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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ampel plant Gesetzesreform "Sie fragte mich, welche Unterwäsche ich trage"
Das von der Ampel geplante Selbstbestimmungsgesetz polarisiert. Befürworter und Gegner dominieren die Debatte. Trans Personen wie Max Appenroth kommen selten zu Wort. Dabei hat er viel zu sagen.
Die Frage trifft ihn wie ein Schlag: "Was stellen Sie sich vor, wenn Sie masturbieren?" Die Psychologin blickt Max Appenroth direkt in die Augen. Er hört sein Herz pochen, draußen hupt ein Auto, der düstere Praxisraum scheint noch enger zu werden. Appenroth zögert. Er will nicht antworten und weg von der Frau, die ihm gegenübersitzt.
"Hört das jemals auf", denkt er sich. Kurz zuvor hat ihn die vom Amtsgericht beauftragte Gutachterin bereits gefragt: "Welche Sexualpraktiken stimulieren Sie?" "Was für Unterwäsche tragen Sie?" Fragen wie Faustschläge.
Max Appenroth hat damals im Sommer 2011 ein Ziel: Er will endlich offiziell in seiner Geschlechtsidentität und mit seinem selbst gewählten Vornamen anerkannt werden – und durchläuft dazu das Verfahren nach dem sogenannten Transsexuellengesetz (TSG). In seinem Pass stehen zu dem Zeitpunkt noch das falsche Geschlecht und ein Frauenname.
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Schon als Kind wollte Appenroth nicht wie ein Mädchen behandelt werden. Er schildert Szenen aus seiner Kindheit, die das illustrieren. "Auf einer Kreuzfahrt mit meiner Familie verstand ich nicht, weshalb ich nicht wie mein Bruder einen schwarzen Piratenhut bekam. In meiner Wahrnehmung waren wir gleich."
In der Pubertät sei das Unwohlsein damit, als Frau zu leben, immer stärker und zunehmend belastend geworden. Mit Anfang 20 war für Appenroth dann ganz klar: Das Geschlecht, das ihm bei der Geburt zugewiesen wurde, ist nicht sein wahres. Er ist trans.
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Zehn Gespräche für zwei Gutachten
Um die Angaben in seinem Personalausweis an seine Identität anzupassen, musste Appenroth ein aufwendiges Verfahren absolvieren: Für die sogenannte Personenstandsänderung forderte das zuständige Amtsgericht einen ausführlichen Lebenslauf und zwei psychologische Gutachten, für die Appenroth zehn Gespräche führte.
Über ein Jahr lang zog sich dieser Prozess hin, kostete fast 3.000 Euro und "viele Nerven", wie Appenroth erzählt. Mehr als zehn Jahre ist das jetzt her. Es sei eine furchtbare Tortur gewesen, sagt der 36-Jährige im Videocall mit t-online. Er sitzt bei dem Gespräch in seiner Kölner Wohnung, im Hintergrund tippelt seine Katze übers Bett.
Bis heute fühlt sich Max Appenroth durch die Zwangsbegutachtungen und das monatelange TSG-Verfahren traumatisiert.
Schon lange gibt es Kritik an dem Gesetz und dem damit verbundenen Verfahren. Die Regierung will das mehr als 40 Jahre alte Transsexuellengesetz deshalb durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Das Familienministerium hat dafür gemeinsam mit dem Justizministerium im Sommer 2022 ein Eckpunktepapier vorgelegt. Das Gesetz soll das Leben von trans Menschen wie Max Appenroth verbessern und es ihnen erleichtern, ihren Personenstand zu ändern.
Obwohl sich alle Bundestagsparteien, mit Ausnahme der AfD, für eine Reform des TSG aussprechen, lässt der Gesetzesentwurf seit Monaten auf sich warten. Vorbehalte in Teilen der Gesellschaft erschweren die Ausarbeitung. Eigentlich sollte das Gesetz bis zum Sommer im Bundestag verabschiedet werden.
