Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Was nun?

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
selbst wenn Sie weder katholisch noch gläubig sind, wird Sie die Nachricht wohl nicht unbewegt gelassen haben: Papst Franziskus ist tot. Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche und damit von mehr als 1,4 Milliarden Katholiken starb am Morgen des gestrigen Ostermontags im Vatikan.
Auch mich hat es berührt. Ich bin wahrlich kein kirchengläubiger Mensch, wurde katholisch getauft und gefirmt, das ja, übrigens ausgerechnet vom Limburger Protzbischof. Doch hadere ich seit Jahren mit den verkrusteten, überkommenen Strukturen der katholischen Kirche, ihrem intransparenten, inakzeptablen Umgang mit Skandalen.
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Am Ostersonntag besuchte ich mit meiner Familie seit Längerem wieder einen Gottesdienst in einer kleinen Kirche bei Regensburg, wo wir die Feiertage verbrachten. Die Messe war – ganz im Gegensatz zu meinen Erwartungen – sehr kurzweilig, der Pfarrer war offen, freundlich, machte Witze. Und schloss in seiner Predigt explizit diejenigen ein, die von der Kirche enttäuscht sind. Wohl wissend, dass es viele dieser Menschen gibt.
Noch nie in der jüngeren Geschichte der Kirche war die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität, zwischen Gläubigen und Kirchenoberen so groß wie heute. Besonders in Europa stehen viele Katholikinnen und Katholiken innerlich längst vor der Tür – zu frustriert, zu enttäuscht, zu weit entfernt von einer Institution, die oft nicht mehr zu ihrem Leben passt. Viele Menschen haben der Kirche bereits den Rücken gekehrt. Im Jahr 2023 gab es allein in Deutschland 400.000 Kirchenaustritte.
An Ostern, dem höchsten Fest des Christentums, hatte der Papst vor Zehntausenden Gläubigen in Rom den Segen "Urbi et Orbi" gespendet. Da war er schon sehr schwach.
Mit Franziskus verlieren die Katholiken ein besonderes Oberhaupt. Eine moralische Instanz, die vielen Menschen Hoffnung gegeben hat – auch jenseits des Glaubens. Viele sind nur seinetwegen noch Mitglied der Kirche oder waren es, mein Großvater zum Beispiel, der gerne laut über Franziskus' Vorgänger Benedikt schimpfte.
Was nun? Was hat Franziskus dauerhaft verändert? Und wie wird die katholische Kirche auf seinen Tod reagieren? Klar ist: Sie steht an einem historischen Wendepunkt.
Papst Franziskus wurde am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires, Argentinien, als Jorge Mario Bergoglio geboren. Seine Herkunft war in vielerlei Hinsicht prägend. Für seinen Lebensweg ebenso wie für sein Pontifikat.
Er war der Sohn italienischer Einwanderer, sein Vater ein Buchhalter, seine Mutter Hausfrau. Die Familie lebte bescheiden – eine Sozialisierung, die Franziskus' spätere Haltung zur Welt erklären hilft: seine Nähe zu den Armen, seine Kritik am entfesselten Kapitalismus, seine Abneigung gegen Pomp und Machtgehabe.
Nach einer Lehre als Chemietechniker und einer schweren Krankheit wandte sich Bergoglio dem Glauben zu – und trat den Jesuiten bei, wo er Karriere machte. Auch während der Militärdiktatur in Argentinien, sein Wirken hier ist bis heute umstritten. Er soll etwa zwei Jesuitenbrüder nicht genug geschützt haben, werfen ihm Kritiker vor. Was davon stimmt, ist unklar.
Anders als viele seiner Vorgänger stammte er nicht aus Europa, sondern aus dem "globalen Süden". Damit war seine Wahl 2013 bereits ein starkes Signal: Die katholische Kirche öffnete sich – zumindest symbolisch – stärker jenen Ländern, in denen sie heute wächst und wo ihre Anhänger oft unter Armut leiden. Brunei, Tonga, Kap Verde: Franziskus ernannte viele Kardinäle aus weit entfernten Regionen.
