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"Costa Concordia"-Kapitän Schettino im Rampenlicht: Offener Vollzug?


Tagesanbruch
Erschüttert bis ins Mark

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.04.2025Lesedauer: 6 Min.
Francesco Schettino vor zehn Jahren auf dem Weg zum Gerichtsprozess.Vergrößern des Bildes
Francesco Schettino vor zehn Jahren auf dem Weg zum Gerichtsprozess. (Quelle: imago images)
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Aufwühlende Nachrichten sind alltäglich geworden: Von morgens bis abends prasselt der News-Hagel auf Smartphones und Hirne ein. Die meisten Ereignisse sind heute wichtig und morgen vergessen, zumindest von den meisten Menschen. Der Informationsstrom fließt unaufhaltsam, und die Masse lässt sich mitreißen.

Für manche Menschen jedoch sind Nachrichten nicht so schnell vorbei, für einige sogar nie: Wer selbst zum Betroffenen eines erschütternden Ereignisses wird, trägt lebenslang Narben davon. So ist es in Kriegen wie in der Ukraine oder im Gazastreifen, so kann es auch bei plötzlichen Unglücksfällen geschehen: Eben noch war die Welt in Ordnung – von einem Moment auf den anderen stürzt sie in sich zusammen. Geliebte Menschen durch ein unerwartetes Unheil zu verlieren, ist furchtbar.

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Umso zynischer, dass das Leid von Angehörigen ebenso wie Nachrichten den unerbittlichen Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie unterliegt: In den ersten Stunden nach einem Unglücksfall, wenn die Eilmeldungen klingeln, die Fotografen knipsen und die Fernsehbilder flimmern, wenn Politiker warme Worte sprechen, wenn Blumen niedergelegt und Tränen vergossen werden, stehen neben den Opfern auch deren Angehörige im Zentrum des Interesses. Doch schon wenige Tage später verschwinden sie aus dem kollektiven Bewusstsein: Der Nachrichtenstrom fließt weiter und die Masse der Menschen schwimmt mit zum nächsten Ereignis. Nur die Betroffenen bleiben mit ihrem Schmerz zurück.

Bei manchen geht dieser Schmerz nie weg. "Das eigene Kind zu verlieren, das ist unvorstellbar", sagt Engelbert Tegethoff, der im März 2015 seine Tochter beim Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen verlor. 150 Menschen kamen damals ums Leben. "Jetzt ist es schon das zehnte Jahr, und der Schmerz sitzt noch genauso tief. Man wacht damit auf, und man geht damit zu Bett", sagt Tegethoff. Heute noch treffen sich Eltern der gestorbenen Schüler einmal im Monat, erinnern sich gemeinsam an ihre Kinder, weinen manchmal. Einige können es immer noch nicht fassen, dass der depressive Pilot nicht früher aus dem Verkehr gezogen wurde. Dass das Lufthansa-System nicht rechtzeitig Alarm schlug und den Massenmord verhinderte. Neben der Trauer lässt auch die Schuldfrage viele Angehörige ruhelos zurück.

Auch der ICE-Unfall von Eschede 1998 hat tiefe Narben hinterlassen. Damals kamen 101 Menschen ums Leben und weitere 105 wurden verletzt, als sich bei Tempo 200 ein Radreifen löste und die Waggons gegen einen Brückenpfeiler krachten. 27 Jahre ist das nun her, doch manche Hinterbliebene sind noch immer von Trauer gezeichnet. "Es ist keine Geschichte, die man so abhakt", hat Heinrich Löwen, der damals Frau und Tochter verlor, vor einiger Zeit gesagt. Jahrelang kämpften die Angehörigen um Anerkennung, wurden vom Bahn-Management hingehalten, fühlten sich doppelt verletzt. Auch hier stand die Frage nach der Verantwortung, nach einer möglichen Schuld und ihrer angemessenen Bestrafung, lange ungeklärt im Raum.

