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Top-Ökonom Fuest warnt: "Delta-Variante ist ernste Gefahr für die Wirtschaft"


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Top-Ökonom warnt
"Delta-Variante ist eine ernste Gefahr für die Wirtschaft"


Aktualisiert am 21.06.2021Lesedauer: 7 Min.
Autoproduktion in der Corona-Pandemie (Symbolbild): Top-Ökonom Fuest warnt vor den Auswirkungen der Delta-Variante. Diese könnte den jüngsten Aufschwung der Wirtschaft stark ausbremsen.Vergrößern des Bildes
Autoproduktion in der Corona-Pandemie (Symbolbild): Top-Ökonom Fuest warnt vor den Auswirkungen der Delta-Variante. Diese könnte den jüngsten Aufschwung der Wirtschaft stark ausbremsen. (Quelle: Hugo Amaral/imago-images-bilder)
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Die Zahlen sinken, die Impfungen steigen und dennoch ist die deutsche Wirtschaft nicht über den Berg. Der bekannte Ökonom Clemens Fuest warnt im Interview mit t-online vor den Gefahren der Delta-Variante und mehr.

Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, warnt angesichts der steigenden Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus vor neuen Risiken für die Wirtschaft. "Die Delta-Variante ist eine ernst zu nehmende Gefahr für die deutsche Wirtschaft", sagte der Ökonom.

t-online sprach mit dem Top-Ökonomen über die bisherigen und womöglich noch kommenden Folgen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft, aber auch über die großen Themen des bevorstehenden Wahlkampfes: Welche Auswirkungen hat die Klimakrise auf die Wirtschaft und unsere Gesellschaft? Und wie werden immer weniger junge Menschen eine steigende Zahl an Rentnern finanzieren?

Fuest, einer der wichtigsten Ökonomen des Landes, stellt bei t-online seine Ideen vor, wie die Rente zukunftsfest gemacht werden könnte.

t-online: Herr Fuest, die Infektionszahlen sinken, die Masken fallen. Wann kann die Wirtschaft die Corona-Krise abhaken?

Clemens Fuest: Wir erwarten, dass die Wirtschaft Anfang 2022 das Vorkrisenniveau erreicht. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir die Krise abhaken können. Denn ohne Corona wäre die Wirtschaft in den vergangenen anderthalb Jahren gewachsen. Stattdessen haben wir in dieser Zeit einen enormen Schuldenberg angehäuft. Die Auswirkungen der Krise werden wir noch lange spüren.

Für viel Verunsicherung sorgt aktuell, dass sich die Delta-Variante schnell ausbreitet. Was würde passieren, wenn sich die Pandemie hierzulande ähnlich entwickelt wie gerade in Großbritannien?

Die Delta-Variante ist eine ernst zu nehmende Gefahr für die deutsche Wirtschaft. Zwar wäre mit Sicherheit nicht alles verloren, wenn durch sie die Inzidenzen wieder ansteigen, ein Rückschlag aber wäre es auf jeden Fall. Die Erholung würde sich verzögern. Besonders die Bereiche, die bereits jetzt stark unter Corona gelitten haben, wären erneut betroffen, also die Reisebranche, Restaurants oder die Händler. Dann stünde uns ein harter Herbst bevor.

Clemens Fuest, geboren 1968, ist seit April 2016 Präsident des Münchner Ifo-Instituts und zählt zu den einflussreichsten Ökonomen des Landes. Neben seiner Position beim Ifo ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni München, zudem ist er Teil des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium.

Im Herbst steht auch die Bundestagswahl an. Sie mahnten unlängst, dass die neue Regierung die Steuern nicht anheben sollte, um die Corona-Schulden zu finanzieren. Warum?

Ganz einfach: Wenn es zu Steuererhöhungen kommt, wie manche Parteien es sich wünschen, wird das Wachstum abgewürgt. Allein die Einführung einer Vermögenssteuer würde die Belastungen für Betriebe stark verschärfen. Das wäre ein starkes Signal, nicht in Deutschland zu investieren. Wir brauchen aber unbedingt neue Investitionen. Höhere Steuern wären zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb Gift.

Was sollte die neue Regierung stattdessen anpacken – welche wirtschaftspolitische Reform ist nach der Wahl die dringendste?

Es gibt nicht die eine dringende Reform. Es geht um ein sinnvolles Konzept, das meines Erachtens auf drei Säulen beruhen sollte.

Und die wären?

Erstens eine Wachstumsorientierung. Das heißt: Wir benötigen gute Bedingungen für Investitionen, einmal für Firmen, aber auch für die Verbraucher. Als zweite wichtige Säule müssen wir die Dekarbonisierung mit Wohlstand verbinden.

Was heißt das konkret?

