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EU-Asylrecht: Grüne widersprechen Baerbock – "historischer Fehler"


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Die Grünen
Was wollen sie denn nun?


11.04.2024Lesedauer: 4 Min.
Annalena BaerbockVergrößern des Bildes
Annalena Baerbock: Die Außenministerin sieht in der EU-Asylreform einen "Meilenstein" – im Gegensatz zu vielen anderen Grünen. (Quelle: Christoph Soeder/dpa/dpa-bilder)
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Die EU verschärft ihre Asylpolitik deutlich. Annalena Baerbock verteidigt die Reform als "Meilenstein". Andere Grüne sehen einen "historischen Fehler". Die Migrationspolitik wühlt die Partei auf.

Es klingt wie ganz gewöhnliches Eigenlob, was die grüne Außenministerin Annalena Baerbock am Mittwochabend auf der Plattform X verbreitet. Alltag im harten Regierungsgeschäft: Wenn sonst niemand applaudiert, muss man sich den Applaus eben selbst organisieren.

"Mit dem Ja zur GEAS-Reform im Europäischen Parlament beweist die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit", schreibt Baerbock. "Europa bekommt verbindliche Regeln mit Humanität & Ordnung. Die verpflichtende Solidarität ist ein Meilenstein. Das ist auch eine gute Nachricht für Kommunen in Deutschland."

Ein Meilenstein. Eine gute Nachricht.

Annalena Baerbock hat die EU-Asylreform GEAS für die Bundesregierung mitverhandelt. Wer nur die Worte der Außenministerin liest, könnte fast vergessen, wie sehr ihre Grünen mit den nun beschlossenen neuen Härten an den europäischen Grenzen gehadert haben. Und noch immer hadern. Die Grünen im Europaparlament haben den wesentlichen Gesetzen des GEAS-Pakets, das Baerbock bejubelt, am Mittwoch gar nicht zugestimmt. Und es anders als Baerbock scharf kritisiert.

Video | EU verschärft Asyl-Recht
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Quelle: reuters

Wie also stehen die Grünen zur historischen Asylreform? Da ist mancher in der Partei nun selbst ratlos – und kritisiert eine fehlende grüne Linie. Klar ist nur: Den Streit um die Asylpolitik wird die Partei so schnell nicht los.

Zwei Mal durchgeschüttelt

Allein im vergangenen Jahr hatte die EU-Asylreform die Partei gleich zwei Mal durchgeschüttelt. Im Sommer hatten sich die Grünen auf einem kleinen Parteitag im hessischen Bad Vilbel heftig gestritten – und am Ende nur zähneknirschend auf einen Formelkompromiss geeinigt.

Teile der Partei waren damals tief enttäuscht von Baerbock und sauer auf sie und ihre Leute. Die Lager warfen sich hinter vorgehaltener Hand gegenseitig vor, Fake News über GEAS zu verbreiten, die Reform also wahlweise schlechtzureden oder schönzufärben.

Ende November dann die nächste Eskalation. Auf dem Parteitag in Karlsruhe wollte die Grüne Jugend ihre Spitzenleute zwingen, keine weiteren Asylverschärfungen mitzutragen. Also auch die GEAS-Reform nicht. Was Vizekanzler Robert Habeck dazu brachte, seine Partei mit der größtmöglichen Warnung auf Regierungslinie zu bringen: einer Warnung vor dem Bruch der Ampelregierung, falls das beschlossen würde.

Am Ende versammelte sich auch in Karlsruhe die Mehrheit hinter ihren Führungsleuten. Und das, obwohl die Grünen ihre in Bad Vilbel formulierte Kernforderung nicht durchsetzen konnten: nämlich zumindest Familien und Kinder von den neuen Asylverfahren an den Außengrenzen auszunehmen, damit sie dort nicht in den Lagern ausharren müssen, die gerade von Grünen als haftähnlich kritisiert werden.

