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EU-Asylreform: Annalena Baerbock steht jetzt unter Beobachtung


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Annalena Baerbock
Sie steht jetzt unter Beobachtung


Aktualisiert am 18.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Annalena Baerbock: "Wir haben in den letzten Wochen gespürt, wie sehr uns dieser Kompromiss zerreißt." (Quelle: reuters)
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Die Grünen haben auf einem kleinen Parteitag über die EU-Asylreform gestritten. Zum großen Eklat kam es zwar nicht. Doch es bleibt viel Misstrauen.

Annalena Baerbock hat Schmerzen und bedankt sich dafür. "Wir haben in den letzten Wochen gespürt, wie sehr uns dieser Kompromiss zerreißt", sagt die Außenministerin. Ein Kompromiss zur EU-Asylreform, den es auch ihretwegen gibt, dem sie zugestimmt hat. Das muss sie hier auf dem kleinen Parteitag der Grünen im hessischen Bad Vilbel nicht dazusagen.

Es ist ein Kompromiss, mit dem Baerbock in der Partei viele gegen sich aufgebracht hat. Von Verrat war die Rede und verlorenem Vertrauen, von großer Enttäuschung und ihrem größten Fehler. Das alles ist an Baerbock nicht spurlos vorbeigegangen, sie lässt das am Samstag durchblicken. "Ich danke für diese Debatte heute und auch in den Vortagen. Auch wenn sie schmerzt", sagt Baerbock und hält kurz inne. "Uns alle schmerzt. Aber sie ist nötig."

"Die Debatte" – das ist ein freundlicher Ausdruck dafür, dass es die Grünen seit etwas mehr als einer Woche mächtig durchschüttelt. Seit sich die EU-Staaten auf eine massive Verschärfung des Asylrechts verständigt haben, mit Zustimmung der Grünen, mit Zustimmung von Baerbock.

Schon an den Außengrenzen sollen künftig viele Menschen abgewiesen werden, es soll Lager geben und Schnellverfahren, auch für Familien mit Kindern. Wie schlimm es wird, ist unter Grünen umstritten. Und vor allem, ob es an den Grenzen schlimmer wird, als es dort schon jetzt ist oder zumindest ein bisschen besser. Vielleicht. Gut findet den Kompromiss hier niemand. Im Grunde ist es ein grüner Albtraum. Nur was folgt jetzt daraus?

Zwei große Fragen

Die Grünen verhandeln am Samstagnachmittag in Bad Vilbel vor allem zwei Kernpunkte. Der eine lautet: Darf man Mist auch Mist nennen, wenn man ihn selbst mitverhandelt hat und mitverantwortet? Wenn es vielleicht das Beste und Einzige war, was die Grünen durchsetzen konnten? Sollte man den Mut zum Mist-Sagen dann trotzdem haben, muss man gar? Oder besser nicht, weil es die eigenen Leute beschädigt? Allen voran die zuständige Außenministerin Baerbock?

Der andere Kernpunkt ist noch entscheidender, das sehen alle Seiten so. Und er lautet: Was machen wir nun mit dem Mist?

Sollte man Baerbock und ihre grünen Regierungskollegen verpflichten, in den weiteren Verhandlungen über die Reform nur zustimmen zu dürfen, wenn sie bestimmte Ziele erreicht haben? Soll die Partei bestimmen, wie sich ihre Regierungsleute in den Verhandlungen zu verhalten haben? Sitzt also die Basis mit am Kabinettstisch? Oder doch die Baerbock?

Der Mist ist Konsens

Die Parteiführung hatte vorher vor einem Scherbengericht gewarnt, an Solidarität und Respekt appelliert. Und tatsächlich wird an diesem Samstag schnell klar: An einer öffentlichen Abrechnung mit Annalena Baerbock haben nicht mal diejenigen ein Interesse, die den Kompromiss am härtesten kritisieren und bei denen die Enttäuschung noch immer riesig ist.

Der EU-Migrationspolitiker Erik Marquardt formuliert schon früh auf der Bühne eine Art Friedensangebot. Er halte die Zustimmung zum Kompromiss zwar für eine "falsche Entscheidung", man müsse "den Mut haben, als Partei zu zweifeln".

Doch Marquardt sagt auch: "Wir alle haben Vertrauen in unser Führungspersonal." Er bekommt dafür viel Applaus. Ob das wirklich für alle stimmt und vor allem wie groß oder klein das Vertrauen noch ist, bleibt offen. Dass er es betonen muss, zeigt schon, wie sehr es infrage stand und steht. Immerhin forderten Basismitglieder persönliche Konsequenzen für Baerbock.

