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Ukraine: Ein neuer Plan für die Ukraine


Tagesanbruch
Das ist der Preis für den Frieden

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 24.04.2025 - 07:29 UhrLesedauer: 7 Min.
Selenskyj bei einer Pressekonferenz Anfang April: Der Druck auf den ukrainischen Präsidenten steigt.Vergrößern des Bildes
Selenskyj bei einer Pressekonferenz Anfang April: Der Druck auf den ukrainischen Präsidenten steigt. (Quelle: Alina Smutko)
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Im Weißen Haus ist immer was los – und jetzt erst recht. Denn am kommenden Mittwoch enden die ersten 100 Tage der zweiten Trump'schen Präsidentschaft. Das ist zwar von rein symbolischer Bedeutung, aber das Gegenteil von Symbolik wäre Substanz – und wir brauchen nicht lange zu raten, was für den Donald wohl wichtiger ist.

Am ersten Tag als Präsident werde er den Krieg in der Ukraine beenden, hat er getönt. Weil das zwar Unsinn, aber trotzdem eine einprägsame Ansage war, steigt nun vor dem nächsten symbolischen Datum der Druck im Kessel: Frieden soll her, und zwar fix und egal wie. Gestern hat Trump wieder einmal verbal auf den ukrainischen Präsidenten Selenskyj eingedroschen, damit der spurt. Jeden Tag ist Showtime im Weißen Haus. Ein dekorativer Frieden gehört zum Bühnenbild dazu, jedenfalls in der aktuellen Szene. Danach wird das Ding in die Requisite weggeräumt. Wenn es dabei auseinanderfällt, macht das nichts. So tickt Trump.

Ich möchte mich über all das heute hinwegsetzen und stattdessen ein Experiment wagen: Zimmern wir einen Friedensplan – hier, heute, im Tagesanbruch. Solide soll er sein, weltfremde Traumtänzerei können wir uns also nicht leisten. Kann das funktionieren, trotz vieler Beteiligter und widersprüchlicher Interessen? Probieren wir es aus. Die vielen Vetos, Einschränkungen und roten Linien kann man sich dabei zunutze machen: Damit schließen wir gleich zu Beginn diejenigen Vorschläge aus, die sowieso keine Chance haben.

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Damit es fix vorangeht, lassen wir wohlgewählte diplomatische Formulierungen beiseite und setzen auf Klarheit. Fangen wir zu Hause an, also bei uns in Deutschland und unseren Nachbarn: Die europäischen Staaten werden auch in Zukunft nicht für die Ukraine in den Krieg gegen Russland ziehen. Sie werden sich auch nicht in eine Lage begeben, in der sie in den Konflikt ungewollt hineingeraten. Damit ist der erste Vorschlag schon vom Tisch: Eine europäische Militärpräsenz in der Ukraine, die Russland davon abhalten könnte, die Ukraine später wieder anzugreifen, ist illusorisch. Ebenfalls abgehakt: Sicherheitsgarantien, wie die Ukrainer sie sich sehnlichst wünschen. Denn die funktionieren nur, wenn man im Krisenfall an der Seite des Angegriffenen in den Krieg zieht. Keine Kampfbereitschaft? Keine Garantien. So einfach ist das.

Schauen wir als Nächstes auf den Kriegsherrn im Kreml. Russland hatte sich völkerrechtlich bindend verpflichtet, die Ukraine nicht zu attackieren – eigentlich. Was das russische Wort wert war, wissen wir mittlerweile. Der Angriffskrieg seit 2022 ist dabei nur der letzte Akt. Vorher waren schon russische Einheiten in den Donbass eingezogen und Putins "grüne Männchen" angerückt, die 2014 die Krim besetzten. Was heißt das in der Summe? Dass auf Zusagen des Kreml kein Verlass und Putins Unterschrift nichts wert ist. Also zählt nicht allein der Inhalt eines Vertrags mit dem Diktator. Entscheidend ist vielmehr, ob man die Einhaltung der Vereinbarung durchsetzen und bei Bedarf auch erzwingen kann.

