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Libyen-Konferenz: Die Macht der Scheichs reicht bis Berlin


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Was heute wichtig ist
Die Macht der Scheichs reicht bis Berlin

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 20.01.2020Lesedauer: 8 Min.
Kanzlerin Merkel empfing den Kronprinzen von Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed al Nahyan.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Merkel empfing den Kronprinzen von Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed al Nahyan. (Quelle: Bundesregierung)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Ein großes Schaulaufen war das gestern im Kanzleramt: Frankreichs Macron und Russlands Putin, Italiens Conte und Ägyptens Sisi, Erdogan aus Ankara, Johnson aus London und Pompeo aus Washington, Guterres für die UN und von der Leyen für die EU, dazu die Rivalen Al-Sarradsch und Haftar aus Libyen – und zwischendrin die Kanzlerin im kobaltblauen Blazer. Alle wollen sie mitreden, wie es im Krisenstaat Libyen weitergeht, und alle haben sie ihre eigenen Interessen: Macht, Öl, Erdgas, Sicherheit, Kontrolle der Migration, Kampf gegen Extremisten, die Liste ließe sich fortsetzen. Sie alle unter einen Hut zu bringen und den Menschen in diesem geschundenen Land endlich Frieden zu bescheren, ist eine Mammutaufgabe, dafür genügt ein einziger Gipfel nicht. Daher dürfte es der größte Erfolg des gestrigen Sonntags sein, dass diese Konferenz in Berlin überhaupt stattfinden konnte. Sie machte wie unter einem Brennglas die Funken des libyschen Brandherds sichtbar.

Viel ist in diesen Tagen von Herrn Putin und Herrn Erdogan die Rede, die in Libyen wiederholen wollen, was sie schon in Syrien getan haben: ein strategisch wichtiges Land unter sich aufteilen, indem sie Söldner entsenden, Druck ausüben, Fakten schaffen. Erst spät haben die Europäer begriffen, was da vor ihrer Haustür geschieht, womöglich zu spät. So gesehen war Merkels Libyen-Konferenz vielleicht der letzte entschlossene Versuch der Europäer, bleibenden Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Immerhin bemühen sich Paris, Rom und Berlin nun darum, mit einer Stimme zu sprechen, auch wenn der italienische Energiekonzern Eni und sein französischer Rivale Total in einem erbitterten Wettstreit um die libyschen Bodenschätze liegen. "Die Europäer haben im verworrenen Stellvertreterkrieg vor ihrer Haustür nur noch wenig mitzureden", kommentiert die "Neue Zürcher Zeitung". Daran ändern auch die Beschlüsse der gestrigen Konferenz nichts.

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55 Punkte umfasst das Abschlussdokument, doch es erschöpft sich überwiegend in Absichtserklärungen und Appellen. Nur wenige Punkte sind bindend. Der wichtigste besteht aus einem einzigen Satz: "Wir verpflichten uns, uns nicht in den bewaffneten Konflikt in Libyen und in die inneren Angelegenheiten Libyens einzumischen, und wir rufen alle internationalen Akteure auf, dasselbe zu tun." Würden sie diese Vereinbarung wirklich ernst nehmen, müsste Herr Putin seine Söldner der "Wagner"-Kampftruppe und Herr Erdogan seine aus der Freien Syrischen Armee rekrutierten Söldner sofort zurückpfeifen. Es ist nicht zu erwarten, dass sie dies tun werden, und beide haben sich in Erwartung der Gipfelergebnisse bereits in den vergangenen Tagen vorsorglich herausgeredet: Die Kämpfer stünden ja nicht unter ihrem staatlichen Kommando. Keine formale Befehlskette, keine Einmischung: Zu dieser Guerilla-Taktik passt es, dass der russische Außenminister das Gipfelergebnis noch kleiner redet als die Bundeskanzlerin.

Merkels Fazit: "Wir wissen, dass wir (…) nicht alle Probleme in Libyen lösen konnten. Ich mache mir keine Illusionen, dass das natürlich noch eine schwierige Wegstrecke sein wird."

Lawrows Fazit: "Es ist offensichtlich, dass wir es noch nicht geschafft haben, einen ernsthaften und dauerhaften Dialog zwischen ihnen (den libyschen Konfliktparteien) in Gang zu setzen." Die Konferenz sei nur ein "kleiner Schritt nach vorn". Die beiden Widersacher, Ministerpräsident Al-Sarradsch und General Haftar, sprachen in Berlin noch nicht einmal miteinander.

Ergo: in Libyen glimmt nach der Berliner Mammutkonferenz ein kleiner Hoffnungsschimmer, aber er kann auch schnell wieder erlöschen.

