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Trump giert nach totaler Kontrolle | Wahlkampf in den USA


Tagesanbruch
Das ist erst der Anfang

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 04.10.2024 - 07:05 UhrLesedauer: 8 Min.
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Gefährliche Lebenslüge: Trump will alles und jeden kontrollieren.Vergrößern des Bildes
Gefährliche Lebenslüge: Trump will alles und jeden kontrollieren. (Quelle: IMAGO/Mike De Sisti / Milwaukee Journal Sentinel)

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt eine Szene für den Film "Wall Street: Geld schläft nicht" von Oliver Stone, die es am Ende nicht hineingeschafft hat. Zu sehen sind dort der Schauspieler Michael Douglas als Hedgefonds-Kapitalist Gordon Gekko und ein Mann, der sich selbst spielt: Donald Trump. In dem Film aus dem Jahr 2010 treffen sich die beiden bei ihrem Lieblingsfriseur in New York. (Das Video können Sie hier ansehen)

Donald Trump sagt: "Das ist ein großartiger Ort, um sich die Haare schneiden zu lassen."

Gordon Gekko erwidert: "Nun, ich komme hierher seit den Achtzigern."

Donald Trump daraufhin: "Tja, die Achtziger gibt es nicht mehr, 'Gordo'. Die Welt ist ein ungemütlicher Ort."

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Es ist eine Szene, die viel über Trump aussagt. Auch wenn sie aus einem Drehbuch stammt, könnte sie genau so von ihm selbst geschrieben worden sein. Sie spiegelt wider, wie sehr Donald Trump einen angeblichen und allumfassenden Kontrollverlust beklagt.

Der Film ist inzwischen 14 Jahre alt und Donald Trump verspricht den Amerikanern nun zum dritten Mal, ihnen eben jene Achtzigerjahre, die vermeintlich goldenen Zeiten, zurückzubringen. Dieses Gefühl vermittelt er nicht nur mit der Musikauswahl bei jeder seiner Wahlkampf-Rallyes. Aus den Lautsprechern plärren dort etwa seit Jahren die Village People mit ihren Hits Y.M.C.A. oder Macho Man.

Es muss eine Zeit gewesen sein, der Donald Trump selbst bis heute hinterhertrauert. Vielleicht auch, weil er sie verklärt. Denn auch damals war die Welt in Unruhe. Der Kalte Krieg bedrohte nach wie vor den Weltfrieden. Die Amerikaner führten Krieg im Irak. Auf dem Balkan deuteten sich die kommenden Jugoslawienkriege an. In Nordirland verbreitete die Terrorgruppe IRA Angst und Schrecken. Und auch Israel wurde schon damals von ständigen, bewaffneten Konflikten heimgesucht.

Doch für Trump persönlich war es eine gute Zeit. 1989 erschien sein Buch "The Art of the Deal". Er erlangte erstmals nationale und dann auch internationale Bekanntheit unter tatkräftiger Mithilfe der Medien. Trump gab zahlreiche Interviews in den beliebten amerikanischen Shows von Tom Brokaw, Mike Wallace, David Letterman oder Oprah Winfrey. Trump gab sich dort als reicher und kluger, aber bescheidener Investor und Immobilienmakler.

Sein Wahlkampf-Team zerrt all diese Auftritte von damals heute wieder hervor, um zu belegen, dass all die berühmten Interviewer von damals einst für Trump gewesen seien. Zu bemerken war das zum Beispiel, nachdem sich die berühmte schwarze Moderatorin Oprah Winfrey beim Nominierungsparteitag der Demokraten explizit für Kamala Harris als nächste Präsidentin ausgesprochen hatte. Der Tenor von Trump: Nicht er habe sich radikal verändert, sondern die Medien, die Demokraten und überhaupt alle, die heute gegen ihn seien.

Dabei veränderte Trump seinen Umgang mit den Medien erstmals, als er in den frühen Neunzigerjahren durch eine Scheidung ging und er auch finanzielle Schwierigkeiten bekam. Sein Ton wurde feindseliger. Ein Beispiel war ein Interview im Jahr 1990 mit Larry King. Dort sprach Trump offen darüber, wie seine Scheidung von Ivana Trump und der begleitende Klatsch der Boulevardpresse seine Sicht auf die Medien verändert habe. Er zeigte sich frustriert, weil die Presse sein Privatleben ausschlachtete. Trump kritisierte die Medien dafür, unerbittlich zu sein und ihn konsequent falsch darzustellen.

