Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Dann wäre seine Kanzlerschaft vorbei

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es ist keine fünf Tage her, da sah alles noch ziemlich verfahren aus. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warf Friedrich Merz im Bundestag vor, "nicht immer ehrlich zu sein", was eine der höflicheren Formulierungen dieser Tage war. Und CDU-Chef Merz rief den zweifelnden Grünen im Streit ums Milliardenpaket zu: "Was wollen Sie noch mehr?"
Die unersättlichen Ökos und die Flunkerkanone Merz? Das dürfte heute im Bundestag wieder ganz anders klingen. Um 10 Uhr beginnt die entscheidende Sitzung zur Reform der Schuldenbremse für Verteidigung sowie das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz. Union, SPD und Grüne haben sich am Freitag bei beidem geeinigt.
Es war klug, dass die Grünen hart verhandelt haben. Dass sie mit ihrem Nein zu Beginn der vergangenen Woche "all in" gegangen sind, wie es ein Grüner nennt. Obwohl das bei ihnen intern umstritten war. Und es ist gut, dass die Grünen nun zustimmen wollen. Deutschland braucht dieses Geld, und sie haben dafür gesorgt, dass es auch an den richtigen Stellen ankommen kann.
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"Whatever it takes", was auch immer nötig ist – das soll künftig nicht nur für Verteidigung im engeren Sinne, also für Panzer und Raketen gelten. Sondern auch für die Cybersicherheit, die Nachrichtendienste, den Katastrophen- und Zivilschutz und die Unterstützung völkerrechtswidrig angegriffener Staaten wie die Ukraine. Außerdem soll es in den nächsten zwölf Jahren 500 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen für die Infrastruktur und den Klimaschutz geben sowie ein wenig mehr Schulden-Spielraum für die Bundesländer.
Heute wird also ein historischer Tag. Wenn alles gutgeht, hätte Friedrich Merz plötzlich viel mehr Geld, als es sich Olaf Scholz mit seiner Ampelregierung jemals erträumen konnte. Manche bei SPD und Grünen dürften damit noch hadern. Doch das Leben ist nicht fair, die Politik schon gar nicht. Sehr passend also, dass die letzten Hindernisse für das Milliardenpaket nun nach und nach zu verschwinden scheinen.
Eines der größten Probleme für das Milliardenpaket hat sich am Wochenende in Luft aufgelöst – in alkoholschwangerer Luft. Beim Starkbierfest der Freien Wähler in Neuburg sagte Hubert Aiwanger, man habe "eh keine Chance", das Milliardenpaket im Bundesrat aufzuhalten. "Auch wenn das völliger Wahnsinn ist: Die CSU kann auch ohne uns im Bundesrat zustimmen." So zitierte ihn die "Augsburger Allgemeine".
Das stimmt zwar nicht ganz. Bayern müsste sich im Bundesrat enthalten, wenn sich die Koalitionspartner vor einer Abstimmung nicht einig sind. Aber CSU-Ministerpräsident Markus Söder hatte durchblicken lassen, die Freien Wähler aus der Regierung zu werfen, wenn sie sich weigern. Und das kann Aiwanger nicht gefallen, zumal sich viele bayerische Kommunen auf das neue Geld aus Berlin freuen. Also verständigten sich CSU und Freie Wähler in einer Sitzung ihres Koalitionsausschusses am Montag, dem Milliardenpaket zuzustimmen.
Bayern war in den vergangenen Tagen das Land, auf das in Berlin viele mit Sorge geblickt hatten. Aiwanger, immerhin stellvertretender Ministerpräsident, hatte früh angekündigt, das Milliardenpaket sei für ihn "nicht zustimmungsfähig". Ohne Bayern aber wäre ein Erfolg im Bundesrat am Freitag sehr, sehr unsicher gewesen. Dort braucht es wie im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit – und dafür reichen die Länder nicht aus, in denen nur Union, SPD und Grüne regieren.
Mit Bayern aber ist im Bundesrat alles klar. Und in Karlsruhe ist es das erst einmal auch. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht noch einmal über sechs Eilanträge zu entscheiden. Sie waren in unterschiedlichen Konstellationen von FDP, AfD, Linken und BSW gestellt worden, um den Beschluss des Milliardenpakets im Schnellverfahren mit alten Mehrheiten noch zu stoppen. Doch am Montagabend um 21.35 Uhr entschieden die Verfassungsrichter: Zumindest für eine einstweilige Anordnung gibt es keinen Grund, die Bundestagssitzung kann stattfinden. Ob die Abgeordneten wirklich genug Zeit hatten, das alles zu durchdringen, darüber entscheidet das Verfassungsgericht später.
