Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ukraine-Krieg Wer ist die Marionette, wer zieht die Fäden?

Wolodymyr Selenskyj ist es gelungen, Donald Trump zum Nachdenken über Russland zu bringen, was ja schon erstaunlich ist. Aber was folgt aus der Einsicht, dass ihm Putin auf der Nase herumtanzt?
Donald Trump und Wladimir Putin liefern sich ein Schattenspiel. Der amerikanische Präsident, ein Freund der Stärke, mutmaßt immer mal wieder, dass es dem russischen Präsidenten womöglich nicht ganz ernst ist mit Frieden und Waffenstillstand in der Ukraine. Dabei fällt sein Ton milde und fast nachsichtig aus – im Unterschied zu Erpressung und Bedrohung, die zu seinem normalen Umgangston gehören.
15 Minuten haben sich Trump und Wolodymyr Selenskyj im Vatikan gegenübergesessen und miteinander zivilisiert geredet, was ja schon einen Fortschritt bedeutet. Genügte es, dass Selenskyj zu diesem Ereignis angemessen gekleidet war? Wer von beiden hatte eigentlich die Idee für ein kleines Gespräch am Rande des großen Welttheaters, das die katholische Kirche für ihren heimgegangenen Papst entfaltete? Und was hat Selenskyj dem Mann auf dem Stuhl gegenüber erzählt?

Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Da der amerikanische Präsident ein 1:1-Mensch ist, der sogleich ausspricht, was gerade vor sich ging, hat ihn wohl Selenskyj mit drastischen Schilderungen über die dauernden Raketenangriffe auf zivile Ziele in der Ukraine und die vielen toten Kinder und Frauen beeindruckt.
Beeindruckt? War Trump neu, dass Russland verstärkt weiterhin Raketen und Drohnen über die Ukraine regnen lässt, obwohl ihm doch Trump das Land auf dem Präsentierteller anbietet? Obwohl die USA so schnell wie möglich den Krieg beenden will?
Beim Schattenspiel bewegen sich Figuren zwischen einer Lichtquelle und einem lichtdurchlässigen Schirm. Damit bekommen sie etwas Rätselhaftes. Entscheidend aber ist der Herr über diese Figuren, diese Puppen. Natürlich hält sich Donald Trump für den größten Puppenspieler aller Zeiten und den Mann in Moskau für seine Puppe. Und natürlich glaubt Wladimir Putin ganz fest, dass er keineswegs eine Marionette ist.
Zwei erhellende Erkenntnisse
Nach der kurzen Unterredung im Vatikan ließ sich der amerikanische Präsident so ein: "Es bringt mich zum Nachdenken: Vielleicht will er den Krieg gar nicht beenden, sondern führt mich an der Nase herum – und muss anders behandelt werden."
Gute Frage. Vielleicht sollte er als der Mann behandelt werden, der die Ukraine überfallen ließ, ihr das Recht auf Eigenständigkeit abspricht und dafür etliche Kriegsverbrechen verübt. Etwa so, wie sein Vorgänger, den er "Sleepy Joe" Biden nennt, den Krieg des Wladimir Putin bezeichnet hatte.
Der zweite erhellende Satz, den Donald Trump in diesen Tagen von sich gab, lautete so: Das ist nicht mein Krieg, das ist der Krieg von Joe Biden. Joe Biden aber ist dieser verhasste Gegner, der ihn im Jahr 2020 besiegte – der ihm die Wahl stahl, wie Trump wohl bis an sein Lebensende behaupten wird.
Alles andere wäre ein Wunder
Deshalb schaut er kalten Herzens auf das Schlachtfeld und kommt zu dem Ergebnis, zu dem selbstverständlich auch Emmanuel Macron und Keir Starmer kommen, die den US-Präsidenten bei Laune zu halten versuchen: Dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann, weil es ihr an Soldaten und Flugabwehr und an allem Kriegsmaterial fehlt, was sie in den Stand versetzen könnte, die Front zu halten und in die Gegenoffensive überzugehen, anstatt dass ihre Städte Drohnen und Raketen ausgeliefert wären.
Moralische Gründe, die zum Beispiel die Europäer dazu bewegen, nichts über den Kopf der Ukraine zu entscheiden, liegen dem Trump-Amerika so fern wie der Mond. Das Nachdenken über eine andere Behandlung, die er eventuell Putin angedeihen lassen sollte, dürfte deshalb nicht sonderlich weit führen. Alles andere wäre ein Wunder.
Putin wird reagieren müssen
Aber warum eigentlich nimmt Putin das Geschenk nicht umgehend an, das ihm Trump darbietet? Weil er sich selber nehmen will, was nach seiner Meinung ihm gehört. Und weil er sich nicht nachsagen lassen möchte, dass ihm ausgerechnet Amerika, die Speerspitze des dekadenten Westens, großzügig schenkte, was er sich drei Jahre lang nicht nehmen konnte. Deshalb setzt er den Krieg unbeirrt fort.
Reagieren musste Putin aber schon auf die leise Kritik aus Trumps Mund. Russlands erklärt sich nun bereit, direkt mit der Ukraine zu verhandeln. Ernsthaft? Auch verlangt Putin nicht mehr als Vorbedingung von Gesprächen, dass Selenskyj von der Bildfläche verschwindet. Ihm wird er nie verzeihen, dass sich der Clown in einen Kriegspräsidenten verwandelte. Im Nebel bleibt auch weiterhin, welche internationalen Truppen den Frieden sichern sollten.
Damit hätte Selenskyj viel gewonnen
Nach aller Erfahrung wäre ein Waffenstillstand, aus dem ein Friedensschluss hervorgehen könnte, für Putin nur eine Etappenlösung. Mit der Wiederaufnahme des ursprünglichen Kriegsziels, die Ukraine als Staat auszulöschen, bei passender Gelegenheit. Deshalb bleiben internationale Garantien für die Existenz des Landes unabdingbar.
Vielleicht konnte der ukrainische Präsident im Vatikan seinem Gegenüber diesen Gedanken nahebringen. Damit hätte er viel gewonnen für sein Land, sehr viel.