Es ist ein Thema, das sich seither wie ein roter Faden durch seine öffentlichen Äußerungen zieht. Egal, was er womöglich selbst zu verantworten hat, schuld ist ausschließlich eine ominöse, weil angeblich verschworene Gegnerschaft. Und zu der gehören heute nicht mehr nur die Klatschpresse, sondern alle Medien, die Demokraten, der angebliche "Deep State", wie Donald Trump den Beamtenapparat von Washington nennt. Dazu gehört sogar das gesamte Justizwesen, solange es nicht aus Richtern und Staatsanwälten besteht, die von ihm ernannt wurden.

Donald Trump verspricht den Amerikanern, die angebliche Kontrolle über das Chaos in der Welt und damit auch in den USA zurückzuerlangen. Angesichts der vielen Krisen – ob in der Ukraine, im Nahen Osten oder durch die wachsende Dominanz Chinas – verfängt dieses Versprechen ohne Frage. Dabei beruht es in Wahrheit nur auf der Aussage, dass Trump eben einfach der Richtige für den Job sei.

Zwar gilt der ehemalige US-Präsident in der Tat nicht als kriegslüstern. Das macht seine außenpolitischen Entscheidungen aber deswegen noch lange nicht klug. Sowohl der schwache Deal mit den Taliban als auch der Ausstieg aus dem Iran-Abkommen ohne eine tragfähige Alternative, und auch seine Weigerung, der Ukraine rechtzeitig Waffen zu liefern, machten die Probleme von heute erst möglich.

Tatsächlich geht es diesem Mann, der seit vielen Jahrzehnten ganz von sich selbst eingenommen ist, darum, die Kontrolle zu erlangen – und zwar über alles und jeden. Das gilt für sein privates und für sein politisches Leben. Weil das in Wahrheit aber gar nicht möglich ist, versucht er es mit immer radikaleren Methoden und extrem vereinfachenden Versprechungen. Sie münden darin, dass er sich zu Sätzen hinreißen lässt wie jenen, dass er "nur" am ersten Tag seiner kommenden Präsidentschaft als Diktator regieren würde.

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Man muss zwar angesichts der starken demokratischen Institutionen in den USA nicht befürchten, dass Trump das Land über Nacht in eine Diktatur verwandeln kann. Aber die Aussagen offenbaren, wie sein Denken davon durchzogen ist, dass man eben nur einmal hart durchgreifen müsse, um sehr komplexe Probleme zu lösen. Nur ein Beispiel, von dem er ganz besessen zu sein scheint: In Deutschland fahren zu wenig amerikanische Autos? Trumps Lösung: Strafzölle gegen deutsche Autohersteller. Dass diese in den USA mit ihren Fabriken Zehntausende Jobs schaffen, kommt in seiner Rechnung nicht vor.

Ein anderes Beispiel sind reale Probleme wie hohe Mieten, überfüllte Krankenhäuser und Arztpraxen. Schuld daran, so Trump, sind die vielen Ausländer, die etwa in die Stadt Springfield nach Ohio gezogen seien. Dass die dort lebenden Haitianer mit legalem Aufenthaltsstatus leben, konsumieren und Steuern zahlen und Firmen wie Amazon, Honda und andere sich um diese Arbeitskräfte reißen, ist Trump egal. Seine Lösungen lauten schlicht: Ausländer raus, "Remigration" und "historische Massenabschiebungen". Dass damit die Wirtschaft in ausblutenden Städten wie Springfield kollabieren würde und mit ihr viele Arbeitsplätze für Amerikaner, kommt in seiner Rechnung ebenfalls nicht vor.

Perfide Vorbereitungen für einen Kontrollstaat

Wie gefährlich Trumps Pläne sind und eben nicht nur reine Wahlkampfrhetorik, konnte man bereits in seiner ersten Präsidentschaft beobachten. Von der Öffentlichkeit vielfach kaum wahrgenommen, schmieden Trump und viele Republikaner seit Jahren Pläne, einen Geist der gegenseitigen Kontrolle in Amerika einzuführen. Dazu gehören Gesetze wie in Texas, wo Menschen dazu angestachelt werden, einander anzuzeigen, wenn es um das Thema Abtreibungen geht. Ausgerechnet Trump, der seinen Anhängern eine nicht näher definierte Freiheit verspricht, baut mit solchen Vorhaben letztlich an einem Spitzelstaat.

