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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Merz hat ein Problem. Es beginnt mit F

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In Berlin treffen sich die Chefs von CDU, CSU und SPD, um in Chefrunden das Programm der künftigen Bundesregierung auszuhandeln. Es geht um Steuern, Sicherheit, Migration und weitere dicke Brocken. Doch um die entscheidende Frage geht es erst zuletzt: Wer bekommt welchen Chefposten, also welches Ministerium?
Das ist der Knackpunkt. Ob sich die hochfliegenden Pläne einer Partei verwirklichen lassen, hängt erfahrungsgemäß weniger vom Koalitionsvertrag ab als von der Leitung der wichtigen Ressorts. Die SPD, die sich in der Ampelkoalition jahrelang an FDP-Finanzminister Christian Lindner die Zähne ausgebissen hat, kann ein lautes Klagelied davon singen. Auf Unionsseite wiederum haben länger gediente Semester noch in leidvoller Erinnerung, wie Olaf Scholz als SPD-Finanzminister in Angela Merkels Kabinett Geld ausgab, als gäbe es kein Morgen. Erst später (manche sagen zu spät) untersagte das Verfassungsgericht seine Buchungstricks. Die Beispiele zeigen, wie groß der Gestaltungsspielraum eines Bundesministers ist – und warum um die bedeutendsten Posten bis zuletzt erbittert gerungen wird.
In der Vergangenheit hat sich das Reißverschlussverfahren etabliert: Die stärkste Partei bekommt das Kanzleramt, anschließend darf die zweitstärkste Partei ein Ministerium auswählen, dann die drittstärkste Partei ein anderes Ministerium, und dann geht es vorn wieder los. Ob es auch diesmal dazu kommt, ist noch offen, denkbar wäre auch ein Präferenzabgleich, bei dem jede Partei mehr oder weniger friedlich zwei bis drei große Häuser zugeschanzt bekommt, und nur der Rest wird reihum aufgeteilt.
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Bleibt es wie bisher bei 16 Ministerien, könnte der Schlüssel 8-5-3 lauten: vorn die CDU, in der Mitte die SPD, hinten die CSU. Allerdings will Friedrich Merz unbedingt ein Digitalministerium schaffen, was angesichts der deutschen Digitaldauermisere sinnvoll erscheint. Auch ein Infrastrukturministerium ist im Gespräch, was angesichts bröckelnder Brücken, Bahngleise und Schulen, genau, ebenfalls sinnvoll klingt. Dafür müssten andere Ministerien fusioniert oder in die neuen Häuser integriert werden, etwa das Bau-, das Verkehrs- oder das Entwicklungshilfeministerium. Auch das klingt nicht verkehrt, bedenkt man die dürftige Bilanz der bisherigen Amtsträger.
Bleibt die Frage: Welche Köpfe bilden das Kabinett, das Deutschland aus dem Krisensturm retten soll? Noch ist vieles (manche meinen auch alles) offen, aber Namen kursieren im Berliner Regierungsviertel natürlich schon, zumindest für die wichtigsten Posten.
Hier ist der Überblick:
- Bundeskanzler: Das ist die einzige unumstrittene Personalie. Na klar, CDU-Chef Friedrich Merz soll's werden.
- Kanzleramtschef: Hier kursiert der Name von Merz' Vertrautem Thorsten Frei (CDU), bisher Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion.
- Finanzen: Übereinstimmenden Gerüchten zufolge hat sich SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD) darauf versteift, das wichtigste Ministerium für sich selbst zu ergattern. Mit der Hand auf der Geldschatulle kann er die Kabinettskollegen und ein Stück weit auch den Kanzler kontrollieren, das hat er bei Scholz und Lindner gelernt.
- Wirtschaft: Hier könnte sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann damit profilieren, einen Teil der 500 Milliarden Euro Sondervermögen zu verteilen. Möglicherweise könnte er auch noch die Sozialaufgaben aus dem Arbeitsministerium hinzubekommen, um die Unsitte der Zuständigkeitszersplitterung einzudämmen.
- Verteidigung: Der beliebteste Politiker des Landes könnte im Amt bleiben. Boris Pistorius (SPD) hat Lust, weiterzumachen. In die Quere kommen könnte ihm höchstens der ehrgeizige Verteidigungspolitiker Florian Hahn von der CSU.
- Inneres: Das wichtigste Amt für die CSU könnte Alexander Dobrindt erringen, bisher Vorsitzender der Landesgruppe im Bundestag und langjähriger Söder-Versteher. Dann müsste die bayerische Partei beweisen, ob sie ihre Wahlkampfparolen zur Migrationspolitik wirklich umzusetzen vermag.
- Auswärtiges Amt: Hier wird der Name des Außenpolitikers Johann Wadephul (CDU) genannt. Er hat einen engen Draht zu Merz und kennt sich global gut aus, was in der Unionsspitze eher rar ist.
- Klima und Umwelt: Ein neu zugeschnittenes Ministerium, das sich um sämtliche Nachhaltigkeitsaspekte kümmert, könnte an Andreas Jung (CDU) gehen. Bisher ist er in der Unionsfraktion Sprecher für Energie und Klimaschutz, hat öffentlich allerdings wenig von sich reden gemacht.
- Gesundheit: Hier könnte der Thüringer Jurist Tino Sorge (CDU) zum Zuge kommen, bisher gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion.
