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Riskante Wahl in Taiwan: Droht dann ein Krieg mit China?


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Tagesanbruch
In China geht es los

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.01.2024Lesedauer: 7 Min.
Chinesische Kampfjets dringen immer wieder in den taiwanesischen Luftraum ein.Vergrößern des Bildes
Chinesische Kampfjets dringen immer wieder in den taiwanesischen Luftraum ein. (Quelle: Imago Images)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

in China wird gewählt. Meistens interessiert uns das nicht. Schließlich ist China nur so groß wie Baden-Württemberg, und es leben weniger Menschen dort als in Nordrhein-Westfalen und Hessen. Außerdem geht es bei der Wahl des Präsidenten, die am Samstag ansteht, vorbildlich demokratisch zu, was lobenswert, aber keine aufregende Nachricht ist. Diesmal allerdings sollten wir hinschauen, wenn die Chinesen mal wieder zur Urne schreiten.

Wahrscheinlich finden Sie diese Zeilen wunderlich, aber ich kann Ihnen versichern: Jedes Wort ist korrekt. Die Republik China wählt ihr Parlament und einen neuen Präsidenten. Die Amtsinhaberin Tsai Ing-wen darf nach acht Jahren im Präsidentenpalast nicht noch einmal antreten und gibt ihren heiklen Job in neue Hände. Bevor Sie nun gänzlich verwirrt sind, will ich schnell hinzufügen, dass es nicht nur ein China gibt. Sondern zwei.

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In Deutschland kennen wir das, schließlich bestand unser Land auch mal aus zwei Staaten. Im Fernen Osten ist das nicht anders. Die sehr, sehr große Volksrepublik wird in Peking von Präsident Xi Jinping gelenkt. Freie Wahlen gibt es in seinem Reich nicht. Die vergleichsweise winzige Zweitausfertigung der chinesischen Nation, die Republik China (ohne Volk vorne dran), hat sich 1949 auf eine sichere Insel geflüchtet, um dem Joch Maos zu entgehen. Diese Insel ist uns unter dem Namen Taiwan geläufig. Dort wird am Samstag gewählt. Die Bedeutung des Urnengangs kann man kaum überschätzen. Die Feinheiten der Namensgebung auch nicht.

Taiwan ist klein. Es ist weit weg. Beides spielt keine Rolle. Lieferketten laufen dort zusammen, ohne die in den Zukunftsbranchen weltweit praktisch nichts mehr geht. Mit nur wenig Übertreibung könnte man Taiwan als Firmensitz mit angehängtem Staatswesen betrachten, in dem der IT-Gigant TSMC sich im Eingangsbereich eine Zivilgesellschaft gönnt. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, wie die Firma ausgeschrieben heißt, ist keine jedem bekannte Marke. Aber Sie finden deren Produkte in Ihrem Zuhause, in Ihrem Büro, möglicherweise auch in Ihrer Hosentasche. Als weltgrößter Auftragsfertiger für Computerchips stattet TSMC vom Handy bis zum Supercomputer alles aus, was digitale Rechenpower braucht. Insbesondere am oberen Ende der Leistungsskala geht ohne die Firma aus Taiwan nichts.

Selbst das "richtige" China (das große, Sie wissen schon) ist auf diese Fähigkeiten angewiesen. Deshalb galten TSMC und die auch ansonsten bestens aufgestellte Hi-Tech-Branche Taiwans bis vor Kurzem als Lebensversicherung der Insel gegen eine Invasion vom Festland. Denn was Diktator Xi braucht, wird er wohl nicht bei einem Angriff in Schutt und Asche bomben. Aber so sicher kann man sich da mittlerweile nicht mehr sein. Denn der Nutzen des taiwanesischen Know-hows hat für Peking abgenommen. Die Amerikaner sabotieren Chinas Zugang zu den Fertigkeiten mit einem umfangreichen Sanktionspaket.