Auch mit Maßnahmen, die tiefe Eingriffe in den demokratischen Prozess bedeuten, versuchen Trump und die Republikaner am Wahltag des 5. November die Kontrolle zu erlangen – und zwar über Stimmauszählungen in wichtigen Bundesstaaten. Überall im Land versuchten Republikaner, Gesetzesänderungen durchzusetzen, die darauf abzielten, bestimmte Wahlvorschriften zu verschärfen. Geschickt haben sie auch eigene Leute auf die entsprechenden "election boards", also Wahlausschüsse, gesetzt. So unterstützte Trump Kandidaten, die dort für angebliche Wahlintegrität sorgen sollen. Bei seinen Rallyes nannte er manche von ihnen sogar namentlich. Tatsächlich sollen sie die Regeln in Wahrheit zu seinen Gunsten ändern. Und auch einzelne republikanische Innenminister in den Bundesstaaten, die für die Wahlen zuständig sind, könnten dieses Mal ein offizielles Endergebnis der Wahlen verhindern.

Sollte Donald Trump mit oder ohne solche Tricks wirklich die kommende Wahl gewinnen, müssen wir uns darauf gefasst machen, dass die USA, das "Land of the Free", unfreier werden. Denn ein Mann mit Kontrollwahn sitzt dann wieder an den Hebeln der Macht. Der einzige Trost daran ist, dass auch er nicht in der Lage sein wird, die Welt und auch nicht Amerika in seinem Sinne zu kontrollieren. Das dürfte auf tragische Weise der Lebensirrtum von Donald Trump bleiben. Das macht ihn aber nicht weniger gefährlich.


Ohrenschmaus

Als Ohrenschmaus möchte ich Ihnen darum heute ebenfalls einen Song aus den Achtzigern ans Herz legen. Und zwar: "Rockin' in a free world" von Neil Young. Zwar wird dieser auch jedes Mal bei den Rallyes von Donald Trump gespielt. Aber eben nicht nur. Zuletzt klampfte ihn der US-Außenminister höchstpersönlich. Antony Blinken stand dabei auf einer klapprigen Bühne in einer Bar in Kiew, wie man in diesem Video sehen kann.

Das Lied erinnert mich daran, wie sehr die Menschen in der Ukraine seit fast drei Jahren täglich um ihr Leben kämpfen und um unsere gemeinsamen, freiheitlichen Werte. Trump will das innerhalb von 24 Stunden lösen. Es dürfte das erste, vermeintlich einfache Versprechen sein, das er brechen wird.


Lesetipps

Deutschlands Niederlage war im Herbst 1944 längst absehbar, die Amerikaner stießen gen Rhein vor. Doch im Hürtgenwald bereitete die Wehrmacht den USA vor 80 Jahren eines der schlimmsten militärischen Desaster ihrer Geschichte. Lesen Sie hier den Artikel meines Kollegen Marc von Lüpke.


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Was wichtig wird

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Die EU-Kommission hat für Freitag eine Abstimmung unter Vertretern der EU-Staaten zu Zusatzzöllen auf E-Autos aus China angesetzt. Ein Ergebnis wird am Vormittag erwartet. Kernfrage ist: Werden Hersteller, die in China produzieren und von dort in die EU exportieren, ab Anfang November mit Zusatzzöllen bestraft? Konkret geht es um Zölle von 7,8 Prozent für Tesla und 35,3 Prozent für Unternehmen, die nicht mit der EU-Kommission bei der Untersuchung kooperiert haben.


Wichtig für die Präsidentschaftswahlen: Die US-Regierung veröffentlicht ihre Arbeitsmarktdaten für September. Experten rechnen damit, dass weiterhin mehr neue Jobs entstehen, aber sich das Wachstum im Vergleich zum August verlangsamt.


Zum Schluss

Amüsant wäre es, wenn es nicht so ernst wäre. Das hier gehört eher in die Kategorie: absurd. In einem neuen Werbespot beschreibt sich Melania Trump als Beschützerin für die Selbstbestimmungsrechte von Frauen. Hintergrund ist die bevorstehende Veröffentlichung ihrer Memoiren, in denen es auch ein Kapitel zum Thema Abtreibung geben soll. Dabei hatte ausgerechnet ihr Ehemann Donald Trump als Präsident mit seiner Richterbesetzung am Obersten Gerichtshof dafür gesorgt, dass Abtreibungsrechte überall in den USA in Gefahr sind. Wenn Sie übrigens in den letzten Wochen vor dem Wahltag am 5. November immer auf dem Laufenden bleiben wollen: Verfolgen Sie einfach regelmäßig unseren USA-Wahlblog.

Haben Sie einen schönen Tag!

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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