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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Milliardenschulden Das bedeutet das Mega-Finanzpaket für Ihr Geld

Mit einem Finanzpaket von historischer Größe wollen Union und SPD die Konjunktur anschieben und die Verteidigungsausgaben erhöhen. Welche Folgen die Milliardenschulden für Sparer, Rentner und künftige Generationen haben.
Nun also doch: Noch bevor die neue Bundesregierung die Arbeit aufnimmt, haben sich die potenziellen Koalitionspartner Union und SPD auf ein Finanzpaket geeinigt, das Investitionen von fast einer Billion Euro möglich machen soll. t-online erklärt, was das für die deutsche Wirtschaft bedeutet, welche Folgen die neuen Schulden für Sparer und Rentner haben – und ob sich Deutschland das überhaupt leisten kann.
Was genau wurde beschlossen?
Die Einigung besteht aus zwei Teilen: Zum einen sollen Kredite für alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei der Berechnung der Schuldenbremse ausgenommen werden. Legt man das BIP für 2024 zugrunde, beträfe das alle Ausgaben, die die Marke von etwa 43 Milliarden Euro übersteigen. Zum anderen soll ein neues Sondervermögen von 500 Milliarden Euro geschaffen werden, um die Infrastruktur zu modernisieren, etwa marode Brücken oder Schienen für die Bahn. Es soll eine Laufzeit von zehn Jahren haben.
Die Reform der Schuldenbremse soll noch vom alten Bundestag beschlossen werden, um zu verhindern, dass sie im künftigen Parlament von AfD und Linken blockiert werden kann. Da Union und SPD allein nicht auf die für Grundgesetzänderungen nötige Zweidrittelmehrheit kommen, sind sie auch im noch bestehenden alten Bundestag auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Die FDP lehnt ein Lockern der Schuldenbremse ab – daran war die Ampelkoalition letztlich zerbrochen. Lesen Sie hier, wie die Schuldenbremse funktioniert.
Was bedeutet das Finanzpaket für Wirtschaft und Verteidigungsfähigkeit?
Geht das Vorhaben wie geplant durch, könnte Deutschland faktisch ohne Limit aufrüsten: Egal, wie viel Geld die Bundeswehr braucht, der Staat könnte ohne rechtliche Probleme neue Schulden dafür aufnehmen. Die jährlich 50 Milliarden Euro, die der Bund für zehn Jahre in die Infrastruktur stecken will, dürften derweil auch die Wirtschaft beleben und die Auftragsbücher vieler Unternehmen füllen.
Die meisten Ökonomen sehen die Pläne mit Blick auf die Konjunktur darum positiv. "Die Einigung der Sondierer ist ein Gamechanger, ein wuchtiges und gutes Paket", sagte Jens Südekum, Professor für International Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Indem man Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse freistelle, könne man dauerhaft militärische Fähigkeiten aufbauen. Dies erscheint angesichts der schwindenden Unterstützung der USA als drängender denn je.
Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), hofft auf einen Konjunkturschub: "Wenn das so gelingt, dann dürfte die Stagnation der deutschen Wirtschaft jetzt schnell überwunden sein", sagte er. "Deutschland ist wieder wirtschaftlich und militärisch handlungsfähig."
Damit das gelingt, sei es laut Südekum jedoch wichtig, das viele Geld in die richtigen Projekte zu stecken und Investitionen mit weiteren Maßnahmen zu flankieren – etwa schnelleren Genehmigungsverfahren bei der Infrastruktur. "Insgesamt geht es darum, ein glaubwürdiges Signal in die Privatwirtschaft zu senden, dass der Staat jetzt Ernst macht mit der Investitionsoffensive. Nur dann werden Bau- und Handwerksbetriebe ihre Kapazitäten aufstocken", so der Wissenschaftler. Im Verteidigungsbereich dürfte das Geld nicht für veraltete Ausrüstung ausgegeben, sondern in neueste Technik investiert werden.
Was bedeutet das Paket für Sparer?
Wer sein Geld in deutschen Aktien stecken hat, konnte sich am Mittwoch über deutlich gestiegene Kurse freuen. Der deutsche Leitindex Dax knackte schon in der ersten Handelsstunde wieder die Marke von 23.000 Punkten, die er zu Wochenbeginn erstmals überschritten hatte. Für einen erneuten Rekord reichte es aber nicht. Am frühen Nachmittag stand ein Plus von 3,73 Prozent auf 23.158,59 Punkte zu Buche.
"Für den Aktienmarkt wirkt das neue Politik-Paket wie ein riesiges Konjunkturpaket", sagte Portfoliomanager Thomas Altmann von der Investmentfirma QC Partners. "Viele Branchen und Firmen dürfen sich jetzt auf zusätzliche Großaufträge freuen."