Deutlich härtere Gangart

Das Reformpaket muss nach der Zustimmung am Mittwoch im Europäischen Parlament nun zwar noch einmal von den Mitgliedstaaten angenommen werden. Das gilt in diesem Fall aber als Formsache. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem, kurz GEAS, sieht im Kern einen deutlich härteren Umgang mit Menschen aus Ländern vor, die als relativ sicher definiert werden.

Vorgesehen sind unter anderem schärfere Kontrollen an den EU-Außengrenzen. Geplant sind sogenannte Grenzverfahren für Menschen, die in Europa kaum Aussicht auf ein Bleiberecht haben.

Während der Schnellverfahren sollen die Migranten in Lagern an den Grenzen untergebracht werden. Bei einer Ablehnung sollen sie direkt abgeschoben werden. Löst die EU einen Notfallmechanismus aus, weil etwa viele Migranten anlanden, sollen auch Asylsuchende mit einer Anerkennungsquote von bis zu 50 Prozent ein Schnellverfahren durchlaufen müssen.

Europa-Grüner: EU täuscht Lösungen vor

Viele bei den Grünen halten das alles nach wie vor für den völlig falschen Weg. Im Europaparlament stimmten sie am Mittwoch gegen zentrale Teile des GEAS-Pakets – und klangen auch in der Bewertung sehr anders als Außenministerin Baerbock.

"Dieses Asylpaket ist eine massive Menschenrechtseinschränkung und wird nicht dazu in der Lage sein, das Asylsystem besser zu ordnen", schrieb der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen, auf X. "Die Europäische Union täuscht Lösungen vor, die in Wahrheit keine sind."

In Deutschland ist die Kritik bei Teilen der Grünen ebenso ungebrochen. "Die Reform ist eine vertane Chance", sagte die Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer t-online. "Statt endlich schnellere Verfahren und Integration und eine faire Verteilung anzugehen, werden schutzsuchende Menschen, auch Kinder, eingesperrt und durchlaufen deutlich bürokratischere und längere Asylverfahren. Damit drohen sich die Probleme des europäischen Asylsystems sogar noch zu verschärfen."

Schäfer sagte, es sei auch nicht mit niedrigeren Asylzahlen in Deutschland zu rechnen, weil die Probleme bei der verbindlichen Verteilung nicht angegangen würden. Die Reform sei ein Produkt einer Debatte, die "immer weniger mit Evidenz und wissenschaftlichen Fakten zu tun hat und immer mehr mit Entmenschlichung von Asylsuchenden".

Der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke sieht das genauso. Er sagte t-online: "Die zentralen Herausforderungen bleiben ungelöst." Es fehle eine verlässliche Verteilung, Staaten an den Außengrenzen würden weiterhin allein gelassen. "Es werden nicht weniger Menschen nach Europa kommen, nur weil man sie noch schlechter in der EU behandelt."

Die Reform bedeute tiefe Eingriffe in das Grundrecht auf Asyl. "Dieses Recht auszuhöhlen, ist ein historischer Fehler", sagte Pahlke. "Das Sterben im Mittelmeer wird durch diese Reform weitergehen. Brutale Milizen in Libyen vorzuschicken, die Flüchtende in Folterlager sperrten, statt die Küstenwache zu schicken, um Leben zu retten, "ist für eine EU würdelos".

"Wir geben da ein unglückliches Bild ab"

Es ist sehr grundsätzliche Kritik, die so gar nicht zusammenpassen will mit der Haltung der Grünen um Außenministerin Annalena Baerbock. Mancher in der Partei weist darauf hin, dass auch die SPD im Europaparlament bei der GEAS alles andere als geschlossen abgestimmt hat. Dass es also nicht nur die Grünen sind, die gemischte Signale aussenden.

Andere beruhigt das nicht wirklich. "Wir geben da ein unglückliches Bild ab", sagte ein Bundestagsabgeordneter t-online. "Es ist im ganzen Prozess nicht gelungen, sich auf eine gemeinsame Grüne Linie zu verständigen. Das müssen sich alle vorwerfen lassen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Informationen der Nachrichtenagentur Reuters
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