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Als psychisch krank markiert
Wie reformbedürftig das TSG ist, zeigt eine Änderung, die die Weltgesundheitsorganisation 2019 vornahm: Damals strich sie die psychiatrische Diagnose "Transsexualität" aus dem Katalog der psychischen Krankheiten. Doch das TSG verpflichtet trans Menschen weiterhin dazu, zwei psychologische oder psychiatrische Gutachten vorzulegen, wenn sie eine Personenstandsänderung vornehmen lassen wollen.
Dieses Gesetz schade trans Menschen, sagt Max Appenroth. "Ich kenne mich selbst am besten, muss mich aber einem Verfahren aussetzen, das mich aufgrund meiner Identität als psychisch krank markiert."
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz bereits mehrfach kritisiert und in den vergangenen Jahren Teile des TSG außer Kraft gesetzt. "Die Entmündigung, die trans Menschen durch das Verfahren erleben, ist schmerzhaft", sagt Appenroth. Die Botschaft sei: "So wie du bist, bist du nicht richtig. Deswegen müssen wir dich psychologisch überprüfen."
"Sexualität hat nichts mit Geschlechtsidentität zu tun"
In den Gutachtengesprächen werde ein enges Raster angelegt, dem trans Menschen zu entsprechen hätten, sagt Appenroth. Eine Gutachterin habe ihn damals etwa gefragt, ob er sich schon einmal mit Männern geprügelt habe. Er verneinte. Bei jedem weiteren Gespräch hakte sie nach, ob er in der Zwischenzeit in eine Prügelei verwickelt gewesen sei. "Es schien, als sei ich in ihren Augen nur ein Mann, wenn ich aggressiv auftrete und damit einem Geschlechterstereotyp entspreche."
Mit jeder Antwort sei die Angst gewachsen, etwas zu sagen, das nicht dem Bild der Gutachterin von einem trans Mann entspreche. Ihr habe außerdem jegliche Sensibilität für die Lebensrealität von trans Menschen gefehlt. "Sie fragte mich, mit wem ich meine Sexualität ausleben will und welche Stellung ich beim Sex einnehme. Dabei hat das nichts mit meiner Geschlechtsidentität zu tun", sagt Appenroth. Ihr zu erklären, dass er ein Mann, deswegen aber nicht zwingend heterosexuell sei, habe er sich nicht getraut.
Massives Trauma
Bis 2011 nötigte das TSG verheiratete trans Menschen zudem, sich scheiden und sterilisieren zu lassen, um ihren Geschlechtseintrag anpassen zu können. Auch Operationen an den Geschlechtsmerkmalen wurden vorausgesetzt. Die medizinischen Eingriffe sollten die Ernsthaftigkeit des Transitionswunsches, also des Änderungswunsches, beweisen. Die Regelung wird heute nicht mehr angewandt, nachdem das Bundesverfassungsgesetz sie kassiert hat, ist aber noch Teil des Gesetzestextes.
Für manche trans Personen mögen operative Eingriffe das Richtige sein, sagt Appenroth. Das aber zur Bedingung zu machen, bezeichnet er als "übelsten Eingriff in die freie Entfaltung eines Menschen": "Der Gedanke dahinter ist doch: 'Kranke' Menschen dürfen sich nicht reproduzieren." Den Betroffenen sei mit solchen Eingriffen ein massives Trauma zugefügt worden.
Appenroth ist es ein Anliegen, darauf aufmerksam zu machen, dass das Narrativ, "trans Personen seien im falschen Körper geboren", problematisch ist. "Wir haben nur diesen einen Körper. Bloß weil sich einzelne Teile nicht richtig anfühlen, ist er nicht per se falsch."
Einigung über Gesetzesentwurf
Der Bedarf für eine Reform des Gesetzes ist groß. Laut Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* (BVT*) verschieben viele trans Personen ihre Personenstandsänderung, weil sie auf das neue Gesetz warten. Der Entwurf der zuständigen Ministerien sieht vor, dass nicht-binäre, trans- und intergeschlechtliche Personen ihren Vornamen und Geschlechtseintrag künftig mittels einer einfachen Selbstauskunft beim Standesamt ändern können.
Um sicherzustellen, dass hinter der Änderung eine ernsthafte Entscheidung stehe, schlagen das Familien- und Justizministerien eine einjährige Sperrfrist vor, bevor ein Eintrag erneut geändert werden könne.
