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Zum journalistischen Leitbild von t-online.USA schlagen Friedensdeal vor "Er hat die Ukraine in der Lage, in der er sie haben wollte"

Donald Trump fordert für ein Ende des Ukraine-Kriegs weitreichende Zugeständnisse von Kiew. Selenskyj steht unter massivem Druck, während Russland Erfolge einstreicht. Zwei Experten ordnen die Lage ein.
Noch sind es knapp zwei Wochen, bis Wladimir Putin zur großen Militärparade am "Tag des Sieges" in Moskau lädt. Doch der Kremlchef dürfte schon jetzt in Feierlaune sein. Grund sind die Vorschläge der USA für ein Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Kiew soll Russland weitreichende Zugeständnisse machen, um den Krieg entlang der aktuellen Frontlinie einzufrieren. Es geht um Territorium, aber auch um politische Fragen wie die Anerkennung besetzter Gebiete als russisch oder eine Absage für einen Nato-Beitritt der Ukraine.
In Kiew dürfte angesichts dessen eine eisige Stimmung herrschen. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat der Forderung, die völkerrechtswidrig annektierte Krim sowie die besetzten Gebiete als russisches Staatsterritorium anzuerkennen, bereits einen Riegel vorgeschoben: "Da gibt es nichts zu bereden. Das steht außerhalb unserer Verfassung", erklärte der Staatschef. Damit handelte er sich massive Attacken von US-Präsident Donald Trump und den Vorwurf ein, nicht zur Kooperation bereit zu sein.
Russland wittert angesichts der aktuellen Entwicklungen eine große Chance. Seit der Krim-Annexion 2014 hat sich das Land auf dem internationalen Parkett stetig isoliert. Die USA bieten ihnen nun die Chance, dies ein Stück weit zu ändern. Und der Kreml scheint bereit, diese Chance zu ergreifen. Doch in Sicherheit wiegen kann sich Putin noch nicht.
"Für Putin sind die Ideen aus den USA ein Riesenerfolg"
Laut den US-Medien "Axios" und "Washington Post" sieht der US-Vorschlag im Kern vor, die Halbinsel Krim offiziell sowie die besetzten Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja de facto anzuerkennen. Außerdem soll der Ukraine der Nato-Beitritt verwehrt, ein Beitritt zur EU jedoch offengehalten werden. Ferner sollen die seit 2014 verhängten Sanktionen aufgehoben werden. Es ist keine Rede von Sicherheitsgarantien für die Ukraine oder einem Abzug der russischen Truppen.
Der Osteuropa-Experte Stefan Meister sieht Russland als deutlichen Gewinner der Vorschläge von Trump. "Für Putin sind die Ideen aus den USA ein Riesenerfolg", sagt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit t-online. "Trump hat ihn aus der Isolation geholt und gleichzeitig die Ukraine in eine schwierige Lage gebracht." Denn Selenskyj könne den US-Vorschlägen nicht zustimmen – "aus innenpolitischen und militärischen Gründen, aber auch schlicht, weil er die Zukunft seines Landes absichern muss", sagt Meister. "Der bisherige Plan wäre jedoch de facto eine Kapitulation der Ukraine."

Zur Person
Stefan Meister (geboren 1975) ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er leitet das Zentrum für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zuvor war er unter anderem am Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa tätig. Meister gilt als Experte für russische Außenpolitik und Geopolitik.
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Ähnlich sieht es die Russlandkennerin Sarah Pagung. Sie legt das Hauptaugenmerk auf den Vorschlag der USA, die Krim de jure, also von Rechts wegen, als russisch anzuerkennen. Damit erhöhe Trump den Druck auf die Ukraine massiv, sagt Pagung t-online. "Die Halbinsel wäre somit kein Gegenstand künftiger Verhandlungen mehr." Russland habe sich so etwas auch für die besetzten Gebiete erhofft, jedoch nicht bekommen. "Das kann als kleines Zugeständnis der USA an die Ukraine gewertet werden."
Kremlsprecher Dmitri Peskow unterstrich am Mittwoch in einem Interview mit dem französischen Magazin "Le Point" die russische Position: "Es gibt vier Regionen, die in unserer Verfassung enthalten sind. Die ukrainische Armee muss ihre Waffen niederlegen und sich zurückziehen. Wenn sie dies tut, werden die militärischen Operationen sofort eingestellt", so Peskow.
