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SPD in der Krise: Führungslose Volksparteien


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Führungslose Volksparteien
Wer will noch mal, wer hat noch nicht?

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 03.06.2019Lesedauer: 5 Min.
Die SPD braucht eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Andrea Nahles: Im Gespräch sind Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und auch – wieder – Martin Schulz (v.l.n.r.).Vergrößern des Bildes
Die SPD braucht eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Andrea Nahles: Im Gespräch sind Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und auch – wieder – Martin Schulz (v.l.n.r.). (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)
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Nahles schmeißt hin und die SPD möchte raus aus der Koalition – was die CDU vermeiden will: noch. Nur die Grünen machen momentan vieles richtig. Der Rundblick über das Parteiensystem.

Es geht weiter, immer weiter. Die einen gehen, die anderen kommen. Die einen freuen sich, dass jemand gegangen ist, endlich. Die anderen freuen sich darauf, dass ein anderer übernimmt, weil dann vielleicht manches besser wird, oder nicht?

Andrea Nahles ist Vergangenheit. Annegret Kramp-Karrenbauer ist noch Gegenwart, aber auch in der CDU kreisen ein paar Geier, die nur darauf warten, dass sie noch so einen Fehler wie mit dem YouTuber Rezo macht, der eine Wirkung erzielte, die früher Professoren vorbehalten blieb, die dicke Bücher über Volksparteien geschrieben hatten.

Die Volksparteien sind seit 1998 tot. Damals erreichte die SPD 40,9 Prozent: unter Gerhard Schröder, an dem sich zuerst und zuletzt Andrea Nahles abarbeite – warum auch immer. Diese SPD gab sich jung, modern und dynamisch. So gewinnt man Wahlen in Deutschland. Daraus kann lernen, wer will.

Andrea Nahles steckte tief in der Vergangenheit. Mindestlohn. Grundrente. Weg mit Hartz IV. Annegret Kramp-Karrenbauer steckt tief in der CDU, versucht die einen mit den anderen zu versöhnen, die Rechten mit der Mitte und überhaupt jeden mit jedem und sich selbst mit der Kanzlerin, der sie nachfolgen will und am Ende nicht können wird. Oder vielleicht doch. Aber darauf kommt es eigentlich nicht an.

Wer im eigenen Saft schmort, hat Grund dazu. Draußen tobt das Leben, wild und unberechenbar. In den Großstädten steigen die Mieten und die Wut auf Investoren, die den Markt bestimmen. Das ist eine neue soziale Frage und wie es der Zufall will, regieren in München, Hamburg und Berlin sozialdemokratische Oberbürgermeister. Sie könnten sich austauschen und Ideen sammeln und daraus eine Politik machen, mit der sie den Wunsch der Menschen in den urbanen Agglomerationen nach bezahlbaren Wohnungen gerecht würden. Liegt nahe, oder? Sie müssten einfach nur wollen.

Die Sinnlücke nach 14 Jahren Merkel

Nach 14 Jahren Angela Merkel bildet sich Mehltau, so ist das nun mal. Da sie die öffentliche Darlegung ihrer Ziele scheute und scheut, tut sich eine Sinnlücke auf, genau wie damals am Ende der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt und Helmut Kohl. In dieser Sinnlücke machen sich die Jungen breit und gar nicht überraschenderweise ist es immer wieder die ökologische Frage, die sie mit brennender Sorge erfüllt, mit der sie die Regierungen vor sich hertreiben. Was damals das Waldsterben und die Kernkraft waren, das sind heute die erneuerbaren Energieformen und der Klimawandel. Was damals Josef "Jo" Leinen und Joschka Fischer waren, sind heute Greta Thunberg und Luise Neubauer. Und wie damals wächst der politische Anspruch mit der Zahl der Demonstranten und damit auch das Gewicht.


Damals entstanden die Grünen als wilder linker Haufen mit konservativen Einsprengseln. Heute sind die Grünen die Partei der Mitte, des Anstands, des ansehnlichen Personals. Annalena Baerbock und Robert Habeck reden darüber, worin gutes Regieren besteht und was getan werden muss. Sie kommen ohne Häme und ohne Freund-Feind-Denken aus, sie führen die Grünen in Eintracht. Das ist so erstaunlich wie richtig.

