Krise im Sudan Mehrere Dutzend Menschen bei Protesten erschossen
Nach dem Putsch im Sudan herrschte vorsichtiger Optimismus: Zwar war das Militär an der Macht, doch eine Einigung mit der Opposition schien in Aussicht. Die Gewalt vom Montag zerschmetterte diesen Optimismus.
Es ist passiert, was viele befürchtet hatten: Die Revolution im Sudan, die den Langzeitmachthaber Omar al-Baschir stürzte, ist in ein Blutbad verwandelt worden. am frühen Montagmorgen fielen im Zentrum Khartums Schüsse. Augenzeugen, Aktivisten und Ärzten zufolge rückten Sicherheitskräfte auf den Platz der wochenlangen Sitzblockade, die maßgeblich zum Sturz Al-Baschirs beigetragen hatte. Mit Tränengas und scharfer Munition zielten sie demnach auf Demonstranten.
Der Opposition und Ärzten zufolge starben mindestens 30 Menschen. Ein Gewerkschaftsbündnis nannte es ein "blutiges Massaker".
Der Wandel zu einer Demokratie im Sudan hat damit einen heftigen Rückschlag erlitten. Als der autoritäre Al-Baschir im April nach drei Jahrzehnten an der Macht vom Militär gestürzt wurde, war die Euphorie groß. Monatelange Massenproteste, geführt von Ärzten, Studenten und Professoren sowie einfachen Bürgern, waren dem Putsch vorausgegangen.
Zivile Übergangsregierung gefordert
Doch mit dem Militär an der Macht gaben sich die Demonstranten nicht zufrieden. Sie forderten eine überwiegend zivile Übergangsregierung – und protestierten weiter mit der Sitzblockade in Khartum.
Es schien zunächst zu funktionieren: Der militärische Übergangsrat verhandelte wochenlang mit der Opposition über eine Übergangsregierung. Sie einigten sich auf einige wichtige Punkte; ein Durchbruch schien in Sicht. Doch dann brachen die Verhandlungen zusammen. Streitpunkt: Wer letztendlich in der Übergangsregierung das Sagen haben sollte. Die Proteste in Khartum hielten weiter an, die Spannungen stiegen.
"Es war schrecklich"
Bis Montagfrüh. Sicherheitskräfte "umzingelten den Platz der Sitzblockade von allen Seiten, um Leute daran zu hindern, rein und raus zu gehen", berichtete der Demonstrant Ahmed Hamdan. Sie schossen demnach auf die Menschen und setzten Tränengas ein. "Es war schrecklich."
Etliche Videos von Aktivisten und Augenzeugen – die nicht unabhängig verifiziert werden konnten – wurden in den Sozialen Medien geteilt und zeichneten ein Bild des Grauens: Menschen liefen vor Schüssen davon, versteckten sich hinter Häusern und Autos, fielen verletzt zu Boden; einige wurden von Sicherheitskräften geschlagen, während sie bewusstlos auf der Straße lagen.
Verletzte können nicht abtransportiert werden
Die Szenen erinnern an die Tage vor dem Sturz Al-Baschirs. Mindestens 30 Menschen seien getötet worden, teilte ein Ärzteverband mit. Bei der Zahl der Todesopfer wird es aber wahrscheinlich nicht bleiben: Den Ärzten zufolge befanden sich noch etliche Verletzte in dem Protestlager, sie konnten aus Sicherheitsgründen zunächst nicht abtransportiert werden.
Ein Sprecher des militärischen Übergangsrats bestritt gegenüber dem Sender Sky News Arabia, dass man die Sitzblockade gewaltsam hätte auflösen wollen. Doch dem wurde wenig Glauben geschenkt. "Die Verantwortung fällt auf den militärischen Übergangsrat", twitterte etwa die US-Botschaft in Khartum. Die Gewalt müsse sofort aufhören, forderte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin. "Wir rufen die Verhandlungspartner dazu auf, Eskalationen zu vermeiden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren."
"Bis das Regime gestürzt ist"
Ist es dafür zu spät? Für etliche Sudanesen war der Montag die Stunde der Wahrheit, der das echte Gesicht der militärischen Übergangsrats offenbarte. Das Oppositionsbündnis Deklaration für Freiheit und Wandel verkündete die Einstellung der Verhandlungen mit dem Rat. Das Bündnis rief zu weiteren friedlichen Demonstrationen und zivilem Ungehorsam auf, "bis das Regime gestürzt ist".
Für die Gewalt vom Montag machen viele Mohammed Hamdan Daglu (genannt Hemeti) verantwortlich. Der Chef der verhassten paramilitärischen Schnellen Einsatztruppen (RSF) ist im militärischen Übergangsrat zweiter Mann. Die entscheidende Frage sei nun, wie der Übergangsrat reagieren werde, erklärt die Sudan-Expertin Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Steht er hinter dieser Repression? Oder kommt es innerhalb des Rats zu eine Auseinandersetzung – und einem Wechsel?
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Auch sei entscheidend, wie die internationale Gemeinschaft reagiert, erklärt Weber – vor allem die arabischen Golf-Staaten. Denn deren Unterstützung ist für den Rat ausschlaggebend. Der Aktivist Khalid Albaih warnte auf Twitter: Sollte die internationale Gemeinschaft nicht wirkungsvollere Maßnahmen ergreifen als bislang, "dann kann sich das Sudan-Szenario sehr schnell von einem Ägypten in ein Syrien verwandeln".
- Nachrichtenagentur dpa