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CDU: Warum Friedrich Merz jetzt seine Kritik an Angela Merkel abschwächt


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Was heute wichtig ist
Merz wirft mit Wattebällchen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.02.2020Lesedauer: 7 Min.
Friedrich Merz sprach beim Forum Mittelstand zur Frage "Was nun Deutschland?", scheute aber eine klare Ansage zu seiner möglichen Kandidatur.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz sprach beim Forum Mittelstand zur Frage "Was nun Deutschland?", scheute aber eine klare Ansage zu seiner möglichen Kandidatur. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Wer keine Verantwortung trägt, kann den Mund weit aufmachen. Unbelastet von der Bürde eines Amtes kann er die Mächtigen umso lauter schelten. Gelangt er aber in die Nähe eines Amtes, werden seine Worte plötzlich sanfter. Besichtigen dürfen wir dieses Phänomen der taktischen Metamorphose in diesen Tagen an Friedrich Merz. Kein CDU-Spitzenpolitiker hat Angela Merkel und ihre große Koalition in den vergangenen Monaten so hart attackiert wie er. "Untätigkeit und mangelnde Führung" warf er der Kanzlerin vor, ihr Regierungsstil lege sich wie ein "Nebelteppich" übers Land. "Das gesamte Erscheinungsbild der deutschen Bundesregierung ist einfach grottenschlecht." Und: "Das kann so nicht weitergehen."

Kein CDU-Spitzenpolitiker hat in den vergangenen Jahren aber auch so wenig Verantwortung getragen wie Friedrich Merz. Seit er im Jahr 2004 den Machtkampf gegen Merkel verloren hatte, zog er die Wirtschaft der Politik vor. Erst seit Merkels Verzicht auf den Parteivorsitz im Herbst 2018 drängt er zurück ins Rampenlicht und vor die Mikrofone. Das tut er effektvoll und taktisch versiert. Reden kann er. Messerscharf, schlagfertig, gern mit einem Paukenschlag am Ende.

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Gestern Abend standen die Mikrofone bei der CDU-Mittelstandsvereinigung in Berlin – und plötzlich verlor Merz‘ Kritik ihre Messerschärfe. Sie klang ein bisschen so, als sei sie durch einen Katalysator gepresst worden. Punch hatten seine Sätze immer noch: "Die große Koalition in Berlin hat die Streitkultur in der politischen Mitte schwer beschädigt." Aber der Paukenschlag blieb aus, die Generalabrechnung mit Merkel wandelte sich zur beobachtenden Diagnose: "Das Erstarken der politischen Ränder ist auch eine Folge von empfundener Führungslosigkeit." Zuvor säuselte er über die Kanzlerin gar: "Sie ist ein Stück weit ein Vorbild für mich", wie unser Reporter Tim Kummert berichtet. Merz tauscht die Verbalkanone gegen Wattebällchen ein: "CDU und CSU müssen bis zur nächsten Bundestagswahl viele Sachfragen diskutieren. Das heißt aber nicht, dass es einen Bruch mit den letzten 15 Jahren geben muss, die auch gute Jahre waren, sondern wir brauchen jetzt einen Aufbruch in die Zukunft", flötet er.

"Gute Jahre" – die doch eben noch "grottenschlecht" waren? Da hat jemand ein großes Stück Kreide gefressen. Da merkt jemand, dass er keine Mehrheit erringt, indem er jene Bürger verprellt, die finden, dass man in Deutschland in den vergangenen Jahren ziemlich gut leben konnte. Die Frau Merkels Regierung trotz aller Kritik an einzelnen Entscheidungen auch nicht für den Untergang des Abendlandes halten. Das sind immer noch ziemlich viele Menschen, und wir dürfen Herrn Merz in diesen Tagen dabei zusehen, wie ihm das zu dämmern beginnt. Deshalb ist er kein schlechterer Kandidat als andere. Er hat Kraft und Ideen. Aber zu glauben, dass er das Land völlig anders regieren würde als die Kanzlerin, ist ein Trugschluss.

