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Hybride Kriegsführung: Wie Russland Deutschland ins Visier nimmt


Hybride Kriegsführung
Putins Schattenarmee greift an

Von t-online, jhn

23.04.2025 - 20:53 UhrLesedauer: 5 Min.
Wladimir Putin: Russland bedroht Deutschland und Europa.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Russland bedroht Deutschland und Europa. (Quelle: Kristina Kormilitsyna/reuters)
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Immer wieder wird Deutschland Opfer von russischen Desinformationskampagnen, Cyberattacken und Sabotageakten. Experten sprechen von hybrider Kriegsführung. Wie geht Russland dabei vor?

Die Grenze zwischen Krieg und Frieden wirkt schwammig. Zwar befinden sich Deutschland und Russland nicht im Krieg, doch kommt es hierzulande immer wieder zu Bränden, Angriffen auf die Infrastruktur und politischer Einflussnahme – und immer öfter soll Russland dahinterstecken.

In Deutschland wächst die Sorge vor russischer Sabotage durch sogenannte "Wegwerf-Agenten", also länderübergreifend operierende, schwer identifizierbare Täter, die vom russischen Militärgeheimdienst GRU für gezielte Anschläge eingesetzt werden sollen.

Der Kreml attackiert dabei nicht nur die deutsche Wirtschaft und Infrastruktur, sondern nimmt auch Gesellschaft, Bildungsstätten und Politik ins Visier.

Mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde Deutschland zu einem der wichtigsten Unterstützer des von Kremlchef Wladimir Putin attackierten Landes. Diese politische und militärische Solidarität bleibt nicht folgenlos: Russland betrachtet die Bundesrepublik zunehmend als Feind und intensiviert seine hybride Kriegsführung gegen viele Unterstützer der Ukraine. Welche Folgen hat das für die innere Sicherheit in Deutschland? Und welche Ziele verfolgt Putin? t-online gibt einen Überblick:

Wie nimmt Russland Deutschland ins Visier?

Die Gefahrenlage ist ernst. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt: "Deutschland steht mit seiner Rolle in EU, Nato und anderen internationalen Organisationen seit Jahren im Fokus russischer Nachrichtendienste." Laut einem Bericht der Behörde sind Spionage, Cyberangriffe, Sabotage, politische Einflussnahme und Sanktionsumgehung die wichtigsten Aspekte der hybriden Kriegsführung. Immer mit dem Ziel, sogenannte Schutzziele anzugreifen.

Ein zentrales Ziel Russlands besteht darin, Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen. Immer wieder kam es dabei zu Angriffen in Form gezielter Desinformation. So berichteten Medien während des Wahlkampfes über Sabotageakte: In mehreren Fällen waren Auspuffrohre von Autos mit Bauschaum verklebt worden – versehen mit Aufklebern, die Wirtschaftsminister Robert Habeck zeigten und den Slogan "Sei Grüner!" trugen. Ziel dieser Aktion war es offenbar, Stimmung gegen die Grünen und ihren Kanzlerkandidaten zu machen. Die Spuren der Sabotageserie führen nach Recherchen des "Spiegel" zu russischen Auftraggebern.

Auch im Zusammenhang mit den Anschlägen von Menschen mit Migrationshintergrund kurz vor der Bundestagswahl wird Hinweisen nachgegangen, ob diese gezielt von Russland angeworben wurden. Laut dem Internet-Profiler Steven Boschart gab es bereits vor der Tat Suchanfragen mit dem genauen Namen und Standort des Attentats in Mannheim, wie das ZDF berichtete. Die Behörden gehen davon aus, dass das Ziel darin bestand, die in Teilen als rechtsextremistisch eingestufte AfD zu stärken. Die Unterstützung russlandfreundlicher Parteien lässt sich in vielen europäischen Ländern beobachten.

Die "Kritis"

Ein weiterer Aspekt sind russische Angriffe auf kritische Infrastruktur in Deutschland (Kritis). Damit sind Anlagen, Einrichtungen und Organisationen gemeint, die für das Gemeinwesen der Gesellschaft unverzichtbar sind. Experten warnen vor einer Zunahme solcher Attacken, der Bevölkerungsschutz bereitet sich entsprechend vor und stockt die Notfallausrüstung auf. So soll Russland in der Ostsee verlegte Unterseekabel mithilfe der sogenannten Schattenflotten sabotiert haben.

Putins hybride Kriegsführung konzentriert sich aber nicht nur auf Politik und Infrastruktur, zunehmend ist auch die Wirtschaft betroffen. Zuletzt erregte ein Brand der Firma Diehl in Berlin Aufsehen, vermutet wird ein Anschlag durch russische Saboteure. Das Unternehmen ist für die deutsche Rüstungsindustrie relevant. Es entwickelt und liefert unter anderem Hightech-Ausrüstung für die bodengebundene Luftverteidigung, Lenkflugkörper, Munition und Schutzsysteme. Bereits 2024 kursierten Anschlagspläne gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger.

