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Tagesanbruch: SPD am Boden, CDU in Bedrängnis – Was gute Führung ausmacht


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Was heute wichtig ist
Was gute Führung ausmacht

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 04.06.2019Lesedauer: 7 Min.
Der ehemalige US-Präsident Barack Obama.Vergrößern des Bildes
Der ehemalige US-Präsident Barack Obama. (Quelle: Terrence Antonio James/imago-images-bilder)
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Guten Morgen aus dem Berliner Politiktumult, liebe Leserinnen und Leser,

wir erleben Wochen des Umbruchs. Unser politisches System wandelt sich so schnell, dass die Akteure kaum zum Luft holen kommen. Jahrzehntelange Gewissheiten zerfallen zu Trümmern, neue Impulse keimen in den Ruinen. Wer gibt da Orientierung? Der Reihe nach:

WAS WAR?

156 Jahre lang hat die SPD die deutsche Politik geprägt. Jetzt liegt sie auf der Intensivstation, Überleben ungewiss. Viel ist hier schon über ihre Krankheiten geschrieben worden: schwindende Milieus, organisatorisches Chaos, programmatischer Zickzackkurs, alte Antworten auf neue Probleme, die Löwengrube Willy-Brandt-Haus. Wir sind Zeugen eines kollektiven Burn-outs. Die SPD braucht dringend eine Wiederbelebung, denn in ihrem gegenwärtigen Zustand braucht Deutschland die SPD nicht. Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel haben sich breitschlagen lassen, die Krankheitsvertretung kommissarisch zu übernehmen, aber keine(r) von ihnen will sie sich einen Tag länger als nötig antun.

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Auch Olaf Scholz und Stephan Weil haben schon abgewinkt. Alle haben sie erschrocken verfolgt, wie die Partei binnen 14 Jahren 8 Chefs verschlissen und zermürbt hat. SPD-Vorsitzender: der Job, den keiner mehr haben will. Ein dröhnendes Alarmsignal für die Sozialdemokratie.

Knapp vier Kilometer weiter westlich, im Konrad-Adenauer-Haus, bimmeln die Alarmglocken kaum weniger schrill. Der CDU-Vorsitzenden ist es in den vergangenen 48 Stunden nur mit Müh und Not gelungen, den Aufruhr gegen ihre Herrschaft zu bändigen. Ebenso wenig wie Andrea Nahles bei der SPD hat Annegret Kramp-Karrenbauer es geschafft, ihrer Partei einen Weg in die Zukunft zu weisen. Um die Unzufriedenheit mit Merkels SPD-Kopie-Kurs zu lindern und verlorene AfD-Wähler zurückzulocken, riss sie das Steuer hart nach rechts, redete Traditionalisten nach dem Mund und beschwor die alte CDU von Heiner Geißler und Helmut Kohl. Volle Fahrt zurück, lautet die Parole. Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimakrise, Globalisierung von Produktion, Handel und Mobilität, digitale Revolution, Mietwucher in den Städten – blieb sie ebenso schuldig wie die Genossen. Stattdessen ließ Kramp-Karrenbauer ihre Leute ein ums andere Mal über die Flüchtlingskrise anno zwotausendfünfzehn lamentieren. Damit entkoppelte sie die CDU von der Aktualität und einem wachsenden Teil der im Jetzt und Heute lebenden Bevölkerung.

AKK und ihre Planer haben ihre Fehler nun erkannt. Zum einen versuchen sie, die immer lauter murrenden Kritiker in den eigenen Reihen mit einem Schreckensszenario einzuschüchtern: Bei Neuwahlen könnten die Grünen! stärkste Kraft! werden und die Union die Macht verlieren! Also gefälligst die Reihen schließen! Zum anderen zeigten sie auf der gestern beendeten Klausurtagung Selbstkritik und versprachen, bis zum Herbst neue Konzepte für Klima- und Digitalpolitik vorzulegen. Das lässt hoffen.

