t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAuslandInternationale Politik

Ex-Merkel-Berater Heusgen: "Der Anfang vom Ende Europas"


Ex-Merkel-Berater Christoph Heusgen
"Putin bedroht uns"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 30.01.2025 - 17:30 UhrLesedauer: 7 Min.
Wladimir Putin: Russlands Aufrüstung wird auch eine zunehmende Gefahr für die europäischen Nato-Staaten.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russlands Aufrüstung wird auch eine zunehmende Gefahr für die europäischen Nato-Staaten. (Quelle: SPUTNIK/imago-images-bilder)
News folgen

Russland führt einen hybriden Krieg gegen den Westen und der EU drohen Konflikte mit US-Präsident Donald Trump. Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, warnt deshalb vor nationalen Alleingängen, auch in der Migrationspolitik.

Deutschland und die Europäische Union stehen vor immensen sicherheits- und außenpolitischen Herausforderungen. Kremlchef Wladimir Putin fordert Europa mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine heraus und der Europäischen Union drohen neue Handelskonflikte mit US-Präsident Donald Trump. Knapp drei Wochen vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz warnt deren Vorsitzender Christoph Heusgen vor existenziellen Bedrohungen für den Westen.

Heusgen gilt im politischen Berlin nicht als Mann der lauten Töne, im Gegenteil. Als langjähriger außenpolitischer Berater der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und als Diplomat wägt er seine Worte stets sorgfältig ab, mischt sich nur selten in die tagespolitischen Debatten in Deutschland ein. Umso gewichtiger ist es, wenn er angesichts des migrationspolitischen Vorstoßes des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz vor nationalen Alleingängen warnt.

t-online: Herr Heusgen. Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz findet kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA statt. Wie haben Sie Trumps erste Woche im Amt erlebt?

Christoph Heusgen: Ich habe als Berater von Bundeskanzlerin Merkel erlebt, wie Donald Trump das erste Mal 2017 ins Amt kam. Deswegen war ich über seinen Ansatz der robusten Diplomatie nicht überrascht.

Sehen Sie bei Trump Veränderungen im Vergleich zu seiner ersten Präsidentschaft?

Er wird nun besser vorbereitet sein, um seine außenpolitischen Vorstellungen systematisch umzusetzen.

Woran machen Sie das fest?

Man merkt, dass er eine Agenda hat, mit deren Umsetzung er ab dem ersten Tag seiner Präsidentschaft begonnen hat – zum Beispiel mit Blick auf Maßnahmen gegen irreguläre Migration. Während seiner ersten Präsidentschaft hingegen haben wir zum Beispiel einen hohen Durchlauf bei seinen Beratern gesehen.

Zur Person

Christoph Heusgen ist seit 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. 1980 trat der promovierte Wirtschaftswissenschaftler in den Auswärtigen Dienst ein, ab 2005 beriet Heusgen die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Anschließend war der Diplomat von 2017 bis 2021 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen.

Welchen außenpolitischen Plan verfolgt die neue US-Regierung?

Es gibt eine Sache, die wir verstehen müssen: Für Trump und für viele Mitglieder seines Teams ist das transatlantische Bündnis nicht länger Eckpfeiler der US-Außenpolitik. Er versteht sich als Geschäftsmann und in diesem Sinne kann jemand für ihn ein Partner sein, der noch am Tag zuvor ein Gegner war.

Was bedeutet das?

Trump geht es um gute Deals für die USA und wir müssen uns darauf einstellen, dass die US-Außenpolitik noch viel mehr auf amerikanische Interessen ausgerichtet ist. Angela Merkel hat schon 2017 gesagt, dass wir Europäer unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen müssen. Wir können uns nicht immer auf Amerika verlassen, wenn es darum geht, unsere Probleme zu lösen. Darauf müssen wir uns aktuell wieder einstellen.

In seiner Antrittsrede kündigte Trump an, mehr Geld aus dem Ausland in die USA zurückzuholen. War das eine Drohung?

Diese Ankündigung kam nicht überraschend. Auch andere Präsidenten vor ihm haben ähnlich gehandelt. Präsident Biden etwa hat ein großes Investitionsprogramm mit großen Anreizen geschaffen, damit ausländische Unternehmen in den USA investieren. Europa muss wirtschaftlich attraktiver werden, um dagegenhalten zu können.

Damals war es auch die deutsch-französische Achse, Merkel und Emmanuel Macron, die die wertebasierte Ordnung während Trumps erster Amtszeit verteidigt hat. Wie gut ist Europa dieses Mal auf Trumps Protektionismus vorbereitet?

Wir haben eine Chance, wenn Europa eng zusammenarbeitet. Wir haben gesehen, wie der kolumbianische Präsident gegenüber Trump einlenken musste. Für uns heißt das: Wenn Europa nicht zusammensteht, haben wir keine starke Stimme.

