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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte kritisiert Finanzpaket So teuer könnte Deutschlands Verteidigung werden

Mit der Einigung auf ein Finanzpaket könnte die kommende Regierung theoretisch viel mehr Geld für Verteidigung ausgeben. Doch praktisch dürfte das sehr schwer werden.
CDU-Chef Friedrich Merz und die Verhandler von Union und SPD mussten lange bangen, denn die Grünen stellten sich quer. Jetzt sieht es jedoch so aus, als könnte das milliardenschwere Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur am kommenden Dienstag im Bundestag bestehen. Ein Knackpunkt der Verhandlungen war, ab wann Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen werden und welche Bereiche genau darunter fallen sollen.
Das Ergebnis ist unscharf und schafft Raum für Missbrauch, kritisieren Experten. Unter ihnen ist auch Martin Beznoska, Ökonom für Finanz- und Steuerpolitik am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). "Die Einigung ist schon sehr großzügig ausgefallen", sagt Beznoska t-online.
Der Kompromiss der Parteien sieht vor, Verteidigungsausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen, von der Schuldenbremse auszunehmen. Der Geltungsbereich wurde erweitert. Neben der Bundeswehr können die Kredite auch für Zivil- und Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienste, Schutz für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten wie die Ukraine und den Schutz der Informationssicherheit genutzt werden. Mehr zu dem Finanzpaket lesen Sie hier.
Verteidigung benötigt massive Investitionen
Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, nennt die Einigung "wichtig und richtig". Die Verständigung ermögliche "umfangreiche Investitionen in die Sicherheit Deutschlands und Europas". Vor allem im Verteidigungsbereich müssten die Investitionen in Hochtechnologie und der Anteil von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben "massiv" erhöht werden, forderte der IfW-Präsident. Das ergebe auch "die größten positiven Effekte für Wachstum und Innovation im zivilen Sektor".
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Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, kritisierte dagegen Versäumnisse im Finanzpaket. Es sei bedauerlich, "dass man es bei den Verteidigungsausgaben bei der Grenze von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts belassen hat, ab der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen werden", sagte Schnitzer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Einigung hat haushaltspolitischen Nebeneffekt
Auch Martin Beznoska vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht die vereinbarte Grenze von einem Prozent kritisch. Denn sie hat einen Nebeneffekt, der den Parteien gelegen kommen könnte.
Derzeit machen Verteidigungsausgaben etwa 1,3 Prozent des deutschen Kernhaushalts aus. Wenn nun jedoch alle Ausgaben über 1 Prozent des BIP kreditfinanziert werden können, betrifft das demnach auch Ausgaben, die bereits eingeplant sind. "Damit hat sich die kommende Regierung im Haushalt einige Milliarden Euro mehr Spielraum geschaffen", erklärt Beznoska. Das IW schätzt die Summe, die durch die Ein-Prozent-Regelung frei wird, auf rund 25 Milliarden Euro im laufenden Haushalt. Das beinhaltet auch ungefähr sieben Milliarden Euro Ukraine-Hilfen, die durch die Erweiterung des Geltungsbereichs dazukommen.
Union und SPD hatten sich heftig um diesen Prozentwert gestritten. "Je niedriger er ist, desto großzügiger kann der Staat Geld ausgeben", sagt Beznoska. In den Sondierungen hatte Merz einen Wert von 1,2 Prozent vorgeschlagen, die SPD hatte dagegen gefordert, den ganzen Verteidigungsetat von der Schuldenbremse auszunehmen. Das lehnte Merz jedoch ab. "Da habe ich sehr hart gesagt: Das kommt überhaupt nicht infrage", soll er laut dem "Spiegel" gesagt haben. Ein Prozent sei für ihn die "absolute Schmerzgrenze", wird Merz zitiert. Nach längeren Sitzungsunterbrechungen habe man sich schließlich auf ein Prozent geeinigt.
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Technische Hürden für das Geldausgeben
Kann Deutschland jetzt unbegrenzt Geld für seine Verteidigung ausgeben? "Ja, das ist theoretisch möglich", sagt Beznoska. Doch dafür gibt es einige Hürden. So kann das Wehrministerium nicht einfach neue Schulden aufnehmen, diese müssen erst in einem Gesetz geregelt und mit einfacher Mehrheit im Bundestag verabschiedet werden. Außerdem sei technisch die Frage, "wie viel überhaupt möglich ist", sagt der Ökonom.
Denn es sei eine Herausforderung, sinnvolle Projekte zu identifizieren und diese dann auch umzusetzen. Bisher sei das häufig nicht an der Finanzierung gescheitert, sondern an zu langen Verfahren. "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass oft erst mal viel Geld eingestellt, aber dann nicht abgerufen wird", sagt Beznoska. Deshalb müsse sich auch bei der Beschleunigung von Verfahren noch etwas tun. "Nur Geld reicht halt noch nicht", so der Ökonom.
Trotzdem mehren sich Sorgen, dass Deutschland sich von Tugenden wie finanzieller Nachhaltigkeit und Sparsamkeit verabschiedet und allein für Verteidigung Billionen Euro zusätzlich ausgeben könnte. Martin Beznoska entkräftet dies etwas. Schon heute gebe Deutschland etwa 90 Milliarden Euro für Verteidigung aus und erreiche damit das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, sagt er. Sollte Deutschland die Ausgaben zukünftig auf drei Prozent des BIP erhöhen, wären das jährlich ungefähr 40 Milliarden Euro mehr. "Ich rechne über zehn Jahre mit 500 Milliarden Euro mehr Ausgaben", schätzt der Ökonom. In diesem Jahr erwartet er zudem noch keinen großen Schuldenanstieg. "2026 könnte dann schon mehr dazukommen", sagt Beznoska.
Insgesamt bewertet Beznoska die Einigung jedoch trotzdem kritisch. Denn die Definitionen von Verteidigung und auch Infrastruktur seien nicht klar genug geregelt. "Das ist ein Einfallstor, um Ausgaben zwischen Haushalt und Sondervermögen hin und her zu schieben. Hier schafft sich die Regierung missbräuchlichen Spielraum", so der Ökonom.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen afp
- Gespräch mit Martin Beznoska