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Landtagswahlen: Sieg für AfD und BSW? "Wir verspielen unseren Wohlstand"


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Unternehmer Harald Christ warnt
"Wir werden in einer anderen Republik wach werden"


31.08.2024Lesedauer: 8 Min.
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Der AfD-Landesvorsitzende in Thüringen, Björn Höcke: "Wir werden am Montag in einer anderen Republik wach werden", sagt Harald Christ. (Quelle: Markus Schreiber/ap)
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Die Gewinner der Landtagswahlen werden wohl AfD und BSW heißen. "Wir werden am Montag in einer anderen Republik wach werden", sagt Unternehmer Harald Christ – und warnt vor dramatischen Folgen für unseren Wohlstand.

Die Landtagswahlen am Sonntag werden wohl ein politisches Beben auslösen: Die AfD so stark wie nie, das BSW könnte in Thüringen aus dem Stand bis zu 20 Prozent erreichen – und die Ampel wird wohl abgestraft werden.

Alles, was wir in den letzten Jahren gelernt haben, steht auf dem Kopf, sagt Harald Christ dazu. Der Unternehmer war früher Mitglied der SPD, jetzt ist er bei der FDP – und spricht sich immer wieder gegen die AfD aus. Mit Blick auf die Landtagswahlen am Wochenende warnt er im Interview: "Wir verspielen unseren Wohlstand".

t-online: Herr Christ, ganz ehrlich: Wie froh sind sie, gerade kein politisches Amt innezuhaben?

Harald Christ: Ich freue mich überhaupt nicht. Seit meinem 16. Lebensjahr engagiere ich mich politisch. Ich habe es nie zu meinem Beruf gemacht, habe aber allergrößten Respekt vor allen, die politische Ämter ausüben. Das ist kein einfacher Job, vor allem nicht in diesen Zeiten mit Hass und Hetze gegen Politikerinnen und Politiker. Die Regierungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben ja keine schlechte Politik für ihre Länder gemacht. Das wird aber zu wenig gewürdigt, stattdessen steigt der Zuspruch der populistischen Parteien. Damit meine ich natürlich die AfD, aber auch das Bündnis von Sahra Wagenknecht. Das stellt alles, was wir in den letzten Jahren gelernt haben, auf den Kopf.

(Quelle: Till Budde)

Zur Person

Harald Christ ist Unternehmer. Mit unterschiedlichen Firmenbeteiligungen und seiner Beratungsfirma Christ & Company hat er es zum Millionär gebracht. Bis 2019 war er Mitglied der SPD, schloss sich 2020 der FDP an und übernahm dort für zwei Jahre das Amt des Schatzmeisters.

Wie meinen Sie das?

Eins finde ich besonders erschreckend: Das BSW hat überhaupt keine Basis. Frau Wagenknecht tritt zu den Landtagswahlen gar nicht erst an. Dennoch ist sie überall plakatiert. Sie spricht vor allem über Themen, die in den Bundesländern gar nicht entschieden werden, wie den Ukraine-Krieg, über die Nato und wenig über die Themen der Bundesländer. Auch die AfD tritt überwiegend mit bundespolitischen Themen an. Dabei geht es am Sonntag doch nicht um die Ampel und ihre Politik und auch nicht um Ukraine-Hilfen oder den Verbleib in der Nato. Das aber wird den Wählern vorgegaukelt, dabei haben die Länder bei diesen Themen kaum Einfluss. Ich würde mir wünschen, dass die Wählerinnen und Wähler nicht darauf hereinfallen und sich für eine Stellvertreterwahl instrumentalisieren lassen. Leider kann man aber mit großer Sicherheit sagen: Wir werden am Montag in einer anderen Republik wach werden.

Sie sprechen sich immer wieder gegen die AfD aus, damit sind Sie in guter Gesellschaft: Vor zwei Wochen haben sich rund 40 Familienunternehmen gemeinsam für Weltoffenheit positioniert – Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke wünschte den Unternehmen daraufhin, dass sie "in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen". Was halten Sie von solchen Aussagen?

Was Herr Höcke sagt, ist dumm und dreist. Reiner Populismus, der möglichst viel Aufmerksamkeit und Schlagzeilen generieren soll. Wenn er verantwortungsvolle Politik für dieses Land machen wollte, würde er wissen, dass ohne die Wirtschaft nichts funktioniert, keine Soziale Marktwirtschaft, keine Investitionen, keine Finanzen, keine neuen Arbeitsplätze. Herr Höcke ist schlicht ein Hetzer. Und diese Aussage lässt tief blicken: Ihm scheinen die Arbeitsplätze der Menschen in diesen Unternehmen offenbar egal zu sein – und damit die Existenzen der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer.

Wieso, glauben Sie, gibt es denn dann trotzdem weiterhin Unternehmerinnen und Unternehmer, die die AfD wählen und jetzt vor den Wahlen sogar dazu aufrufen?