"Bestimmte Gebietsabtretungen wären auch mit Selenskyj umsetzbar gewesen"
Die Forderung nach einer Anerkennung der Krim macht die Situation für die Ukraine laut Pagung noch komplizierter. Dabei sieht die Expertin die Ukraine nicht einmal unwillig, Zugeständnisse zu machen: "Bestimmte Gebietsabtretungen wären auch mit Selenskyj sicherlich de facto umsetzbar gewesen – jedoch nicht in dem Ausmaß, das die USA fordern." Auch sie sieht die innere Stabilität der Ukraine gefährdet, würde Selenskyj einem solchen Deal zustimmen.

Zur Person
Sarah Pagung (geboren 1989) ist eine deutsche Politologin und Publizistin. Ihre Forschungsgebiete sind Russland und Osteuropa. Bis Dezember 2022 arbeitete sie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Seit 2023 ist sie Programmleiterin bei der Körber-Stiftung.
Noch gibt es jedoch Unwägbarkeiten bei dem Vorstoß, Washington hat die Medienberichte auch noch nicht offiziell bestätigt. In Moskau kann man sich deshalb nicht zu sicher sein. "Gleichzeitig hat Russland kein Vertrauen in die USA", erklärt Stefan Meister. "Im Kreml schaut man jetzt, was man noch aus den Verhandlungen rausholen kann", erklärt Meister.
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"An den eigentlichen Zielen Putins ändert der Vorschlag von Trump jedoch nichts: Er will sich immer noch die ganze Ukraine einverleiben", gibt der Politologe zu bedenken. Doch auch die bisherigen Ideen wären aus russischer Sicht Fortschritte: "Selbst wenn Russland nur einen Teil der bisher vorgelegten Zugeständnisse von der Ukraine bekommt, dann ist das schon ein Erfolg", so Meister.
Moskauer "Bauchpinseleien" für Trump
Auch Russland-Expertin Pagung sieht den Kreml derzeit in einer vorteilhaften Position. "Putin hat die Ukraine nun in der Lage, in der er sie immer haben wollte: Kiew soll in der Weltöffentlichkeit als einziges Hindernis für einen Frieden dastehen. Und Trump macht dabei mit." Die Politikwissenschaftlerin bewertet die aktuelle russische Verhandlungsstrategie als erfolgreich: "Sie zeigt, dass der Kreml sich gut auf Verhandlungen mit Trump vorbereitet hat." Das reiche von "Bauchpinseleien" wie einem geschenkten Ölgemälde bis zu USA-freundlichen Interviews hochrangiger Personen aus Putins Machtzirkel.
Ist der US-Vorstoß also überhaupt ein Schritt in Richtung Frieden in der Ukraine? Daran glaubt Stefan Meister nicht: "Das alles wird keinen Effekt auf den Krieg haben, es wird auf diese Weise keinen Frieden geben." Auch das liege an den russischen Maximalzielen: "Russland plant weitere Eroberungen – egal, ob das sofort geschieht oder nach einer 'Pause' durch einen Waffenstillstand."
Die Ukraine ist nun wohl vorerst zum Zuschauen verdammt – und könnte noch dazu in die Position des "Neinsagers" rutschen. Wenn Kiew die Vorschläge aus den USA ablehnt, könnte Trump seine Drohung wahr machen, sich gänzlich aus dem Konflikt herauszuziehen: als Vermittler und als Unterstützer der Ukraine. "Der Druck auf die Ukraine vonseiten der USA wird nun wohl nicht mehr nachlassen, sondern weiter gesteigert werden", erwartet Stefan Meister mit Blick darauf. "Bereits jetzt gibt es massive Attacken auf offiziellen und inoffiziellen Kanälen."
"Trump scheint in einer Art 'Rachemodus' zu sein"
Aus Sicht von Pagung haben die USA zu keinem Zeitpunkt erfolgreich die Position des Vermittlers eingenommen: "Unter Biden waren die USA enger Verbündeter und Trump zeigt keine Rücksicht auf ukrainische Interessen." Nun komme erschwerend hinzu, "dass Trump in Selenskyj vor allem ein Hindernis und ein Problem sieht", sagt Pagung. "Seit der Auseinandersetzung im Weißen Haus scheint Trump noch dazu in einer Art 'Rachemodus' zu sein." Ende Februar waren Trump und sein Vize JD Vance im Oval Office mit Selenskyj aneinandergeraten. Die Konsequenzen dieser Einstellung der US-Administration könnten für Kiew verheerend sein.
Würden die USA wie bereits Ende Februar die Militärhilfen sowie die Übermittlung von Geheimdienstinformationen einstellen, erwartet Osteuropa-Experte Meister für die Ukraine eine "militärisch noch schwierigere Lage". Bereits jetzt rücken die Kremltruppen an mehreren Frontabschnitten zwar langsam, aber stetig vor. Fehlen der Ukraine wichtige Waffensysteme sowie die sensiblen Informationen über russische Ziele und Truppenbewegungen, könnte sich die Situation rapide verschlechtern. Mehr zur aktuellen militärischen Lage lesen Sie hier.
Beide Fachleute sehen aufseiten der Ukraine derzeit keinen Hebel, um Trump noch zum Umdenken zu bewegen. "Die bisherigen Ideen ergeben aus ihrer Perspektive keinen Sinn, sie kann diese Zugeständnisse schlicht nicht machen", erklärt Meister. Der Ukraine bleibe daher nichts anderes übrig, "als abzuwarten und darauf zu hoffen, dass Trump durch innenpolitischen Druck eventuell wieder umschwenkt und die Europäer stärker einspringen".
"Putin könnte sein Blatt bei Trump überreizen"
Russland-Expertin Pagung erkennt immerhin einen "Hoffnungsschimmer" für die Ukraine: "Putin könnte sein Blatt bei Trump überreizen." Noch vor den Ostertagen und der von Putin einseitig verkündeten "Waffenruhe" hatte es Anzeichen gegeben, dass Trump langsam am Ende seiner Geduld sei. "Noch hält Moskau ihn mit seiner ausgeklügelten Strategie bei Laune, Putin spielt ihn an die Wand. Doch seine Geduld scheint zumindest kleiner zu werden", so Pagung.
Ansätze dessen zeigte Trump auch an diesem Mittwoch. Vor dem Hintergrund eines massiven russischen Luftangriffs auf Kiew mit mindestens neun Toten rief der US-Präsident den Kremlchef dazu auf, die Attacken einzustellen. "Wladimir, STOPP!", schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social. "Ich bin nicht glücklich über die russischen Angriffe auf Kiew." Sie seien nicht notwendig und kämen zu einem "sehr schlechten" Zeitpunkt, schrieb Trump weiter. Jetzt gehe es darum, das Friedensabkommen zu Ende zu bringen.
"Auf einen Ausstieg der USA sind wir nicht vorbereitet"
Derweil bleibt der Ukraine nun vor allem Europa als zuverlässiger Partner. In den vergangenen Monaten hat sich eine "Koalition der Willigen" gebildet, die die Militärhilfe für die Ukraine steigern und möglicherweise als Sicherheitsgarantie für einen Waffenstillstand Friedenstruppen entsenden will. "Ersetzen können sie die USA allerdings weder bei den gelieferten Waffen noch den geteilten Geheimdienstinformationen", sagt Meister. "Noch verhalten sich die Europäer vorsichtig, um die USA so lang wie möglich im Boot zu behalten." Doch in letzter Konsequenz würde auch der Kontinent vor einem Problem stehen: "Auf einen Ausstieg der USA sind wir nicht vorbereitet."
Das erkennt auch Sarah Pagung an: "Für den Kontinent ist die Ausgangssituation auch aufgrund versäumter Verteidigungsinvestitionen derzeit sehr negativ." Ausweglos ist die Situation aus ihrer Sicht für die Europäer jedoch nicht. In relativ kurzer Zeit hätte sich im Hinblick auf die Ukraine-Politik in Europa viel Positives bewegt. "Blickt man auf die 'Koalition der Willigen' und mögliche Friedenstruppen, so denken und sagen die Europäer heute Dinge, die noch vor Kurzem unsagbar waren."
- Telefongespräche mit Sarah Pagung und Stefan Meister
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP