration nur dank Stimmen der AfD durchs Parlament. Punkt zwei in diesem Plan: die Zurückweisung aller Versuche illegaler Einwanderung. Das war damals Symbolpolitik ohne bindende Wirkung, durfte aber als Bekräftigung des bereits gegebenen Versprechens verstanden werden: Wir meinen das ernst.

Bei dieser Linie bleibt auch jetzt noch mancher in der Union. Der Zusatz im Koalitionsvertrag, "in Abstimmung" mit den Nachbarländern vorzugehen, bedeute, dass "man nicht einfach unangekündigt in ein Nachbarland zurückweist", sagte der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries gerade "Zeit Online". "Aber es heißt auch: nicht im Einvernehmen."

Das dürfte übersetzt bedeuten: Zurückweisungen soll es in jedem Fall geben – mögen die Nachbarn auch protestieren.

SPD-Innenpolitiker Castellucci: "Entscheidend ist Solidarität"

Ganz anders interpretiert die SPD die Passage im Koalitionsvertrag. Sie lehnt einen deutschen Alleingang seit Monaten ab und pocht stattdessen auf rasche Umsetzung der über Jahre in der EU erkämpften Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Die sieht zahlreiche Verschärfungen vor, unter anderem: eine Verlagerung von Asylverfahren an die Außengrenzen der EU.

Dabei bleibt die SPD auch nach den Koalitionsverhandlungen: "Entscheidend ist Solidarität", sagte der Innen- und Migrationspolitiker Lars Castellucci am Freitag im Gespräch mit t-online. "Kein Land sollte mit diesen humanitären Aufgaben alleingelassen werden, Deutschland nicht, aber auch andere Länder nicht."

Castellucci betont bisherige Erfolge: Die Zahl der Asylanträge sei bereits stark gesunken. "Die sogenannte Asylwende ist längst vollzogen", findet er. Noch-Innenministerin Nancy Faeser hatte Anfang April Bilanz für den Bereich gezogen: Im ersten Quartal dieses Jahres ist demnach die Zahl der Asylgesuche im Vergleich zum selben Zeitraum 2024 um 35 Prozent gesunken, im Vergleich zu 2023 um 49 Prozent.

Möglich mache das internationale Zusammenarbeit, findet Castellucci. Auch Zurückweisungen an den deutschen Grenzen könnten nur in Kooperation mit den Nachbarn funktionieren. Das müsse "vertraglich festgehalten werden", entsprechende Personen müssten in die Hände der benachbarten Behörden übergeben werden. "Ansonsten suchen sie nur einen Weg ein paar Kilometer weiter über eine grüne Grenze."

Stegner: Deutschland wird "nicht EU-Gesetze brechen"

Auch der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner, ehemaliger Innenminister in Schleswig-Holstein, schließt einen deutschen Alleingang mit Blick auf den Koalitionsvertrag aus: "Abstimmung heißt nicht, dass wir auf eigene Faust handeln und unsere Nachbarn vor den Kopf stoßen."

Deutschland müsse sich mit den Nachbarstaaten auf ein Verfahren für Zurückweisungen verständigen. Das könnten "sehr weitgehende Verträge" sein, wie mit der Schweiz, oder eine "politische Verständigung", findet Stegner. Klar ist für den SPD-Politiker aber: "Deutschland wird nicht gegen den Willen seiner Nachbarn tätig werden oder EU-Gesetze brechen."

Ob die Zurückweisung aller Asylsuchenden an den deutschen Grenzen mit dem EU-Recht vereinbar ist, ist auch unter Juristen hoch umstritten. Nur wenn ein Mensch beim Grenzübertritt nicht um Asyl bittet, kann er bisher ohne Verfahren direkt an der Grenze zurückgewiesen werden. Das passiert bereits jetzt: Seit Oktober 2023 hat es laut Innenministerium so 50.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen gegeben.

Nach den Dublin-Regeln aber muss Deutschland ein geordnetes Verfahren durchführen, sobald ein Mensch um Asyl bittet – auch wenn er bereits vor dem Grenzübertritt in einem anderen EU-Land registriert wurde. Manche Juristen sehen Möglichkeiten, die Dublin-Regeln der EU durch nationales Recht oder eine Notlage auszuhebeln – andere halten das für nicht möglich oder aussichtslos.

Experten weisen unabhängig von den rechtlichen Bedenken auf die politischen Folgen von umfassenden Zurückweisungen an der deutschen Grenze hin, Zerwürfnisse mit den EU-Partnern und einen möglichen Dominoeffekt der Abschottung durch Europa.

Merz klingt weniger nach Rambo als nach Dialog

Inzwischen klingt auch die Spitze der Union zurückhaltender. Weniger nach Rambo, mehr nach Gesprächspartner. Das dürften nicht nur die Verhandlungen mit der SPD bewirkt haben. Schon im Wahlkampf hatten Polen und Österreich angesichts der harten Ankündigungen der Union umgehend protestiert.

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Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags hatte Merz am Mittwoch mit Blick auf die fragliche Passage ein geplantes gemeinsames Vorgehen betont: "Abstimmung bedeutet Abstimmung mit den europäischen Partnern", sagte er da. "Wir sind in engem Dialog und werden das Problem gemeinsam lösen."

Noch deutlicher formuliert es Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er wird gehandelt für den Posten als Chef des Kanzleramts. "Ein neuer Bundeskanzler Friedrich Merz wird natürlich nicht gegen den massiven Widerstand der Nachbarn eine Maßnahme durchsetzen", sagte er am Donnerstag dem Sender Phoenix. Merz befinde sich dazu bereits jetzt im engen Austausch mit Frankreich, Österreich und Polen.

In den Reihen der SPD dürften solche Sätze nach dem harten Wahlkampf mit Wohlwollen gelesen werden. Und als Zeichen: Merz kommt langsam im Regierungsamt an. Vor "rhetorischem Heldentum" warnt SPD-Politiker Stegner. "Für uns alle gilt: Der Wahlkampf ist vorbei – jetzt zählt die Wirklichkeit."

Für Merz dürfte diese Realität mit Blick auf seine Versprechen im Wahlkampf allerdings ein Problem bringen: Die einen dürften seine Wende als vernünftig loben – die anderen als ein "Weiter so" verdammen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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