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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

AfD-Umgang: Warum die Brandmauer der Parteien scheitert


Meinung
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Umgang mit der AfD
Zerschellt an der eigenen Brandmauer

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

03.10.2024Lesedauer: 4 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:240926-911-013266Vergrößern des Bildes
Der rechtsextreme AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag, Björn Höcke, und Alterspräsident Jürgen Treutler. (Quelle: Martin Schutt/dpa)

Die etablierten Parteien finden kein Rezept gegen die AfD und greifen immer verzweifelter zu letzten Mitteln. So werden sie des Problems nicht Herr. Sondern machen es immer größer.

Natürlich kann man das nicht so machen wie dieser Alterspräsident im thüringischen Landtag. Ein unwürdiges Schauspiel war dort zu beobachten, weil der AfD-Mann wider alle Regularien bei der Wahl des Landtagspräsidenten mit allen Mitteln Anträge der Fraktionen von CDU und BSW verhindern wollte. Bis zur Androhung, die Mikrofone abschalten zu lassen.

Tiefpunkt des Parlamentarismus in Deutschland, schrieben hinterher viele zu Recht. Vollends abgrundtief und bodenlos ist der Vorgang, weil es den begründeten Verdacht gibt, dass Thüringens AfD-Zampano Björn Höcke von den Sitzen der Fraktion aus den Alterspräsidenten mit Textnachrichten fernsteuerte. Man kennt das aus den seriösesten Unternehmen, dass Sitzungsteilnehmer ins Handy knibbeln, während ein missliebiger Wortbeitrag zu hören ist – um scheinbar Unverdächtige mit der unmittelbaren Gegenrede zu beauftragen. Das macht die Sache im Hohen Haus von Erfurt nicht besser. Das eine ist fragwürdige Unternehmenskultur. Das andere tangiert und beschädigt die Demokratie an ihrem höchsten Ort. Das geht alle an. Und so geht das nicht. Gar nicht.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".

Es geht aber auch nicht, wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen. Am Ende des gruseligen Tages von Erfurt bemerkte ein AfD-Abgeordneter, er bedanke sich bei den parlamentarischen Widersachern. Sie hätten der AfD einen Dienst erwiesen. Und der Alterspräsident trat noch am Abend in rechtsdrallig-krawalligen Portalen auf und verkündete, alles sei nach Plan verlaufen – obwohl das Landesverfassungsgericht nur wenige Stunden später der Klage der CDU-Fraktion stattgab.

Was damit gemeint ist: Man muss für die AfD keine politischen Sympathien hegen, um festzustellen: So geht das nicht. Man kann das so nicht machen. Das fängt bei dem törichten Zwischenruf eines CDU-Mannes an, der bei dem Versuch des Vorsitzenden, die Mikros abzudrehen, etwas von "Machtergreifung" in den Saal rief. Nein, das ist keine Machtergreifung, das würde im Übrigen die Macht eines Landtagspräsidenten, um dessen Wahl es ging, auch bei Weitem überschätzen.

Spielregeln kurz vor dem Spiel ändern? Das geht nicht gut

Doch es geht viel weiter. Es kann nicht angehen, dass man die Spielregeln noch kurz vor dem Spiel ändern will, weil die andere Mannschaft nach den geltenden Regularien das Spiel gewinnen wird. Klar, rechtlich ist das möglich. Deshalb hat das Verfassungsgericht der Klage der CDU auch stattgegeben: dass noch unmittelbar vor der Wahl die Geschäftsordnung dahingehend geändert wird, dass im ersten Wahlgang nicht mehr nur die stärkste Fraktion, also in diesem Fall die AfD, einen Kandidaten oder eine Kandidaten zur Wahl stellen darf.

Politisch-moralisch aber geht das gar nicht. Denn sogar und eben gerade nicht so eng mit dem Geschehen Befasste beschleicht da das Gefühl: Irgendwie stimmt hier was nicht. Hier wird einer missliebigen Partei ihr bis eben gutes Recht streitig gemacht. Das nimmt dann automatisch ein für die, die beduppt werden sollen. Daher der Dank, daher der Triumphalismus, alles sei nach Plan verlaufen, auch wenn am Ende der Landtagspräsident an die CDU ging an jenem Wochenende.

