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Genozid in Indonesien: Deutschlands heimliche Hilfe


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Operation "Föhrenwald"
Der Genozid und Deutschlands heimliche Hilfe


13.07.2020Lesedauer: 7 Min.
General Suharto (links) im Kreise seiner Generäle: 1965 greift er in Indonesien nach der Macht. Es folgt ein Blutbad. BND-Dokumente weisen auf deutsche Unterstützung hin.Vergrößern des Bildes
General Suharto (links) im Kreise seiner Generäle: 1965 greift er in Indonesien nach der Macht. Es folgt ein Blutbad. BND-Dokumente weisen auf deutsche Unterstützung hin. (Quelle: imago-images-bilder)

Als indonesische Militärs 1965 nach der Macht griffen, unterstützte Deutschland wahrscheinlich den Putsch. Das geht aus bislang geheimen Akten hervor, die t-online.de vorliegen. Es folgten Massaker.

Bislang geheime Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) erhärten den Verdacht, dass die Bundesrepublik Deutschland die indonesischen Militärs beim Putsch 1965 unterstützte. Der Machtübernahme durch die antikommunistischen Generäle folgte ein Genozid mit Hunderttausenden Toten. Bis heute mussten sich Täter nicht vor Gericht verantworten. Nun steht eine deutsche Mitverantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Debatte.

Kampagne der Gewalt gegen Zivilisten

Der blutige Machtkampf begann mit mehreren Morden an hochrangigen Militärs am 30. September 1965. Im Anschluss machten Generäle die an der Regierung beteiligte Kommunistische Partei für den angeblichen Coup verantwortlich. Es folgte eine Kampagne der Gewalt gegen Zivilisten – um schließlich Präsident Sukarno zu entmachten, dessen national-kommunistischen Kurs die Militärs ablehnten. Nach monatelangem Ringen kam General Suharto an die Macht.

t-online.de hat umfangreiche Dokumente aus den Beständen des Bundesnachrichtendienstes ausgewertet, die eine Kooperation der Bundesrepublik mit den Militärs belegen. Eine Akte etwa schildert Überlegungen, die Putschisten heimlich mit 1,2 Millionen D-Mark zu finanzieren. Ein Dokument aus anderer Quelle legt nahe, dass Gelder flossen – und der spätere Bundespräsident Karl Carstens dafür verantwortlich sein könnte.

BND-Bericht schildert "Abschlachten"

Die Akten stützen damit bisherige t-online.de-Recherchen, nach denen das Auswärtige Amt frühzeitig über die Putschpläne in Indonesien informiert war und finanzielle Unterstützung in Form von Krediten zusicherte. Sie legen darüber hinaus den Verdacht einer deutschen Mitverantwortung für die Massaker nahe.

Deutschland unterstützte auch im Nachgang des Putsches über Jahrzehnte das dortige Militärregime unter General Suharto. Eine "Verstrickung deutscher Stellen" in die Ereignisse der Jahre 1965 und 1966 stritt die Bundesregierung bislang allerdings vehement ab.

Die t-online.de vorliegenden Akten lassen diese Darstellung zweifelhaft erscheinen: Ein auf den 3. November 1965 datierter BND-interner Bericht mit dem Betreff "Föhrenwald" schildert "ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten". Nur fünf Tage später, am 8. November, wird dann in einem weiteren Dokument die "dringende Bitte" der indonesischen Generäle an Deutschland erörtert. Es geht um "Geldmittel, die – aus naheliegenden Gründen – nicht der indonesischen Staatskasse entnommen werden können".

Bargeld für die "Säuberungsaktion"

Die Junta erhofft sich demnach eine Barzahlung in Höhe von 1,2 Millionen D-Mark für die Fortsetzung der "antikommunistischen Säuberungsaktion". Das Geld werde "hauptsächlich für Sonderaktionen gegen KP-Funktionäre und zur Durchführung von gesteuerten Demonstrationen benötigt", heißt es in der Akte. Außerdem solle damit "antikommunistisches Propagandamaterial" hergestellt und verteilt werden.

Für die Massaker spielen solche Demonstrationen und Materialien damals eine wichtige Rolle. Mit ihnen wird der Zorn der Massen geschürt. Sie schaffen eine Atmosphäre der Gewalt, die nicht selten direkt in Pogrome mündet. Das Militär übernimmt dabei – wenn es nicht gleich selbst zur Tat schreitet – eine koordinierende Rolle für eilig bewaffnete Milizen.

Die in den Akten belegte Überlegung ist brisant – das ist dem Verfasser des Eintrags schon damals bewusst. Während an der Zweckmäßigkeit der Zahlung "nicht zu zweifeln" sei, sieht er erhebliche Risiken:

  • "Eine etwaige Hilfe in der vorgesehenen Art könnte jedoch bei Bekanntwerden – sowohl für den Geldgeber wie auch für den Empfänger kaum übersehbare Folgen haben. Eine derartige Unterstützung kann daher überhaupt nur unter schärfster Abschirmung der Übermittlungswege gegeben werden."


