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Außenministerin Baerbock in Israel: "Es endet mit einem lauten Knall"


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Baerbock im Nahen Osten
Es endet mit einem lauten Knall


09.01.2024Lesedauer: 6 Min.
Palästinensische Gebiete: Außenministerin Annalena Baerbock spricht im Westjordanland mit durch Siedlergewalt vertriebenen Bewohnern der Gemeinde Al-Mazraah Al Qibliyah.Vergrößern des Bildes
Westjordanland: Außenministerin Annalena Baerbock spricht mit palästinensischen Bewohnern der Gemeinde Al-Mazraah Al Qibliyah, die von Siedlern vertrieben wurden. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Israel steht durch den Krieg gegen die Hamas am Scheideweg. Außenministerin Annalena Baerbock erlebt bei ihrem Besuch Leid und Wut von Palästinensern und Israelis. Kann es eine Friedenslösung geben?

Patrick Diekmann berichtet aus Ramallah

Eigentlich ist es eine karge Steinwüste. Im Westjordanland wachsen nur wenige Pflanzen. Einige Dornenbüsche, Olivenhaine. Aber Gras gibt es zwischen Jerusalem und Ramallah kaum und so gut wie kein Vieh. Was es gibt, sind Hügel, kleine Ortschaften mit vielen unfertigen Häusern, sehr viel Müll, der an den Straßenrändern liegt – und eben Steine.

Dennoch hat dieser eher lebensfeindliche Flecken Erde aus religiösen und ideologischen Gründen eine dermaßen große Bedeutung, dass er zwischen Israelis und Palästinensern schwer umkämpft ist. Völkerrechtlich gehört das Westjordanland der palästinensischen Bevölkerung in der Region, aber radikale jüdische Siedler wollen das nicht akzeptieren. Sie besetzen immer größerer Teile der Region – und das führt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist ihr Israel-Besuch gleich in mehrerer Hinsicht eine extreme Gratwanderung. Sie möchte Israel im Kampf gegen die Hamas ihre Solidarität aussprechen, und gleichzeitig will sie Druck auf Israels Regierung ausüben, um das Leid der Palästinenser zu verringern.

Baerbock kämpft an der Seite ihres US-Amtskollegen Antony Blinken aktuell darum, dass aus dem Krieg vielleicht ein anhaltender Frieden entstehen könnte – mit einer Zweitstaatenlösung. Aber ist das realistisch? In jedem Fall muss auch Baerbock während ihrer Reise erneut erkennen, wie riesig das politische Dilemma in Israel ist. Das ist nichts für schwache Nerven.

Baerbock will Zeichen gegen Siedler setzen

Am Montagvormittag steht Baerbock auf einem Hügel im Westjordanland. Es ist keine Stadt, eigentlich auch kein Dorf, sondern nur eine Ansammlung von Häusern, viele davon verlassen, nur wenige Menschen leben hier. Einige haben schon aufgegeben.

Baerbock will mit ihrem Besuch ein Zeichen setzen. Deutschland werde das Leid und die anhaltende Ungerechtigkeit gegenüber der palästinensischen Bevölkerung sehen, sagt sie, auch wenn die israelische Armee rechtmäßig einen Krieg gegen die Terrororganisation Hamas führe, weil Israel am 7. Oktober angegriffen wurde. Für die Grünen-Politikerin ist die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland schon immer eine massive Ungerechtigkeit und eine grobe Rechtsverletzung gewesen. Das hat sie auch schon vor Kriegsbeginn wiederholt klargemacht – und das hat auch der Angriff auf Israel nicht geändert.

Der Besuch des Ortes Al-Mazra'ah Al-Qibliyah, bei dem diese Ungerechtigkeit demonstriert werden soll, ist gut gewählt. Empfangen wird Baerbock von Palästinensern, die in dem Gebiet leben. "Die Siedler töten, verletzen oder verhaften uns jeden Tag", schimpft ein Mann. "Wir leiden, und es ist gut, dass Sie gekommen sind." Baerbock erwidert: "Deswegen sind wir hier. Wir möchten die Situation verstehen."

