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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbocks letzte Dienstreise Es ist zum Verzweifeln

Ihre wahrscheinlich letzte Reise als Außenministerin führt Annalena Baerbock auf die dänische Insel Bornholm. Bei dem internationalen Treffen steht Russlands Aggression gegen Europa und der Umgang mit US-Präsident Trump im Mittelpunkt.
Aus Sandvig auf der Insel Bornholm berichtet Patrick Diekmann.
Alles hat einmal ein Ende, und manchmal kommt es früher als gedacht. Für Annalena Baerbock startet am Montagabend ihre wahrscheinlich letzte Reise als geschäftsführende Außenministerin. Die Grünen-Politikerin kommt mit einem Lächeln im Gesicht zum Flugzeug in Berlin-Schönefeld, begrüßt die einsteigenden Journalistinnen und Journalisten mit Handschlag. "Dann kann ich Sie ja mal an Bord begrüßen", scherzt sie.
Ihr Ziel ist die dänische Insel Bornholm, wo sich die Staaten der "Nordic Baltic Eight" und die des Weimarer Dreiecks treffen: Die skandinavischen und baltischen Länder sowie Deutschland, Frankreich und Polen wollen sich Montag und Dienstag über aktuelle politische Fragen abstimmen.
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Ein Abschied unter Freundinnen und Freunden für die scheidende Ministerin.
Doch die weltpolitische Lage lässt keine Zeit zum Feiern, keine Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen und die vergangenen Jahre zu reflektieren. Im Gegenteil: Der Krisensturm hält an. Russlands Präsident Wladimir Putin bedroht die europäischen Nato-Partner und sein US-amerikanischer Amtskollege Donald Trump sorgt auf der anderen Seite vom Atlantik fast wöchentlich für einen neuen politischen Eklat, der die europäischen Staaten verunsichert. Die Sorgen in Europa sind groß, und sie werden nicht weniger.
Die Welt wartet nicht auf Deutschland
Für Baerbock ist es ein politischer Spagat. Einerseits führt sie die Amtsgeschäfte weiter, bis ihr Nachfolger vereidigt wurde. Andererseits soll sie im Sommer ihren neuen Job als Präsidentin der UN-Generalversammlung in New York antreten. Ihre Wahl in das Amt gilt als Formsache. Sie muss eine Wohnung suchen, traf nach Ostern in der US-Metropole schon UN-Generalsekretär António Guterres, alle UN-Botschafter und den noch amtierenden Chef der Generalversammlung, Philémon Yang.
Auch ihr nächster Job wird nicht einfach werden. Denn die USA unter Trump drohen damit, sich aus den Vereinten Nationen zurückzuziehen. Die Zukunft der Institution ist ungewiss, schließlich sind die US-Amerikaner die mit Abstand größten Geldgeber der UN.
Vielleicht scheint Baerbock auch deshalb in Gedanken schon in den USA zu sein. Sie spricht auf Bornholm oft über ihre wahrscheinlich künftige Arbeit in New York, über die große Bedeutung der UN-Charta für die internationalen Beziehungen. Doch nun geht es in Dänemark auch noch einmal zwei Tage um Krisendiplomatie als deutsche Regierungsvertreterin.
Nicht einmal eine Stunde dauert der Flug von Berlin auf die Insel Bornholm. Doch am Montag bleibt die Regierungsmaschine wegen des starken Rückenwinds ein paar Minuten länger in der Luft. Der Flugkapitän erklärt, dass das Flugzeug eine Extrarunde über die Insel drehen muss.

DIe Teilnehmer des Treffens auf Bornholm
Zu den Nordic Baltic Eight zählen Dänemark, Island, Schweden, Norwegen, Finnland, Litauen, Lettland und Estland. Das Weimarer Dreieck besteht aus Deutschland, Frankreich und Polen. Zum Treffen in Dänemark kommen zehn Außenminister und aus Frankreich ein beigeordneter Europaminister.
Auch Baerbock dreht aktuell eine politische Extrarunde. Mit dem CDU-Politiker Johann Wadephul steht ihr Nachfolger bereits fest, sollte Friedrich Merz am 6. Mai die Kanzlerwahl im Bundestag gewinnen. Tiefgreifende Entscheidungen darf die geschäftsführende Bundesregierung nicht treffen, aber die Welt wartet nicht auf Deutschland und eine künftige Regierung in Berlin.