Es ist unklar, wie genau der Bundesnachrichtendienst und die Bundesregierung damals mit dieser Bitte aus Indonesien verfahren: Während das vorliegende Dokument mit dem handschriftlichen Vermerk "Abgelehnt Nichteinmischung" gekennzeichnet ist, hält der Bundesnachrichtendienst unter anderem die zugehörige "Beschaffungsbitte" aus Gründen des nachrichtendienstlichen Methodenschutzes weiter zurück. Sie ist ebenfalls auf den 8. November 1965 datiert. Über ihren genauen Inhalt ist nichts bekannt.

"Berater, Geräte, Geld"

Weitere Hinweise sprechen jedoch dafür, dass schließlich Geld geflossen ist. So liegt t-online.de nun ein Dokument in Kopie vor, das der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom laut eigenen Angaben aus einem Nachlass erhalten hat. Es soll sich um den Entwurf eines Vortrags des späteren BND-Chefs Gerhard Wessel vor dem Vertrauensgremium des Bundestags handeln. Darin heißt es wörtlich:

  • "Im Oktober 1965 bereits bestehende enge Verbindungen zum indonesischen strategischen ND [Nachrichtendienst, Anm. d. Red.] ermöglichten Unterstützung (Berater, Geräte, Geld) des indonesischen ND und militärischer Sonderorgane bei Zerschlagung der KPI (und Entmachtung Sukarnos – Steuerung und Unterstützung von Demonstrationen)."


t-online.de konnte das Dokument nicht unabhängig verifizieren, es enthält allerdings nachweislich richtige Angaben über andere BND-Auslandsoperationen. Die Ausführungen von 1968 sind zudem aufgrund der t-online.de vorliegenden BND-Akten und weiterer Quellen plausibel.

Denn nicht nur belegen die bislang geheimen Dokumente eine über Jahre andauernde Kooperation der beiden Geheimdienste: So enthalten sie beispielsweise Ausführungen über Lehrgänge für hochrangige indonesische Militärs in den Jahren 1962 und 1963 auf westdeutschem Boden. Auch lassen andere Dokumente ein weiteres Detail des Wessel-Vortrags möglich erscheinen.

Karl Carstens und die "Sondermittel"

Demnach habe es sich bei den deutschen Zahlungen um "Sondermittel" gehandelt – freigegeben durch den späteren Bundespräsidenten Karl Carstens, damals noch Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Seine damalige Verwicklung in verdeckte Waffengeschäfte unter Beteiligung des BND ist durch den Historiker Peter Hammerschmidt belegt. Für die Richtigkeit der Behauptung spricht zudem eine zeitliche Parallele.

Denn am 26. November 1965 wird der indonesische Brigadegeneral Achmed Sukendro in der deutschen Hauptstadt Bonn empfangen. Der ehemalige Geheimdienstler gehört zum engsten Umfeld des in den Bürgerkriegswirren ermordeten Armeechefs Ahmad Yani, der seinerseits gute Beziehungen zu Deutschland unterhielt.

Auch zu Sukendro pflegen die deutschen Diplomaten ein vertrauensvolles Verhältnis. Das geht aus Akten des Auswärtigen Amts hervor, die der Historiker Till Florian Tömmel ausgewertet hat. Der Botschafter in Jakarta schätzt den General als "einen der fähigsten und energischsten Antikommunisten". Im Vorfeld des Treffens kabelt er an Staatssekretär Carstens: "Schon vor Monaten" habe Sukendro ihm gesagt, "die Armee warte nur auf den Vorwand, die Kommunisten zu vernichten".

Ein Treffen mit dem "Herrn Minister"

Eine Absicht, die im Auswärtigen Amt auf Wohlwollen trifft. In Bonn verhandeln der spätere Bundespräsident und der General offiziell über wirtschaftliche Unterstützung – abhängig ist sie offenbar davon, dass Indonesien seinen antikommunistischen Kurs fortsetzt. Das Memo des Treffens ist von Carstens gezeichnet. Darin heißt es auch, Außenminister Gerhard Schröder habe Sukendro empfangen. Ein außergewöhnlicher Kontakt für einen Militär ohne offizielle diplomatische Funktion.

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Was nicht in den Akten steht: Es ist zu dieser Zeit nicht Sukendros einzige Reise.

Experten gilt der Militär als Schlüsselfigur für den damals im Aufbau befindlichen Völkermord-Apparat und wichtigste Schnittstelle der Generäle ins Ausland. Dort und in Indonesien selbst ist Sukendro damals in die psychologische Kriegsführung gegen die Kommunisten eingebunden, die binnen kürzester Zeit in Genozid eskaliert.

