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Corona-Demo in Berlin: Versuchter Sturm auf den Reichstag hat ein Nachspiel


Eklat wird aufgearbeitet
Versuchter Sturm auf den Reichstag hat ein Nachspiel

Von dpa, ds

31.08.2020Lesedauer: 4 Min.
Demonstranten vor dem Reichstag in Berlin: Bundespräsident Steinmeier und Politiker aller Parteien, auch der AfD, hatten das Vorgehen der Demonstranten verurteilt.Vergrößern des Bildes
Demonstranten vor dem Reichstag in Berlin: Bundespräsident Steinmeier und Politiker aller Parteien, auch der AfD, hatten das Vorgehen der Demonstranten verurteilt. (Quelle: Christian Mang/reuters)

Triumphierende Demonstranten mit Reichsflaggen auf der Treppe des Parlaments: Die Vorfälle während der Corona-Proteste sorgen für einen Aufschrei der Empörung. Die Politik fordert Aufklärung.

Nach dem Vordringen von Demonstranten auf die Treppe des Reichstagsgebäudes stellt sich die Frage nach der Polizeitaktik und nach Konsequenzen für das Sicherheitskonzept. Wie konnte es passieren, dass am Samstag am Rande der Demonstrationen gegen die Corona-Politik in Berlin 300 bis 400 Regierungskritiker, "Reichsbürger" und Rechtsextremisten Absperrungen vor dem Sitz des Bundestags überwinden und die Freitreppe besetzen konnten? Müssen die Sicherheitsmaßnahmen nun verschärft werden?

Geisel: Polizisten mussten an Botschaft aushelfen

Berlins Innensenator Andreas Geisel und die Polizeiführung müssen am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses zu dem Einsatz bei den Demonstrationen Rede und Antwort stehen. Im RBB-Inforadio sagte er SPD-Politiker bereits, dass der Reichstag trotz kurzzeitig wenigen Polizisten vor Ort nicht ungeschützt gewesen war. "Das war ein Moment von ein, zwei Minuten und das ist auszuwerten", so Geisel. "Aber es war nicht so, dass der Deutsche Bundestag nicht geschützt gewesen sei." Aufgrund von weiteren Ausschreitungen nahe der russischen Botschaft unweit des Parlaments hätten Einsatzkräfte dort aushelfen müssen.

Im Bundestag wollen SPD- und Unionsfraktion eine Sondersitzung des Ältestenrats beantragen, um Pläne zur Errichtung einer Sicherheitszone am Parlament zu überprüfen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will zudem Polizisten in seinen Amtssitz Schloss Bellevue zum Gespräch empfangen, die am Parlamentsgebäude eingesetzt waren. Dort hatten zunächst nur drei Beamte mit Mühe die andrängende Menge vom Eingang ins Plenargebäude ferngehalten.


Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) nannte es in den ARD-"Tagesthemen" "verabscheuungswürdig, was da geschehen ist". Insgesamt sei die Berliner Polizei aber mit der Sache "gut fertig geworden". Er stellte infrage, dass sie besser darauf hätte vorbereitet sein müssen: "Wie wollen sie darauf vorbereitet sein?", fragte er rhetorisch. Der Deutschen Presse-Agentur hatte Schäuble zuvor gesagt, dass es überhaupt zu dem Angriff habe kommen können, müsse "schnell und umfassend aufgearbeitet werden".

Steinmeier und Politiker aller Parteien, auch der AfD, hatten das Vorgehen der Demonstranten verurteilt. "Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Das werden wir niemals hinnehmen", sagte Steinmeier.

Er hatte bereits am Sonntag den Polizisten gedankt, "die in schwieriger Lage äußerst besonnen gehandelt haben". Ähnlich äußerten sich auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Innensenator Geisel. "Ich danke der Polizei, dass sie diesen Spuk schnell beendet hat", sagte Geisel.

Keine Demos mehr vor dem Reichstag?

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch schlug vor, die Polizisten zu ehren, die zunächst allein den Parlamentseingang geschützt hatten. Mit Bezug auf einen der drei, der sich der Menge ohne Helm entgegengestellt hatte, sagte er im ZDF: "Das ist eigentlich jemand, der ein Bundesverdienstkreuz verdient hat."


Müller will nun "auswerten, wie das Einsatzkonzept der Polizei verbessert werden kann". Auf Twitter schrieb er aber auch: "Mit Besonnenheit und einem klare Grenzen setzendem Konzept konnte die Polizei an vielen Stellen in der Stadt Schlimmeres verhindern."

Bundespolitiker von CSU und Grünen regten an, die Beschränkungen für Demonstrationen in unmittelbarer Nähe des Bundestags zu erweitern. Der CSU-Rechtspolitiker Volker Ullrich schlug vor, das faktische Demonstrationsverbot nicht mehr nur auf die Sitzungstage des Parlaments zu beschränken – "mit der Möglichkeit Ausnahmen zuzulassen", wie er der "Welt" sagte. Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sieht Handlungsbedarf. Innen-Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) hingegen sagte: "Ich sehe keine unmittelbare Notwendigkeit, aufgrund dieses einen zugegebenermaßen unerträglichen und beschämenden Vorfalls, die Bannmeile um den Reichstag zu erweitern oder die Regelungen zu verschärfen."

Nach Polizeiangaben hatten am Samstagabend etwa 300 bis 400 Demonstranten Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich triumphierend und lautstark vor dem verglasten Besuchereingang aufgebaut. Dabei wurden vor dem Herzstück der Demokratie auch schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt. Nach einer Weile bekamen die drei ersten Polizisten Verstärkung, und die Beamten drängten die Menschen auch mit Pfefferspray zurück.

Zuvor hatten nach Schätzungen der Polizei knapp 40.000 Menschen aus ganz Deutschland weitgehend friedlich auf der Straße des 17. Juni gegen die Corona-Politik demonstriert. Insgesamt waren laut Polizei noch deutlich mehr Demonstranten bei weiteren Veranstaltungen in der Innenstadt unterwegs. Am Rande kam es zu Stein- und Flaschenwürfen von "Reichsbürgern" und Rechtsextremisten auf Polizisten.

Corona-Camp wird aufgelöst

Bei den Demonstrationen wurden laut Polizei am Samstag 33 Polizisten verletzt. 316 Menschen wurden festgenommen, 131 angezeigt. Insgesamt waren 3.000 Polizisten eingesetzt.

Corona-Gegner scheiterten am späten Sonntagabend mit dem Versuch, beim Bundesverfassungsgericht ein Protestcamp auf der Straße des 17. Juni durchzusetzen. Zuvor hatte bereits das Oberverwaltungsgericht Berlin ein Verbot der Versammlungsbehörde bestätigt. Die Karlsruher Richter sahen den Infektionsschutz nicht gewährleistet.

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann riet davon ab, die vielfach gezeigten Reichsflaggen zu verbieten. Die mit Hakenkreuz seien verboten, sagte er der "Rheinischen Post". "Alle Varianten und Spielarten dieser Flagge strafbewehrt zu verbieten wäre unverhältnismäßig und kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung rechten Gedankengutes."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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