Funktioniert diese europäische Zusammenarbeit aktuell?

Da ist in den letzten Jahren leider einiges im Argen gewesen. Die Tatsache, dass die deutsch-französische Achse und auch das Weimarer Dreieck nicht funktionieren, ist sehr bedauerlich. Ich hoffe, dass alle Seiten in Zukunft daran arbeiten. Dass Frankreich und Deutschland an einem Strang ziehen, ist und bleibt eine Voraussetzung für ein starkes Europa. Worüber ich aber froh bin: Die Europäische Union mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Außenbeauftragten Kaja Kallas ist gut aufgestellt. Das ist sehr wichtig, damit Europa aus einer Position der Stärke agieren kann.

Steht Deutschland denn wieder vor der Aufgabe, die wertebasierte Ordnung vor Trump zu verteidigen?

Die regelbasierte Ordnung ist enorm wichtig, und nach den Weltkriegen hat die Bundesrepublik eine besondere Verantwortung. Die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat mit einer der besten Verfassungen, die es weltweit gibt – dem Grundgesetz. Die Bundespolitik muss sich auch weiter gemäß internationalem Recht verhalten. Sonst sägen wir an dem Pfeiler, auf dem unser Nachkriegsdeutschland gebaut worden ist. Wenn andere Länder diese wertebasierte Ordnung infrage stellen, sollten wir dies auch kritisch benennen.


Quotation Mark

Meine Partei führt das "Christliche" im Namen. Vor diesem Hintergrund und aufgrund unserer Geschichte halte ich es für wichtig, aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen verfolgten Menschen Asyl zu gewähren – wie es auch das Grundgesetz vorsieht.


Christoph heusgen


Sie sprechen über die Bedeutung von europäischer Einigkeit und internationalem Recht. Wie beurteilen Sie, dass Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit aller Macht versucht, sich von Merkel zu distanzieren, und in der Migrationspolitik die Tür für eine Zusammenarbeit mit der AfD öffnet?

Ich bin selbst Mitglied der CDU. Meine Partei führt das "Christliche" im Namen. Vor diesem Hintergrund und aufgrund unserer Geschichte halte ich es für wichtig, aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen verfolgten Menschen Asyl zu gewähren – wie es auch das Grundgesetz vorsieht. Klar ist aber auch: Die irreguläre Migration muss begrenzt werden, sie ist in dieser Größenordnung für viele Gemeinden eine nicht mehr zu bewältigende Herausforderung. Dieses Problem muss insbesondere auf europäischer Ebene gelöst werden.

Merz plant aber einen nationalen Alleingang in der Migrationspolitik.

Ich möchte mich nicht in den Bundestagswahlkampf einmischen. Ich will nur einen Punkt hervorheben: Die Lehre aus der deutschen Geschichte ist, dass wir unsere Herausforderungen europäisch lösen müssen. Wir müssen außerdem das Europarecht einhalten und, wenn erforderlich, weiterentwickeln. Wir dürfen nicht dagegen verstoßen! Das wäre der Anfang vom Ende Europas.

Dementsprechend müsste Deutschland die Freizügigkeit in Europa und das Schengener Abkommen erhalten? Dafür hat Merkel in ihrer Amtszeit auch innerparteilich gekämpft.

Loading...
Loading...

Schengen und die europäische Freizügigkeit gehören zu den größten Errungenschaften, die wir auf unserem Kontinent erreicht haben. Fragen Sie die Zehntausenden Pendler, die jeden Tag auf ihren Arbeitswegen ohne Kontrollen Grenzen passieren müssen. Schengen sollte weiter funktionieren, und wenn es Probleme damit gibt, muss man Lösungen finden – und zwar gemeinsam in Europa.

Haben Sie vor diesem Hintergrund Sorge, dass in Europa viele rechtspopulistische Parteien wie die AfD stärker werden? Dadurch wird Multilateralismus immer schwieriger.

Der Erfolg Europas wird davon abhängen, wie viel wir politisch in Europa investieren. Ich kann zum Beispiel nicht verstehen, warum es angesichts der migrationspolitischen Herausforderungen zurzeit keine Sondersitzungen des Europäischen Rates gibt. Während der Finanzkrise gab es auch regelmäßig Sondersitzungen. Ich befürchte: Wenn wir auf der europäischen Ebene keine Lösungen finden, kann das für Deutschland existenzgefährdend sein.

Warum?

Wir verdanken unseren Wohlstand ganz wesentlich den offenen Grenzen und offenen Märkten in Europa. Das gilt es zu bewahren.

Ist es dementsprechend verantwortungsvoll, dass Wahlkampftaktik zum Beispiel in der Migrationsdebatte einen so großen Raum einnimmt? Das kostet auch Vertrauen.