Wo wir schon bei mangelnder Glaubwürdigkeit sind, geht der Schwenk nach Washington ganz locker von der Hand: Trump hat schon in seiner ersten Amtszeit so viele vertragliche Verpflichtungen der USA abgeräumt, dass man beim Zählen kaum hinterherkommt. Das Pariser Klimaabkommen und das Atomabkommen mit dem Iran waren nur die prominentesten. Recht und Gesetz sind in den USA derzeit eher unverbindliche Empfehlungen; Unberechenbarkeit und wilde Kursänderungen sind das Markenzeichen des Großmaulpräsidenten. Amerikanische Zusagen zur Unterstützung der Ukraine nimmt man auf dieser Seite des Atlantiks immer gerne an – warum auch nicht. Aber wert sind sie: nichts. Verlässliche Hilfe zur Absicherung eines Friedens haben die Trumpisten nicht im Angebot.

Die Ukraine selbst ist nur beschränkt zu Kompromissen fähig. Nach den großen Opfern im Krieg ist der Wunsch nach Frieden groß, die Bereitschaft zum Ausverkauf aber gering. Die russischen Eroberungen nicht nur notgedrungen zu tolerieren, sondern auch völkerrechtlich anzuerkennen, das dürfte das Land in eine schwere innere Krise stürzen. Dieser Einengung des Spielraums wollen wir noch eine weitere, entscheidende Bedingung hinzufügen: Egal, was am Ende herauskommt, die Ukraine muss ein Staat bleiben, der überleben kann.

All das ist ein ganz schön enges Korsett. Aber aus dem, was alles nicht möglich ist, lässt sich ableiten, was dennoch geht. Zum Beispiel bei der Sicherheit:

Wenn Putins Unterschrift nichts wert ist, dann ist "Frieden" bloß ein eingefrorener Konflikt. Also muss man dafür sorgen, dass er nicht wieder auftaut. Das Schweigen der Waffen muss militärisch abgesichert sein. Sicherheitsgarantien sind unglaubwürdig. Folglich muss die Ukraine ihre Sicherheit selbst garantieren und sich wirksam wehren können. Nur die Europäer sind in der Lage, der Ukraine dabei verlässlich unter die Arme zu greifen – und zwar durch verstärkte Waffenlieferungen, nicht durch eigene Truppenpräsenz. Da das die Sicherheitsgarantie ersetzt, muss diese Unterstützung verbindlich und langfristig festgeschrieben sein. Die Trump-Administration ist unberechenbar und Unterstützung von dort nicht mehr als ein Bonus. Die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine war ein politischer Wunsch, kein praktischer Plan. Der Verzicht darauf gehört in den Friedensvertrag, um Putins Interessen zu bedienen.

Aber was wird aus dem umkämpften Territorium? Auch hier kann man pragmatisch Schlüsse ziehen:

Die Ukraine wird sich mit der russischen Kontrolle über die eroberten Gebiete abfinden müssen. Das ist der Preis für den Frieden, und eine Rückeroberung ist ohnehin unrealistisch. Dazu muss Kiew das verlorene Territorium nicht als russisches Staatsgebiet anerkennen, aber sich verpflichten, den Zustand hinzunehmen und dort auf Gegenangriffe zu verzichten. Man unterschreibt nur, was einem nützt. Das gilt selbstverständlich auch für Putin. Die USA und Europa können ihm flexibler als die Ukraine begegnen und die Krim als russisches Territorium akzeptieren. Das ist ein bedeutsames Zugeständnis. Zugleich nimmt es lediglich die tatsächlichen Verhältnisse zur Kenntnis, statt an der Fiktion einer ukrainischen Rückeroberung der Krim festzuhalten.