Die Reisen des Generals

Im November 1965 ist der General für die Putschisten auf Beschaffungstour: Wie aus Akten des US-Außenministeriums hervorgeht, hat er bereits die US-Botschaft in Thailand um verdeckte Unterstützung gebeten. Die Amerikaner sollen medizinische Ausrüstung, Funkgeräte und Waffen zur Verfügung stellen. Damit beabsichtigt das Militär laut damaliger Einschätzung der Diplomaten, muslimische und nationalistische Milizen zu bewaffnen.

Bei den Massakern werden diese Gruppen später eine wichtige Rolle spielen. Das ist sowohl den Amerikanern als auch den Deutschen zu dieser Zeit bereits bewusst. Die USA haben erste Berichte über Massenmorde bereits am 27. Oktober von ihrer Botschaft in Jakarta erhalten. Am 3. November heißt es dann im "Föhrenwald"-Bericht des Bundesnachrichtendienstes, der t-online.de vorliegt:

  • "Auf Mittel- und Ostjava erfolgte zunächst ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten, in erster Linie durch fanatische Moslems. (...) Man lässt zumindest seitens der Armeeführung diesen anarchistischen Geschehnissen bewusst freien Lauf (...). Die vielen antikommunistischen Aktionen (...) sind selbstverständlich von der Armeeführung sorgfältig vorbereitet und die Bereitschaft der Massen (...) hierfür geweckt."


Ob die Waffen von den Amerikanern schließlich auf den Weg gebracht werden, ist bis heute unklar. Sukendro behauptet es in späteren Interviews. Sicher ist aber, dass dem zuständigen US-Ausschuss zumindest die Lieferung von Medizin und Funkgeräten zur Bewilligung vorgelegt wird. Auch 50 Millionen Rupiah sollen für den antikommunistischen Kampf fließen: "Die Chancen einer Entdeckung oder anschließenden Enthüllung unserer Unterstützung sind in diesem Fall so minimal, wie sie bei einer Geheimoperation nur sein können."

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Stellt Deutschland den Militärs damals eine ähnliche Unterstützung? "Unter schärfster Abschirmung der Übermittlungswege", wie in der BND-Akte angedacht? Koordinieren sich die Deutschen dafür mit den US-Amerikanern? Bislang ließen sich Hinweise darauf abseits dünn belegter Presseberichte nicht finden. Die Gesamtschau der Akten könnte das nun ändern.

Video | Völkermord in Indonesien: "Die Täter konnten gar nicht aufhören, zu prahlen"
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Quelle: t-online

"Die Dokumente scheinen eine Mitverantwortung Deutschlands für die vorsätzliche und ungesetzliche Tötung von etwa einer halben Million Zivilisten zu zeigen sowie für die Masseninternierung von etwa einer Million weiterer", sagte Historiker Geoffrey B. Robinson von der University of California in Los Angeles t-online.de. "Das würden wir heute Verbrechen gegen die Menschlichkeit nennen."

Dokumentarfilmer Joshua Oppenheimer, der zwei international preisgekrönte Filme über den Genozid in Indonesien drehte, sagte t-online.de: "Der Genozid war eine der größten Gräueltaten seit dem Holocaust. Dass er 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Teilen vom deutschen Staat begangen worden sein könnte, ist schrecklich und herzzerreißend."

Mit "Konsequenz und Härte" ausgeschaltet

Unwissenheit jedenfalls kann bei den damaligen Entscheidungen der Bundesregierung keine Rolle gespielt haben: Am 11. Oktober 1965 erfuhr die Botschaft von den Putschplänen des Militärs, am 27. Oktober berichtete sie Bonn von tödlicher Gewalt. Am 3. November schildert der nun vorliegende BND-Bericht das "Abschlachten von Kommunisten", am 14. Dezember berichtet der deutsche Botschafter dem Auswärtigen Amt von mindestens 128.000 Toten und vermutlich mehreren Hunderttausend Inhaftierten. Zeitgleich stehen die Diplomaten in Kontakt mit den Militärs und verhandeln wirtschaftliche Hilfen.

Einige Jahre später schrieb der damalige BND-Chef Reinhard Gehlen in seiner Autobiografie, das Militär habe die Kommunistische Partei mit "Konsequenz und Härte" ausgeschaltet. Über Jahrzehnte war das indonesische Regime anschließend enger Verbündeter der Bundesrepublik. Gestützt durch Waffenlieferungen und Wirtschaftskredite. General Suharto galt noch Kanzler Helmut Kohl als "treuer Freund Deutschlands".

Lesen Sie HIER, warum ein antikommunistisches Indonesien der Bundesregierung so wichtig war.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Deklassifizierte Akten des Bundesnachrichtendienstes
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