Franziskus trat an wie ein Reformer – mutig, unbequem, mit dem Willen zum Wandel. Er sprach über das Zölibat, über die Rolle der Frau, über Homosexualität. Er prangerte Missbrauch an, er ging auf Opfer zu. Er suchte die Nähe zu den Armen, den Ausgegrenzten, den Geflüchteten. Er reiste nach Lampedusa, rief zum Schutz der Umwelt auf, forderte eine gerechtere Wirtschaft.
Aber vieles blieb Symbolpolitik. Die Struktur der Kirche – patriarchal, starr, von Machtkämpfen geprägt – veränderte sich kaum. Das Zölibat etwa könne zwar irgendwann abgeschafft werden, sagte Franziskus. Letztlich änderte er daran aber nichts.
Franziskus unterstrich in unzähligen Reden die Rolle von Frauen in der Kirche – die Priesterweihe aber verweigerte er ihnen. Der deutsche Reformkurs, unter anderem durch einen gemeinsamen Rat von Laien und Klerikern – der synodale Weg –, stieß in Rom auf Ablehnung. Und im Kampf gegen sexuellen Missbrauch blieb der Papst zu oft hinter den Erwartungen zurück.
Doch schon diese kleinen Änderungen, sein grundlegender Reformwille, machten ihm nicht nur Freunde. Im Gegenteil: Innerkirchliche Machtkämpfe traten zum Teil so offen zutage wie selten zuvor, berichtet meine Kollegin Ellen Ivits. Denn Franziskus war – nicht zuletzt wegen seiner vergleichsweise modernen Positionen – höchst umstritten. Manch einer, so berichten es Vatikan-Kenner, hätte ihm sogar den Tod gewünscht.
So war Franziskus ein Papst der Hoffnung, der jedoch an der Institution, der er vorstand, scheiterte. Womöglich ist das sein Vermächtnis: Er hat die Fenster geöffnet, aber die Tür blieb noch verschlossen. Franziskus hat gezeigt, dass Wandel möglich ist. Aber die Kirche, wie sie heute ist, war dazu nicht bereit.
Was nun folgen wird, ist nicht nur ein Konklave. Es ist ein Richtungsentscheid – der wichtigste seit Jahrzehnten. Denn mit dem Tod von Franziskus endet nicht nur ein Pontifikat, sondern eine Ära des inneren Ringens. Der Versuch, eine jahrtausendealte Institution ein Stück weit zu öffnen, die Kirche modern zu machen.
Ein wichtiges Anliegen. Denn die Welt um sie herum ist aus den Fugen geraten. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Gaza-Krieg als Folge des Hamas-Terrors, Bürgerkriege im Sudan oder in Myanmar. Millionen von Menschen auf der Flucht. Eine globale Klimakrise. Eine wachsende soziale Ungleichheit, auch in reichen Ländern. Autoritäre Regime, die sich religiöser Narrative bedienen, um ihre Macht zu sichern. Ein US-Präsident, der das System der größten Demokratie der Welt langsam demontiert.
In all dem wäre die Kirche gefragt – als moralische Instanz, als Vermittlerin, als zukunftsgewandte Institution.
Franziskus hat in vielen dieser Fragen Position bezogen. Aber oft blieb er vage oder schwieg, wo Klarheit nötig gewesen wäre. Etwa im Ukraine-Krieg: Mehrfach weigerte sich Franziskus, Russland als Aggressor klar zu benennen. Er sprach allgemein von "beiden Seiten" – und enttäuschte damit viele. Im März 2024 löste eine Äußerung zum Ukraine-Krieg sogar eine diplomatische Krise aus, weil Franziskus die Ukraine indirekt aufforderte, sich Russland zu ergeben.
Auch im Nahostkonflikt werfen viele Menschen Franziskus Doppelmoral vor. Zu wenig habe er den Terrorangriff der Hamas verurteilt, die Schuld für den blutigen Krieg im Gazastreifen auch bei Israel gesehen. Viele feiern ihn aber auch für seine Haltung gegenüber den Palästinensergebieten, so erkannte er bereits 2015 Palästina als Staat an.