Wahlkämpfe waren schon immer zugespitzt. Wichtig ist aber natürlich: Politiker sollten unabhängig vom Wahlkampf die langen Linien im Blick behalten. Wenn sich Versprechen nicht realisieren lassen, gibt dies erst recht extremen Kräften Auftrieb, die die Demokratie ablehnen.

Wie hoch schätzen Sie aktuell die Gefahr dafür ein?

Das ist eine grundsätzliche Gefahr. Wir haben in den USA gesehen, dass die Menschen auf Dauer mit den politischen Grabenkämpfen und der Selbstbeschäftigung der politischen Klasse in Washington sehr unzufrieden waren. Auch deshalb waren mit Barack Obama und Trump in den vergangenen Jahren zwei "Außenseiter" erfolgreich. Die etablierten Parteien müssen politische Hintergründe besser erklären und die konkreten Probleme lösen.

Trumps Zölle, Streit über Verteidigungsausgaben, Migrationsdebatte. Aktuell tendiert der Westen aber offenbar wieder zu einer solchen Selbstbeschäftigung. Können wir uns das im Angesicht der großen geopolitischen Herausforderungen leisten?

Nein, das können wir besonders mit Blick auf Russland nicht. Putin bedroht uns, und er hat systematisch aufgerüstet. Während die Amerikaner immer weniger in die europäische Sicherheit investieren möchten, akzeptiert wiederum Moskau nur eine Position der Stärke. Die Grundlage für unseren Wohlstand ist Sicherheit und deshalb müssen wir mehr in unsere Verteidigungsfähigkeit investieren. Wir müssen diese globale Situation im Auge haben, und es ist eben nicht die richtige Zeit für Selbstbeschäftigung.

Ist diese Bedrohungslage in der deutschen Gesellschaft angekommen?

Mit seiner Zeitenwende-Rede hat Kanzler Scholz kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 große Zustimmung erfahren. Wenn Verantwortung tragende Politiker den Menschen allerdings suggerieren, dass wir nicht mehr Investitionen in unsere Sicherheit brauchen, darf man nicht erwarten, dass die Bürgerinnen und Bürger von sich aus mehr solcher Investitionen einfordern. Hier braucht es konsequente politische Führung.

Auch in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine war Deutschland wankelmütig. Welche Folgen hat der Machtwechsel in den USA für den Krieg?

Von Trump kommen unterschiedliche Signale. Nur eines erscheint mittlerweile sicher: Die US-Regierung strebt keine schnelle Lösung an, die zulasten der Ukraine gehen würde. Darüber hinaus ist es gut, dass die Unterstützer der Ukraine sich nun offenbar noch enger abstimmen. Vielleicht gelingt es Trump sogar, eine Verhandlungslösung zu finden – mit der schon erwähnten robusten Diplomatie. Aber wichtig ist auch: Putin ist niemand, der Verträge honoriert. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass Russland nicht in ein paar Jahren erneut angreift.

Sehen Sie denn aktuell eine russische Bereitschaft, an den Verhandlungstisch zu kommen?

Russland hat wirtschaftliche Probleme, eine hohe Inflationsrate, auch die russische Armee leidet unter Schwierigkeiten, neues Personal für den Krieg zu rekrutieren. Putin ist also nicht so stark, wie er tut. Aber er wird wahrscheinlich weitermachen, solange er davon ausgeht, dass er das größere Durchhaltevermögen hat. Deswegen müssen wir Druck machen – auch auf Länder wie China, die seit Kriegsbeginn ihre schützende Hand über Putin halten und dafür auch Rohstoffe aus Russland bekommen.

Warum hat der Westen damit nicht längst angefangen?

Das haben wir. Aber Forderungen gegenüber Peking müssen mit konkreter Politik unterfüttert werden. Handelspolitisch haben wir gegenüber der Volksrepublik unterschiedliche Positionen und auch unterschiedliche Abhängigkeiten in Europa.

Auch die Sicherheitskonferenz bietet im Februar die Möglichkeit, über einen neuen transatlantischen Kurs zu debattieren. Welche Mitglieder der neuen US-Regierung kommen nach München?

Ich bitte um Verständnis, dass ich das erst kurz vor der Konferenz bekannt geben werde. Aber wir erwarten, dass die neue US-Administration und der US-Kongress wie in der Vergangenheit gut vertreten sein werden.

Persönlich wird es für Sie die letzte Sicherheitskonferenz als Leiter der MSC sein. Haben Sie schon Pläne für danach?

Dann kann ich nur Franz Beckenbauer zitieren.

"Geht's raus und spielt's Fußball"?

Nein. "Schau’n mer mal".

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Heusgen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Christoph Heusgen am 28. Januar
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



Telekom