So weit die Schwergewichtsministerien. Merken Sie was? Genau: alles Männer. Kommt es wie kolportiert, werden die wichtigsten Posten im nächsten Bundeskabinett ausschließlich von einer einzigen gesellschaftlichen Gruppe besetzt: gut situierten, studierten Herren im Alter zwischen 47 und 65 Jahren. Keine Frauen, keine Leute mit Migrationshintergrund, keine Handwerker, keine ungewöhnlichen Lebenswege. Das ist keine Katastrophe, aber es ist ein Problem für eine Regierung, die sich um alle Menschen im Land kümmern und die Herausforderungen aller Milieus verstehen soll. Die von allen Bürgern als ihre Regierung betrachtet werden soll, die sich für ihre Belange einsetzt.
Moment!, rufen Sie nun vielleicht, weil Sie zu den vielen Politikern zählen, die den Tagesanbruch morgens lesen, oder weil Sie die Berichterstattung der vergangenen Tage aufmerksam verfolgt haben: Es werden doch auch Kandidatinnen für Ministerposten genannt!
Natürlich haben Sie recht: Die bisherige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) könnte Chefin eines um die Sozialpolitik beraubten Arbeitsministeriums werden. Die CDU-Politikerin Ina Scharrenbach, bisher Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen, könnte das neu geschaffene Infrastrukturministerium übernehmen. Das neue Digitalministerium könnte Kristina Sinemus (CDU) aufbauen, sie hat in Hessen einschlägige Erfahrung gesammelt. Als Justizministerin ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Sonja Eichwede im Gespräch, als Bildungsministerin CSU-Parteivize Dorothee Bär (CSU), und CDU-Vize Silvia Breher könnte das Familien- oder das Landwirtschaftsministerium bekommen.
Alles in Butter also? Ich meine: nein. Natürlich sollte sich die Besetzung eines so wichtigen Amtes wie der Spitze eines Ministeriums vorwiegend an fachlicher Eignung und politischem Talent orientieren. Hinzu kommt der Regionalproporz, den man überflüssig finden kann, der jedoch in den Parteien eisern verteidigt wird. Auch möchte sicherlich niemand Verlegenheitsbesetzungen sehen, man erinnert sich ja mit Schrecken an Selbstverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).
Dennoch: Ein Makel bleibt, wenn es so kommt wie oben notiert. In einer krisengebeutelten Zeit wie gegenwärtig muss die Bevölkerung zusammenrücken, müssen die Menschen anpacken und einander unterstützen. Möglichst alle Bürger müssen sich mit ihrem Staat identifizieren, irgendwann müssen womöglich sogar manche für ihn kämpfen. Das dringend notwendige Wir-Gefühl wiederherzustellen fällt jedoch leichter, wenn die wichtigsten Personen der Regierung nicht allesamt aus demselben Holz geschnitzt sind. Wenn sich stattdessen ganz unterschiedliche Menschen in den Regierenden wiederfinden können, sogar – völlig verrückt! – Frauen.
Paukenschlag in Paris
Es könnte das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten: Wegen Veruntreuung von EU-Geldern in Millionenhöhe ist die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen in Paris zu zwei Jahren Haft mit Fußfessel, zwei weiteren Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 100.000 Euro verurteilt worden. Vor allem aber hat ihr das Gericht mit sofortiger Wirkung für fünf Jahre das passive Wahlrecht entzogen. Das bedeutet, dass die 56-Jährige, die sich bereits dreimal um das höchste Staatsamt beworben hat, aller Voraussicht nach für die spätestens 2027 stattfindende nächste Präsidentschaftswahl disqualifiziert ist. Die einzige Chance auf eine Kandidatur Le Pens wäre ein rasches Berufungsurteil, mit dem das Kandidaturverbot gekippt würde. Dementsprechend kämpferisch gab sie sich gestern Abend: "Ich werde kämpfen, ich lasse mich nicht einfach so ausschalten!"
Pathetisch fallen auch die Solidaritätsadressen ihrer europäischen Gesinnungsfreunde aus: Unter anderem meldeten sich Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der niederländische Rechtsausleger Geert Wilders und Italiens Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini. Dass mit der Dynastie der Le Pens auch die Erfolgsgeschichte ihrer Partei Rassemblement National zu Ende geht, ist jedoch unwahrscheinlich: Mit Jordan Bardella hat Madame bereits einen möglichen Erben in Stellung gebracht. Der 29-Jährige gilt als politisches Naturtalent, als ein "rechter Macron", wie unser Kolumnist Gerhard Spörl schreibt.
Kampf gegen die Zeit
Verheerend ist die Lage nach der Erdbebenkatastrophe in Myanmar: Die Zahl der bestätigten Todesopfer in dem ohnehin vom Bürgerkrieg gebeutelten Staat in Südostasien ist auf mehr als 2.000 gestiegen – die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher liegen. Bis zu 35 Millionen Menschen sollen von den Bebenschäden betroffen sein; vor allem in der zweitgrößten Stadt Mandalay kämpfen Retter gegen die Zeit. Vielerorts fehlen Krankenhausbetten, Medikamente und sauberes Wasser, zugleich erschüttern Nachbeben die Region. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat für das Katastrophengebiet die höchste Alarmstufe ausgerufen. Falls Sie helfen wollen, können Sie hier spenden.
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Zum Schluss
Männer unter sich …
Ob Mann oder Frau: Ich wünsche Ihnen einen famosen Tag. Nicht alles, was Sie heute aufgetischt bekommen, hat Hand und Fuß. In diesem Sinne einen fröhlichen 1. April!
Herzliche Grüße und bis morgen
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.