Doch zum Eklat will es in Bad Vilbel niemand kommen lassen. Und so hält sich die Partei am Ende auch bei der Arbeit am Beschlusspapier nicht groß mit der Frage auf, wie sehr man Mist auch wirklich Mist nennen soll. Denn dass es Mist ist, ist ohnehin Konsens.

Zwei Denkschulen

Zu größeren Diskussionen und zur Abstimmung über eine Änderung am Beschlusspapier kommt es in der Frage, wie sehr man Baerbock und die Bundesregierung in den Verhandlungen auf bestimmte Ziele verpflichten will. Wie sehr also die Basis die Baerbock bindet.

Es gibt dabei zwei Denkschulen: Die einen argumentieren, eine möglichst strikte Festlegung helfe, damit in den Verhandlungen etwas Besseres herauskommt. Was genau, bleibe zwar abzuwarten. Aber man könne eben nicht immer schon mit Kompromissen in die Gespräche hineingehen und sich die dann auch noch abnehmen lassen.

Die anderen sagen: Zu starre Festlegungen schaden in den Verhandlungen eher, schwächen die Position, weil sie die Bundesregierung im Zweifel komplett aus dem Spiel nehmen. Denn dann würden die anderen in der EU Mehrheiten ohne die Deutschen schmieden, was am Ende zu noch schlimmeren Ergebnissen führen könnte.

Baerbock selbst hängt – wenig überraschend – der zweiten Denkschule an. Ohne uns wäre es noch schlimmer gekommen, so verteidigt sie ihre Zustimmung seit einer Woche. Und am Samstag wirbt sie dafür, es weiter so zu machen: "Wenn wir uns als Grüne dieser Zumutung nicht stellen, dann werden die Entscheidung andere treffen."

Manche Grüne sind ohnehin skeptisch, was in den Verhandlungen, dem sogenannten Trilog zwischen Europaparlament, Kommission und Rat, wirklich noch zu retten ist. Immerhin ist die Entscheidung der Mitgliedstaaten gefallen. Selbst im Europaparlament sind grüne Positionen in der klaren Minderheit. Und auf ihm ruhen nun die großen Hoffnungen der grünen Mehrheit.

Man kann das Optimismus nennen, Zweckoptimismus. Oder Augenwischerei.

"Klare Ziele" für die Verhandlungen

Die Grüne Jugend will Baerbock trotzdem möglichst strikte Bedingungen mitgeben. Die "finale Zustimmung" solle von den konkreten Ergebnissen der Verhandlungen "abhängig" gemacht werden, wollen sie in den Beschluss schreiben. Was etwa heißt, dass keine Kinder und Familien in die Grenzverfahren dürfen und es eine verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen geben soll.

"Lasst uns den Mut haben, klare Ziele für die Trilogverhandlungen zu formulieren", sagt Co-Chef Timon Dzienus. Am Ende folgt ihm die Mehrheit der 97 Delegierten des kleinen Parteitags nicht. Sie stimmt für einen Kompromiss, den der Bundesvorstand mit Europapolitikern um den Chef der deutschen Grünen, Rasmus Andresen, und Migrationspolitiker Marquardt ausgehandelt hat und der auch von vielen Parteilinken unterstützt wird.

Das zentrale Kriterium für die grüne Zustimmung in der EU sind darin keine konkreten Ziele, sondern nur die Frage, "ob unter dem Strich Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik und auch für Europa stehen". Das lässt Baerbock deutlich mehr Beinfreiheit.

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An anderer Stelle aber, und das betonen die linken Verfechter des Kompromisses, bindet es Baerbock deutlich stärker an die Partei. Denn im Beschluss steht, dass man für die Verbesserungen "in enger Abstimmung zwischen Europafraktion, Bundestagsfraktion, Bundespartei und Regierungsmitgliedern" kämpfe und die Ergebnisse gemeinsam bewerte.

Baerbock soll nicht noch einmal eine Entscheidung treffen, die einige noch immer als Alleingang sehen. Als viel zu schlecht abgesprochen mit Fachpolitikern und den europäischen Grünen. Die Debatte, die man jetzt führe, hätte es vor der Entscheidung gebraucht, heißt es vielfach. Das erkennen selbst einige der Führungsleute inzwischen an, als ihren Fehler.

Für niemanden aber hat die Diskussion und der Beschluss so weitreichende Folgen wie für Annalena Baerbock. Sie steht jetzt unter Beobachtung. Und muss sich beweisen.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen und Gespräche beim Länderrat in Bad Vilbel am 17. Juni 2023
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