Zugleich lastet auf der ehemaligen Provinz Taiwan die Geschichte Chinas wie Blei. Ohne die Insel und all die Chinesen, die vor den Kommunisten dorthin geflohen sind, ist China unvollständig. So sehen es der machthungrige Herr Xi und viele seiner Landsleute auf dem Festland, denen diese Lesart von Kindheit an ins Hirn gepaukt worden ist. Auch etliche Bürger des Inselstaates teilen diese Sicht. Nur soll das vereinte China, von dem die Nachkommen der Flüchtlinge träumen, ihrer Ansicht nach keinesfalls unter der Fuchtel der Kommunistischen Partei stehen. Von solchen Streitfragen abgesehen, könnte man meinen, in Sachen Einheit bestehe Einigkeit. Doch die Nostalgiker sind auf Taiwan mittlerweile in der Minderheit. Fast zwei Drittel der Menschen dort betrachten sich als Taiwaner, nicht als Chinesen. Ist der Traum der einen Nation längst ausgeträumt?

Xi Jinping reagiert auf den bloßen Gedanken mit Härte. Er sieht die Wiedervereinigung als entscheidenden Schritt seiner eigenen historischen Mission. Der kommunistische Kaiser ist entschlossen, das Reich der Mitte mit seiner fünftausendjährigen Geschichte an den einzigen Platz zurückzuführen, der einer so großen Nation gebührt: an der Spitze. Und auf dieser Reise müssen alle mit. Die Wiedervereinigung sei "historisch unausweichlich", behauptete der Präsident in seiner Neujahrsansprache. Hinter verschlossenen Türen wird er konkreter. Gegenüber Joe Biden stellte Xi vor einem Jahr klipp und klar fest: Wenn Taiwan sich nicht ernsthaft um die Wiedervereinigung bemühe, behalte er sich vor, Gewalt anzuwenden. Den US-Diplomaten hätten die Haare zu Berge gestanden, wissen Eingeweihte zu berichten.

Selbst auf Feinheiten von Formulierungen reagieren die Pekinger Politbosse scharf. Wenn die Präsidentin Taiwans, Pardon: der Republik China das Podium für eine öffentliche Rede betritt, ist der Text so oft überarbeitet, austariert, umformuliert und in immer neuen Durchgängen zurechtgeschliffen worden wie kaum eine Rede anderswo auf der Welt. Wie oft und in welchem Zusammenhang kann von "Taiwan" die Rede sein, ohne dass Xi wieder seine Bomber für Drohmanöver losschickt? Wann muss die offizielle Formel von der Republik China zum Zuge kommen, ohne dass dadurch Zweifel an der Selbstständigkeit Taiwans entstehen? Die scheidende Präsidentin absolvierte diese Gratwanderung mit Routine, doch was ihr Nachfolger anstellen könnte, erfüllt Diplomaten und Politiker im Westen mit Unruhe. Fehltritte können gravierende Folgen haben, das Risiko einer Eskalation ist groß. In Washington geht man davon aus, dass ein Krieg um Taiwan in diesem Jahrzehnt nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist – und die angespannte Lage keine Ungeschicklichkeiten verzeiht.

Im Endspurt des Wahlkampfs zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab, bei dem der bisherige Vizepräsident, ein Anhänger eines unabhängigen Taiwans, knapp vorne liegt. Sollte er gewinnen, ist eine Entspannung des Verhältnisses zu China vom Tisch. Der Konkurrent von der Opposition hingegen möchte gegenüber China auf Kuschelkurs gehen. Eine Verlängerung der Wehrpflicht oder einen Ausbau des taiwanischen Militärs hält er für falsch. Die Amerikaner wird das wenig begeistern. In Washington bereitet man sich auf einen Krieg mit China vor, bestenfalls verhindert von einer furchteinflößenden Abschreckungspose. Beschwichtigung gehört nicht mehr zum politischen Repertoire. Eine Lücke in der Verteidigungslinie, erst recht von der Größe Taiwans, ist deshalb das Letzte, was die Planer im Pentagon jetzt brauchen können.

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Die Wahl in Taiwan wird deshalb weltweit Wellen schlagen. Das ist schon erstaunlich für ein so kleines Land. Sollten wir also besser Republik China sagen? Da klingt schon der Name groß. Die Gefahr aber auch.


