Die wichtigsten Fragen zum Eklat am Reichstag Waren die Corona-Demos in Berlin nur der Anfang?
Auf diese Szenen blickt ganz Deutschland: Nach dem versuchten Sturm auf den Reichstag nimmt die Debatte um die Corona-Demonstrationen in Berlin kein Ende. Die wichtigsten Fragen.
Der versuchte Sturm auf den Reichstag sorgt weiter für Aufregung. Die Politik streitet über verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Die Opposition fordert Aufklärung, wie rund 400 Demonstranten unbehelligt bis auf die Stufen des Parlaments vordringen konnten. Und wie geht es nun mit den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen weiter? t-online.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Reichstags-Eklat.
Wer hat da eigentlich demonstriert?
Mehr als 38.000 Menschen gingen am Samstag in Berlin nach Angaben der Polizei auf die Straße. Rund 400 von ihnen versuchten am Abend, ins Reichstagsgebäude zu gelangen. Die eigentliche Demonstration wurde von der Organisation "Querdenken" initiiert. Michael Ballweg, Chef der Stuttgarter Initiative, distanzierte sich nach dem Reichstags-Eklat von den Randalierern: "Die haben mit unserer Bewegung nichts zu tun." Querdenken sei eine friedliche und demokratische Bewegung, Gewalt habe da keinen Platz.
Die Demonstranten kamen aus den unterschiedlichsten Milieus. Unter ihnen waren auch Neonazis, Impfgegner, Anhänger von Verschwörungstheorien und Reichsbürger, die die Bundesrepublik und das Grundgesetz nicht anerkennen. Die "Querdenken"-Bewegung suchte aktiv die Nähe zu diesen Gruppen. Mehr dazu lesen Sie hier. So durfte auch Impfgegner Robert F. Kennedy, der Neffe des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy, als Ehrengast auf der Bühne sprechen. Mehr dazu lesen Sie hier.
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Wer sind die drei Polizisten?
Als der wütende Mob begann, in Richtung des Reichstagsgebäudes zu stürmen, reagierten zunächst nur drei Polizisten geistesgegenwärtig. Sie rannten den Demonstranten hinterher, stellten sich vor die Eingangstüren und drängten die Menschen zurück. Die Namen der Polizisten sind zu deren Schutz nicht bekannt. Bei dem Polizisten ohne Helm handelt es sich um den Zugführer der 5. Alarmhundertschaft der Berliner Polizei.
Der 53-Jährige ist in den Berliner Hotspots Neukölln und Kreuzberg im Einsatz, hat Erfahrung mit Drogen-Kriminalität und Randale, wie "Bild" berichtet. Im Angesicht hunderter Menschen, die auf den Reichstag losstürmen, kommt er ohne Schlagstock und Pfefferspray aus.
"Ich möchte, dass du jetzt (von der Treppe) runtergehst", sagte er nur immer wieder bestimmt. Seine zwei Kollegen drängten dagegen die Demonstranten mit Schlagstöcken zurück, bis wenige Minuten später Verstärkung eintraf. Über sie ist wenig bekannt. Man weiß nur, dass es sich um einen Berliner Gruppenführer und um einen Beamten aus demselben Verband handelt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Polizisten ins Schloss Bellevue eingeladen.
Waren die Corona-Demos in Berlin nur der Anfang?
Friedlicher Protest gegen die Corona-Maßnahmen: Das war zumindest das nach außen kommunizierte Ziel der Demonstration. Auf den Straßen selbst sah das oft anders aus. Zahlreiche Plakate forderten die Absetzung Merkels und der Bundesregierung. Dazu gesellten sich Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und zahlreiche Reichsbürger. Das Element des Widerstands spiele daher eine zentrale Rolle, ist sich Dieter Rucht, Soziologe und Protestforscher aus Berlin, sicher.
Rucht vermutet, dass die Demo kein Einzelfall bleiben wird. "Das Selbstbewusstsein, zum Widerstand gegen 'die da oben' zu gehören, beschränkt sich nicht mehr nur auf Rechtsextreme", so Rucht. Die gesamte Bewegung sei größer geworden. "Sie wird vermutlich weiter wachsen, aber das ist pure Spekulation", sagt Rucht. Die Welle des Hasses gegen die Polizei habe ihn überrascht, so der Wissenschaftler, der selbst dort vor Ort war.
Insgesamt hielt der Protestforscher den Beamten trotz punktuellen Einsatzes von Gewalt zugute, sich ruhig und besonnen verhalten zu haben. Rucht merkte allerdings auch an: "Die Polizei war im Grunde nicht in der Lage, das Einhalten der Auflagen zu kontrollieren."
Wieso waren nur so wenig Polizeikräfte vor dem Reichstag?
