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Taurus-Dilemma der SPD: Nun kommt es auf Klingbeil und Pistorius an


Tagesanbruch
Eine neue Linie

  • Daniel Mützel
MeinungVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 17.04.2025Lesedauer: 7 Min.
Sitzungen der Bundestagsfraktionen - SPDVergrößern des Bildes
Haben Klingbeil (r.) und Pistorius beide Platz im Kabinett? (Archivbild) (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa/dpa-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Taurus-Debatte ist zurück. Herausgekramt aus den Annalen der Ampel-Irrfahrten hat sie Friedrich Merz, der wahrscheinlich nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Bei "Caren Miosga" sagte Merz überraschend freimütig, dass er als Kanzler die deutschen Marschflugkörper an die Ukraine liefern würde: "Nicht, dass wir selbst in diesen Krieg eingreifen, sondern dass wir die ukrainische Armee mit solchen Waffen ausrüsten", so Merz am Sonntag. Sogar ein mögliches Ziel für einen Taurus-Einsatz nannte Merz: die illegal von Russland errichtete Kertsch-Brücke zwischen der Halbinsel Krim und dem russischen Festland, die als wichtige Nachschubroute für die Kreml-Truppen in der Südukraine gilt.

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In der SPD nahm man den Auftritt mit Kopfschütteln zur Kenntnis. Da war er wieder, der impulsive Merz, der einfach einen raushaut, hieß es bei den Genossen hinter vorgehaltener Hand.

Für die SPD war es doppelt ärgerlich: Nicht nur, weil Merz sich in einer außenpolitischen Kernfrage nicht mit seinem künftigen Koalitionspartner abgestimmt hat. Sondern auch, weil er die SPD kalt erwischt hat. Schon zu Ampel-Zeiten war die Taurus-Debatte ein wunder Punkt der Genossen, die ihr Taurus-Nein gegen enormen öffentlichen Druck verteidigen mussten und dabei auch intern zerstritten wirkten.

Merz' Vorstoß traf die SPD unvorbereitet – das legen zumindest die ersten Reaktionen nahe: Während Parteichef Lars Klingbeil sich nicht an der Debatte beteiligen wollte und Verteidigungsminister Boris Pistorius nebulös von "guten Argumenten" sowohl für als auch gegen eine Taurus-Lieferung sprach, schob SPD-Generalsekretär Matthias Miersch einen Riegel vor: "Wir waren ja immer schon auch dagegen", sagte er.

In anderen Worten: Die SPD weiß selbst gerade nicht genau, wo sie in der Debatte steht.

Doch es geht um mehr als um einen Marschflugkörper. Wenn Merz öffentlich über einen Taurus-Einsatz auf der Krim sinniert – was weitreichende politische Folgen haben könnte –, grenzt er sich nicht nur vom amtierenden Kanzler Olaf Scholz ab, sondern deutet eine neue Linie in der deutschen Ukraine-Politik an.

Auch jenseits des Ukraine-Kriegs stellen sich grundlegende Fragen: Der aggressive Zungenschlag der Trump-Regierung gegen Europa zwingt die künftige Bundesregierung dazu, die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik neu zu vermessen. Alte Gewissheiten zerfallen im Tagesrhythmus. Was folgt als Nächstes? Zerpflückt Donald Trump die Nato? Wie verlässlich ist der US-Atomschirm über Europa? Wie lässt sich ein Frieden in der Ukraine dauerhaft absichern? Und welche Kosten müssen auch deutsche Bürger tragen, um künftig in Frieden und Freiheit leben zu können?

Es sind Fragen, auf die derzeit niemand eine Antwort weiß. Ein Kanzler Merz muss im Grunde eine zweite Zeitenwende vollziehen, mit EU-Partnern an einer europäischen Sicherheitsarchitektur basteln, die die US-Abhängigkeit verringert, und vor allem Deutschlands Verteidigungsfähigkeit herstellen.

Viel Zeit hat er dafür nicht. Generalinspekteur Carsten Breuer hat gerade seine Warnung erneuert, dass Deutschland ab 2029 – also voraussichtlich in der Amtszeit der künftigen Merz-Regierung – mit einem russischen Angriff auf Nato-Territorium rechnen müsse.

Damit das Mammutprojekt zweite Zeitenwende auch nur halbwegs gelingt, braucht Merz einen stabilen Koalitionspartner. Er braucht also eine in außen- und sicherheitspolitischen Fragen verlässliche und vor allem: geeinte SPD. Aber ist sie das?

Eine gewisse Skepsis ist angebracht. Nicht nur wirkten die ersten SPD-Reaktionen zur Taurus-Debatte unsortiert, ja teils widersprüchlich. Auch bei der Wehrpflicht vermisst man eine Entschlossenheit, die der Größe der Aufgabe angemessen ist.