Im März kündigten die beiden Ministerien an, dass man sich über einen Gesetzesentwurf einig geworden sei. Paus sagte damals, dass die Ressortabstimmung noch vor Ostern starten solle. Das ist nicht geschehen. Wie t-online aus Regierungskreisen erfahren hat, müsse die Einigung noch in den Gesetzestext übertragen werden. Und das dauere noch.
Zuvor war monatelang um einen Gesetzesentwurf gerungen worden. Teile der Gesellschaft hätten gegen einzelne Punkte Vorbehalte gehabt, heißt es aus dem Justizministerium. Die Bedenken seien zwar unbegründet, sollten im Entwurf jedoch adressiert und entkräftet werden. Das habe mehr Arbeit erfordert als gedacht und zu dieser Verzögerung geführt.
Kein Fall von missbräuchlicher Nutzung bekannt
Eine der am häufigsten genannten Kritikpunkte: Cis-geschlechtliche Männer könnten sich als trans Frauen ausgeben, um Zutritt zu Räumen zu erhalten, die Frauen vorbehalten sind, zu Frauenhäusern etwa. Kritiker warnen, damit steige das Risiko, dass Frauen Exhibitionismus und Belästigung ausgesetzt werden könnten.
Die Ampel nehme diese Bedenken nicht ernst genug, kritisiert etwa die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU, Silvia Breher. Widerstand kommt zudem von Frauenrechtlerinnen rund um Alice Schwarzer, die sich im Gegensatz zu vielen anderen feministischen Gruppierungen mehrfach kritisch über das Gesetzesvorhaben geäußert hat.
Die Frauenhauskoordinierung (FHK), die in Deutschland rund 260 Häuser vertritt, weist diese Vorbehalte zurück. Trans Frauen und nicht-binäre Personen fänden seit jeher Schutz in Frauenhäusern. In der jahrzehntelangen Arbeit in Deutschland sei dem FHK bislang kein Fall von missbräuchlicher Nutzung bekannt geworden.
Hass gegen trans Menschen
"Diese Kritik entbehrt jeglicher Grundlage", sagt auch Appenroth. "Cis-geschlechtliche Männer, die Frauen belästigen wollen, tun das bereits. Dafür braucht es keinen Ausweis." Er kann sich nicht vorstellen, dass Belästiger künftig den Umweg übers Standesamt gehen und sich dort offiziell registrieren lassen.
Die Regierung hat offenbar aber auf die Kritik reagiert. Wie t-online aus Regierungskreisen erfahren hat, soll in geschützten Frauenräumen auch nach Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes weiter das Hausrecht gelten. Das erlaubt es theoretisch, Menschen – unabhängig vom Geschlechtseintrag im Ausweis – des Ortes zu verweisen. Am Ende werden wohl Gerichte darüber entscheiden müssen, ob ein solcher Verweis mit dem Gleichbehandlungsgesetz vereinbar ist.
Wie das in der Praxis aussehen soll, kann sich Kalle Hümpfner vom BVT* nur schwer vorstellen und warnt davor, diskriminierende Regelungen gesetzlich zu verankern. Auch Max Appenroth betrachtet die Idee mit Sorge: "Das sind nicht die Forderungen der gesamten Gesellschaft, sondern die von Gruppierungen, die trans Menschen ausschließen und Hass gegen sie schüren wollen."
Stress und Angst
Vorgesehen ist nach t-online-Informationen auch eine Bedenkzeit. Erst drei Monate nach Antrag zur Personanstandsänderung soll die Entscheidung wirksam werden. Diese Wartefrist sieht Appenroth kritisch. Die Diskrepanz zwischen äußerer Erscheinung und veralteten Ausweispapieren setze trans Personen Gefahren aus. "Durch die Brustoperation und Hormone wurde ich als Mann wahrgenommen, jedoch ohne passende Dokumente. In der Zeit geriet ich mehrfach in sehr unangenehme Situationen."