Entschlossene Führung ist wichtig, erst recht in Krisen. Einen Orkan überlebt man nicht, indem man alle Mann aufruft, sich an den Mast zu klammern und stillzuhalten. Aus einem Orkan taucht man gestärkt auf, indem man überkommene Gewissheiten hinterfragt, den Tanker zu einem Schnellboot umbaut und der Mannschaft den Glauben an neue Horizonte einimpft. An anderer Stelle sehen wir, wie so ein Umbau bei voller Fahrt gelingen kann. Emmanuel Macron hat aus den Trümmern der französischen Volksparteien eine kraftvolle politische Bewegung geschmiedet. VW-Chef Herbert Diess baut VW nach dem Abgasskandal rasant zu einem E-Mobilitätskonzern um. Die Grünen haben ihren jahrzehntelangen Richtungsstreit zwischen Fundis und Realos überwunden und folgen nun begeistert den Kommandos ihrer Strategin Annalena Baerbock (Co-Chef Robert Habeck darf die Früchte ernten).

Und dann ist da noch einer, der uns gezeigt hat, wie erfolgreiche Führung in Krisenzeiten funktioniert. Dabei war seine Aufgabe ungleich größer als jene deutscher Parteichefs: Nach Bushs Irakkrieg-Desaster und der Finanzkrise musste er das darniederliegende Amerika aufrichten, den Bürgern wieder Selbstvertrauen und eine Vision vermitteln. Barack Obama meisterte diese Aufgabe vorbildlich und orientierte sich dabei an fünf Führungsprinzipien:

Erstens: Gehe als Anführer persönlich ins Risiko, verstecke dich nicht hinter anderen, sondern übernimm selbst Verantwortung.

Zweitens: Wichtiger als das Ich ist immer das Wir. Indem du das Team, nicht dein eigenes Ego in den Vordergrund stellst, erlangst du Gefolgschaft. Das bedeutet auch: Die Sache ist immer wichtiger als die Person.

Drittens: Du musst selbst an das glauben, was du predigst, und entsprechend handeln. Nur dann bist du glaubwürdig.

Viertens: Kommunikation ist "King". Sei ständig im Gespräch mit Gefolgsleuten, aber auch mit Gegnern. Höre zu, statt ständig selbst zu predigen.

Fünftens: Begreife Siege nie als Endpunkte, sondern als Startpunkte für die Arbeit an neuen Erfolgen.

Man mag derlei Prinzipien als Kalendersprüche belächeln. Aber wer wirklich einmal versucht hat, danach zu handeln, merkt schnell, wie viel Kraft sie erfordern – und wie erfolgreich man damit sein kann. Erst recht in Zeiten des Umbruchs. Das ist in der Politik nicht anders als in der Wirtschaft oder der Medienbranche. Warum das Agieren der Grünen – das konsequente Eintreten für den Klimaschutz, der pflegliche Umgang miteinander, die umsichtige Kommunikation des Teams um Frau Baerbock und Herrn Habeck – erstaunlich gut zu diesen Prinzipien passen? Und was daraus für die Leute im Willy-Brandt-Haus und im Konrad-Adenauer-Haus folgt? Diese Schlussfolgerung überlasse ich heute mal Ihnen.


Der Heilige Georg, so will es die Legende, forderte einst einen furchterregenden, todbringenden Drachen heraus. Zu Pferde und mit einer Lanze bewaffnet bezwang er das Ungeheuer im Kampf. Jahrhunderte vergingen, doch eines Tages war es so weit: Jemand trat in Georgs Fußstapfen. Ein grollendes, tiefgrünes Monster war gekommen, und einer stellte sich dem Schrecken – ganz allein. Nur hatte der Held kein Pferd und auch keine Lanze, sondern nur eine Plastiktüte in jeder Hand. Zu Fuß lief er hin und her, versperrte dem gepanzerten Tod den Weg, kletterte ihm gar auf den Rücken, hielt die mächtige Maschine auf. Wir nennen diesen Mann, dessen wahren Namen wir nicht kennen, "Tank Man". Weißes Hemd, dunkle Hose, die Plastiktüten. Die Panzer, die die kommunistische Führung über Pekings leere Straßen rollen ließ, kamen nicht an ihm vorbei (hier sehen Sie die historische Szene).

