Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Näher als man glaubt
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
ich übertreibe wahrscheinlich nicht, wenn ich schreibe, dass wir aktuell politisch bewegte Zeiten erleben. Der Bundestagswahlkampf hat in dieser Woche deutlich an Fahrt gewonnen, der zurückgekehrte US-Präsident Donald Trump sprüht vor Tatendrang. Die Lage in Nahost und in der Ukraine? Weiter kompliziert bis kritisch. Die Themen, über die wir für Sie berichten, gehen also gerade nicht aus, im Gegenteil.
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Unser Anspruch ist es, Sie stets über die wichtigsten Themen des Tages zu informieren. Das bedeutet aber auch: Jeden Tag müssen wir entscheiden, über welche Themen man nur vereinzelt oder auch gar nicht berichtet.
Ein ganzer Kontinent, der es generell in der deutschen Berichterstattung schwer hat, ist Afrika. Dabei lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn die Lage dort ist an vielen Stellen schlimmer als je zuvor – und einige der Krisen haben mehr mit Deutschland und Europa zu tun, als man es wahrhaben will.
Aktuell erlebt Afrika die kriegerischste Phase seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das hat die schwedische Universität Uppsala gemeinsam mit dem Friedensforschungsinstitut in Oslo erhoben. Umkämpft sind demnach 16 von 54 Staaten, vor 15 Jahren waren es nur halb so viele.
Trotz der prekären Lage sind die meisten Konflikte den wenigsten ein Begriff. Ein Beispiel ist die aktuelle Lage in der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Am Montag hat die Rebellengruppe M23 die Eroberung der Stadt Goma verkündet, die direkt an der Grenze zu Ruanda liegt. Laut UN-Angaben sind dort mehr als 300.000 Menschen auf der Flucht.
Leichen sollen auf den Straßen liegen, da laut der Weltgesundheitsorganisation WHO die Krankenhäuser völlig überlastet sind. In Goma befindet sich zudem ein Labor, in dem hochgefährliche Ebola-Viren lagern. Sollte dort der Strom ausfallen, warnt das Rote Kreuz vor "unvorstellbaren Konsequenzen".
Wer nach Gründen für diese Eskalation sucht, findet sie im Boden des Landes. Denn die Demokratische Republik Kongo ist reich an Bodenschätzen wie Coltan. Interessant ist das aus mehreren Gründen: Aktuell ist das Land nicht der weltweit größte Exporteur des seltenen Metalls – sondern das Nachbarland Ruanda. Dort ist der Coltan-Vorrat allerdings überschaubar. Und jetzt raten Sie mal, wo in der DRK das Metall hauptsächlich abgebaut wird: genau, in der Region um Goma. Die Rebellengruppe M23 übrigens steht schon lange im Verdacht, von der Regierung in Ruanda unterstützt zu werden.
Während Sie diesen Text lesen oder ihn als Podcast hören, sind Sie vermutlich auf Coltan angewiesen. Denn es wird für die Produktion von Handys oder Computern benötigt. Das Metall soll so wie andere Rohstoffe illegal nach Ruanda geschmuggelt werden und von dort auf den Weltmarkt gelangen und damit auch in viele Elektrogeräte.
Sie merken: Womöglich ist Ihnen dieser Konflikt näher, als Sie bisher geglaubt haben. Doch es gibt noch weitere Beispiele, etwa die sogenannte Sahel-Zone. Dort haben vorgestern die Staaten Mali, Burkina Faso und Niger nach 50 Jahren ihren Austritt aus dem westafrikanischen Staatenbund Ecowas verkündet. Die Gemeinschaft setzt sich unter anderem für Frieden und Wirtschaftswachstum in der Region ein.
Der Austritt hat eine längere Vorgeschichte. In allen drei Staaten regiert aktuell eine Militärjunta. In Mali wurde 2021, in Burkina Faso 2022 und im Niger 2023 geputscht. Daraufhin hatte die Ecowas Sanktionen verhängt. Der rechtmäßige Präsident Nigers, Mohamed Bazoum, wird seitdem gefangengehalten.