Auch der Marsch in die Mitte ist ein Marsch durch Institutionen. Die Geschichtsschreiber unseres Landes werden einmal als Zäsur die Wahl Winfried Kretschmanns zum Ministerpräsidenten am 12. Mai 2011 bezeichnen. Er ist der Patriarch, der den Grünen zeigte, wie es geht. Und nicht zufällig hat in Baden-Württemberg für die CDU wie die SPD der rasante Abstieg begonnen.

Nur noch eine Frage der Zeit, bis ein grüner Bundeskanzler den Amtseid ablegt

In Stuttgart sind die Grünen das Menetekel der geschrumpften Volksparteien. Solange sie keinen groben Fehler machen, so lange sie mit Pragmatismus einigermaßen überzeugend regieren, werden sie belohnt. Acht Jahre dauert die Umkehrung der Verhältnisse nun schon an. So weit kann ein Grüner mit Ernst, Beharrlichkeit und Überzeugungskraft kommen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ein grüner Bundeskanzler den Amtseid ablegt. Nach Lage der Dinge kann eine Partei, die über 30 Prozent kommt, die Wahl gewinnen und den Kanzler stellen. So viel kann die CDU vielleicht noch erreichen, aber auch den Grünen ist es zuzutrauen. Wer auch immer vorn liegen mag: Die Koalitionsbildung wird kein Vergnügen.

Auf der rechten Seite ist die AfD der dynamische Faktor. Momentan steht sie im Schlagschatten der Drama-Queens links von ihnen und dem Aufstieg der Grünen. Daran werden die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen einiges ändern. Ich bin gespannt, welche Konsequenzen Alexander Gauland aus den Veränderungen im Parteiensystem zieht. Erst abwarten oder aufs Mitregieren vorbereiten? Wie lange soll der Haufen gären?

SPD ist die nach innen gewendete Erregungs- und Empörungspartei

Die SPD ist nur noch groß im Abservieren ihrer Vorsitzenden. Sie ist die nach innen gewendete Erregungs- und Empörungspartei. Dank der Neigung, die falschen Leute aus den falschen Gründen zu wählen, hat derzeit so gut wie niemand in der Partei genügend Autorität, um die Führung zu beanspruchen. Eigentlich ist die SPD unregierbar.

Andrea Nahles geht. Wer kommt und was will er oder sie? Egal ob Stephan Weil oder Manuela Schwesig oder Malu Dreyer oder wer auch immer als neuer Sisyphos erkoren wird: Wenn er oder sie nicht einen Schuss Antikapitalismus mit Ökologie und den zeitgemäßen sozialen Fragen kombiniert, ist er oder sie spätestens in einem Jahr fällig. Die Verfallszeit im Vorsitz ist ein Jahr plus. Und die Gräber sind noch offen, wie man am destruktiven Wirken der gekränkten Seelen ablesen kann: bei Sigmar Gabriel und Martin Schulz. Peer Steinbrück, der dritte Verlierer im Bunde, macht Kabarett, eine hübsche Pointe.


Ich wüsste gerne, was die Kanzlerin von den Tast- und Suchbewegungen im deutschen Parteiensystem denkt. Sie steht neben der CDU, begibt sich auf Abschiedstour und stellt sich vermutlich darauf ein, nach den drei ostdeutschen Wahlen zu gehen. Spätestens dann bricht die Regierung auseinander, falls die SPD nicht schon früher einen Grund dafür findet, die Koalition aufzukündigen. Danach muss sich die CDU schnellstens überlegen, wer sie sein soll unter den Umständen der neuen Zeit. Das kann schnell gehen, schneller als bei der SPD, denn Umbrüche dauern bei ihrer Machtorientierung nicht besonders lange, wie man am Übergang zu Angela Merkel merken konnte.

Es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Wer kommt, sollte neue Ideen haben, sonst muss er bald wieder gehen.

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