Bleibt also nur noch die Frage: Wie groß sind die Disziplinprobleme im Bundestag? Letztlich wird sich dies erst heute Mittag beantworten lassen, wenn die Abgeordneten über die Grundgesetzänderungen abstimmen. Union, SPD und Grüne haben zusammen theoretisch 31 Abgeordnete mehr, als sie für die erforderliche Zweidrittelmehrheit brauchen. Theoretisch.
Praktisch gibt es Unsicherheiten. Da der alte Bundestag für die Abstimmungen zusammenkommt, kommt es auf mehrere Dutzend Abgeordnete in den drei Fraktionen an, die dem nächsten Parlament gar nicht mehr angehören werden. Wer bald ohnehin weg ist, hat nicht mehr viel zu verlieren. Die Fraktionsspitzen dürften es also schwerer haben, die Zweifelnden auf die Fraktionsdisziplin zu verpflichten.
Die Grünen rechnen trotzdem mit breiter Zustimmung, wie Parteichefin Franziska Brantner sagte. Dort sind viele nach dem grünen Verhandlungserfolg geradezu euphorisch. Das Angebot von Union und SPD war zu gut, um es abzulehnen, so sehen es die meisten seit Freitag. Selbst wenn die Grünen weiterhin eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse wollen.
Die SPD zeigt sich ebenfalls optimistisch. Ihr war im Streit mit den Grünen besonders wichtig, dass es am Ende nicht nur um Verteidigung geht, sondern auch um Infrastruktur. Nun sagte Generalsekretär Matthias Miersch, er rechne mit einer "hohen Zustimmungsquote" der SPD. Es seien wohl auch alle Abgeordneten anwesend.
Bei der Union könnte es die meisten Abweichler geben. "Es wird knapp, aber es wird gehen", sagte Friedrich Merz am Sonntag in der ARD. Einige Zweifler haben sich in den vergangenen Tagen persönlich zu Wort gemeldet. Sie wollen bei der 180-Grad-Schuldenwende der Union nicht mitmachen. Der Prominenteste ist der frühere CDU-Generalsekretär Mario Czaja. "Vergessen wir Wolfgang Schäuble bitte nicht. Er warnte vor finanzieller Blasenbildung", schrieb Czaja auf der Plattform X. Und: "Wir versündigen uns an den nächsten Generationen."
Es ist trotzdem unwahrscheinlich, dass die Sache wirklich scheitert. Alle wissen, dass das nach all dem Hin und Her nicht nur sehr peinlich wäre für die Union. Die Kanzlerschaft von Friedrich Merz wäre beendet, bevor sie begonnen hat.
Termine des Tages
Bonjour, Monsieur le Président: Noch-Kanzler Olaf Scholz empfängt am Abend um 18 Uhr den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie wollen den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel vorbereiten und über die Entwicklungen in der Ukraine nach den Gesprächen mit den USA beraten. Im Anschluss will Macron auch den Wohl-bald-Kanzler Friedrich Merz treffen.
Wie mächtig ist Apple? Das muss heute der Bundesgerichtshof entscheiden. Das Bundeskartellamt hatte Apple 2023 als Unternehmen mit "überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb" eingestuft. Wenn der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs das heute bestätigt, könnte das Kartellamt Apple bestimmte Geschäftspraktiken verbieten.
Der Bundespräsident kommt: Im Rahmen seiner Reihe "Ortszeit Deutschland" besucht Frank-Walter Steinmeier bis zum 20. März Stadtallendorf in Hessen. Für heute sind neben Gesprächen mit den Einwohnern unter anderem der Eintrag ins Goldene Buch der Stadt und die Teilnahme an einem Boxtraining geplant.
Historisches Bild
1915 fügte das Osmanische Reich Briten und Franzosen eine schwere Niederlage zu. Mehr lesen Sie hier.
Lesetipps
Wladimir Putin und Donald Trump wirbeln die internationale Sicherheitsordnung durcheinander. Schlittert die Welt in einen neuen großen Krieg? Militärhistoriker Sönke Neitzel hält das für unwahrscheinlich – und spricht im Interview mit meinem Kollegen Simon Cleven dennoch eine Warnung aus.
Auf Christian folgt Christian: Bei der FDP will Noch-Fraktionschef Christian Dürr Noch-Parteichef Christian Lindner beerben. Ein echter Neuanfang sei das nicht, kommentiert mein Kollege Florian Schmidt. Aber vielleicht brauche es den auch gar nicht.
Die USA sind zu Zugeständnissen bereit, damit Russland einem Waffenstillstand zustimmt. Doch Europa sollte sich gegen die Aufhebung der Sanktionen wehren, meint unser Kolumnist Gerhard Spörl.
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen eine sonnige Märzwoche.
Ihr Johannes Bebermeier
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Mit Material von dpa.
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