Der nächste Papst wird sich dieser Welt stellen müssen. Als Favoriten gelten derzeit Pierbattista Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem, aber auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin aus Norditalien oder der erzkonservative kongolesische Kardinal Fridolin Ambongo Besungu. Welche Kandidaten sich noch in Stellung bringen, lesen Sie hier. Den deutschen Kardinälen werden indes keine großen Chancen zugerechnet.
Wird der nächste Papst die Rolle des Kirchenoberhaupts und internationalen Akteurs ausfüllen können – und wollen? Wird er bereit sein, in Konflikten klare Kante zu zeigen, statt sich unter dem Mantel der Neutralität zu verstecken, so wie es etwa Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs tat?
Und wird er gleichzeitig nach innen den Weg von Franziskus weitergehen? Wird die katholische Kirche den schmerzhaften, aber notwendigen Pfad der Erneuerung beschreiten – hin zu mehr Transparenz, mehr Gleichberechtigung? Oder kehrt sie zurück in die alten Machtmuster? Zu Dogmen, die viele Gläubige heute nicht mehr nachvollziehen können?
Franziskus jedenfalls hat diese Spannungen erkannt. Er hat versucht, seinem Titel des Pontifex, zu Deutsch "Brückenbauer", gerecht zu werden.
Ob diese Brücken jedoch tragen, wird sich jetzt erst zeigen: Der nächste Papst wird über mehr entscheiden als nur über Dogmen. Er wird mitbestimmen, ob die katholische Kirche in der Gegenwart bestehen kann – oder ob sie sich in Deutschland und Europa weiter in die Bedeutungslosigkeit manövriert.
So recht an die Erneuerung glauben, an die Tragfähigkeit der Brücken, mag ich bislang nicht. Hoffen aber, das will ich.
Was steht an?
Während Elon Musk für Präsident Donald Trump die Regierung kürzt, sind die Auslieferungen bei dem von ihm geführten Autobauer Tesla gesunken. Am Dienstag (ab 22.30 Uhr, Ortszeit) erfährt die Öffentlichkeit auch, wie es um Gewinn und Umsatz steht. Vermutlich nicht allzu rosig.
Überschattet von der Zollpolitik des US-Präsidenten wird der Internationale Währungsfonds seine Frühjahrsprognose bekannt geben. Es werden sicher keine guten Nachrichten. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa hatte zuvor bereits vor zunehmenden Belastungen für die Weltwirtschaft gewarnt. "Unsere neuen Wachstumsprognosen werden deutliche Abwärtskorrekturen enthalten, aber keine Rezession vorhersagen", sagte sie am Gründonnerstag.
Jährlich am 22. April ist Tag der Erde – ein internationaler Aktionstag, der seit mehr als 50 Jahren auf Umwelt- und Klimaschutz aufmerksam macht. In Zeiten von Artensterben, Extremwetter und Ressourcenknappheit ist die Botschaft wohl leider aktueller denn je: Der Schutz unseres Planeten geht uns alle an. Auch wenn davon unter anderem die neue US-Regierung nicht so viel wissen will.
Historisches Bild
1916 kam es zu einem Aufstand in Irland gegen die britische Herrschaft. Mehr lesen Sie hier.
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Zum Schluss
Wer schon mal einen Halbmarathon gelaufen ist, weiß: Das kann bisweilen anstrengend werden. Dies mussten nun auch mehrere Roboter am eigenen Leib erfahren. Bei einer großen chinesischen PR-Show traten Menschen gegen Humanoide an. Letztere sollten wohl noch etwas trainieren ...
Ich wünsche Ihnen einen hoffnungsfrohen Tag. Morgen schreibt Ihnen wieder Florian Harms.
Ihr Mauritius Kloft
Ressortleiter Politik und Wirtschaft
X: @Inselkloft
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Mit Material von dpa.
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