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Tagesanbruch: Streit um Abrüstungsvertrag – Das erste Ziel wären wir


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

05.12.2018Lesedauer: 6 Min.
Atomare ExplosionVergrößern des Bildes
Atomare Explosion (Quelle: Reuters)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

"Sie kritisieren ständig Politiker oder Unternehmen, da bekomme ich schlechte Laune. Schreiben Sie doch auch mal was Positives!" Jeden Tag bekomme ich zahlreiche E-Mails von Tagesanbruch-Abonnenten (über die ich mich sehr freue), aber diesen Satz einer Leserin möchte ich heute herausgreifen. Hat sie recht? Wenn ich mir die Tagesanbruch-Ausgaben der vergangenen Woche angucke, stelle ich einen Hang des Autors zur Nörgelei fest. Merkel hat dies in den Sand gesetzt, Nahles hat das verbockt, Trump redet Unsinn, Putin benimmt sich wie die Axt im Walde. Immer wieder der Sound eines Kritikasters.

Abgesehen von Montagmorgens würde ich mich als optimistischen, frohgemuten Menschen bezeichnen, insofern kann Verbitterung schwerlich der Quell der Krittelei sein. Vielleicht liegt es am beruflichen Selbstverständnis. "Die Presse hat auch die Aufgabe, das Gras zu mähen, das über etwas zu wachsen droht", hat der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar gesagt; und ich gestehe Ihnen frank und frei: Diesen Satz finde ich großartig. Wir Journalisten berichten über das Geschehen in Deutschland und der Welt, wir versuchen es einzuordnen, zu erklären, das Relevante vom Firlefanz zu trennen, damit Sie sich ein Bild machen können. Wir analysieren und wir kommentieren – nicht, weil Sie jede unserer Meinungen übernehmen sollen, sondern damit Sie Ihre eigene Meinung an den Argumenten schärfen können.

Was sieht man also, wenn man sich in diesen Tagen in Deutschland und der Welt umsieht? Steckt man als Beobachter tief im politischen Betrieb, neigt man gelegentlich zur Betriebsblindheit. Dann ist der Tadel über die Torheiten und Eitelkeiten mancher Protagonisten schnell in die Tastatur getippt. Beherzigt man hingegen eine Methode der antiken Philosophen, stellt sich die Lage differenzierter dar: Stell dir vor, du stündest auf dem Mond und schautest auf die Welt herab, was sähest du dann?, fragten die griechischen Gelehrten ihre Schüler, wenn sie deren Scharfsinn schulen wollten.

Stellen wir uns also für einen kurzen Moment auf den Mond und schauen hinunter, dann sehen wir: Einen Planeten, der sich immer schneller erhitzt und auf dem immer mehr Menschen leben, auf dem aber trotz zahlreicher Kriege und Krisen die Hungersnöte abnehmen und die Gesundheitsversorgung immer besser wird. Einen Planeten, auf dem die Supermacht USA und die kommende Supersupermacht China um Einfluss ringen, auf der Regionalmächte wie Russland und die Ukraine, Indien und Pakistan, Saudi-Arabien und der Iran sich in Konflikten verheddern – bei denen meistens Zivilisten die Leidtragenden sind. Wir sehen eine internationale Politik, die immer unübersichtlicher, unberechenbarer, atemloser erscheint, geprägt von den Machtspielen, Taktiken und Launen der Präsidenten, Premiers und Potentaten.

Und mittendrin in einem krisengebeutelten Europa sehen wir ein Land, das trotz vielfältiger Herausforderungen und notorisch nörgelnder Leitartikler ein stabiler, demokratischer Rechtsstaat geblieben ist, in dem die meisten Menschen einigermaßen gut und gerne leben oder sogar ihren Wohlstand genießen, in dem jedermann sich frei informieren und seine Meinung sagen kann, ohne dafür eingesperrt oder zerstückelt zu werden. So gesehen ist die Lage in Deutschland doch gar nicht so schlecht.

Schauen wir dann noch etwas genauer hin, sehen wir die Finanzminister der EU-Staaten, die sich gestern auf Reformen für die Währungsunion geeinigt haben, die tatsächlich als historisch bezeichnet werden können. Zugleich aber sehen wir einen alten Abrüstungskonflikt, den wir längst beigelegt wähnten, dramatisch eskalieren. Die Nato-Staaten sagen: Russland betreibt seit Jahren ein geheimes Waffenprogramm und baut neue Marschflugkörper. Russland sagt: Die USA haben Abmachungen verletzt, als sie Raketenabwehrsysteme in Bulgarien und Polen stationierten.

Was wie ein kleinlicher Streit klingt, ist in Wahrheit ein Disput von historischer Dimension und mit weitreichenden Folgen. Der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme, 1987 von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow unterschrieben, verpflichtet bis heute sowohl die USA als auch Russland zur Verschrottung aller landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Zugleich – das ist der springende Punkt – untersagt er die Produktion und Tests solcher Systeme. "Der Vertrag beseitigte eine komplette Gattung von Atomwaffen in den Depots der beiden weltweit größten Nuklearmächte", resümieren die Forscher der Abrüstungsinitiative "Deep cuts" in einem ihrer Berichte. "Fast 2.700 ballistische Raketen und Marschflugkörper wurden zerstört." Eine historische Friedensleistung, deren Fortsetzung nun akut gefährdet ist. Schon im April appellierten die Forscher an Donald Trump und Wladimir Putin, ein neues Wettrüsten unbedingt zu verhindern.

Der Bruch von Abrüstungsabkommen ist das eine. Das andere ist, dass alle drei Großmächte, die sich für super halten, tatsächlich wieder massiv aufrüsten, wie meine Kollegen von Statista zeigen.

