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Zehn Jahre nach Rana Plaza-Katastrophe | Hungerlohn für Arbeiterinnen


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Tagesanbruch
Hinter dem Glanz lauert der Abgrund

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 24.04.2023Lesedauer: 5 Min.
Lichter der Großstadt: Shopping-Rummel in München.Vergrößern des Bildes
Lichter der Großstadt: Shoppingrummel in München. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

bis zum nächsten Schnäppchen sind es nur ein paar Mausklicks. Gerade mal 19,90 Euro kostet ein Marken-T-Shirt von Benetton. 29,99 ein Strickpullover der deutschen Adler-Modemärkte. Eine Damenjeans von C&A ist für 39,99 Euro zu haben. Eine Jogginghose von KiK bekommen Sie für 7,99 Euro hinterhergeschmissen, eine Kindershorts für 19,99 Euro.

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Ja, wir leben im Shopping-Paradies. Selbst wer aufs Geld achten muss, kann sich hierzulande im modischen Schlaraffenland bedienen. So viele schöne Kleidungsstücke in den Onlineshops und in den Schaufenstern der Innenstädte sind spektakulär günstig. Ist das nicht toll?

Nein, ist es nicht. Ganz und gar nicht. Über Billigpreise für Alltagsklamotten kann sich nur freuen, wer nicht nur seine Jacke, sondern auch sein Hirn an der Garderobe abgibt. Denn was unseren Geldbeutel schont, beutet auf der anderen Seite des Globus ein Heer von Arbeiterinnen aus, die in Fabriken und "Sweatshops" für Hungerlöhne im Akkord Textilmassenware zusammennähen. Wir können nur deshalb so günstig einkaufen, weil sie so wenig für ihre Arbeit bekommen.

Das ist nicht neu, aber heute ist ein Tag, an dem wir uns das bewusst machen sollten. Auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, dass der Fabrikkomplex Rana Plaza in Bangladesch einstürzte. Hinterher sah es aus, als habe eine Bombe eingeschlagen. Aber es war keine Explosion. Das Gebäude war einfach baufällig. 1.127 Menschen starben unter den Trümmern, darunter viele Hundert Textilarbeiterinnen. Die Bilder der Katastrophe gingen um die Welt. Sie wurden zum Symbol für die erbärmlichen Bedingungen, unter denen Arme in der Dritten Welt die hübschen Billigklamotten für uns Westler nähen.

32 Modefirmen ließen damals Textilien in Rana Plaza nähen oder wurden mit dem Produktionsort in Verbindung gebracht. Darunter die oben genannten Marken, deren Klamotten vielleicht auch in Ihrem Kleiderschrank hängen. Aufgeschreckt von der öffentlichen Empörung, verpflichteten sich viele Unternehmen zu Entschädigungszahlungen. Aber wie so oft in solchen Fällen war das Geld für die meisten Angehörigen der Opfer nur ein kurzer Trost. 200 Firmen unterschrieben außerdem ein Abkommen zum Brand- und Gebäudeschutz. Inspekteure untersuchten Hunderte Produktionsorte und stießen einige Verbesserungen an. Seither kommt es in Bangladeschs Textilfabriken zu weniger Unfällen. Eine deutsche Vorgabe mit dem typisch deutschen Namen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verlangt von Unternehmen nun regelmäßige Kontrollen. Auch das hat etwas bewirkt.

Gelöst ist das Problem trotzdem noch nicht. Die Fabriken mögen mittlerweile sicherer sein – aber immer noch zahlen viele Modefirmen den Fabrikbesitzern vor Ort nur Niedrigpreise. Deshalb geht die Ausbeutung der Arbeiterinnen weiter. In letzter Zeit hätten sich die Arbeitsbedingungen für viele Frauen sogar verschlechtert, berichtet Gisela Burckhardt von der Frauenrechtsorganisation Femnet der Deutschen Presse-Agentur: "Der Arbeitsdruck hat enorm zugenommen. Sie müssen in weniger Zeit mehr produzieren." Nach dem Einsturz der Fabrik vor zehn Jahren haben sich die Textilexporte aus Bangladesch auf mehr als 42 Milliarden Dollar im Jahr verdoppelt.

