Debatte zur Schuldenaufnahme BSW-Abgeordnete protestieren nach Wagenknecht-Rede
Der Bundestag hat über das milliardenschwere Schuldenpaket abgestimmt. Die Debatte im Parlament war hitzig – und enthielt einen Eklat.
Inhaltsverzeichnis
- Merz: Unsere Feinde schauen heute auf uns
- Pistorius: Sicherheit hat Vorrang vor Kassenlage
- Grüne: Schuldenpaket mit Zugeständnissen
- Merz: Rückbau der überbordenden Bürokratie
- Scharfe Kritik von AfD, FDP und der Linken
- BSW protestiert nach Wagenknecht-Rede
- Was genau geplant ist
- Diskussion um Klimaneutralität bis 2045
Der Bundestag hat das Finanzpaket und die Grundgesetzänderungen beschlossen. CDU-Chef Friedrich Merz hatte in der Debatte für das von Union und SPD geplante Schuldenpaket geworben. Die geplante Grundgesetzänderung zur Kreditaufnahme sei angesichts der aktuellen Weltlage erforderlich, erklärte Merz in der Parlamentsdebatte.
"Für eine solche Verschuldung lässt sich nur unter ganz bestimmten Umständen und unter ganz bestimmten Bedingungen überhaupt eine Rechtfertigung finden", betonte der Unionsfraktionschef. Diese Umstände habe "vor allem" der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem Krieg in der Ukraine geliefert.
SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil warb mit den Vorteilen der geplanten Investitionen für Bürgerinnen und Bürger. "Dieses Paket wird die Mehrheit der Menschen in ihrem Alltag entlasten." Auch er pochte auf Reformen. Geld allein könne die Herausforderungen, vor denen das Land stehe, nicht lösen. "Wir müssen überall effizienter, zielgenauer und professioneller werden."
Die FDP, die AfD und die Linke äußerten heftige Kritik an den Plänen. Auch das BSW stellte sich gegen das Schuldenpaket – die Abgeordneten der Partei demonstrierten mit Schildern dagegen. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sprach voraussichtlich zum letzten Mal im Bundestag.
Merz: Unsere Feinde schauen heute auf uns
Am Dienstag hat der Bundestag über die geplanten Grundgesetzänderungen abgestimmt, die eine massive Kreditaufnahme ermöglichen. Dafür hat eine Zweidrittelmehrheit gestimmt. Union und SPD hatten sich in Verhandlungen mit den Grünen auf das Vorhaben verständigt, das unter anderem milliardenschwere Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz vorsieht.
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Merz betonte in seiner Rede die Notwendigkeit, Deutschland sicherheitspolitisch zu stärken: "Unsere Verbündeten in der Nato und der Europäischen Union schauen heute ebenso auf uns wie die Gegner und Feinde unserer demokratischen und regelbasierten Ordnung." Die geplante Aufrüstung könne "nicht weniger sein als der erste große Schritt hin zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft".
Pistorius: Sicherheit hat Vorrang vor Kassenlage
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verteidigte die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben. "Unsere Sicherheit darf nicht durch haushaltspolitische Zwänge gefährdet werden", sagte er. Deutschland stehe womöglich vor "der größten sicherheitspolitischen Herausforderung" seiner Geschichte. Russland sei "mit Abstand die größte Bedrohung" für die europäische Sicherheit. Gleichzeitig komme es zu einer "Verlagerung des amerikanischen Engagements mehr in den Indopazifik".
Pistorius betonte, dass es keine Blankoschecks für Verteidigungsausgaben geben werde. "Ausgaben werden effizient und wohlüberlegt erfolgen und unterliegen weiter der Kontrolle des Parlaments." Zudem stelle das Finanzpaket sicher, dass andere Investitionen in zivile Infrastruktur nicht vernachlässigt würden.
Grüne: Schuldenpaket mit Zugeständnissen
Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann rechnete in der Debatte mit Merz ab. Die Union habe Investitionen lange blockiert. Er und seine Partei aber hätten das öffentlich nie zugegeben und die Grünen sogar noch für entsprechende Forderungen diffamiert. "Aber ich bin dennoch in der Sache froh, dass wir das jetzt heute so entscheiden, denn es ist notwendig für unser Land", sagte Haßelmann.
Ihre Parteikollegin Franziska Brantner betonte, dass die Grünen sicherstellen würden, dass die Mittel nicht zweckentfremdet werden. "Wir werden darauf achten, dass dieses Geld sinnvoll investiert wird." Sie kritisierte, dass 43 Prozent der geplanten Ausgaben an das reichste Zehntel der Bevölkerung gingen. Zudem charakterisierte sie die geplante Koalition als gekennzeichnet "durch Kleinmut und Mackertum aus Bayern". Von der Union verlangte sie: "Hören Sie endlich den Wettlauf mit den Populisten auf."
Merz: Rückbau der überbordenden Bürokratie
Trotz der hohen Schuldenaufnahme rief Merz zu einem sorgsamen Umgang mit den öffentlichen Finanzen auf. "Die finanziellen Lasten der Schuldenaufnahme dürfen nicht allein die zukünftigen Generationen tragen", sagte der CDU-Chef. Er verwies auf den weiterhin bestehenden Spar- und Reformdruck: "Wir brauchen einen Rückbau der überbordenden Bürokratie in unserem Land." Zudem sei eine umfassende Modernisierung des Gemeinwesens notwendig.
Merz machte auch deutlich, dass steigende Schulden steigende Zinsen nach sich ziehen würden, und betonte die Notwendigkeit von Tilgungsplänen. "Damit stehen der Bund, die Länder und die Gemeinden in den nächsten Jahren unter erheblichem Konsolidierungsdruck." Gleichzeitig sei es nicht allein an der jungen Generation, die Lasten der alternden Gesellschaft zu tragen.