Das stellt eine enorme Bedrohung des Friedens und des Wohlstands dar, den wir Deutsche genießen. Die Einschätzung der "Deep cuts"-Forscher ist da sehr nüchtern: Käme es zu einem Atomkrieg zwischen Ost und West, würde Mitteleuropa vermutlich als erste Region verwüstet. Auch deshalb ist es so wichtig, dass alles getan wird, um ein neues Wettrüsten zu verhindern und die Spannungen zwischen Russland und der Nato zu entschärfen. Ich hoffe sehr, dass auch Herr Trump und Herr Putin das verstehen.

Oh, nun habe ich doch wieder über ein düsteres Thema geschrieben. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach. Wo das Gras zu hoch wächst, muss es eben gemäht werden.

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WAS STEHT AN?

Lang und breit schrieb ich im gestrigen Tagesanbruch über die Klimakrise. Auch das: eher ein düsteres Thema. Bringen wir also etwas Licht ins Dunkel. Die Chancen, die Überhitzung der Welt zu bremsen, wachsen, wenn Menschen weniger fliegen und seltener das Auto nehmen, dafür häufiger den Zug. Das Problem ist nur: Bahntickets sind teuer, Züge oft voll, nicht selten verspätet (und auf das WLAN ist auch kein Verlass). Um das zu ändern, hat Anton Hofreiter jetzt ein Thesenpapier geschrieben, das unserem Politikressort exklusiv vorliegt. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag fordert unter anderem eine geringere Mehrwertsteuer im Fernverkehr, Arbeitsräume in Zügen, Milliardeninvestitionen des Staates ins Schienennetz, mehr Züge, mehr Personal. Oh, und natürlich: stabiles Internet. Wie Sie besser Bahn fahren, erfahren Sie hier.

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In Washington findet heute die Trauerfeier für den früheren US-Präsidenten George Bush statt, dem Deutschland viel zu verdanken hat, wie unser Amerika-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt. Bundeskanzlerin Merkel sieht das ebenso und reist eigens an.

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In Genf werden nach sechs Jahren Stillstand die Gespräche über die Westsahara-Frage wieder aufgenommen. Marokko, Algerien und Mauretanien setzen sich mit der Polisario-Front an einen Tisch; Ziel ist ein Referendum über die Zukunft des von Marokko beanspruchten Gebiets. Die USA machen Druck, weil sie die UN-Mission in dem Gebiet verlassen wollen. Die EU macht Druck, weil sie vor der Atlantikküste in Ruhe das Meer leerfischen will. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler macht Druck, weil er als UN-Sondergesandter die Aufgabe hat, Druck zu machen.

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Köhlers Nach-Nachfolger jettet heute nach China: Auf der Reise von Bundespräsident Steinmeier stehen Technologie und künstliche Intelligenz im Mittelpunkt. Ihn begleiten jene Hauptstadtjournalisten, die nicht am Freitag zum CDU-Parteitag reisen müssen (oder wollen).

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Im wunderschönen Hamburg beginnt heute ein futuristisches Entwicklungsprojekt: Der Hafenkonzern HHLA und das kalifornische Start-up Hyperloop wollen erforschen, ob sich Schiffscontainer künftig mit hoher Geschwindigkeit durch Röhren schießen lassen. Erinnert mich an James Bond.

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Im ebenfalls recht schönen Berlin stellt das Bundesamt für Naturschutz heute die neue Rote Liste für Pflanzen vor und gibt Auskunft über Zustand und Gefährdung der 8.650 erfassten Farne, Moose, Algen und Schachtelhalme. Erinnert mich an Helge.

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WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Die Wirtschaft boomt – trotzdem sind immer mehr Deutsche von Armut bedroht. In einer großen Serie haben wir das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Nun soll es um Visionen gehen: Wie lässt sich Armut bekämpfen? Wie soll der Sozialstaat der Zukunft aussehen? Gregor Gysi (Die Linke), Philipp Amthor (CDU) und der ehemalige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) beantworten diese Fragen in Gastbeiträgen auf t-online.de sehr unterschiedlich. Außerdem empfehle ich Ihnen ein Video, in dem meine Kollegen Martin Trotz und Arno Wölk zeigen, wer in Deutschland unter Armut leidet. Und einen Artikel meiner Kollegin Charlotte Janus: Sie hat Berichte von t-online.de-Leserinnen und Lesern zusammengefasst, die mit sehr wenig Geld auskommen müssen.

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Es kommt nicht oft vor, dass führende AfD-Politiker Medien ein Interview geben. Es kommt aber auch nicht oft vor, dass Medien ein ausführliches Interview mit einem führenden AfD-Politiker veröffentlichen. In der "Neuen Zürcher Zeitung" kommt es vor, und das Gespräch, das der Kollege Benedict Neff mit Alexander Gauland geführt hat, ist tatsächlich aufschlussreich. Weil Neff die richtigen Fragen stellt und weil Gauland differenziert antwortet. Man muss ihm nicht alles abnehmen und kann durchaus anderer Meinung sein. Aber interessant zu lesen ist es. Auch wir von t-online.de bemühen uns übrigens wieder einmal um ein Interview mit einem führenden AfD-Politiker. Mal sehen, ob es klappt.

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WAS AMÜSIERT MICH?

Einhörner können bei vielen Menschen eine gewisse Begeisterung auslösen. Aber wie jemand auf die Idee mit dem Einhorn an der Reckstange gekommen ist, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Warum es so seltsam aufheiternd ist, auch nicht. Eigentlich weiß ich nur eines: Es funktioniert.

Ich wünsche Ihnen einen heiteren Tag. Denken Sie an die griechischen Philosophen, dann klappt es bestimmt.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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