Ich selbst komme aus einer Arbeiterfamilie und kann klar sagen, dass keine Forderung der AfD oder vom BSW die Lebensverhältnisse meiner Eltern verbessern würde. Es ist ein Trugschluss, dass keine weiteren Waffen für die Ukraine, ein Austritt aus der Nato, Hetze gegen Migranten oder die Enteignung von Konzernen irgendeinem in diesem Land ein besseres Leben ermöglichen. Im Gegenteil: Wir verschrecken so ausländische Fachkräfte und Investoren und verspielen unseren Wohlstand. Parteien, die derart polemische Antworten beziehungsweise Unwahrheiten propagieren, betreiben schlicht Irreführung von Wählerinnen und Wählern. Eines ist mir in dem Zusammenhang aber besonders wichtig.

Das wäre?

Ich warne davor, die AfD zu einem rein ostdeutschen Phänomen zu erklären. Auch in meiner Heimat in Rheinland-Pfalz gab es Orte, in denen die AfD bei der Europawahl bis zu 27 Prozent geholt hat. Westdeutsche Überheblichkeit können wir nicht gebrauchen. Viele Menschen sind frustriert, haben Angst oder fallen einfach auf die populistischen Parolen rein. Sie in die rechtsextreme Ecke zu stellen, hilft aber nicht. Stattdessen müssen sie mit Inhalten überzeugt werden.

Da sind Sie sich mit FDP-Parteichef Christian Lindner einig. Er sagt auch immer wieder, dass man die AfD inhaltlich stellen muss. Aktuell scheint das weder ihm noch den anderen Ampelparteien zu gelingen.

Ja! Besonders die FDP hat in den drei ostdeutschen Bundesländern, in denen jetzt gewählt wird, einen schwierigen Stand. Sie hat dort nie eine große Stammwählerschaft aufbauen können. Auch die Parteiinfrastruktur vor Ort ist schwach, es gibt nur wenige Mitglieder und geringere finanzielle Ressourcen. Aktuell schafft es die Partei mit ihren Botschaften nicht, gegen das populistische Geschrei der AfD und des BSW anzukommen.

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Aus dem aktuellen Wahlkampf in Thüringen hat sich die Bundes-FDP allerdings auch selbst komplett herausgezogen: keine prominente Unterstützung für den Spitzenkandidaten Kemmerich, kein Geld von der Bundespartei. Es scheint, als habe man schon längst vor der Wahl aufgegeben.

Dazu muss man wissen: Die Bundespartei hat nach der unglücklichen Wahl von Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD 2020 entschieden, seinen Wahlkampf nicht zu unterstützen – das gilt wohl bis heute. Ich kenne Kemmerich persönlich und habe ihn als einen Unternehmer mit Herzblut kennengelernt, der weit weg ist von rechtsextremem Gedankengut. Dass er keine Unterstützung erhält, bedauere ich.

Der Bund versucht, mit Milliardensubventionen internationale Techkonzerne nach Ostdeutland zu locken. Eine Hoffnung, die mitschwingt, ist, dass wirtschaftlicher Aufstieg dem Erfolg der AfD entgegenwirkt. Würden Sie das unterschreiben?

Die Medaille hat zwei Seiten. Seit der Wiedervereinigung hat die Bundesrepublik einen Billionenbetrag in den Ausbau des Ostens investiert, vor allem in Infrastruktur und Städtebau. Zudem wurde viel getan, um die Löhne und Renten anzugleichen. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass dabei Fehler gemacht und die Mentalität und Leistungen der Bürger im Osten zu wenig berücksichtigt wurden. Das hat wiederum für Frust gesorgt. Die Lage heute ist durchmischt: Es gibt viele Regionen, die man wirklich als Boomregionen bezeichnen kann, in die viel investiert wird, die gute Universitäten haben, wie zum Beispiel Dresden oder Leipzig. In anderen Regionen aber kommt davon nichts an, dort entstehen nur wenige Arbeitsplätze, und die jungen Menschen ziehen dort auch weg. Diese Orte drohen natürlich, abgehängt zu werden.

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Also wäre das Geld vom Bund vielleicht besser für Projekte in der Fläche angelegt, anstatt Milliarden in die Ansiedlung von Intel und Infineon zu stecken?

Nein, das ist für mich kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch.

Finanzminister Lindner würde in der aktuellen Haushaltslage wahrscheinlich sagen, dass das Geld nicht für beides reicht.

Das ist es eine Frage der Prioritätensetzung und Finanzierung. Wir müssen den Mut haben, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Land weiterzuentwickeln. Ein Problem ist die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist und an die Lindner sich halten muss. Ich fordere deswegen ganz klar: Die Schuldenbremse sollte reformiert werden, sodass sie sinnvolle Mehrausgaben zulässt. Wir müssen allerdings unterscheiden zwischen notwendigen Investitionen, die einen nachhaltigen ökonomischen Einfluss haben, und anderen Ausgaben, wie zum Beispiel der Erhöhung von Sozialausgaben. Es ist ein Grundfehler der Schuldenbremse, dass sie das in so herausfordernden Zeiten nicht ausreichend berücksichtigt.

Das widerspricht vollkommen der Linie Ihrer Partei.

Die Linie meiner Partei ist, dass sie den künftigen Generationen keinen Schuldenberg hinterlassen will und auch nicht die Zinslasten, die damit verbunden sind. Die Meinung kann man auch vertreten. Ich halte es aber ebenso für falsch, unseren Kindern eine marode Infrastruktur und ein desolates Bildungssystem zu übergeben, nur weil wir nicht ausreichend investiert haben. Dazu kommen die außenpolitischen Herausforderungen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die Wahl in den USA. Egal, ob Donald Trump oder Kamala Harris gewinnt, eines können wir schon vorwegnehmen: Die Zeiten, in denen die USA als starker Partner unsere Sicherheit finanziert haben, sind vorbei.

Darauf weisen auch viele Experten hin. Warum sperren sich die Liberalen dann so gegen eine Reform?

Es sperrt sich ja nicht nur die FDP, die Union ist bis jetzt auch gegen Änderungen. Die Mehrheit, die es also für diese Grundgesetzänderung bräuchte, gibt es derzeit nicht. Und man darf auch nicht vergessen: Der Koalitionsvertrag von 2021 war sehr ausgewogen zwischen liberalen, sozialen und grünen Interessen. Ich war mit dabei, als er verhandelt wurde, und die Transformation, die man umsetzen wollte, war auch finanziert. Der Angriffskrieg der Russen hat das torpediert, es folgten die Energiekrise, der sprunghafte Anstieg der Inflation. Gerade die Inflation ist toxisch für unsere Demokratie, sie ist eine Enteignung der Rentner, der Sparvermögen und der Konsumenten. An der Entscheidung der EZB, die Zinsen in einem kurzen Zeitraum von null auf vier Prozent zu erhöhen, führte also kein Weg vorbei, mit allen Belastungen für den Bundeshaushalt.

Worauf wollen Sie hinaus?

Die starke Zinserhöhung hat dazu geführt, dass allein die Finanzierungskosten der Staatsschulden um mehr als 40 Milliarden Euro gestiegen sind. Das ist kaum weniger als das, was an neuen Schulden aktuell diskutiert wird. Ohne diesen Krieg also hätte es genügend Geld gegeben, um dieses ambitionierte politische Programm umzusetzen. Dann würden wir heute über ganz andere Dinge sprechen. Unabhängig davon wird aber trotzdem im Rahmen der Möglichkeiten investiert.

Ist das nicht etwas viel Wunschdenken? Man kann ja nicht davon ausgehen, dass in vier Jahren nichts passiert, was den Haushalt zusätzlich belastet.

Ja, das ist auch keine Entschuldigung für irgendwas. Übrigens liegen wir in der Schuldenquote nur bei etwas mehr als 60 Prozent. Im Vergleich zu unseren europäischen Partnern stehen wir sehr gut da. Ich will nur sagen: Die Kritik an der Ampel ist überzogen. Überspitzt könnte man vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen sagen: Der Koalitionsvertrag hatte sich am 20. Februar 2022 weitgehend erledigt. Ab dem Zeitpunkt war Krisenmanagement angesagt, und ich finde: Das geht im Ergebnis weitgehend in Ordnung, auch wenn natürlich Fehler gemacht wurden. Mir fehlt in der öffentlichen Debatte, dass man neben den Verfehlungen und Diskussionen auch mal über das redet, was gut läuft. Das geht zu oft unter, und die Menschen, die sich nicht tagtäglich damit beschäftigen, bekommen dann nur mit, dass dies nicht funktioniert und das nicht läuft. Und davon profitieren schlussendlich die Extremisten an der Wahlurne.

Dass sich Parteien gegenseitig kritisieren, liegt aber auch in ihrer Natur.

Natürlich, und es gibt genug Themen, über die man sich ideologisch streiten kann, nehmen Sie das Rentenalter, Bürgergeld, den Mindestlohn oder Ähnliches. Wir haben aber darüber hinaus eine Reihe von so großen, nationalen Herausforderungen, dass diese nicht nur von der Ampel oder nur von der Union gelöst werden können – wie den Krieg in der Ukraine, wie die Sicherheit des Landes. Da möchte ich Kanzler Olaf Scholz und CDU-Chef Friedrich Merz gern daran erinnern, dass es um mehr geht als die nächste Bundestagswahl oder wer der nächste Kanzler wird. Die Menschen brauchen das Gefühl, dass die Politik ihre Probleme löst und auch kraftvoll handelt. Dann kann sie auch Vertrauen zurückgewinnen. Es geht um die Zukunft Deutschlands.

Herr Christ, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Harald Christ
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