Immerhin stimmt das Tempo: Verteidigungsminister Pistorius will noch in diesem Jahr sein Wehrdienst-Modell aus Ampel-Zeiten einführen: ein im Grunde erweiterter Freiwilligendienst, der mithilfe eines Fragebogens junge Männer und Frauen zur Bundeswehr locken will. 5.000 freiwillige Wehrdienstleistende sollen so 2026 gewonnen werden, Tendenz in den nächsten Jahren steigend. Nur, falls sich nicht genug Freiwillige finden, will man über einen Pflichtdienst nachdenken.

Der Vorteil des Modells: Das Ziel ist so niedrig gehängt, dass es tatsächlich erreicht werden kann. Der Nachteil: Es steht in keinem Verhältnis zu den Zielvorgaben, die Pistorius selbst ausgegeben hat. Die Berechnungen seines eigenen Hauses: Im Verteidigungsfall bräuchte Deutschland mindestens 260.000 Reservisten (neben 200.000 Soldaten der aktiven Truppe). Abzüglich der aktuell rund 40.000 aktiven Reservisten fehlen also 220.000. Dass die Lücke mit 5.000 Freiwilligen pro Jahr kaum gestopft werden kann – schon gar nicht bis 2029 –, ist offensichtlich. Von Experten, etwa vom Chef des Reservistenverbands, aber auch von Parteikollegen, wie dem ehemaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels, hagelte es daher Kritik.

Pistorius hatte schon damals, als er im Juni 2024 sein Modell der Öffentlichkeit vorstellte, mehr gewollt – mehr Pflicht, mehr Rekruten. Pistorius gab damals "limitierende Faktoren" (Kasernen, Ausbilder) als Gründe an, warum man sich mit der bescheidenen Zielmarke von 5.000 begnügte.

Aber die entscheidenden "limitierenden Faktoren" hießen Olaf Scholz, Grüne und FDP, und Pistorius' eigene Partei, die SPD. Diese hatten den ambitionierten Verteidigungsminister mit seinen forschen Ideen erfolgreich entschärft. Statt einer Wehrpflicht gab es ein Wehrpflichtchen.

Doch Scholz ist bald Geschichte, auch die Ampel-Partner quälen ihn nicht mehr. Warum also wagt Pistorius nicht einen größeren Wurf – vor allem jetzt, da er mit der Union einen politischen Verbündeten hätte, der offen für eine Wehrpflicht eintritt?

Die naheliegende Antwort: Eine staatliche Zwangsrekrutierung zum Dienst an der Waffe hätte die SPD wohl nicht mitgemacht. Die Genossen fremdeln ohnehin mit einer Koalition mit der Merz-CDU. Viele SPD-Mitglieder hadern zudem mit dem Militärischen. Ein ungeliebtes Bündnis mit einer Wehrpflicht obendrauf hätte der SPD vermutlich eine neue NoGroKo-Kampagne eingebrockt. Taktisch haben Pistorius und die SPD-Spitze also wohl richtig agiert.

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Doch reicht das aus? Taktisch richtig zu agieren, um keinen Streit zu provozieren? Die Welt wird spürbar gefährlicher: Der Kreml setzt seinen brutalen Angriffskrieg fort, Trump erschüttert die weltweite Handelsordnung, und Europa ist nach wie vor weit davon entfernt, eigenständig für seine Sicherheit zu sorgen. Eine SPD, die in Fragen von Krieg und Frieden weiter zwischen Friedensbewegten und Pragmatikern gespalten ist, könnte so manche notwendige Debatte zerfasern. Das neuerliche Hickhack um den Taurus und der Formelkompromiss beim Wehrdienst zeigen, dass der parteiinterne Konflikt weiterhin ungelöst ist.

Doch es ginge auch anders: Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat im September 2022 eine beachtliche Rede gehalten. Darin legte er die Grundzüge einer neuen sozialdemokratischen Außen- und Sicherheitspolitik dar: Klingbeil räumte damals Fehler der SPD im Umgang mit Osteuropa ein, nannte militärische Gewalt ein "legitimes Mittel der (Friedens-)Politik" und erklärte, Deutschland müsse den "Anspruch einer Führungsmacht" haben.

Es war Klingbeils eigene Zeitenwende-Rede. Ein sorgsam vorbereiteter politischer Vorstoß, an dem er und sein Team mehrere Wochen gefeilt hatten. In der SPD schmeckte das nicht jedem. Doch Klingbeil nahm es in Kauf. Außenpolitisch klar zu sein, sei für ihn eine Sache der Überzeugung, wie er stets betont.

Die Rede ist fast drei Jahre her. In der Zwischenzeit hat die Kanzlerpartei SPD Deutschland zum zweitgrößten Ukraine-Unterstützer aufgebaut und ihre verfehlte Russlandpolitik der Vergangenheit abgestreift. Und doch: Von der neuen Außen- und Sicherheitspolitik, wie Klingbeil sie sich 2022 vorstellte, ist sie noch ein ganzes Stück entfernt.