Im Mittelpunkt muss ein einheitlicher CO2-Preis stehen. Außerdem müssen wir die Infrastruktur ausbauen, also beispielsweise Ladesäulen für Elektroautos. Und wir brauchen eine Energiewende, die für bezahlbare und sichere Energie sorgt. Es darf nicht sein, dass die Strompreise noch weiter steigen. Außerdem sollten Gruppen, die vom steigenden CO2-Preis stark belastet werden, einen Ausgleich erhalten.

Und wie kann das gelingen?

Wir könnten etwa die EEG-Umlage abschaffen. Das würde den Strompreis senken. Außerdem könnte man Menschen mit niedrigen Einkommen direkte Transfers zukommen lassen. Man könnte die Pendlerpauschale für Fernpendler deutlich erhöhen und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen – besonders auf dem Land.

Die Grünen schlagen etwas anderes vor, wollen ein Klimabudget für jeden einführen, über das ärmere Menschen Geld zurückbekommen sollen. Eine gute Idee?

Es ist im Prinzip sinnvoll, den Bürgern die Einnahmen aus dem CO2-Preis zurückzugeben. Ein Klimageld für alle Bürger ist allerdings administrativ aufwendig und berücksichtigt nicht, dass Menschen sehr unterschiedlich durch den CO2-Preis belastet werden.

Sie erwähnten noch eine dritte Säule. Woran denken Sie dabei?

Inklusion. Also eine Politik, die möglichst vielen Menschen Chancen eröffnet, an Wirtschaftsleben und Wohlstand teilzuhaben.

Das klingt schon fast pathetisch.

Was ich damit meine: Wir brauchen Reformen im Bildungssystem. Menschen, die Hartz IV bekommen, sollten nicht in Mini-Jobs oder Teilzeit stecken bleiben, weil Einkommenssteigerungen durch Steuern und entfallende Transfers abgeschöpft werden. Die Bürger müssen etwas davon haben, wenn sie mehr arbeiten.

Das alles sind schöne Ideen, doch kostenlos gibt es sie nicht. Wäre es angemessen, weitere Schulden aufzunehmen, um sie in die Tat umzusetzen?

Nein. Die Mittel für öffentliche Investitionen sind da, aber sie fließen oft nicht ab. Bevor wir über weitere Schulden reden, sollten wir zunächst dafür sorgen, dass vorhandene Mittel gut genutzt werden. Der Staat sollte besser prüfen, wie er das Geld ausgibt. Wir brauchen eine umfassende Überprüfung vorhandener Ausgabenprogramme, bevor neues Geld bereitgestellt wird.

Um viel Geld geht es auch bei einem anderen Thema, das den Wahlkampf beherrschen wird: die Rentenpolitik. Wie lange müssen wir künftig alle arbeiten?

Die Menschen sollten selbst entscheiden, wann sie in Rente gehen wollen. Klar ist dabei aber: Das volle Rentenniveau wird man erst in einem höheren Alter bekommen als heute. Wir alle werden künftig länger arbeiten müssen als heute. Ursache ist der demografische Wandel.

der dafür sorgt, dass auf immer mehr Rentner immer weniger Erwerbstätige kommen.

Genau. Das Renteneintrittsalter sollte mit der Lebenserwartung steigen, beispielsweise bei einem Jahr höherer Lebenserwartung acht Monate mehr Arbeit und vier Monate mehr Rentenbezug, wie es kürzlich zum Beispiel der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium gefordert hat. Dann müssten wir nicht immer wieder aufs Neue über das richtige Rentenalter diskutieren.

Was würde das konkret bedeuten?

Das Rentenalter müsste voraussichtlich spätestens im Jahr 2040 bei knapp 68 Jahren liegen. Ob das ausreicht, lässt sich heute noch nicht sagen, da spielen zu viele Faktoren hinein. Klar ist aber: Der Anstieg der Rentenbeiträge lässt sich durch ein höheres Renteneintrittsalter spürbar begrenzen, wenn auch nicht ganz verhindern. Wir können die Rentenkasse nicht unbegrenzt aus dem Bundeshaushalt subventionieren.

Das ist keine sonderlich populäre Forderung.

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Nein, aber die Alternative wären massiv steigende Steuerlasten und Kürzungen bei öffentlichen Leistungen, die mittelfristig noch weniger populär wären.

In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von Rentenreformen beschlossen: die Mütterrente, die Rente mit 63, die Grundrente. Sollte der Bund diese Wahlgeschenke rückgängig machen?

Die Politik kann Reformen beschließen, um zugunsten einer Gruppe umzuverteilen. Sie muss jedoch auch wissen, dass dies Folgen hat. Die Umverteilung in der Rentenpolitik trifft nicht nur Bedürftige.

Das müssen Sie bitte erklären.