Nichts geht mehr

Im Zentrum Mitteleuropas gelegen, ist Deutschland ein Hochverkehrsland: Auf den Straßen, Schienen und Luftwegen brummt und braust es ununterbrochen. Nicht so heute. Die Lokführer legen mit ihrem Streik den Bahnverkehr weitgehend lahm, die Bauern blockieren wieder Autobahnen und Innenstädte (hier erfahren Sie, wo). Die einen wollen für mehr Geld weniger arbeiten, die anderen wollen weiter ihre vollen Subventionen aus dem Steuergeldfüllhorn haben.

Das Schöne an unserer Demokratie ist: Jeder darf sagen, was er haben will, und darf dafür auch mal andere Bürger nerven, solange es nicht zu lange dauert. Zur Pflicht verantwortungsbewusster Staatsbürger gehört es aber auch, selbst im ergriffensten Protesteifer stets kompromissbereit zu bleiben, denn eine Demokratie lebt vom Ausgleich unterschiedlicher Interessen, und Geld fällt nicht als Manna vom Himmel.

Beim Oberlokführer Claus Weselsky und beim Oberbauern Joachim Rukwied kann man Zweifel haben, ob sie dieses Grundprinzip verstanden haben. Beide ziehen in einer Art und Weise gegen ihre Gegner (die Bahnchefs, die Bundesregierung) vom Leder und sind in ihren Empörungsritualen so hoch auf die Barrikaden geklettert, dass schwer vorstellbar ist, wie sie da wieder runterkommen wollen. Runterkommen müssen sie aber irgendwann. Ein Kompromiss bedeutet nämlich, dass jede Seite Zugeständnisse machen muss. So gesehen ist es interessant, was Bauernpräsident Rukwied im Interview mit meinen Kollegen Annika Leister und Florian Schmidt sagt.


Hier geht was

Mit den deutschen Fußballern ist derzeit nicht viel los, mit den Handballern schon. In ihrem Auftaktspiel der Europameisterschaftsvorrunde wollen die Herren heute in Düsseldorf den Schweizer Gegnern möglichst viele Tore reinballern. Das sollte machbar sein. Es wäre ein gelungener Auftakt in diesem fulminanten Sportjahr, in dem wir uns auch noch über die Eishockey-Weltmeisterschaft in Tschechien, die Olympischen Spiele in Paris und, ja, irgendwie auch über die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland freuen dürfen (zumindest über die anderen Teams). Und natürlich bekommen Sie bei t-online mehr als bei anderen Medien: Wir zeigen Ihnen jeweils nach den Spielen der deutschen Handballer die Zusammenfassung im Video. Reinschauen lohnt sich.


Geht's noch?

Wo lauern die größten Risiken für die Menschheit? Experten des Weltwirtschaftsforums haben 1.400 Analysten und Wirtschaftsführer befragt. Heute präsentieren sie die Ergebnisse. Beim Klimawandel, dem Artensterben und der künstlichen Intelligenz erwarten uns bald dramatische Entwicklungen.


Ohrenschmaus

Angesichts all der Risiken in der Welt habe ich einen starken Song von Moby im Ohr: "The Violent Bear it Away".


Lesetipps

Der Ukraine-Krieg nimmt eine bedrohliche Entwicklung: Trotz der westlichen Waffenhilfe für Kiew und der Sanktionen gegen Russland ist Putins Armee auf dem Vormarsch. Der Historiker Jörg Baberowski hat schon vor Jahren davor gewarnt, den Kremlchef zu unterschätzen. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir erklärt er, was jetzt auf Deutschland zukommt – und wo die Chance für einen Ausweg liegt.


Mit einer neuen Wahlkampftaktik inszeniert sich Donald Trump als Gottgesandter: Ein perfides Propagandavideo verbreitet sich rasant. Unser USA-Korrespondent Bastian Brauns erklärt Ihnen die Strategie hinter dem Machwerk.


Außenministerin Annalena Baerbock sucht in Nahost nach Auswegen aus dem Gaza-Desaster. Unser Reporter Patrick Diekmann berichtet von bemerkenswerten Szenen.



Zum Schluss

Bauernprotest? Bahnstreik? Dafür gibt es doch eine Lösung!

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen schreibt David Schafbuch den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Freitag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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