Eine Szene ist Appenroth besonders in Erinnerung geblieben: An der Supermarktkasse blieb eine Verkäuferin am weiblichen Namen auf seiner EC-Karte hängen. Laut sagte sie: "Das ist aber nicht Ihre Karte, junger Mann", woraufhin die Menschen rundherum auf ihn aufmerksam wurden. Als sie drohte, die Polizei zu rufen, musste er sich vor Dutzenden Kunden outen. "Ich hatte furchtbare Angst, dass darunter eine transfeindliche Person sein könnte", erzählt Appenroth.
Nicht Betroffene könnten sich kaum vorstellen, welchen Stress das Fehlen passender Dokumente im Alltag bedeute. "Je länger es dauert, bis die Dokumente angepasst sind, desto mehr Schikane erfahren wir. Das zermürbt", sagt er.
"Trans Menschen gab es immer, wir sind kein Trend"
In neun europäischen Ländern sowie in Argentinien, Uruguay und Neuseeland gibt es bereits Gesetze zur Personenstandsänderung, die auf einer Selbstauskunft basieren. Die dort gemachten Erfahrungen ließen nicht befürchten, dass Verfahrenserleichterungen systematisch 'missbraucht' würden, heißt es aus dem Familien- und Justizministerium. Auch der BVT* verweist auf Erhebungen aus Ländern mit Selbstbestimmungsgesetzen, die belegten, dass sich die Sorge vor krimineller Absicht nicht bestätigen lasse.
Das politische Klima, auch mit Blick auf die USA, wo die Rechte von trans Personen zurzeit massiv bedroht sind, macht Appenroth Angst. "Das ist Taktik von Akteuren, die körperliche Selbstbestimmung aushebeln wollen und dafür beim schwächsten Glied der Kette ansetzen." Bei dem Gesetz gehe es um mehr als eine Regelung für eine kleine Gruppe. "Trans Menschen gab es immer, wir sind kein Trend und keine Bedrohung", sagt Appenroth. Trans Rechte zu stärken, sei daher eine Investition in die freie Entfaltung aller.
Max Appenroth
ist Gesundheitswissenschaflter und Berater für Diversität. Er lebt mit seinem Mann in Köln. Appenroth bezeichnet sich zehn Jahre nach seiner Personenstandsänderung nicht mehr nur als trans maskulin, sondern auch als nicht-binär. Nicht-binär deshalb, da er aufgrund seiner Sozialisierung nicht "nur männlich" sei. Trans versteht Appenroth als Überbegriff für Menschen, deren Geburtsgeschlecht nicht mit der gelebten Identität übereinstimmt. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff "cis-geschlechtlich" Menschen, deren Identität mit dem Geburtsgeschlecht übereinstimmt.
- Gespräche mit Max Appenroth im März und April 2023
- Anfrage an den Bundesverband Trans*
- Anfrage an die Union im Bundestag
- Anfragen an das Familien- und das Justizministerium
- bmfsj.de: "Fragen und Antworten zum Selbstbestimmungsgesetz" (Stand: 28. März 2023)
- bmfsj.de: "Eckpunkte des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums der Justiz zum Selbstbestimmungsgesetz"
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
- who.int: "Gender incongruence and transgender health in the ICD"
- bundesverband-trans.de: "Pressemitteilung 10 Jahre Abschaffung des Sterilisationszwangs"
- bundesverband-trans.de: "Trans*rechte über Jubel zu "Ehe für alle" nicht vergessen - TSG-Reform überfällig"
- abgeordnetenwatch.de: "Baerbel Bas, Wie stehen Sie zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Ampelkoalition und der damit verbundenen massiven Einschränkung von Frauenrechten?"
- antdiskriminierungsstelle.de: "Diskriminierungsmerkmale, Geschlecht und Geschlechtsidentität, trans*"
- welt.de: "Ist das Selbstbestimmungsgesetz eine Gefahr für Frauen-Schutzräume?" (kostenpflichtig)
- frauenhauskoordinierung.de: "FHK-Positionierung: Gewaltschutz für Alle Frauen"
- lsvd.de: "Das Selbstbestimmungsgesetz: Antworten zur Abschaffung des Transsexuellengesetz (TSG)"
- tgeu.org: "Self-determinaton models in Europe Practcal experiences" (englisch)
- openlynews.com: "Do trans self-ID laws harm women? Argentina could have answers"(englisch)