Die beschlossenen Instrumente sind nicht sehr zielgenau. Bei der Grundrente ist es beispielsweise so, dass mehr als 20 Prozent der Menschen, die berechtigt sind, zur vermögenderen Hälfte der Bevölkerung gehören, wie eine aktuelle Studie von Axel Börsch-Supan zeigt. Wenn das Geld knapp wird, ist es umso wichtiger, dass der Sozialstaat zielgenau arbeitet.

Sollte man die Reformen also zurücknehmen?

Das muss die Politik entscheiden. Sie zurückzunehmen, führt zu sehr viel Ärger. Ich halte die Reformen jedenfalls für problematisch.

Ein Kritikpunkt ist auch, dass der sogenannte Nachholfaktor ausgesetzt ist, der Mechanismus also, der eigentlich dafür sorgt, dass eine theoretische Rentensenkung mit einer Rentenerhöhung in den nächsten Jahren verrechnet wird. Müssten die Rentner die Corona-Krise nicht finanziell mehr spüren?

Das ist eine berechtigte Frage, die ich sogar noch weiter fassen würde. Wer trägt die größten Lasten in der Corona-Krise? Meiner Meinung nach sind das die jungen Menschen. Bei ihnen ist die Schule ausgefallen oder sie haben keinen Ausbildungsplatz gefunden. Wenn wir jetzt durch Aussetzung des Nachholfaktors die Rentenbezüge weiter erhöhen, bürden wir den Jungen noch weitere Lasten auf.

Ist das gerecht?

Wohl eher nicht, aber darüber kann man lange streiten. Wenn in der Politik über Gerechtigkeit geredet wird, geht es tatsächlich meistens um wahltaktische Erwägungen, man will der eigenen Wählerklientel Vorteile verschaffen. Die Zahl der Wähler im Rentenalter steigt kontinuierlich an.

Wie können wir künftig dafür sorgen, dass die Politik auch an die jungen Menschen denkt?

Deutschland braucht eine längerfristige, regelgebundene Rentenpolitik, die Distanz von der Tagespolitik und von Wahlkämpfen hat. Alle Bürger würden davon profitieren, wenn sie wüssten, dass das Rentensystem verlässlich funktioniert, unabhängig davon, wer gerade das Land regiert. So würden die Parteien auch nicht so leicht der Versuchung erliegen, kurzfristige Wahlgeschenke zu verteilen.

Wie ließe sich das erreichen?

Gut wäre, wenn es in der Rentenpolitik einen Konsens über alle Parteien gäbe. Die Parteien müssten sich also über die Marschrichtung bei der gesetzlichen Rente einig werden und sich dann daran halten. Alternativ könnten sie auch ein Expertengremium mit der Rentenpolitik beauftragen, dessen Vorschläge dann auch ernst genommen werden. Die dritte, sehr restriktive Möglichkeit wäre, dem ganzen Thema Verfassungsrang zu verleihen.

Eine tragfähige Rentenpolitik müsste also ins Grundgesetz geschrieben werden?

Man könnte eine Art Nachhaltigkeitsvorgabe für die Rente im Grundgesetz verankern, ähnlich wie bei der Schuldenbremse. Ich bin eigentlich nicht dafür, die Politik zu sehr durch Verfassungsregeln zu binden. Die Rente ist aber zu wichtig, als dass man mit ihr immer wieder Wahlgeschenke verteilen sollte. Für mich wäre das deshalb eine diskussionswürdige Forderung.

Noch gibt es die Rente im Grundgesetz aber nicht. Blicken wir deshalb noch auf zwei aktuelle Vorschläge der Parteien: Die FDP will die gesetzliche Rente durch ein Zwangsinvestment in Aktien ergänzen. Was halten Sie davon?

Grundsätzlich ist es eine gute Idee, stärker mit Aktien für die Rente vorzusorgen. Das ändert an den bereits vorhandenen Lasten durch Zusagen der umlagefinanzierten Rentenversicherung noch nichts, ermöglicht allerdings für die Zukunft, die sinkenden Renten aus dieser Quelle auszugleichen.

Die SPD wirbt mit der Idee, Selbstständige in die gesetzliche Rente einbeziehen. Löst das das Problem?

Das bringt wenig. Es gäbe dann zwar mehr Leute, die in die Rente einzahlen. Gleichzeitig gibt es jedoch mehr Menschen, die Anspruch auf die Rente haben. Man kann so mehr umverteilen, aber das grundlegende Problem, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner versorgen müssen, wird dadurch nicht entschärft.

Fassen wir zusammen: Die Politik hat noch viel zu tun.

Wissenschaftler haben es mit ihren Appellen, notwendige, aber unpopuläre Reformen anzugehen, leichter als Politiker, die gewählt werden wollen. Aber es ist wichtig, klar auszusprechen, was finanzierbar ist und was nicht. Gegen Adam Riese ist auch der stärkste Politiker machtlos.

Herr Fuest, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Clemens Fuest
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