Heute ist wieder so ein Tag, an dem es um Schuld und Sühne, aber eben auch um Trauer geht: In Rom entscheidet ein Gericht, ob Francesco Schettino Hafterleichterung bekommt und in den offenen Strafvollzug wechseln kann, ob er also tagsüber das Gefängnis verlassen darf. Die Hälfte seiner rund 16-jährigen Haftstrafe hat der ehemalige Kapitän der "Costa Concordia" nun abgesessen.

Als am 13. Januar 2012 das damals größte italienische Kreuzfahrtschiff vor der Mittelmeerinsel Giglio kenterte, berichtete die Weltpresse wochenlang. Immer neue haarsträubende Details des Unglücks kamen ans Licht: das waghalsige Manöver, mit dem der Kapitän den Gästen an Bord imponieren wollte. Die Dreiviertelstunde, die nach der Havarie verging, bis die Besatzung etwas unternahm. Die Passagiere, die in ihre Kabinen anstatt in die Rettungsboote geschickt wurden. Der Kapitän, der als einer der Ersten das Schiff verließ und sich hinterher herauszureden versuchte, er sei "ausgerutscht und auf ein Rettungsboot geplumpst". Die moldauische Tänzerin, die der Kapitän nach dem Dinner im Bordrestaurant mit auf die Brücke genommen hatte. Und natürlich die Schicksale der 32 Menschen, die im Wrack des Unglücksschiffs starben. Darunter auch 12 Deutsche.

Viele Überlebende der Katastrophe und viele Hinterbliebene leiden noch heute. Der Deutsche Matthias Hanke sah damals an Bord, wie zwei Frauen in einen Fahrstuhlschacht gesogen wurden. In einer Fernsehdokumentation schilderte er den Moment: "Da gab's einen kurzen, heftigen Schrei von einer von den beiden Damen. Und da waren sie weg." Bilder und Geräusche, die nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Die "Costa Concordia" hingegen gibt es nicht mehr. Sie wurde nach Genua geschleppt und zerlegt; 1,5 Milliarden Euro kostete die Bergung: mehr als dreimal so viel wie ihr Baupreis. "Fare lo Schettino" – "den Schettino machen", ist in Italien zu einem geflügelten Wort für Feigheit geworden. Auch heute werden die Medien in ganz Europa noch mal über den Kapitän der "Costa Concordia" berichten, wenn das Gericht in Rom seine Entscheidung bekannt gibt. Morgen werden dann wieder andere Nachrichten durch die Welt strömen. Trump, Putin, Fußball, was auch immer. Und die Betroffenen bleiben wieder zurück.

Die Frage der angemessenen Sühne für ein Verbrechen ist das eine. Das andere ist, dass sich viele Opfer von Unglücken und auch viele Hinterbliebene mehr Verständnis und manchmal eben auch mehr Aufmerksamkeit für ihr Schicksal wünschen. Ich denke, das haben sie verdient, das sollte eine solidarische Gesellschaft leisten. Viele Angehörige wird der Schmerz über ihre plötzlich aus dem Leben gerissenen Liebsten nie verlassen. Alle anderen – glücklicheren – Zeitgenossen können wenigstens an Jahrestagen wie dem heutigen etwas Anteilnahme zeigen.

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Europa ringt um Antwort

Nach dem "Schwarzen Montag" an den Börsen steigt der Druck auf die EU, sich zu Donald Trumps Zollpolitik zu positionieren – zumal ab morgen die vom US-Präsidenten verhängten 20-Prozent-Aufschläge für Einfuhren aus EU-Ländern gelten. Ebenfalls morgen wollen die Mitgliedsstaaten über eine Liste von Gegenmaßnahmen abstimmen. Sie umfasst unter anderem Zölle auf US-Produkte wie Jeans, Whiskey, Motorräder und Erdnussbutter. Während Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen parallel noch Verhandlungsbereitschaft signalisierte, wurde beim gestrigen Treffen der Handelsminister in Luxemburg aber auch schon deutlich, wo die Einigkeit der Europäer enden könnte.