Doch nicht nur große Unternehmen sind Angriffen ausgesetzt. Nach aktuellen Recherchen von WDR, NDR und der "Süddeutschen Zeitung" steckt hinter in DHL-Paketen versteckten Brandsätzen ein ausgeklügeltes System des Kremls. Pakete sollten unter anderem in die USA, nach Kanada, Polen und Großbritannien gelangen. Durch Brände sollten sie Schaden zufügen und die Infrastruktur lahmlegen. Kürzlich stürzte ein DHL-Flugzeug in Litauen ab, wobei ein russischer Sabotageakt vermutet wurde.

Russische Desinformation

Auch die Gesellschaft spürt zunehmend die Folgen hybrider Kriegsführung. Mit Desinformations-Kampagnen auf sogenannten Doppelgänger-Seiten wird Stimmung gegen Parteien, Politiker und Politikerinnen gemacht. Realistisch anmutende Kopien von Nachrichtenseiten wie "Spiegel", "Welt" oder auch t-online werden ins Netz gestellt – gefüllt mit russlandfreundlichen Inhalten. t-online recherchierte bereits 2024 zu den "Doppelgänger"-Netzwerken.

Bildungsstätten und die Wissenschaft sind ein weiterer Angriffspunkt der russischen Desinformationskampagnen. So gaben sich russische Hacker 2024 als das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) aus. Sie nutzten die Seite, um gefährliche Schadsoftware auf die Endgeräte der Besucher zu spielen.

Wer ist in Russland für die Angriffe verantwortlich?

Im sogenannten Aquarium, dem Hauptquartier des Militärgeheimdienstes GRU in Moskau, soll sich die "Abteilung für besondere Aufgaben" befinden. Die Einheit ist auch als SSD bekannt und für den Schattenkrieg gegen den Westen zuständig. Ihr Aufgabenbereich soll sich laut Geheimdienstexperten von Mordanschlägen und Sabotage im Ausland bis zum Unterwandern von Bildungsstätten und Unternehmen erstrecken. Es werden auch Agenten in der Ukraine, Serbien oder in ärmeren Ländern angeworben.

Wie kann sich Deutschland schützen?

In ihrer nationalen Sicherheitsstrategie thematisierte die noch geschäftsführende Bundesregierung die Bedrohungslage: "Diesen vielfältigen Formen hybrider Bedrohungen muss Deutschland im Rahmen verstärkter internationaler Zusammenarbeit wirksam begegnen", heißt es. Auch für die Bundeswehr soll hybride Kriegsführung eine wichtige Rolle spielen: "Ihr Beitrag zur Gesamtverteidigung ist Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und damit für den umfassenden Schutz der Bevölkerung in Krise, Krieg und gegenüber hybriden Bedrohungen." Wie genau dies umgesetzt wird, bleibt bislang offen, wie "Correctiv" recherchierte.

Laut dem Publizisten und Vorsitzenden des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e. V. Erich Schmidt-Eenboom ist vor allem die deutsche Industrie besonders angreifbar. "Die versucht sich zwar etwa vor Cyberattacken oder vor elektronischer Aufklärung zu schützen, aber das ist ein Schwerpunkt der russischen und chinesischen Spionage. Deswegen wird es wahrscheinlich immer wieder möglich sein, entweder durch elektronische Mittel oder durch Agenteneinsatz deutsche Technologie abzugreifen", sagte er im Interview mit t-online.

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Auch die Bevölkerung soll ihren Beitrag leisten. Laut Recherchen von "Correctiv" soll der Zentrale Krisenratgeber grundlegend überarbeitet werden. Aktuell ist dieser noch auf dem Stand von 2019 in 7. Auflage. Aspekte wie Schutz vor hybrider Kriegsführung sucht man hier noch vergeblich. Das Auswärtige Amt und das Innenministerium versuchten in der vergangenen Legislatur jedoch, die Bevölkerung durch verschiedene Sicherheitsveranstaltungen zu sensibilisieren. Die Resilienz der Gesellschaft gegenüber der russischen Bedrohung solle erhöht werden, erklärte auch Außenministerin Annalena Baerbock mehrfach.

Doch wie geht es nun mit der kommenden Bundesregierung weiter?

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wird direkt in der Präambel auf die Gefahr durch hybride Angriffe hingewiesen. Konkret soll insbesondere der "Bereich der Cybersicherheit, des Zivil- und Katastrophenschutzes sowie der zivilen Verteidigung" gestärkt werden. Inwieweit diese Maßnahmen schnell durchgesetzt werden können, bleibt abzuwarten. Nur eines liegt auf der Hand: Mit Blick auf die russische Bedrohung drängt die Zeit.

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