Scharfe Kritik von AfD, FDP und der Linken
FDP-Fraktionschef Christian Dürr, dessen Partei dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird, warf der Union vor, sich gegen den wirtschaftlichen Erfolg des Landes zu entscheiden. "Viel Geld, keine Reformen. Das wird Ihre Kanzlerschaft kennzeichnen", sagte Dürr Merz voraus. Er warf Merz zudem vor, eine "Schuldenkoalition" zu führen. Merz wolle an die Spitze einer Regierung treten, "die den Wohlstand von morgen für kurzfristige Wahlgeschenke bereit ist, zu opfern".
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla warf Merz vor, nicht nur kein Rückgrat zu haben, sondern inzwischen "komplett wirbellos" zu sein. "Hier soll planlos die Staatsverschuldung in den Himmel getrieben werden", bemängelte er. Zudem forderte Chrupalla die Union auf, gegen das Paket zu stimmen, und sprach von einer "beispiellosen Verschuldung". Er warnte vor einer massiven Zinslast und kritisierte, dass die CDU sich von SPD und Grünen habe "einwickeln lassen". Die geplanten Kredite würden in den nächsten zehn Jahren zu zusätzlichen 100 Milliarden Euro Zinsbelastung führen, sagte Chrupalla.
Linke-Fraktionschef Sören Pellmann sprach von einem "monströsen Manöver" und warf Merz Schamlosigkeit vor. Er redete mit Blick auf die geplante Aufrüstung von "Nebelkerzen aus Angst und Furcht" und unrealistischen Untergangsszenarien.
BSW protestiert nach Wagenknecht-Rede
Das BSW warnte ebenfalls vor zusätzlichen Ausgaben in die Verteidigung. Alle Abgeordneten der Gruppe BSW hielten Schilder hoch, auf denen sie gegen das Schuldenpaket protestierten. "1914 wie 2025: NEIN zu Kriegskrediten!", stand auf den Plakaten. Dafür erhielten alle Beteiligten einen Ordnungsruf von Bundestagspräsidentin Petra Pau.
Die Partei ist mit wenigen Tausend Stimmen an der Fünfprozenthürde gescheitert. In ihrer voraussichtlich letzten Rede im Bundestag wiederholte Sahra Wagenknecht Behauptungen, dass es bei der Auszählung von BSW-Stimmen Ungereimtheiten gegeben habe. Sie kündigte an: "Wir kommen wieder".
Deutschland sei auf dem Weg zum wirtschaftlichen Zwerg, sagte Wagenknecht, "und die dafür verantwortlichen Politiker kompensieren ihre Unfähigkeit durch außenpolitische Großmannssucht und beispiellose Hochrüstung". In Richtung Union und SPD erhob sie den Vorwurf, die AfD stärker zu machen, weil sie mit dieser nicht reden wollten. Den Grünen warf sie vor, "kriegsverrückt" zu sein.
Was genau geplant ist
Bei Verteidigung und Infrastruktur gibt es in Deutschland einen Investitionsstau. Nun wird die Schuldenbremse – die der Neuverschuldung des Bundes enge Grenzen setzt – für Ausgaben in Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit gelockert. Für alle Ausgaben in diesen Bereichen, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, dürfen Kredite aufgenommen werden – das wäre nach Rechnung der Politiker in diesem Jahr alles über etwa 44 Milliarden Euro.
Außerdem wird ein Sondervermögen geschaffen, für das die Schuldenbremse nicht gilt und das mit Krediten bis zu 500 Milliarden Euro gefüttert wird. Daraus soll die Instandsetzung der maroden Infrastruktur – also Brücken, Energienetze, Straßen oder Schulen – bezahlt werden. 100 Milliarden Euro sollen fest in Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft fließen. Das Geld darf aber nur fließen, wenn im normalen Kernhaushalt eine angemessene Investitionsquote gilt – damit wollen die Grünen verhindern, dass das Geld genutzt wird, um auf Umwegen Wahlgeschenke zu finanzieren.
Diskussion um Klimaneutralität bis 2045
Streit gab es erneut darüber, ob mit der Formulierung, dass die Mittel aus dem Sondervermögen auch "für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045" verwendet werden können, die ins Grundgesetz geschrieben werden soll, ein neues Staatsziel formuliert wird. Kritiker etwa aus der AfD sehen das so und warnen vor negativen Folgen für die Wirtschaft und neuen Klagemöglichkeiten für Umweltschutzorganisationen etwa gegen den Autobahn-Ausbau. Klimaneutralität bedeutet, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als auch wieder gebunden werden können.
Merz wies das zurück. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sei seit über 30 Jahren in Artikel 20a des Grundgesetzes ein Verfassungsauftrag. Das Bundesverfassungsgericht habe 2021 entschieden, dass darunter auch Klimaneutralität zu verstehen sei. "Es ist kein neues Staatsziel. Es gibt hier keine Veränderungen der Grundlagen in unserer Verfassung in dieser Frage." Der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte, die Annahmen aus der AfD seien "vollkommen absurd". Es gebe bei den Investitionen keine Einschränkungen bei Straßen, Schienen oder Sonstigem.
Nicht nur im Bundestag ist eine Zweidrittelmehrheit nötig, sondern auch im Bundesrat. Die dürfte aber stehen, nachdem sich in Bayern am Montag CSU und Freie Wähler auf eine Zustimmung geeinigt hatten. Die Länder profitieren von dem Paket auch deutlich: Nicht nur bekommen sie 100 der 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz. Sie dürfen dann künftig zusammen auch Schulden in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen – bisher gilt für die Länder eine Schuldengrenze von Null.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, reuters und AFP
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