Vor allem Bauaktien waren am Morgen gefragt: Heidelberg Materials, eines der größten Baustoffunternehmen der Welt, gewann 9,8 Prozent, der Industriedienstleister Bilfinger rückte um 19,3 Prozent vor, das Bauunternehmen Hochtief um 11,4 Prozent.
Aber auch bei den Rüstungswerten ging es weiter nach oben. Hensoldt und Renk notierten gut 6 Prozent fester, Aktien von Rheinmetall gewannen 3,7 Prozent im Vergleich zum Vortag. Schon zu Beginn der Woche, als statt der Reform der Schuldenbremse noch über ein Sondervermögen für Verteidigung diskutiert wurde, gingen die Kurse im Rüstungssektor durch die Decke (mehr dazu lesen Sie hier).
Lohnt sich nun also ein Einstieg in Aktien von Rüstungsfirmen? Die Aussichten für die Branchen sind jedenfalls gut: Denn um Aufträge werden sich die Unternehmen in den nächsten Jahren nicht sorgen müssen. Andererseits sind die Kurse bereits stark gestiegen – diesen Sprung haben Neueinsteiger verpasst. Hinzu kommt die moralische Komponente: Ein Investment in Rüstungsaktien muss man auch mit seinem Gewissen vereinbaren können.
Grundsätzlich raten Anlageexperten dazu, Geld breit zu streuen – also nicht ausschließlich auf eine bestimmte Branche oder gar Einzelaktien zu setzen. Wer jedoch davon ausgeht, dass Kriegsgefahr und Bedrohungen anhalten und es vor sich selbst vertreten kann, davon zu profitieren, kann zumindest einen kleinen Teil seines Vermögens in diese Branche investieren.
- Lesen Sie auch: In ETFs investieren für Anfänger – so geht's
Das geht zum Beispiel mit dem Future of Defence ETF von HANetf (ISIN: IE000J5TQP4) oder dem VanEck Defence ETF (ISIN: IE000YYE6WK5). Der erste ETF bildet den EQM Nato+ Future of Defence Index ab, der sich ausschließlich aus Unternehmen zusammensetzt, die Mitglieder des Verteidigungsbündnisses Nato ausrüsten. Der VanEck-ETF bildet den Market Vector Global Defense Industry Index ab.
Die Kurse deutscher Staatsanleihen hingegen gingen am Mittwoch kräftig nach unten. Die Renditen wiederum stiegen. So ging es für zehnjährige Bundesanleihen um 0,2 Prozentpunkte nach oben auf 2,69 Prozent. In der Spitze stieg die Rendite sogar auf 2,71 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit November 2023. Ähnlich sah es in den übrigen Staaten der Eurozone aus.
Für Sparer bedeutet das: Wer der Bundesrepublik jetzt Geld leiht, indem er deutsche Staatsanleihen kauft, erhält im Gegenzug eine höhere Rendite. "Anleger dürften für deutsche Staatsschulden tendenziell höhere Risikoprämien fordern", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Mit Blick auf die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen dürfte das Hoch noch nicht erreicht sein."
Allerdings macht die gestiegene Verschuldung Deutschland auch etwas unsicherer. "Deutschland verliert seine Funktion als sicherer Hafen für Anleihegläubiger", schrieb der ehemalige Wirtschaftsweise Lars Feld auf X. Lesen Sie hier, wie Staatsanleihen genau funktionieren.
Können wir uns das leisten?
Das wohl bekannteste Argument gegen die Aufnahme hoher Schulden lautet: Künftige Generationen müssten dafür die Zeche zahlen und würden zu stark belastet. Dem entgegen steht die Auffassung, dass auch ausbleibende Investitionen eine Belastung darstellen, wenn etwa die Infrastruktur immer weiter an Wert verliert oder gar unbrauchbar wird.
Fest steht aber: Die Schuldenquote Deutschlands wird kräftig steigen. Sie gibt an, in welchem Verhältnis der Schuldenstand zum BIP steht. Grundsätzlich gilt dabei: Eine niedrige Schuldenquote signalisiert, dass ein Land wirtschaftlich stabil ist. Liegt die Quote über 100 Prozent, bedeutet das, dass ein Land in Summe mehr Verbindlichkeiten hat, als die heimische Wirtschaft in einem Jahr produziert.
Commerzbank-Analyst Krämer prognostiziert einen Anstieg der deutschen Schuldenquote von aktuell 63,6 Prozent zum BIP auf 90 Prozent in den kommenden zehn Jahren. Allerdings hänge die Entwicklung auch von der Inflation ab, eine Einschätzung sei daher mit Unsicherheiten behaftet.
