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Ukraine erhält US-Freigabe für ATACMS-Raketen: Was heißt das für den Krieg?


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USA erteilen Freigabe für Waffeneinsatz
"Das würde Russland entscheidend schwächen"


18.11.2024 - 15:09 UhrLesedauer: 5 Min.
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USA geben der Ukraine die Erlaubnis zum Einsatz von ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland: Die Raketen fliegen bis zu 300 Kilometer weit. (Quelle: reuters)

Die USA geben der Ukraine laut Berichten die Erlaubnis zum Einsatz von ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland. Welche Bedeutung hat das für den Krieg?

Monatelang hat die ukrainische Regierung auf diesen Moment gewartet. Laut übereinstimmenden Medienberichten hat die US-Regierung der Ukraine erlaubt, die bereits gelieferten ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland einzusetzen. Es ist eine Wende in der US-Politik, die auch als Antwort auf die Entsendung nordkoreanischer Truppen zu verstehen ist. Doch viele Fragen sind noch ungeklärt. Und die Freude in Kiew dürfte sich dennoch in Grenzen halten.

Denn wie die "New York Times" und die "Washington Post" berichten, beschränkt sich die Erlaubnis wohl auf die russische Region Kursk und deren Umgebung. Dort hatte die ukrainische Armee Anfang August eine Militäroperation gestartet. Russland will Kiews Truppen, die ein Gebiet von rund 600 Quadratkilometern kontrollieren, nun mit Unterstützung nordkoreanischer Soldaten zurückschlagen. Die ukrainische Regierung hatte auf eine umfassendere Freigabe der Waffen gehofft.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hält sich angesichts der Berichte bedeckt. "Angriffe werden nicht mit Worten ausgeführt", erklärte er am Sonntag in seiner allabendlichen Videoansprache. "Die Raketen werden für sich selbst sprechen." Welche Bedeutung hat die US-Freigabe also für den Krieg? Und welchen Plan könnte das ukrainische Militär nun mit den ATACMS-Raketen ins Auge fassen?

Selenskyj stieß lange auf taube Ohren

Laut dem Militärexperten Gustav Gressel standen die Vereinigten Staaten durch die Einmischung Nordkoreas unter Handlungsdruck. Im Gespräch mit t-online sagt er: "Die USA hätten sich blamiert, hätten sie darauf nicht reagiert." Doch die Erlaubnis hat wohl einen Haken: "Es handelt sich offenbar um keine generelle Freigabe, um jegliche Ziele in Russland anzugreifen." Dennoch könnte die Erlaubnis flexibler gehandhabt werden als zuvor. "Wie flexibel, werden wir in den kommenden Wochen sehen."

Zur Person

Gustav Gressel ist Hauptlehroffizier und Forscher am Institut für Strategie und Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie in Wien. Zuvor war er als Senior Policy Fellow bei der politischen Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) tätig. Er beschäftigt sich in seiner Forschung schwerpunktmäßig mit den militärischen Strukturen in Osteuropa und insbesondere mit den russischen Streitkräften.

Bereits im Mai, als Russland eine Offensive in der nordöstlichen ukrainischen Region Charkiw gestartet hatte, gaben Unterstützer wie die USA und Deutschland der Ukraine die Erlaubnis, mit den von ihnen gelieferten Waffen Ziele in Russland anzugreifen. Die Freigabe beschränkte sich damals auf Rohrartillerie sowie Himars-Mehrfachraketenwerfer aus US-Produktion. Mit letzteren können die ukrainischen Truppen bis zu rund 80 Kilometer weit feuern. ATACMS-Raketen hingegen haben eine Reichweite von etwa 300 Kilometern.

Selenskyj forderte angesichts der militärischen Möglichkeiten der ATACMS seit Monaten vehement die Freigabe für die Raketen, stieß jedoch auf taube Ohren. Die USA hatten die Waffen bereits im September 2023 erstmals geliefert, bisher durften sie jedoch nur gegen Ziele in den von Russland besetzten Gebieten eingesetzt werden. Das ukrainische Militär hatte als Ziele vor allem Nachschubwege der russischen Armee im Sinn sowie Fliegerbasen in Russland, auf denen Bomber und Kampfjets stationiert sind, die Angriffe auf die Ukraine fliegen.

Doch die westlichen Verbündeten sorgten sich, Russland könne daraufhin denb Krieg weiter eskalieren. Bereits im vergangenen September standen sie angesichts von iranischen Kurzstreckenraketen-Lieferungen an Russland wohl kurz vor der Freigabe, zögerten jedoch weiter. Der Einsatz von Nordkoreanern in Kursk scheint das geändert zu haben.

"Russland hat einen dichten Flugabwehrgürtel rund um die Ukraine"

Moskau hingegen konnte sich angesichts monatelanger Diskussionen auf diesen Moment vorbereiten. "Russland hatte so jede Menge Zeit, um die hochwertigsten Ziele wie Kampfflugzeuge der Typen Su-34 und -35 außerhalb der ATACMS-Reichweite zu stationieren", erklärt Gustav Gressel. Auch darüber hinaus sieht er nur einen begrenzten militärischen Effekt durch die nun erfolgte Freigabe.

"Russland hat einen dichten Flugabwehrgürtel rund um die Ukraine aufgebaut", so der Militärexperte. "Im vergangenen Jahr haben die Russen außerdem durch ukrainische Angriffe mit ATACMS, Storm Shadow und Scalp gegen Militäreinrichtungen auf der Krim und in anderen besetzten Gebieten dazugelernt. Dadurch steigen die Abfangquoten leider."

Dennoch könne die Ukraine auch jetzt wichtige Ziele in Russland angreifen: "Noch immer sind Kampfhubschrauber und Jagdflugzeuge auf russischen Fliegerbasen stationiert, die in Reichweite der Raketen liegen", sagt Gressel. Mit Blick auf die bisher wenig bekannten Details der US-Freigabe bleibe jedoch eine weitere wichtige Frage offen: "Dürfen die Ukrainer überhaupt Fliegerbasen mit ATACMS angreifen?" Noch hat sich die US-Regierung offiziell nicht zu der Freigabe geäußert.

"ATACMS mit Streumunition wären sehr effektiv"

Die Medienberichte legen jedoch nahe, dass es sich bisher noch um eine beschränkte Erlaubnis handelt. "Angesichts dessen lässt Kiew die Sektkorken wohl noch nicht knallen", sagt Gressel. Außerdem komme die Freigabe sehr spät und sei lange überfällig gewesen, meint der Militärexperte. Um der Ukraine tatsächlich zu helfen, müsse die Erlaubnis deutlich umfassender sein als bisher aus den Medienberichten hervorgeht – und weitere Waffensysteme sowie -lieferungen umfassen.

"Die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, Schneisen in den russischen Flugabwehrgürtel zu schlagen", erklärt Gressel. "Dazu könnten etwa Storm Shadow/SCALP-Marschflugkörper gegen Führungseinrichtungen wie Kommandobunker eingesetzt werden." Dabei handelt es sich um Waffensysteme aus britisch-französischer Produktion mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern. London und Paris sollen der Ukraine ebenfalls bereits die Freigabe zum Einsatz gegen Ziele in Russland gegeben haben, schreibt die Tageszeitung "Le Figaro", nennt dabei jedoch keine Quellen.

"ATACMS mit Streumunition wären sehr effektiv gegen russische Radare und Flugabwehrstellungen", erklärt Gressel. "Das hat entscheidende Folgeeffekte: Russische Munitionsdepots wären weniger geschützt und die Ukraine könnte deutlich effektivere Drohnenangriffe darauf durchführen." Zuletzt waren der Ukraine immer wieder solche Attacken auf russischen Nachschub gelungen, wenn auch in begrenztem Umfang.

Video | Russische Raketen schlagen in Wohngebiet ein – zehn Tote
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Quelle: t-online

"Olaf Scholz hat sich zu tief in seine Ablehnung eingegraben"

Wenn Kiews Armee weitere solcher Schläge gelingen würden, könnte das bedeutende Auswirkungen auf den Kriegsverlauf haben. "Das würde Russland entscheidend schwächen", sagt Gressel. Insbesondere die seit Monaten laufende russische Offensive im Donbass könne so Nachschubprobleme kommen, wodurch die Vorstöße ins Stocken geraten könnten. "Doch dazu braucht es mehr Munition und flexiblere Freigaben", so Gressel.

Der Militärexperte erwartet indes nicht, dass die US-Freigabe etwas an der Entscheidung des Bundeskanzlers ändern wird, der Ukraine die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper vorzuenthalten. "Olaf Scholz hat sich dazu bereits zu tief in seine Ablehnung eingegraben. Da kommt er nicht mehr raus", sagt der Experte.

Die einzig denkbare Möglichkeit sei noch ein Ringtausch mit Großbritannien und Frankreich. Deutschland würde dann Taurus-Marschflugkörper an London und Paris liefern, damit diese mehr ihrer eigenen Marschflugkörper an die Ukraine abgeben. "Doch auch das halte ich für unwahrscheinlich", so Gressel.

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Nordkorea unterstützt Russland mit neuen Waffen

Die Debatte könnte durch ein noch stärkeres Engagement Nordkoreas im russischen Angriffskrieg weiter befeuert werden. Wie die "Financial Times" unter Berufung auf ukrainische Geheimdienstquellen berichtet, hat Nordkorea Russland mit weitreichenden Artilleriesystemen ausgestattet. Demnach befinden sich darunter 50 170-Millimeter-Haubitzen M1989 (bis zu 60 Kilometer Reichweite) sowie 20 Mehrfachraketenwerfer, die erst im Mai mit präzisionsgelenkter Munition getestet worden seien.

Laut der Zeitung will Nordkorea diese Systeme nun im Gefecht erproben – zunächst wohl in der Region Kursk. Zuvor hatte Pjöngjang Russland bereits mit Artilleriemunition und ballistischen Raketen beliefert.

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