So starteten Frankreich und Großbritannien eine Initiative, die den Ukraine-Krieg beenden und die mithilfe einer "Koalition der Willigen" einen Frieden in dem von Russland angegriffenen Land absichern soll. Sicherheitsexperten sind sich einig: Europa brauchte schnell einen eigenen Vorschlag zur Beendigung des Krieges. Auch um Trump etwas entgegenzusetzen, der einen Plan vorlegte, der vor allem russische Interessen berücksichtigt.
Deutschland steht in der Frage derzeit nur an der Seitenlinie, das ist die Natur des demokratischen Machtwechsels. Doch Baerbock war Mitte April in London, und auch Wadephul führte bereits Gespräche mit seinen wahrscheinlich künftigen Kollegen aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Polen. Die Staffelstabübergabe im Auswärtigen ist schon relativ gut vorbereitet – so scheint es zumindest.
Lob aus der CDU
Baerbock und ihr wahrscheinlicher Nachfolger sollen sich menschlich gut verstehen, heißt es im politischen Berlin. Während die Grünen-Politikerin nach Dänemark reist, lobt Wadephul sie beim Fernsehsender Phoenix: "Sie hat erstaunlicherweise die Ukraine-Politik in sehr klarer und harter Position vertreten. Für eine grüne Politikerin hätte man das vor einigen Jahren so nicht erwartet." Auch mit der Verankerung der Klimapolitik habe Baerbock einen großen neuen Punkt ins Auswärtige Amt gebracht, der bleiben sollte. "Wir werden es natürlich definitiv nicht zulassen [...], dass der Ukraine ein Friedensschluss oder die Bedingungen der Beendigung von Kampfhandlungen diktiert werden."
Das sind alles Punkte, die Baerbock mit Blick auf ihren wahrscheinlichen Nachfolger freuen dürften. Im Februar ging Wadephul mit der Außenpolitik der Ampel noch härter ins Gericht. "Außenministerin Baerbock hat deutsche Interessen vernachlässigt, denn wir müssen darauf achten, kooperationsfähig zu bleiben", sagte der damalige Unionsfraktionsvize im Interview mit t-online. "Sie setzte die falschen Schwerpunkte, auch auf ihren Reisen. Als Außenministerin muss man nicht Showeinlagen geben und sein Gesellschaftsbild überall vor sich hertragen." Aber das war im Wahlkampf, nun klingt er versöhnlicher.
Baerbock scheint ihm diese Aussagen nicht zu verübeln, möchte Wadephul das Amt möglichst gut übergeben. Das ist wenig überraschend, denn beide werden künftig auch zusammenarbeiten müssen, wenn auch in unterschiedlichen Rollen. "Jetzt ist bekannt, wer der Nachfolger im Auswärtigen Amt wird. Ich gratuliere Johann Wadephul von Herzen für diese wunderbare, wenngleich nicht einfache Aufgabe in Krisenzeiten", sagt Baerbock bei einer Pressebegegnung am Dienstagmorgen auf Bornholm. "Dafür wünsche ich einem Norddeutschen für all die stürmischen Zeiten immer genug Rückenwind und vor allem genug Wasser unter dem Kiel."
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Was die Grünen-Politikerin damit genau meint, bleibt unklar. Sie hat vor allem einen Tipp für ihren Nachfolger, den sie nur indirekt äußert: Deutschland solle weiterhin eine aktive Außenpolitik betreiben und zur internationalen regelbasierten Ordnung stehen.
Einfach wird die Aufgabe für ihren Nachfolger in der Tat nicht. Wadephul wird sich keine lange Eingewöhnungszeit nehmen können, für ihn geht es kopfüber in den Krisenmodus. Von einer sorgfältigen und vertrauensvollen Amtsübergabe profitiert am Ende nicht nur die künftige Bundesregierung, sondern auch das ganze Land.
Geschlossen gegen Putin
Denn die geopolitische Lage ist dramatisch, das zeigt auch das Treffen der elf Nato-Staaten in Dänemark. Bornholm ist strategisch wichtig, der Ostseeraum wird von Russlands hybridem Krieg gegen die europäischen Staaten bedroht. "Wir werden hier auf Bornholm beraten, wie wir die Sicherheit auf dem Wasser weiter erhöhen können", meint Baerbock in ihrem Pressestatement. Dabei geht es einerseits um den Schutz kritischer Infrastruktur, am Meeresgrund und über der Wasseroberfläche. Bereits vor dem Treffen hatte die Grünen-Politikerin erklärt, dass sich die hybride Bedrohungslage extrem verschärft habe. So würden Unterseekabel durchtrennt, Datenleitungen unterbrochen oder Stromkabel beschädigt.