Die Berliner Polizei war nach eigenen Angaben am Samstag vor dem Reichstagsgebäude grundsätzlich mit ausreichender Stärke aufgestellt. Man habe 250 Polizisten zum Schutz des Reichstags im Regierungsviertel gehabt, sagte der Polizei-Einsatzleiter an dem Tag, Stephan Katte, am Montag im Berliner Innenausschuss. Der Vorfall hätte so nicht passieren dürfen, betonte er. "Kräfte allerdings waren genug im Einsatz." Das habe sich auch dadurch gezeigt, dass innerhalb weniger Minuten Unterstützungseinheiten dort gewesen seien. "Es ist auch nicht so, dass nur oben die drei Kollegen standen, auch unten standen Kollegen, die aber schlichtweg überrannt wurden und beiseite geschoben wurden."
Nach Darstellung der Polizei hatte sich am Samstagabend allerdings ein großer Teil der Polizei seitlich zwischen Reichstag und Tiergarten verlagert, um den Zustrom von Demonstranten zu stoppen. Dadurch standen offenbar direkt vor dem Gebäude nicht mehr genug Polizisten hinter den Absperrgittern.
Wo war eigentlich Horst Seehofer?
Nach dem versuchten Sturm auf den Reichstag gaben zunächst viele in den sozialen Netzwerken Innenminister Horst Seehofer eine Mitschuld für die Eskalation, auf Twitter trendete der Hashtag "SeehoferRücktritt". Der Vorwurf: Er habe die Gefahr durch Rechtsextreme seit Jahren unterschätzt. Diese hätten die aktuellen Corona-Proteste nun für ihre Zwecke genutzt.
Seehofer war selbst nicht bei der Demonstration anwesend. Das wäre für den obersten Chef der deutschen Sicherheitsbehörden auch ein ungewöhnliches Vorgehen gewesen. Nach dem versuchten Sturm auf den Reichstag meldete sich der CSU-Politiker via "Bild am Sonntag" zu Wort: "Meinungsvielfalt ist ein Markenzeichen einer gesunden Gesellschaft. Die Versammlungsfreiheit hat aber dort ihre Grenzen, wo staatliche Regeln mit Füßen getreten werden."
Er sei bestürzt angesichts der Ereignisse. "Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie. Dass Chaoten und Extremisten es für ihre Zwecke missbrauchen, ist unerträglich. Ich danke der Polizei, dass sie uns heute schnell und konsequent davor bewahrt hat. Der Staat muss gegenüber solchen Leuten mit null Toleranz und konsequenter Härte durchgreifen."
Werden die Sicherheitsmaßnahmen vor dem Bundestag verschärft?
Eine Bannmeile um den Bundestag? Nach den Bildern von Samstagabend tobt im politischen Berlin eine Debatte, wie solche Szenen künftig verhindert werden können. Zwar betonte Berlins Innensenator Andreas Geisel im RBB-Inforadio, dass der Reichstag nicht unbeschützt gewesen war. Trotzdem seien für ein, zwei Minuten zu wenig Polizisten vor Ort gewesen. Aufgrund von weiteren Ausschreitungen nahe der russischen Botschaft unweit des Parlaments hätten Einsatzkräfte dort aushelfen müssen, so Geisel weiter.
Der CSU-Rechtspolitiker Volker Ullrich schlug vor, das faktische Demonstrationsverbot für den "befriedeten Bezirk" um den Bundestag nicht mehr nur auf die Sitzungstage des Parlaments zu beschränken.
"Wir müssen das Parlament als Verfassungsorgan und Symbol unserer Demokratie besser schützen", sagte Ulrich der "Welt". "Es wäre zu überlegen, ob der Geltung des befriedeten Bezirks 'Bannmeile' nicht auch generell auf sitzungsfreie Wochen erstreckt wird, mit der Möglichkeit Ausnahmen zuzulassen."
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Auch der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sieht Handlungsbedarf, ging aber nicht ganz so weit wie Ulrich: "Ich halte es für notwendig, vor dem Hintergrund der Ereignisse des Wochenendes, die Sicherheit des Gebäudes erneut zu diskutieren und zu verbessern. Der hohe Symbolcharakter des Reichstagsgebäudes muss bei den Regelungen zur Bannmeile zukünftig besser berücksichtigt werden", sagte er ohne genau zu sagen, welche Verbesserung er meint.
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) will dagegen an einem offenen Reichstag festhalten. "Wir sind kein Hochsicherheitstrakt", sagte sie am Montag im Deutschlandfunk. "Der Bundestag ist und bleibt ein offenes Haus, das Bürgerinnen und Bürger, das Gäste aus der ganzen Welt empfängt, einlädt, unsere Demokratie zu erleben." Um dennoch Situationen wie am Wochenende zu verhindern, brauche es ein Sicherheitskonzept. "Das wird sicher auf der Berliner Ebene zu diskutieren sein, das wird aber auch bei uns im Haus zu diskutieren sein", sagte Roth.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa, AFP
- Eigene Recherche