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Gefährder in Deutschland: Die BKA-Zahl sinkt – das sagt wenig aus


Zahl der Gefährder sinkt
Kein Grund zum Aufatmen


27.04.2025 - 19:20 UhrLesedauer: 4 Min.
Razzien gegen Islamisten - Blaue Moschee HamburgVergrößern des Bildes
Polizisten stehen vor der Imam Ali Moschee in Hamburg: Sie gilt als Zentrum radikaler Islamisten. (Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa/dpa-bilder)
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Es gibt weniger Gefährder in Deutschland. Das zeigen neue Zahlen des Bundeskriminalamts. Doch bedeutet das auch weniger Gefahr für die Menschen?

Zunächst erscheint es wie eine gute Nachricht: Es gibt weniger Gefährder in Deutschland. 575 waren es Anfang April in Deutschland, vor zwei Jahren waren es noch 613. Das geht aus Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor. Dabei sank auch die Zahl der Gefährder in den Bereichen "religiöse Ideologie" und "Rechtsextremismus".

Doch was wie eine positive Entwicklung wirkt, zeigt nur einen Teil der Wahrheit. Denn über die Gefahrenlage in Deutschland sagt diese Statistik nur bedingt etwas aus. Zudem gibt es Kritik an der Methodik des BKA.

Kritik an der Gefährdereinteilung

So kritisiert der Strafrechtler Tobias Singelnstein von der Goethe-Universität Frankfurt: "Das Konstrukt Gefährder ist umstritten, weil man Personen aufgrund bestimmter abstrakter Kriterien zuschreibt, dass sie in Zukunft gefährlich werden könnten." Es sei eine Risikoprognose, von der nicht geklärt ist, ob sie sich in Zukunft realisieren wird, sagt er im Gespräch mit t-online.

Zudem ist nicht eindeutig, wie das BKA letztlich zu der Einschätzung der einzelnen Personen als Gefährder kommt. Offiziell versteht das BKA als Gefährder eine Person, "zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung (...) begehen wird", wie es auf seiner Webseite schreibt. Dabei muss die Person eine bestimmte Anzahl an Kriterien erfüllen, die öffentlich nicht bekannt sind.

Die finale Einschätzung "erfolge grundsätzlich durch die jeweils zuständigen Bundesländer", erklärt ein BKA-Sprecher auf t-online-Anfrage. So bestimmen auch die örtlichen Polizeibehörden, "ob und in welchem Umfang entsprechende Maßnahmen veranlasst werden". Allerdings ist die Bezeichnung "Gefährder" gesetzlich nicht definiert.

Tobias Singelnstein ist Professor für Kriminologie an der Ruhr Universität Bochum: Zusammen mit seinem Team will er das Anzeigeverhalten bei rechtswidriger Polizeigewalt erforschen.
(Quelle: Marquard/RUB)

Zur Person

Prof. Dr. Tobias Singelnstein hat die Professur für Kriminologie und Strafrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne. Dabei hat er sich in der Vergangenheit intensiv mit der Polizei und dem Gefährderbegriff auseinandergesetzt.

In der Regel gibt es dabei keine konkreten Hinweise auf eine bevorstehende Straftat. Das ist für Singelnstein ein großes Problem. Gefährder seien lediglich Personen mit Merkmalen, die bei anderen Personen dazu geführt haben, dass sie eine politische Straftat verübt haben. Aber man könne nicht sagen, ob sich diese Merkmale bei dieser Person in der gleichen Art und Weise auswirken. Die Aussagekraft sei "sehr begrenzt".

Ob die als Gefährder eingestuften Personen später tatsächlich zu Straftätern werden, erfasst das BKA nach eigenen Angaben nicht.

Veröffentlichung als Nachteil für die Polizei

Zudem sei das Vorgehen "auch rechtlich problematisch", wenn erheblich in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen wird, obwohl weder Gefahr noch Tatverdacht gegeben sind, so der Experte.

Das habe auch Nachteile für die Polizei. Denn es entstehe der Eindruck, die Polizei könne zukünftige Attentäter identifizieren und Anschläge verhindern. Geschieht doch ein Attentat, "wird dies schnell als Versagen der Polizei interpretiert und gefragt: Wieso hattet ihr den nicht auf dem Schirm?" Es seien lediglich abstrakte Wahrscheinlichkeiten. "Es ist höchst unklar, ob die sich realisieren."

Generell sei die Gefährdereinordnung nur eine Prognose. Und das könne falsche Erwartungen wecken. "Es ist nicht möglich, präzise vorherzusagen, wer welche Straftaten begehen wird. Das ist eine Wunschvorstellung, von der man sich verabschieden muss." Intern könne eine solche Kategorisierung für die Polizei zwar sehr sinnvoll sein, allerdings bringe die öffentliche Darstellung auch Probleme mit sich – auch weil sie von der Politik genutzt wird, um auf Erfolge zu verweisen. "So entsteht der Eindruck, dass es ein tragfähiges Konzept wäre, das in der Lage ist, Anschläge zu verhindern."

Für Singelnstein ist zudem die Veränderung bei den Zahlen zu klein, um tatsächliche Erkenntnisse zu gewinnen: "Wenn sich die Zahlen halbieren oder verdreifachen, kann man da vielleicht vorsichtige Schlussfolgerung draus ziehen, aber auf diesem Niveau hat die Entwicklung praktisch keine Aussagekraft." So könne der geringe Rückgang möglicherweise auch auf weniger Personal bei der Auswertung der Daten zurückzuführen sein. Die Sicherheitslage im Land lasse sich so nicht beurteilen.

Islamismus als größte Gefahr?

Unabhängig von der Aussagekraft der Angaben zeigen die Zahlen des BKA ein klares Bild bei der Verteilung. 458 Personen der insgesamt 575 Gefährder sind aufgrund "religiöser Ideologie" eine Bedrohung – meist fallen darunter Islamisten. 74 Gefährder kommen dagegen aus dem rechtsextremen Spektrum, zehn aus dem linksextremen. 13 Personen ordnet das BKA der Kategorie "ausländische Ideologie" zu, also aus dem Ausland stammende separatistische, rechte und linke Ideologien. 20 Gefährder fallen unter "sonstige Zuordnung".

Doch wie kommt es, dass so viel mehr Islamisten auftauchen als anderen Extremisten? Auch hier sieht Singelnstein keine Abbildung der Realität. "Wie die Zahlen konkret aussehen und sich entwickeln, hängt auch von der polizeilichen Schwerpunktsetzung ab." So habe es bei der Gefährdererfassung früh einen Schwerpunkt im islamischen Terrorismus gesetzt. Das würde nun offenbar fortgeführt. Dementsprechend sei es wahrscheinlich, dass auf diesen Bereich mehr Ressourcen verwendet werden.

Das zeigt sich teilweise auch in der öffentlichen Kommunikation der Behörden. So warnte das Bundesamt für Verfassungsschutz im jüngsten Jahresbericht: "Islamistische Propaganda fördert nicht nur antisemitisches Gedankengut, sie fordert auch oftmals direkt dazu auf, diesen Gedanken konkrete Taten folgen zu lassen." Trotz der sinkenden Zahlen ist die Gefahr also weiterhin hoch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Tobias Singelnstein
  • Anfrage an das BKA

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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