Eine ähnliche Größenordnung erwartet Wolf Heinrich Reuter, ehemaliger Haushaltsstaatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Christian Lindner (FDP). Auf X schrieb er: "Mit dem Vorschlag könnte Deutschland über zehn Jahre zusätzliche Schulden in der Größenordnung von mindestens 1.800 Milliarden Euro beziehungsweise 165 bis 200 Milliarden pro Jahr machen." Das entspräche einem Anstieg der Schuldenquote von circa 33 Prozentpunkten.
Problematisch wird es, wenn Staatsschulden dauerhaft schneller wachsen als die Wirtschaftsleistung. Schließlich muss der Staat auf seine Schulden Zinsen zahlen. Da zumindest die Ausgaben für Infrastruktur wie Bahntrassen und Schulen auch öffentliche Vermögenswerte aufbauen und die Wirtschaft ankurbeln sollen, könnte Deutschland auf Dauer wieder aus seinen Schulden herauswachsen – so zumindest die Theorie.
Laufende Ausgaben wie etwa Sozialleistungen oder Personalkosten des Staates hingegen sollten nicht durch Schulden finanziert werden, sondern durch laufende Steuereinnahmen.
Was heißt das für die Inflation?
In der Theorie steigen die Preise schneller, wenn der Staat seine Ausgaben erhöht. Grund dafür: Wenn mehr Geld im Umlauf ist, verringert sich der Wert des einzelnen Euro, wodurch die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen.
Wie sehr ein solcher Effekt in der Praxis aber tatsächlich droht, lässt sich derzeit nur schwer abschätzen. Das liegt zum einen daran, dass noch offen ist, wie hoch die tatsächlichen Ausgaben für die Aufrüstung ausfallen und ob Deutschland sämtliche Rüstungsgüter überhaupt hierzulande wird produzieren können. Landet ein großer Teil des faktisch unbegrenzten Wehretats etwa in den USA, wäre der Teuerungseffekt in Deutschland geringer.
Zum anderen gilt auch mit Blick auf das milliardenschwere Infrastrukturpaket: Noch ist unklar, ob die Baufirmen kurzfristig überhaupt die Kapazitäten haben, um mögliche Großaufträge der öffentlichen Hand schnell umzusetzen. Gelingt es ihnen nicht, kommt das Geld dadurch erst nach und nach in den Wirtschaftskreislauf, würde die Inflation langsamer steigen.
Was bedeutet das Finanzpaket für Rentner?
Werden Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen, wird Geld im normalen Haushalt frei. Einen großen Posten nehmen die jährlichen Ausgaben von mehr als 100 Milliarden Euro für die gesetzliche Rentenversicherung ein. Die Mittel aus dem Bundeshaushalt decken seit einigen Jahren gut 30 Prozent der Ausgaben der Rentenversicherung.
Sie dienen in erster Linie dazu, gesamtgesellschaftliche Leistungen wie die Anerkennung von Kindererziehungszeiten zu übernehmen. Sie gewährleisten aber auch, dass die Rentenversicherung angesichts des demografischen Wandels funktions- und leistungsfähig bleibt. Gäbe es sie nicht, müssten Arbeitnehmer deutlich höhere Beiträge zahlen.
Eine Entlastung des Bundeshaushalts durch eine Lockerung der Schuldenbremse würde also dazu führen, dass die Bundesregierung die Zuschüsse zur Rentenversicherung leichter bereitstellen kann – und der Beitragssatz stabil gehalten werden kann. Das ist umso wichtiger vor dem Hintergrund des SPD-Vorhabens, das Rentenniveau über 2025 hinaus bei 48 Prozent festzuschreiben. Denn das würde mit einer stärkeren Belastung der Beitragszahler einhergehen (mehr dazu hier).
Nach der Einigung mit der Union kündigte SPD-Chef Lars Klingbeil bereits an, in weiteren Gesprächen darauf zu drängen, die Renten stabil zu halten.
- wdr.de: "Rüstungsaktien: Lohnt sich die Investition – und ist das moralisch vertretbar?"
- bpb.de: "Wieviel Staatsschulden können wir uns leisten?"
- x.com: Beitrag von @wolf_reuter
- finanztip.de: "Staatsanleihen: Wie sicher sind sie wirklich?"
- rentenupdate.drv-bund.de: "Bundesmittel für die Rentenversicherung"
- spiegel.de: "Union und SPD einigen sich auf Finanzpaket in Milliardenhöhe"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters