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Parlamentswahlen in Großbritannien: Etwas Nüchternheit täte dem Land gut


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Kommt er Ihnen bekannt vor?

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 03.07.2024Lesedauer: 6 Min.
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Keir Starmer: Der Politiker könnte am Donnerstag zum neuen britischen Premierminister gewählt werden. (Quelle: Leon Neal/getty-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Langeweile kann ganz schön nerven. Ich hatte zuletzt einige Stunden, die sich eher wie Tage anfühlten, weil einfach gar nichts passierte und ich mich fragte: Verschwende ich hier nicht einfach nur meine Zeit?

Wann es mir das letzte Mal so ging, kann ich Ihnen sehr genau sagen. Tatsächlich gab es gleich mehrere Situationen. Es geht um die Abende vom 16., 20., 25. und 30. Juni. Der Schauplatz meiner unangenehmen Phasen der Langeweile: Meine Couch. Die Verantwortlichen: die Fußballnationalmannschaft von England. Die Mannschaft gilt als eine der talentiertesten des Turniers, hat in ihren Auftritten aber bisher einen uninspirierten, bräsigen – und ja: langweiligen – Fußball präsentiert, bei dem ich mehrfach ans Abschalten gedacht habe.

Langeweile ist tatsächlich gerade ein riesiges Thema auf der Insel. Allerdings beschränkt sich das nicht nur auf den Sport: Wenn die Briten am Donnerstag ein neues Parlament wählen, wird aller Voraussicht nach die überwältigende Mehrheit der Wähler Keir Starmer zum neuen Regierungschef machen.

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In den britischen Medien wird der Chef der sozialdemokratischen Labour-Partei bisweilen als langweiligster Mensch der Insel beschrieben. Für Charisma wie Tony Blair oder zumindest einen hohen Unterhaltungswert wie Boris Johnson ist er nicht bekannt. Eine größere Idee, wo er das Land hinführen möchte, ist auch nicht erkennbar. Stattdessen gilt er als wankelmütig und wurde für seine Kehrtwenden bereits als "Sir U-Turn" verspottet. Starmers Biograf Tom Baldwin sagte vor einigen Monaten dem "Spiegel", der 61-Jährige sei der "unpolitischste Politiker", den er je getroffen habe. Allerdings wird er laut Baldwin auch unterschätzt.

Der mutmaßlich neue Premier hat seine Schwächen, nicht nur wegen seines biederen Auftretens. Die britische Politik könnte nach 14 Jahren konservativer Irrfahrten aber tatsächlich eine gehörige Portion mehr Nüchternheit vertragen. Starmers graues Image ist da schon fast ein Wert für sich. Allerdings sind die Erwartungen an einen britischen Premier mittlerweile denkbar gering.

Manches in diesem britischen Wahlkampf kam einem als Deutschem merkwürdig bekannt vor. Starmer, von Haus aus Jurist, hat sich in den vergangenen Wochen wenig Mühe gegeben, seinen Ruf abzulegen. "Ich kandidiere als Premierminister, nicht als Zirkusdirektor", sagte der 61-Jährige etwa zu seinem bewusst unspektakulären Auftreten. Falls Sie sich nicht mehr erinnern: Es sind nahezu exakt dieselben Worte, die der heutige Bundeskanzler und frühere Anwalt Olaf Scholz im Wahlkampf 2021 gewählt hatte.

Für Scholz wie für Starmer gilt: Beide haben in ihren Wahlkämpfen nicht von ihrem Charisma, mitreißenden Reden oder spektakulären Wahlversprechen profitiert, sondern vor allem vom Unvermögen ihrer Gegner. Scholz machte 2021 einfach keine Fehler, während sich CDU-Mann Armin Laschet mit CSU-Mann Markus Söder stritt und die Grüne Annalena Baerbock über ein sehr schlecht geschriebenes Buch stolperte.

Verglichen mit der Bilanz von Starmers Konkurrenz wirken solche Fehltritte allerdings nahezu lächerlich. Der Brexit und die damit verbundene schwache Wirtschaftsleistung, die hochumstrittenen und kostspieligen Ausweisungen von Migranten nach Ruanda oder die schlechte Gesundheitsversorgung: Die Liste der Mängel ist nach 14 Jahren Regentschaft der Tories mit insgesamt fünf Regierungschefs lang. Die Inflation konnte die aktuelle Regierung zwar drücken, doch trotzdem rutschen immer mehr Briten in die Armut: Denn die Löhne befinden sich weiter auf dem Niveau von 2010.

Hat Starmer einen Plan, um in dieser schwierigen Lage einen Ausweg zu finden? So ganz genau lässt sich das gar nicht sagen. Während er der Konkurrenz beim Scheitern zusah, vermied der Sozialdemokrat allzu konkrete Aussagen. Er verspricht etwa mehr Lehrer, Polizisten und Arzttermine. Wie das konkret finanziert werden soll, weiß aber bisher niemand. Die Sozialbeiträge will Starmer jedenfalls genauso wenig erhöhen wie die Einkommens- und Mehrwertsteuer.

Und der Brexit? Der Premier in spe stimmte 2016 für einen Verbleib in der EU. Eine Rückkehr in die Staatengemeinschaft strebt er zwar nicht an, eine Annäherung allerdings schon. Für eine Befreiung von dem Irrglauben, dass mit dem EU-Ausstieg irgendwas zu gewinnen wäre, ist das Land offenbar immer noch nicht bereit. Die vielen EU-Feinde, die es nicht nur im Parlament, sondern auch unter den Wählern und in den konservativen Medien gibt, will der Neue lieber nicht verschrecken.

Sie merken schon: Inhaltlich ist das alles recht dünn. Vielleicht ist es das Einzige, was an Starmer spannend ist: So richtig kann niemand wissen, was er vorhat. Allerdings wird dieses Fischen im Ungefähren verständlicher, wenn man auf die Konkurrenz jenseits der Tories blickt. Während Starmer versucht, keine Angriffsfläche zu bieten, machen sich die anderen Kandidaten von alleine unmöglich. Am äußersten rechten Rand tobt sich seit wenigen Wochen wieder der Brexit-Hardliner Nigel Farage aus, der kurzerhand sein Comeback in der Politik verkündet hatte. "Hetzen, lügen, die unzufriedenen ehemaligen Brexit-Wähler einsammeln", umschrieb t-online-Chefredakteur Florian Harms treffend das Programm des rechten Scharfmachers.

Blieben noch die britischen Liberalen als letzte Alternative. Deren Chef Ed Davey wirbt seit Wochen mit allerlei ungewöhnlichen Aktionen um die Aufmerksamkeit der Wähler. Dafür machte der Politiker in den vergangenen Wochen einen Bungeesprung, fuhr Achterbahn, tanzte Zumba oder fiel beim Stand-up-Paddling ins Wasser. Lustiger anzusehen als Starmer ist das in der Tat – seriös wirkt das allerdings nicht. Trotzdem können auch die Liberalen mit einigen Zuwächsen am Donnerstag rechnen.

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Am Ende dürfte die Wahl bei den meisten auf Starmer fallen. Langeweile und Erfolg schließen sich eben nicht aus. Auch die englische Nationalmannschaft ist trotz ihrer bescheidenen Leistungen ja noch nicht aus dem EM-Turnier ausgeschieden.


Denkwürdige Abende

Das war sie auch schon: Die Achtelfinalrunde der EM – zunächst zogen gestern Abend die Niederlande ungefährdet mit 3:0 gegen Rumänien in die nächste Runde ein. Danach wurde es nochmal richtig dramatisch, als sich die Türkei hauchdünn in einem packenden Spiel mit 2:1 gegen Österreich durchsetzen konnte.

Welche Schlüsse kann man aus dieser Runde ziehen? Nicht nur England tut sich weiter als vermeintlich große Fußballnation schwer, sondern auch Frankreich, Portugal oder die Italiener, die gegen den neuen Geheimfavoriten (Schweiz) chancenlos ausgeschieden sind. Der alte Geheimfavorit (Österreich) tritt dagegen doch früher als von vielen erwartet die Heimreise an.

Und die deutsche Mannschaft? Die hält sich im Vergleich zu den anderen großen Nationen gut im Turnier. Die Elf von Julian Nagelsmann wird aber am Freitag in Stuttgart alles abrufen müssen, wenn mit Spanien die bisher wohl beste Mannschaft des Turniers wartet.


Was steht an?

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Das historische Bild

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Ohrenschmaus

Heute vor 53 Jahren ging ein großer Musiker von uns. Dieses und viele andere Lieder werden aber bleiben.


Zum Schluss

Was soll schon schiefgehen ...

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Mittwoch. Morgen schreibt für Sie Florian Harms.

Herzliche Grüße

Ihr

David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
X: @Schubfach

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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