Parallel zu den Umstürzen kommt eine zweite Entwicklung. Soldaten aus Europa, darunter auch die der Bundeswehr, sind mittlerweile aus der Region verschwunden. Vor knapp zwei Jahren waren die letzten deutschen Soldaten aus Mali zurückgekehrt, aus Niger hat sich die Bundeswehr im vergangenen Sommer zurückgezogen.
Beliebt waren die westlichen Truppen bei den Militärführungen schon länger nicht mehr. Dabei ist die Sicherheitslage in der Sahelzone weiterhin extrem angespannt: Alle Staaten gehören weltweit zu den Orten mit der höchsten Terrorgefahr. Aber die Juntas haben neue Verbündete gefunden, die deutlich kompromissloser agieren: russische Soldaten, früher bekannt als "Gruppe Wagner".
Der Deal lautet etwa folgendermaßen: Die Söldnertruppe, die mittlerweile vom Kreml gesteuert wird und sich "Afrikakorps" nennt, hält die Militärführung an der Macht. Im Gegenzug kann sich Russland an den Bodenschätzen der Region bereichern. Für den Kreml ist das ein lukratives Geschäft. Schließlich werden gegen Russland immer mehr Sanktionen verhängt und der Krieg in der Ukraine bleibt weiterhin kostspielig. Damit wären wir auch bei dem Krieg, der unser politisches und gesellschaftliches Geschehen seit fast drei Jahren maßgeblich bestimmt.
Sowohl der Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo als auch die Krise in der Sahel-Zone sind Beispiele dafür, wie die europäische Gesellschaft vor den Problemen in Afrika die Augen verschließt. Dabei habe ich Ihnen ein weitaus Schlimmeres noch gar nicht genannt.
Seit rund zwei Jahren tobt im Sudan ein Bürgerkrieg, dessen Ausmaße kaum vorstellbar sind: Mehr als 26 Millionen Menschen hungern dort, 12 Millionen sind auf der Flucht, Zehntausende wurden getötet. Der Leiter des dortigen Unicef-Programms, Sheldon Yett, sagte meinem früheren Kollegen Luca Wolpers im Oktober, er habe so etwas in 30 Jahren humanitärer Arbeit noch nie erlebt. Momentan verteilt sich ein Großteil der Geflüchteten noch auf die Nachbarstaaten. Doch die Bewegungen könnten sich noch verstärken, wenn der Krieg weiter um sich greift.
Sie sehen: Unter allen drei Konflikten liegen Probleme, die wir in Deutschland kennen. Der Umgang mit wichtigen Rohstoffen, die Hintergründe des Ukraine-Kriegs oder gigantische Flüchtlingsbewegungen. Egal kann einem das eigentlich nicht sein – oder sollte es zumindest nicht.
Showdown Nummer zwei
Erst ging es um zwei Anträge, heute folgt ein Gesetzentwurf. Im Bundestag wird ab 10.30 Uhr über das sogenannte "Zustrombegrenzungsgesetz" von CDU und CSU abgestimmt. Nach dem Fünf-Punkte-Plan zur Migration dürfte das Gesetz wohl ebenfalls angenommen werden. Zu erwarten ist, dass CDU-Chef Friedrich Merz erneut eine Mehrheit mithilfe von FDP, BSW und von der AfD erhalten wird.
Der Aufschrei gegen den Kurs der Union ist mittlerweile lauter geworden. Und er kommt dabei nicht nur von SPD, Grünen und Linkspartei: Zahlreiche prominente Schauspieler haben gestern in einem offenen Brief scharfe Kritik geübt – genauso wie Altkanzlerin Angela Merkel, mit deren "Wir schaffen das"-Kurs Merz mit seiner Offerte endgültig Schluss machen will.
Auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, geizte nicht mit Kritik an Merz' Vorgehen. Im Gespräch mit meinem Kollegen Patrick Diekmann warnte er vor einem deutschen Alleingang: "Die Lehre aus der deutschen Geschichte ist, dass wir unsere Herausforderungen europäisch lösen müssen." Man dürfe auch nicht gegen das EU-Recht verstoßen, das bedeute nämlich "das Ende Europas". Heusgen war einst außenpolitischer Berater von Angela Merkel und ist bis heute Mitglied der CDU. Am gestrigen Abend wurde aufgrund von Protesten die CDU-Parteizentrale in Berlin geräumt, zahlreiche Unionspolitiker bekommen aktuell Drohungen.
Die Union will sich derweil von ihrem Vorhaben nicht abbringen lassen. Sollte das Gesetz beschlossen werden, bräuchte es anschließend noch die Zustimmung im Bundesrat. Dort hat Merz allerdings schlechte Karten: Selbst der Berliner CDU-Bürgermeister Kai Wegner möchte nicht zustimmen.
Rein politisch dürfte die Union mit ihren Vorstößen also erst einmal nichts ändern. Wie sich das Manöver in der Wählergunst niederschlägt, könnten erste Umfragen am Wochenende zeigen. Immerhin schickt sich Friedrich Merz an, neuer Bundeskanzler zu werden. Doch was das gemeinsame Votum mit der AfD langfristig für das politische Klima in Deutschland bedeutet, werden wir am 23. Februar bei der Bundestagswahl sehen. Das Vertrauen von SPD und Grünen wird sich Merz vermutlich erst wieder hart erarbeiten müssen. Bislang seien beide Parteien noch bereit zu einer Kooperation, schreiben meine Kollegen Daniel Mützel und Johannes Bebermeier.
Ohrenschmaus
Ein wenig mehr Disziplin, das würde man sich in diesen Tagen von einigen Menschen wünschen ...
Was steht an?
Der Wahlkampf rollt: Viele Spitzenkandidaten sind heute in Deutschland unterwegs – Olaf Scholz ist in Bayern, Friedrich Merz in Thüringen und Christian Lindner in Bayern und Hessen. Fast noch wichtiger: Ab heute dürfen die Unterlagen zur Briefwahl gedruckt werden.
Inflation: Wie steht es um die Preisentwicklung in Deutschland? Das Statistische Bundesamt gibt heute um 14 Uhr eine erste Schätzung für den Januar ab.
Prozessauftakt: Vor zehn Monaten wurde der ehemalige Profiboxer Besar Nimani mit 16 Schüssen in Bielefeld getötet. Heute beginnt der Prozess gegen einen Tatverdächtigen. Nach einem Mittäter wird weiter mit internationalem Haftbefehl gefahndet.
Das historische Bild
Die Wehrmacht galt als nahezu unbezwingbar, doch dieser Ruf endete in Stalingrad. Hier erfahren Sie mehr.
Lesetipps
Zwei Initiativen im Bundestag zielen darauf ab, die AfD zu verbieten. Gestern wurden sie erstmals diskutiert. Die Mehrheit der Abgeordneten ist gegen sie – auch wegen der Stärke der Partei, schreibt meine Kollegin Annika Leister.
Bei Tragödien bieten echte Anführer Lösungen an. Donald Trump aber nutzt die Flugkatastrophe von Washington für einen Sündenbock-Feldzug gegen Diversität. Das ist brandgefährlich, meint unser US-Korrespondent Bastian Brauns.
Die Grippesaison hat Deutschland fest im Griff. Doch auch Infektionen mit Pneumokokken könnten zunehmen, schreibt meine Kollegin Melanie Rannow.
Nach dem dramatischen Aus der deutschen Handballer im WM-Viertelfinale ist die Enttäuschung riesig. Was aber lernen Mannschaft und Verband daraus? Die Aufarbeitung darf auch vor dem Bundestrainer nicht haltmachen, meint mein Kollege Philipp Michaelis.
Borussia Dortmund hat mit Niko Kovač einen neuen Trainer. Das könnte passen, glaubt unser Kolumnist Stefan Effenberg.
Zum Schluss
Autsch.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag und einen guten Start ins Wochenende.
Herzliche Grüße
Ihr
David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
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Mit Material von dpa.