"Es ist die Verantwortung der israelischen Regierung"

Auf der Seite des Hügels, auf dem sich eine Traube von 50 Menschen um die Außenministerin gebildet hat, leben schon seit Jahrzehnten Palästinenser. Viele sind Bauern, ernähren ihre Familien mit der Bewirtschaftung von Olivenhainen. Doch auf der anderen Seite des Hügels gibt es seit einigen Jahren ein Siedlerdorf. Es wird weiterhin gebaut, die jüngsten Wohneinheiten befinden sich in Wohncontainern. Auf der Spitze des Hügels ist außerdem ein Kontrollturm der Siedler zu erkennen.

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Die Siedler sollen die palästinensischen Familien ausspionieren, heißt es in Al-Mazra'ah Al-Qibliyah. Überprüft werden kann das nicht. Doch während ihres Besuchs kreist eine Drohne über den Köpfen von Baerbocks Delegation und stört mit ihrem Lärm die Redebeiträge.

Die Stimmung sei bereits in Gewalt umgeschlagen. "Sie sind einfach zu mir gekommen und haben mich geschlagen", berichtet einer der Bauern. Ein anderer Mann sagt: "Die Siedler sind gekommen und haben uns mit scharfen Waffen vertrieben." Eine Woche später hätten sie ihre Häuser in Brand gesetzt, und seither hätten sie auf ihrem Land nichts mehr, wovon sie leben könnten. Besonders existenzbedrohend: Den Farmern soll von den Siedlern verboten worden sein, ihr Land zu betreten.

Baerbock lässt sich nach den Gesprächen von der Nichtregierungsorganisation B'selem und vom Schutzkonsortium für das Westjordanland über die Lage vor Ort informieren und findet daraufhin deutliche Worte. "Es ist die Verantwortung der israelischen Regierung, bei Angriffen auf Menschen, die hier legitim wohnen und illegal angegriffen werden, den Rechtsstaat umzusetzen und durchzusetzen", sagt die Grünen-Politikerin. Es sei die Verantwortung der israelischen Armee, die Palästinenserinnen und Palästinenser vor gewalttätigen Siedlern zu schützen. "Der Siedlungsbau ist illegal. Er untergräbt den dauerhaften Frieden und gefährdet die Zweistaatenlösung und gefährdet damit auch die Sicherheit Israels."

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Netanjahu befeuert den Konflikt

Damit will Baerbock eine Tür öffnen, weil sie in der gegenwärtigen Krise eine Chance für eine Zweistaatenlösung sieht. Zumal momentan im Weißen Haus eine US-Administration sitzt, die das gleiche Ziel verfolgt wie viele europäische Staaten.

Das macht es jedoch nicht realistischer. Denn in Israel regiert eine in Teilen rechtsextreme Koalition, die eben diese Zweistaatenlösung verhindern möchte. Sie fördert den Siedlungsbau, bewaffnet auch radikale jüdische Siedler und finanziert diese. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kam nur deshalb wieder an die Macht, weil er sich mit den Siedlern zusammentat. Seitdem wird er von ihnen getrieben und ist verantwortlich dafür, dass die Gräben zwischen Palästinensern und Israelis tiefer werden.

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Mit einer derartigen Politik stärkt Israels Regierung radikale palästinensische Bewegungen, weil etwa palästinensische Bauern nicht zur Polizei oder zur Armee gehen können. Ihnen wird nicht geholfen. Das erregt zusätzlich Wut. Das rechtfertigt jedoch nicht die Terroranschläge der Hamas vom 7. Oktober.

Deswegen ist eine zentrale Botschaft der deutschen Außenministerin bei ihrem Israel-Besuch: Mehr Gerechtigkeit gegenüber Palästinensern und eine politische Lösung des Nahostkonfliktes erhöhen Israels Sicherheit. Und weil sich im Zuge des aktuellen Krieges viele Menschen in Israel nach Sicherheit sehnen, hofft sie, dass es vielleicht eine Chance für einen Frieden gibt. Das zeigen auch Beispiele auf israelischer Seite.