Umgerechnet 69 Euro monatlich beträgt der Mindestlohn in Bangladesch. Zu viel zum Sterben, zu wenig, um in Würde zu leben. Mehr als vier Millionen Textilarbeiterinnen schlagen sich und ihre Familien mit diesem Hungerlohn durchs Leben; viele müssen sich verschulden. Menschenrechtler sagen: Für ein anständiges Leben wären 200 Euro nötig. Dann würden jedoch all die hübschen Hemden, Jeans und Pullover in den Läden hierzulande bis zu zehn Prozent mehr kosten.

Was meinen Sie: Würden Sie ein T-Shirt lieber kaufen, wenn es statt 19,90 zwar 21,90 Euro kostete – Sie dafür aber sicher sein könnten, dass diejenigen, die es am anderen Ende der Welt zusammengenäht haben, auskömmlich leben können? Ich ahne Ihre Antwort. Dann fehlt ja nur noch die Tat.


Es geht auch fair

Heute ist der "Fashion Revolution Day": In Gedenken an den Fabrikeinsturz in Bangladesch stellen Designer, Einzelhändler und Textilfirmen nachhaltige Produktionsverfahren vor. Hier finden Sie Modemarken, die zu fairen Preisen produzieren.


Was steht noch an?

Der Einsatz ist brandgefährlich: Elitesoldaten der Bundeswehr haben eine Rettungsmission begonnen, um 330 Deutsche aus dem Sudan auszufliegen. Der Flughafen in der Hauptstadt Khartum ist umkämpft, das Land droht in einen Bürgerkrieg zu schlittern. Im Verteidigungsministerium herrscht höchste Anspannung; Minister Boris Pistorius hat eine geplante Reise nach Washington abgesagt. Meine Kollegen Miriam Hollstein und Patrick Diekmann zeigen Ihnen, wie dramatisch der Einsatz abläuft.

Kanzler Scholz dagegen reist zum Nordseegipfel nach Ostende. Mit den Regierungschefs aus Belgien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Irland, Großbritannien, Luxemburg und Norwegen sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant er den Ausbau von Windparks in der Nordsee.

Die Umweltagentur der EU hat ihren Bericht zur Luftverschmutzung in Europa veröffentlicht. Schwerpunkt sind die Folgen für Kinder und Jugendliche.

Verkehrsminister Volker Wissing stellt die Ergebnisse des Fahrradklimatests vor. Mehr als 245.000 Radler aus ganz Deutschland haben über die Fahrradfreundlichkeit ihrer Wohnorte abgestimmt.

Kaum hat sich der öffentliche Dienst mit den Arbeitgebern geeinigt, kommt die nächste Gewerkschaft mit einem Streik um die Ecke: Verdi ruft ihre Mitglieder zu einem ganztägigen Warnstreik am Flughafen Berlin-Brandenburg auf.

Der Bundespräsident weilt in Kanada und trifft dort Premierminister Justin Trudeau. Das Land gilt bei der Anwerbung von Fachkräften und dem Ausbau erneuerbarer Energien als Vorbild und ist eine gefestigte Demokratie. Viele deutsche Politiker fänden eine engere Partnerschaft mit Kanada besser als die riskante Abhängigkeit von China.

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Zum Schluss

Schauen Sie genau hin: Was da in die Luft springt, ist tatsächlich ein Delfin. Der fröhliche Geselle sorgt seit gestern in der Lübecker Bucht für Aufsehen.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Wochenstart.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Eisenbahner hätten ihren Tarifkonflikt beigelegt. Es war jedoch der öffentliche Dienst.

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