In der vergangenen Nacht vor genau dreißig Jahren befahl die Kommunistische Partei Chinas ihren Soldaten, vorzurücken und zu schießen. In einem Gemetzel, wie es Peking in jüngerer Zeit nicht gesehen hat, eroberten die Truppen den Platz des Himmlischen Friedens zurück – aus der Hand unbewaffneter Studenten und Bürger. Bis zu eine Million Menschen hatten hier über Wochen für mehr Demokratie demonstriert. Die Welt war in Bewegung, überall. In der Sowjetunion brach Gorbatschow mit seinen Reformen alte Krusten auf, die DDR schlitterte ihrem Ende entgegen. Auch in China schien in diesen Tagen alles möglich zu sein. Welch ein Irrtum.

Das Massaker auf dem Tiananmen-Platz stellte im Reich der Mitte die Weichen, und das bis heute. Experimente mit Wirtschaftsreformen, weg vom allumfassenden staatlichen Diktat, hatten zugleich die Demokratiebewegung ins Rollen gebracht. Doch in der Nacht vor dreißig Jahren wurde die Verbindung von ökonomischem und politischem Wandel mit einem blutigen Schnitt zertrennt. Wirtschaftlich trat die KP die Flucht nach vorn an, Wohlstand und sozialer Aufstieg waren jedem erlaubt. So komplett war die Verwandlung, dass das einst muffige, stagnierende Riesenreich inzwischen kaum noch wiederzuerkennen ist. Politische Freiheiten jedoch darf niemand fordern – oder auch nur an die schlimmen Tage im Juni 1989 erinnern. Denn dem Drachen geht es sehr gut. Und die, die zu viel wollen, verschlingt er noch heute mit Haut und Haar. Plastiktüten inklusive.


WAS STEHT AN?

Überlebt die Groko den heutigen Dienstag? Den morgigen Mittwoch? Den Donnerstag, Freitag, die kommenden Wochen, Monate? Hört man sich in diesen Stunden im Berliner Politik- und Medienzirkus um, müsste man die Chancen auf 90:10 taxieren, dass Union und SPD spätestens im Herbst die Scheidungspapiere einreichen. Die Landtagswahlen in Ostdeutschland dürften das Waterloo der SPD werden, für die CDU auch, zumindest in Sachsen, wenn die AfD dort tatsächlich stärkste Kraft werden sollte. Dann braucht es die Evaluierung der großen Koalition gar nicht mehr, dann ist vermutlich sofort Schluss. So raunen sich Strippenzieher, Leitartikler und Hinterbänkler zu. Aber sie alle könnten die Rechnung ohne Deutschlands versierteste Machttaktikerin gemacht haben. Angela Merkel versteht es seit Jahren, selbst in stürmischsten Zeiten Kurs zu halten und über Wasser zu bleiben. Notfalls kommt sie den greinenden Genossen eben immer weiter entgegen, akzeptiert jede noch so absurde Forderung, spendiert noch ein paar Milliarden aus dem Steuersäckel, um noch die fünfundzwanzigste Sozialwohltat zu finanzieren. Wer das gekaufte Macht nennt, hat sicher nicht Unrecht. Wer es politische Raffinesse nennt aber auch nicht.


Und sonst? Im Sudan eskaliert der Machtkampf, Herr Trump trampelt durch die britische Monarchie, speist mit Prinz Charles und muss eine Standpauke von Londons Bürgermeister über sich ergehen lassen, in Berlin lädt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt zum Symposium "Künstliche Intelligenz – Made in Germany", und in Friedrichshafen am Bodensee öffnet die Drohnenausstellung "Game of Drones" ihre Pforten: Elf Künstler werfen ethische Fragen zum Einsatz von Kampfdrohnen auf, die als die wichtigste Kriegstechnologie seit Erfindung der Atombombe gelten. Stimmt, da gibt es sehr viele Fragen.

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WAS LESEN?

Wann genau begann der Umbruch in der deutschen Parteienlandschaft, wo wurzelte der Niedergang von SPD und Union, wo begann der Aufstieg der Grünen? Unser Kolumnist Gerhard Spörl erklärt, warum der 12. Mai 2011 ein historisches Datum für Deutschland war.

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Stimmen, die über den Tag hinausreichen, sind selten geworden in der FDP. Umso mehr lassen uns die Gedanken von Gerhart Baum aufhorchen. Der ehemalige Innenminister im Kabinett von Helmut Schmidt erklärt in einem Gastbeitrag auf "Spiegel Online", wo die strategischen Defizite der heutigen Liberalen liegen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Immer diese Rechthaberei in der Groko!

Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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