Denn als schärfstes Schwert der EU gilt die Option, US-Digitalkonzerne wie Google, Meta und Amazon mit Abgaben zu belegen. Das sogenannte Anti-Coercion Instrument, ein Gesetz gegen wirtschaftlichen Zwang, würde das möglich machen. Genau dagegen aber spricht sich nun der irische Vizepremierminister Simon Harris aus und warnt vor einer "außergewöhnlichen Eskalation". Dass Apple und Facebook ihren europäischen Hauptsitz in Dublin haben, dürfte seine Haltung beeinflussen. Auch Italiens oberste Trump-Versteherin Giorgia Meloni soll dem Einsatz des letztens Mittels skeptisch gegenüberstehen.

Das allerdings wäre das Worst-Case-Szenario: Wenn die bislang halbwegs geschlossene EU nicht mehr an einem Strang zöge. Womöglich müssen nach der Corona-Pandemie, Russlands Krieg gegen die Ukraine und Trumps Attacken auf den Welthandel die Krisenschläge noch viel härter ausfallen, bis sich der träge alte Kontinent endlich aufrafft, seine Interessen entschlossen zu verteidigen.


Machtkampf in Israel

Direkt aus Ungarn flog Benjamin Netanjahu gestern nach Washington zu Donald Trump: Es ist nach dessen neuerlichem Amtsantritt bereits der zweite Besuch des israelischen Ministerpräsidenten im Weißen Haus. Dabei dürfte es neben dem Krieg im Gazastreifen auch um die erratische US-Zollpolitik gehen, denn auch den engen Verbündeten Israel hat Trump mit Aufschlägen von 17 Prozent belegt.

In Israel beschäftigt der Regierungschef derweil die Justiz: Heute verhandelt das Oberste Gericht über die Rechtmäßigkeit der Entlassung von Inlandsgeheimdienstchef Ronen Bar. Während Netanjahu die Kündigung mit "mangelndem Vertrauen" begründet, sieht der Geschasste politische Motive: vor allem die strafrechtlichen Ermittlungen gegen zwei Netanjahu-Vertraute in der Korruptionsaffäre "Katar-Gate".


Wie frei ist die Presse?

Angriffe bei Demonstrationen, Morddrohungen, Verleumdungsklagen: Auch in Deutschland geraten viele Journalisten unter Druck. Zwar hat sich die Lage seit dem Ende der Pandemie etwas entspannt, doch Demokratiefeinde attackieren weiter die unabhängige Berichterstattung. Wie es aktuell um die Pressefreiheit hierzulande bestellt ist, berichtet die Organisation Reporter ohne Grenzen heute in ihrer "Nahaufnahme 2025".


Ohrenschmaus

Trump hier, Trump da: In diesen wilden Tagen darf man sich nicht verrückt machen lassen, meine ich. Da nehme ich mir ein Beispiel an diesen Herren.


Lesetipps

22 Minuten lang herrschte an der wichtigsten Börse der Welt Chaos: Kurse stiegen rasant und fielen kurz darauf ins Bodenlose. Schuld daran war ein einziges Social-Media-Posting eines Unbekannten. Mein Kollege Julian Seiferth erklärt Ihnen, was genau geschah.


Weltweit sind die Börsenkurse nach Trumps Zollhammer abgestürzt. Was Anleger jetzt tun sollten, erklärt unser Finanzredakteur Leon Bensch.


Die neue Regierung steht noch gar nicht – doch bei der CDU herrscht schon Krisenstimmung. Was macht Friedrich Merz falsch? Meine Kollegin Sara Sievert erklärt es Ihnen.



Zum Schluss

Lassen Sie sich von der Nachrichtenlage nicht verdrießen, es geht auch wieder aufwärts.

Ich wünsche Ihnen eine große Portion Zuversicht an diesem Frühlingstag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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