Der Erfurter Vorgang steht dabei in einer unseligen Tradition. Auch im Deutschen Bundestag werden der AfD Ausschussvorsitzende und ein Posten als Vizebundestagspräsident seit Jahr und Tag vorenthalten. Mit Verve und Inbrunst – aber mit wenigen Argumenten. Noch mal: Es gibt tausendundeinen Grund, die AfD mit ganz spitzen Fingern anzufassen. Aber es gibt keinen Grund, sie im Parlament weniger gleich zu machen als die anderen. Das ist ebenso undemokratisch wie das Gebaren des Alterspräsidenten in Erfurt.

Unverdrossen auf dem Irrweg

Diesen Irrweg gehen die etablierten Parteien unverdrossen weiter. Es ist dieser Geist der Brandmauer, in dem sie vermauert sind. Aus der sie nicht mehr herausfinden. Die Koalitionen werden immer abstruser, die Fouls immer gröber, um die AfD aufzuhalten. Und das macht sie immer nur noch stärker.

Es gibt keinen Königsweg. Aber, um Rio Reiser und Tone Steine Scherben sanft zu variieren: Dieser Weg ist es nicht. Vielleicht hilft ein Blick zurück. Als die Grünen 1983 im Bundestag einzogen, da rümpften die Unionsabgeordneten buchstäblich die Nase, weil sie üble Gerüche wahrzunehmen meinten, ausgehend von den strickenden Zauseln in Norwegerpullis. Uschi Eid musste sich, man kann das in den Protokollen nachlesen, den Zwischenruf anhören, sie möge sich doch erst mal waschen, bevor sie ans Pult des Hauses trete.

Aber nie wurde eine Brandmauer hochgezogen. Sondern immer genau begründet, weshalb man mit diesen Grünen, die sich immer mehr zurechtwuchsen, keine Koalition eingehen könne, Nato, Außenpolitik und so. Bis dann eines Tages Joschka Fischer in Turnschuhen neben Holger Börner in Hessen zum Koalitionsschwur stand – und später im Dreiteiler neben Gerhard Schröder im Bund. Und Uschi Eid wurde allseits geschätzte Staatssekretärin.

Damit die Waschkörbe für die Leserpost nicht überquellen: Nein, ich ziehe keine Linie von den Grünen zur AfD. (Wenngleich unter ihnen ebenso System-Crasher waren wie heute bei der AfD. "Keine Macht für niemand", das war der Wahlspruch, abermals Rio Reiser, mit dem sie in den Bundestag einzogen. Viele hatten eine K-Gruppenvergangenheit, die nicht unbedingt vergangen war. Wer es nicht glaubt, lese das Grundsatzprogramm von damals.) Es geht nur darum, aufzuzeigen, dass diese Ausgrenzung der AfD mit allen Mitteln nicht zum Ziel führt. Sondern immer weiter davon weg.

Kein Vertrauen ins Wahlvolk

Letztlich besagt diese Bekämpfung mit allen Mitteln: Wir vertrauen unseren Gegenargumenten nicht. Wir vertrauen der Wirksamkeit unserer Politik nicht bei den Themen, mit denen die AfD punktet. Wir vertrauen auch dem Rechtsstaat nicht, denn, wenn die AfD so ist, wie wir sagen und der Verfassungsschutz, dann muss ein Parteiverbot zum Ziel führen. Am Ende vertrauen wir dem Wahlvolk nicht. Deshalb machen wir, wie in Erfurt jetzt, von einer Art Notwehrrecht Gebrauch: Spielregeln neu nach der Wahl.

Dieses Muster hat ein systemisches Pendant. Denn so, wie die etablierten Parteien mit ihrer bisherigen Methode am Ende insinuieren, dass sie dem Wahlvolk nicht mehr trauen, schwindet im gleichen Maße dort dieses Vertrauen umgekehrt in sie.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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