Null Sekunden Warnzeit: Raketenterror im Norden

Nach ihrem Besuch im Westjordanland geht es für Baerbock zurück nach Israel. Wieder fährt ihre Kolonne durch eine Sicherheitsschleuse, Mauern trennen israelische und palästinensische Siedlungen.

Zunächst trifft die Außenministerin in Givatajim auf eine Geisel, die aus den Händen der Hamas befreit wurde. Danach spricht sie bei Tel Aviv mit israelischen Vertriebenen, die ihr Zuhause aufgrund von Angriffen der libanesischen Hisbollah aufgeben mussten. Auch das sind Berichte, die den Zuhörern unter die Haut gehen.

Die israelischen Vertriebenen machen deutlich, welche Folgen der Raketenterror für die israelische Bevölkerung auch haben kann. Die Menschen im Norden leben zu nah an der libanesischen Grenze, sodass sie das Flugabwehrsystem "Iron Dome" nicht schützen kann. Baerbock fragt, ob sie vor einem Angriff gewarnt werden. "Null Sekunden haben wir", antwortet ein Mann. "Oft kommt der Alarm auch erst nach dem Einschlag der Rakete."

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"Sicheres Leben für unsere Kinder"

Die Familien mussten ihr Leben dort aufgeben, ihre Kinder von den Schulen nehmen und wohnen seither in einem Hotel. "Wir sind stark, aber wir möchten ein sicheres Leben für unsere Kinder", erklärt eine Frau. "Wir versuchen den Kindern aktuell, eine Normalität vorzuspielen. Aber die Ungewissheit, wann wir wieder nach Hause können, macht uns wahnsinnig."

Ein Mann zückt daraufhin ein Mobiltelefon, er sei der Besitzer eines Fußballstadions. Er zeigt ein Bild, wie eine Rakete der Hisbollah auf dem Rasen einschlägt. "Am Tag spielen hier 150 Kinder", sagt er. "Stellen Sie sich vor, die Kinder wären zu diesem Zeitpunkt dort gewesen."

Es wird deutlich: Die israelischen Geflüchteten sehen sich nicht als Feind des Libanon oder der Palästinenser. Sie sehen beide Bevölkerungen in den Händen von Terrororganisationen. Deshalb sprechen sie sich ausdrücklich dafür aus, die Hisbollah im Libanon zu bekämpfen: "Wenn sie die Waffen niederlegen, haben wir Frieden. Wenn wir die Waffen niederlegen, wird Israel zerstört", meint ein Mann. So denken nach all den Jahren der Angst viele Menschen in Israel.

Raketenbeschuss als Mahnung

Für Baerbock endet ihr Israel-Besuch nach etwas mehr als einem Tag mit Eindrücken von gegenseitigem Misstrauen, von Trauer und Wut, die sich nicht erst seit dem Terrorangriff der Hamas bei vielen Israelis und Palästinensern aufgestaut haben.

Nicht nur die israelische Regierung ist Teil des Problems. Auch bei den Palästinensern ist keine politische Kraft am Horizont erkennbar, die die Hamas oder die korrupte, im Westjordanland regierende Fatah ersetzen könnte. Das äußern Experten am Randes der Reise der Ministerin oft – und das ist ein Dilemma. Der Versuch einer Friedenslösung könnte in einer Sackgasse stecken bleiben.

Am Montagabend, kurz bevor Baerbock nach Ägypten und in den Libanon weiterreist, fliegen erneut Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Tel Aviv. Der "Iron Dome" wird aktiv, fängt die Raketen ab und zerstört sie in der Luft. Es endet mit einem Knall.

Verwendete Quellen
  • Begleitung der Reise von Außenministerin Baerbock nach Israel
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