Zu oft agierte die SPD in den Debatten der vergangenen Jahre als Bremserin, handelte zögerlich, kommunizierte unverständlich, wirkte innerlich zerrissen: Sei es beim Thema Waffenlieferungen, der Ukraine-Strategie generell, der Wehrpflicht oder der Erhöhung des Wehretats – stets rumorte es bei den Genossen. Der Friedensflügel um Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich dominierte geschickt die öffentliche Debatte, die Pragmatiker traten – bis auf wenige Ausnahmen – eher leise auf.

Auch Klingbeil ließ so manche Debatte laufen. Er sprach kein Machtwort, zumindest nicht nach außen hin. Der Parteichef hielt sich zurück, blieb loyal zum Kanzler und versuchte, die unterschiedlichen Strömungen der SPD zusammenzubinden. Die Folge: Die Debatten liefen oft ohne ihn, teils gegen seine Linie.

Machtpolitisch hat sich das ausgezahlt: Im Gegensatz zu Pistorius hat der Pragmatiker Klingbeil stets in die Partei gewirkt, den linken Flügel in seine Überlegungen eingebunden, auf Dialog statt Basta gesetzt. Parteiintern wird ihm das hoch angerechnet, was Klingbeils aktuelle Position in der SPD erklärt: Trotz historischer Wahlschlappe ist Klingbeil der unangefochtene Spitzengenosse.

Aber Zusammenbinden reicht nicht mehr. Scholz ist kein Faktor mehr, Mützenich hat sich zurückgezogen, die SPD-Fraktion hat sich halbiert. Die SPD ist heute eine andere und muss sich in einer schwierigen Koalition mit der Union behaupten. Klingbeil steht jetzt in der Verantwortung, zu führen, das heißt auch: Debatten aktiv anzustoßen, sie voranzutreiben und, ja, zu steuern.

Das wird kein einfacher Prozess werden. Aber Probleme sind nur dornige Chancen, lautet, glaube ich, ein altes Sprichwort. Jedenfalls: Für den neuen starken Mann der SPD und möglichen neuen Vizekanzler Lars Klingbeil bietet sich eine nie dagewesene Gelegenheit, seine außenpolitischen Vorstellungen in der SPD zu verankern. Nutzt er sie?


Was steht an?

Basisdemokratische Aktion Kai Wegner: CDU-Chef Friedrich Merz will die Zustimmung seiner Partei zum schwarz-roten Koalitionsvertrag auf einem "kleinen Parteitag" (160 Mitglieder) erwirken. Die Hauptstadtrebellen der Berliner CDU wichen jedoch von der Linie der Parteiführung ab und starteten eine Online-Umfrage unter ihren Mitgliedern. Seit vergangenem Donnerstag können die 12.500 Mitglieder des Berliner Landesverbandes per E-Mail abstimmen. Wer nicht per Mail erreichbar war, wurde per Brief angeschrieben. An diesem Donnerstag, 16 Uhr, endet die Frist.


Osterzeit ist Demozeit. Zumindest in Teilen der Friedensbewegung. Die diesjährigen Ostermärsche sollen laut Netzwerk Friedenskooperative in über 120 Städten starten. Der Haupttag der Ostermärsche ist traditionell Karsamstag. Veranstaltungen sind unter anderem in diesen Städten geplant: Erfurt, Freiburg, Regensburg, Königs Wusterhausen, Aschaffenburg.


Bild des Tages

Das heutige Frühlingsbild kommt von Tagesanbruch-Leserin Isabella Vogler. Sie schreibt uns dazu: "Satt grüne Wiesen, der gelbe Löwenzahn, blühende Bäume und blauer Himmel – was braucht man mehr für die Seele?" Dem ist nichts hinzuzufügen.


Was lesen?

"Markus Söder war immer schon ein Vollgaspolitiker. Aber neuerdings dreht er völlig frei", schreibt unser Kolumnist Christoph Schwennicke. Warum das so ist – und was das für die anstehende Regierung bedeutet? Lesen Sie seine Kolumne.


Jens Spahn ist prominent, ambitioniert – und umstritten. Selbst in seiner CDU. Welche Rolle spielt er für Friedrich Merz in einer schwarz-roten Koalition? Mein Kollege Johannes Bebermeier berichtet.


Die USA, Russland und China betreiben Machtpolitik im großen Stil, auch im Weltall konkurrieren die Mächte heftig. Wie gefährlich das werden kann, erklärt der Geopolitik-Experte Tim Marshall im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Zum Schluss

Erwartungsmanagement, so wichtig.

Ich wünsche Ihnen ein vergnügliches Osterfest. Der nächste Tagesanbruch erscheint am Karsamstag von Florian Harms.

Ihr Daniel Mützel
Reporter im Hauptstadtbüro
Twitter: @DanielMuetzel

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