Wer in einem wichtigen Amt Verantwortung trägt, wer sich dem Wohl von 82 Millionen Menschen verpflichtet hat, der kommt schnell an den Punkt, an dem er jeden Tag unzählige Kompromisse machen muss. Mit Koalitionspartnern, mit den EU-Ländern, mit den Arbeitgebern, mit den Gewerkschaften, sogar mit Leuten wie Putin, Erdogan und Trump. Das ist nervenaufreibend, anstrengend und fast nie ein hundertprozentiger Erfolg. Man nennt es auch: Politik. Die gelingt mal besser, mal schlechter – und wer der amtierenden Kanzlerin Führungsschwäche vorwirft, liegt sicher nicht ganz falsch. Aber zugleich gilt eben auch, was schon der Wirtschaftswundervater Ludwig Erhard wusste: "Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen." So gesehen muss Friedrich Merz mit dem Kuchenmesser noch üben.


Eines steht fest: Wir werden den Kampf gegen die Klimakrise nur gewinnen, wenn jeder etwas dazu beiträgt. Klaus-Michael Kühne hat das verstanden. Er lenkt den größten Logistikkonzern Europas, Kühne + Nagel, und er hat sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Unternehmen CO2-neutral zu machen. Indem er seine Container zwischen Asien, Europa und Amerika ab sofort bevorzugt auf schadstoffarmen Frachtern umherschippern lässt, können bis zu 60 Prozent CO2 vermieden werden. Den Rest kompensiert er durch Aufforstung in Afrika und Südamerika, bis zu 100 Millionen Euro lässt der Konzern sich das Projekt kosten. "Herr Kühne ist ein Vorreiter grüner Logistik", sagt Entwicklungshilfeminister Gerd Müller. Und alle anderen Großunternehmen dürfen sich hinter die Ohren schreiben: Wer nur der Profitsteigerung hinterherjagt, wird seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht.


WAS STEHT AN?

Wolfgang Ischinger kennt sich aus mit Krisen. Er war Diplomat, bereist die große weite Welt, richtet Jahr für Jahr die Münchner Sicherheitskonferenz aus. Wenn dieser erfahrene Mann sagt, er sei "zutiefst aufgewühlt" über das "unverzeihliche Versagen" der internationalen Gemeinschaft in Syrien, dann sollten wir aufhorchen. Und wenn er sagt, beim Gedanken an die fehlende Umsetzung der Beschlüsse des Berliner Libyen-Gipfels werde ihm schlecht, dann sollten wir unruhig werden. "Wir haben mehr Krisen, mehr schlimme Krisen, mehr grauenhafte Vorgänge, als man sich das eigentlich vorstellen kann", beschreibt Ischinger die Weltlage zu Beginn des Jahres 2020. Man muss noch nicht einmal nach Nordkorea, Myanmar oder Xinjiang schauen. Es reicht schon, einen Blick auf die Krisenherde im Umfeld Europas zu werfen, um sich Sorgen zu machen.

Sorgen machen sich auch die 35 Staats- und Regierungschefs sowie fast 100 Außen- und Verteidigungsminister, die von heute an drei Tage lang in der bayerischen Landeshauptstadt über die weltweite Unsicherheitslage diskutieren. "Das Publikum erwartet hier manchen Knall", berichtet unser Reporter Patrick Diekmann, der sich unter die Gäste gemischt hat. "Im Raum steht die große Frage, warum die liberale Außenpolitik des Westens versagt hat und das rücksichtslose Vorgehen von Trump, Putin, Erdogan und Co. so erfolgreich ist."

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Beispiel Nato: Donald Trump hat das Bündnis in die Sinnkrise gestürzt, Emmanuel Macron streute Salz in die Wunde. Der absurde Streit ums Geld verdeckt, dass die Allianz keine Ahnung hat, wozu sie heute eigentlich noch dienen soll.

Beispiel Handelskrieg: Amerika und China teilen die Welt in zwei Einflusszonen auf, alle anderen müssen sich für eine Seite entscheiden, wollen sie nicht zerrieben werden – und ziehen so immer den Kürzeren. Sogar deutsche Weinbauern spüren schon die Folgen dieses Konflikts, berichten meine Kollegen Florian Schmidt und Jonas Mueller-Töwe.

Beispiel nationaler Egoismus: Trumps "America first" ist das Gegenteil jeder auf Gleichgewicht und Stabilität gerichteten Kooperation. Das sehen wir nicht nur beim Streit um Autozölle, sondern auch beim Kampf gegen das Coronavirus: Nirgendwo erbitten Fachleute die aufs Gemeinwohl gerichtete, gleichberechtigte Kooperation flehentlicher als bei der Bekämpfung der Pandemie. Doch die Verteilungskämpfe um Medikamente zeichnen sich bereits ab, spätestens nach der Fertigstellung des Impfstoffs werden die Masken fallen. "America first" wird eine noch brisantere Bedeutung bekommen, falls die USA die Rezeptur am schnellsten in den Händen halten.