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Schlussendlich geht es um das heiße Eisen der Sanktionen:

Trump sucht die Annäherung an Russland und das Geschäft mit Putin. Er hat bereits signalisiert, dass er die amerikanischen Sanktionen aufheben wird. Die Europäer sollten das nicht tun – jedenfalls nicht, solange Russland den Donbass und Landstriche in der Südukraine besetzt. Die Sanktionen berühren die Kerninteressen unseres Kontinents. Russlands Rüstungsmaschinerie arbeitet schon jetzt auf Hochtouren. Der europäische Teil der Nato setzt alle Hebel in Bewegung, um mithalten zu können. Kommt der Kreml mit der EU wieder dick ins Geschäft, beschleunigt sich dieses Wettrüsten – auf unsere Kosten. Und die Kriegsgefahr steigt. Deshalb gilt: Putins Regime muss dauerhaft durch harte Sanktionen eingedämmt werden.

Damit beenden wir das heutige Friedensexperiment. Ist es geglückt? Das Urteil überlasse ich Ihnen. Aber die Konkurrenz aus dem Weißen Haus MIT IHREN GROSSBUCHSTABEN, die haben wir heute wohl abgehängt.


Habecks trauriges Finale

Wenn der geschäftsführende Wirtschaftsminister Robert Habeck heute die ökonomische Frühjahrsprojektion der Bundesregierung vorstellt, ist das Inhaltliche schon keine Überraschung mehr: Nachdem der grüne Ressortchef im Herbst noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 1,1 Prozent prognostiziert und die Wachstumserwartungen für 2025 im Januar dann auf 0,3 Prozent gesenkt hatte, wird er sie nun auf 0,0 Prozent korrigieren, also Stagnation. Zu dieser Einschätzung war angesichts von Trumps Zollchaos auch schon der Internationale Währungsfonds gelangt.

Was die Präsentation dennoch zu einem denkwürdigen Termin macht, ist der Umstand, dass sie wohl den letzten großen Auftritt des grünen Ex-Superstars markiert. Zwar hat sich der scheidende Vizekanzler, der gern selbst Regierungschef geworden wäre, zu seiner Zukunft noch immer nicht verbindlich erklärt. Aber dass er sich, wie zuletzt zu hören war, im Auswärtigen Ausschuss um das deutsch-amerikanische Verhältnis kümmern wird, während seine Parteirivalin Annalena Baerbock als Präsidentin der UN-Vollversammlung nach New York jettet, fällt doch eher schwer zu glauben. Wahrscheinlicher erscheint da die zuvor kolportierte Rückgabe seines Bundestagsmandats zur Sommerpause. Es wäre der leise Abgang eines überschätzten Hoffnungsträgers.


Bild des Tages

Marianne Grosspietsch zählt zu den Tagesanbruch-Leserinnen der ersten Stunde. Sie lebt in Nepal und engagiert sich dort für Erdbebenopfer, Arme und Leprakranke. Soeben hat sie mir vom neuen Projekt ihrer Organisation Shanti berichtet, einer Obstbaum-Pflanzaktion: Frauen aus der Kaste der Unberührbaren bekommen 9.000 Bäume, die sie auf ihren Parzellen pflanzen und die Früchte verkaufen können. Ein kleiner, aber wirksamer Schritt gegen den Hunger, für gesellschaftlichen Frieden und Klimaschutz. Mehr über Shanti erfahren Sie hier.


Ohrenschmaus

Heute habe ich was Beschwingtes für Sie: Alt, aber gut.


Lesetipps


Die Kirchen mischen sich zu stark in die Politik ein, meinen CDU-Politiker wie Julia Klöckner. Der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl widerspricht: Es sei Christenpflicht, sich zu Herausforderungen wie der AfD zu äußern, sagt er im Interview mit unserer Reporterin Annika Leister.


Erst hat Donald Trump Mexiko mit horrenden Zöllen gedroht – dann ist er umgeschwenkt. Das hat viel mit der bemerkenswerten Präsidentin Claudia Sheinbaum zu tun, schreibt mein Kollege Simon Cleven.


Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat den Einzug in den Bundestag haarscharf verpasst. Deshalb legt es nun Beschwerde beim Bundeswahlausschuss ein. Das könnte gravierende Folgen haben, berichten meine Kollegen Christoph Cöln und Mauritius Kloft.


Zum Schluss

Ja, die Frau Wagenknecht …

Ich wünsche Ihnen einen ausgeglichenen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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