Andererseits möchte man entschlossener gegen Putins Schattenflotte vorgehen, denn Russland umgeht mit seinen maroden Schiffen, die etwa Rohstoffe transportieren, westliche Sanktionen. Aufgrund dieser Bedrohungslage wirbt die Grünen-Politikerin in Dänemark für eine engere Zusammenarbeit und eine aktivere Politik im Ostseeraum mit mehr Patrouillen. Es könnte ihr letzter Schlag gegen Putin im Amt sein.
Mehr Zusammenarbeit ist allerdings auch mit Blick auf Trump wichtig. Einen Diktatfrieden lehnt Baerbock genauso wie die meisten anderen EU-Staaten und die Ukraine selbst ab. "Es kann auch nicht im Interesse der USA sein, dass ein Deal geschlossen wird, der noch zu weiterer Aggression führt. Sondern wir brauchen einen verlässlichen und dauerhaften Frieden und dafür stehen wir Europäer", sagt sie am Dienstag. Es soll nicht nur um eine stärkere Unterstützung der Ukraine geben, sondern auch weitere Sanktionen gegen Russland. Die Botschaft dahinter scheint klar: Trump reagiert nur auf Stärke und die EU und die europäischen Nato-Staaten müssen geschlossen eigene politische Vorschläge präsentieren, um in Washington Gehör zu finden.
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Das ist allerdings nicht nur mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Zukunft der Vereinten Nationen wichtig. Im Nahen Osten eskaliert erneut der Krieg zwischen Israel, der Terrororganisation Hamas und der libanesischen Hisbollah. Die israelische Armee blockiert humanitäre Hilfe für Menschen im Gazastreifen und bombardiert Vororte von Beirut. Baerbock hatte sich intensiv für einen Frieden in der Region und für eine Freilassung der von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln eingesetzt, zusammen mit dem damaligen US-Außenminister Antony Blinken. Doch nun ist Blinken nicht mehr im Amt, auch Baerbock scheidet aus.
Abschiedsgeschenk für Baerbock
Die Trump-Administration wirkt nicht auf Israel ein und droht damit, auch ihr Engagement im Ukraine-Krieg zurückzufahren. Das alles zeigt vor allem eines: Europa wird dazu gedrängt, eigene Antworten auf diese Krisen zu finden, wenn es geopolitisch Einfluss nehmen will. Eben diese gemeinsamen Antworten sind schwierig, aber nicht unmöglich zu finden.
Diesen Druck verspüren die meisten europäischen Nato-Mitglieder – und präsentieren sich dabei weitestgehend geschlossen. Auch das zeigt das Treffen der Außenministerinnen und Außenminister auf Bornholm. Viele europäische Staaten sind im Angesicht des Sturms der vergangenen drei Jahre zusammengerückt. Zwar fehlt es Europa noch immer an Geschwindigkeit, um politische Einigkeit und gemeinsames Handeln umzusetzen. Doch die kleineren Streitereien der Vergangenheit zählen aufgrund der Unsicherheiten, die Putin und Trump auslösen, nur am Rande. Auf der dänischen Urlaubsinsel herrscht demnach kein zähes Ringen um einen gemeinsamen Kurs, sondern die elf Teilnehmerstaaten transportieren ein Bild der Geschlossenheit in die Öffentlichkeit.
Dazu erklärt die geschäftsführende Außenministerin auf Bornholm: "Unser Zusammenhalt ist unsere Lebensversicherung. [...] Deswegen ist es gerade wichtig, diesen Zusammenhalt weiter zu stärken."
Auch Baerbocks Abschied steht an diesen zwei Tagen ganz in diesem Zeichen, er ist ausgesprochen herzlich. Sie bekommt am späten Montagabend von ihren Kolleginnen und Kollegen noch ein Geschenk überreicht. Ein Lego-Modell, die New Yorker Skyline zum Nachbauen – ein Geschenk, passend zum Gastgeber Dänemark und zum wohl künftigen Arbeitsort der Grünen-Politikerin. Das Modell beinhaltet unter anderem die Freiheitsstatue, das Empire State Building und das One World Trade Center. Der "Trump Tower" ist nicht zu sehen.
- Begleitung von Außenministerin Baerbock nach Dänemark