Beispiel atomare Aufrüstung: Die Verträge zur Kontrolle der Waffenarsenale laufen aus und werden nicht erneuert. Das Risiko eines nuklearen Schlagabtauschs, mangels hinreichender Vorwarnzeiten sogar aus Versehen, steigt.

Beispiel Libyen: Die auf dem Berliner Gipfel vereinbarte Waffenruhe hielt keine Woche, das Waffenembargo erst recht nicht. Russland, die Türkei und die Arabischen Emirate rüsten ihre Statthalter weiter auf. Europa sitzt zwischen den Stühlen, verkauft seine Seele an Folterknechte und kuscht vor dem Geld der Ölscheichs.

Beispiel Osteuropa: Russlands Strategie der territorialen Übergriffe – Annexion der Krim, Schattenkrieg in der Ostukraine – und Putins zynischer Machtpolitik in Syrien hat die EU wenig mehr entgegenzusetzen als mahnende Appelle und Schutzzonenträume aus Wolkenkuckucksheim.

Apropos Syrien: Die Tragödie endet und endet nicht. Assad greift Idlib an und treibt noch mehr Flüchtlinge in Richtung Türkei und Europa. Den größten Fehler begingen UN und EU zu Beginn des Blutvergießens vor acht Jahren, als sie durch Untätigkeit die Chance verspielten, die Konfliktparteien zu beeinflussen. Jetzt wird über Syrien nur noch in Moskau, Ankara und Teheran entschieden. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Da hilft auch keine Sicherheitskonferenz.

Beispiel Sahelzone: Abseits der Schlagzeilen tobt dort ein brutaler Krieg zwischen schwächelnden Staatsarmeen und erstarkenden Islamisten, die die Verteilungskämpfe zwischen Bauern und Nomaden ausschlachten. Wenn Bundeswehrsoldaten durch ihre Zielfernrohre lugen, sehen sie Gegner mit zerschlissenen Sandalen auf Mopeds.

Beispiel Iran und Irak: Die Eilmeldungen sind rarer geworden, doch die Lage bleibt brandgefährlich. Jeder neue Funke im Konflikt zwischen Washington, Riad und Teheran kann ein Inferno entzünden. Mit dem unberechenbaren Trump, dem Mordbuben Salman und den verbohrten Mullahs wird sich daran nichts ändern.

Beispiel Jemen: Auch aus diesem geschundenen Land werden die Berichte weniger. Das Elend der Menschen nicht.

Alle diese Beispiele zeigen: Die Welt hat sich verändert. Deshalb brauchen wir eine neue Sicherheitsordnung, parallel zu bestehenden Strukturen wie der Nato. Der Aufbau einer europäischen Verteidigung ist dabei ein Mosaikstein, aber der Blick auf die Krisen der Gegenwart zeigt, dass es dabei nicht bleiben kann. Die Umrisse der enormen Veränderungen, mit denen das 21. Jahrhundert sich vom Korsett des vorherigen abhebt, werden langsam erkennbar. Die transatlantische Achse schwindet. Neue, flexiblere, flüchtigere Bündnisse zeichnen sich ab. Nicht mit dabei sein werden nur die, die zu spät kommen. Denn die bestraft... aber das wissen wir ja schon.


WAS LESEN?

Sie haben in den vergangenen Tagen viel über Kramp-Karrenbauer, Thüringen und Co. gelesen und finden, dass Sie nun erst mal genug über Kramp-Karrenbauer, Thüringen und Co. gelesen haben? Dann tun Sie sich heute Morgen den Gefallen und machen Sie eine Ausnahme. Denn unsere Kolumnistin Lamya Kaddor hat einen ganz anderen Blick auf die Geschehnisse als der Rest der Medienwelt: Hier beschreibt sie das miese Spiel mit Frauen in der Politik.



Die Thüringer AfD brüstet sich, den etablierten Parteien eine Niederlage zugefügt zu haben. Doch hinter ihrem Manöver bei der Ministerpräsidentenwahl steckt mehr: Der Politologe Claus Leggewie erklärt in der "Süddeutschen Zeitung", wie die Partei versucht, die deutsche Demokratie entgleisen zu lassen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die einen sehen es so und die anderen so.

Ich wünsche Ihnen einen abwechslungsreichen Tag. Morgen erhalten alle Tagesanbruch-Abonnenten wieder die Wochenendausgabe.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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