Das liegt auch an einem Mann, der gestern in der illustren Runde fehlte. Er traf die Kanzlerin zwar einen Tag zuvor zum Vieraugengespräch, schickte zur Konferenz dann aber nur seinen Außenminister: Mohammed bin Zayed Al Nahyan, der Kronprinz von Abu Dhabi und Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate. Suchte man nach einer Person, die den größten Einfluss auf das Wohl und vor allem Wehe Libyens hat, dann ist es weder Al-Sarradsch noch Haftar, weder Putin noch Erdogan – es ist dieser Ölscheich.

Bis zum Jahr 2011 betrieben die Herrscher der Emirate eine passive Außenpolitik, konzentrierten sich auf die Erdölförderung, den Tourismus und darauf, ihren märchenhaften Reichtum zu verprassen. Doch dann versetzten die Revolten des "Arabischen Frühlings" ihnen einen tiefen Schock. Seither fürchten sie, irgendwann ebenfalls von Aufständischen aus ihren Palästen gejagt zu werden, so wie Mubarak in Ägypten und Ben Ali in Tunesien, oder in einem Abflussrohr zu enden wie Gaddafi. Deshalb haben sie sich darauf verlegt, nicht nur jede interne Opposition erbarmungslos zu unterdrücken, sondern auch ihre Gegner im Ausland zu attackieren.

Da ist zum einen der Kampf gegen den schiitisch-iranischen Einfluss im Jemen, in Katar, in Syrien und im Irak. Sei es durch Panzer (zum Teil aus deutscher Produktion) im Jemenkrieg, sei es durch politischen Druck in Washington, wo kein Staat so viel Geld für Lobbyismus ausgibt wie die Emirate: Die Scheichs kalkulieren kühl und intervenieren hart. Auch die Eskalation zwischen Donald Trump und den Mullahs in Teheran dürfte zum Teil auf ihren Einfluss zurückzuführen sein.

Da ist zum anderen der Kampf gegen den sunnitischen Islamismus, vor allem die Muslimbruderschaft, aber auch das Qaida-Netzwerk. Dieser Kampf schmiedet die Emiratis mit Ägyptens Diktator Sisi zusammen, der seinen Muslimbruder-Vorgänger aus dem Amt putschte und dessen Anhänger zusammenschießen oder einkerkern ließ. Sowohl die Scheichs als auch der Machthaber in Kairo wollen unbedingt verhindern, dass Libyen in die Hände von Islamisten fällt, selbst wenn Teile der Bevölkerung dies wünschen. Deshalb unterstützen sie nicht die reguläre Regierung von Herrn Al-Sarradsch in Tripolis, die für einen Ausgleich mit den Muslimbrüdern wirbt, sondern den Warlord Haftar, der die Islamisten ebenfalls schonungslos verfolgt. Er weiß, wie das geht, er kennt ihre Führer und Strukturen, schließlich hat die islamistische Opposition Libyens ihren Sitz seit Jahrzehnten in der Region um Benghasi, wo auch Haftar residiert.

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Mit ihren Ölmilliarden, ihren Kampfdrohnen und ihrer aggressiven Außenpolitik sind die Scheichs zu mächtigen und gefährlichen Akteuren auf den Schlachtfeldern des Nahen Ostens und Nordafrikas aufgestiegen. Die europäischen Außenpolitiker scheinen diesen Einfluss bis heute nicht ernst genug zu nehmen, zumindest setzen sie ihm nicht entschlossen genug Grenzen – was selbst dann riskant ist, wenn man insgeheim manchen Gegnern der Emiratis den Garaus wünscht. Die Scheichs von heute exportieren nicht nur Öl, sondern auch Konflikte. Eine kraftvolle europäische Antwort darauf fehlt.


Es ist traurig, wie wenig überraschend Korruption sein kann. Wenn Sie erfahren, dass in Angola – ebenfalls einem ölreichen Land – der ortsansässige Diktator sein Töchterchen in eine standesgemäße Führungsposition gehoben hat, wo sie die staatliche Ölgesellschaft aussaugte wie andere Menschen ihren Longdrink? Genau, dann werden Sie diese Information wahrscheinlich mit einem Kopfnicken quittieren. Afrika, Ausbeutung, kennt man ja. Und sofern man den frisch durchgestochenen Dokumenten Glauben schenken darf, die etwas Licht in die Trübnis der familiären Deals bringen, dann ist in Angola das Klischee von der reichen, parasitären Präsidententochter tatsächlich perfekt bedient worden.

Isabel dos Santos hat ihren Zugang zu den Schatullen des Landes inzwischen verloren. Ihr Vater machte nach 38 Jahren an der Macht einem handverlesenen Nachfolger Platz, der zur allgemeinen Überraschung wenig sanftmütig mit dem präsidialen Nachwuchs umsprang: Statt Absolution gab’s Abrechnung. Trotz dieser Unbill darf Frau dos Santos noch immer als reichste Frau Afrikas gelten. Mithilfe einer windigen Firma in Dubai soll die Milliardärin den brisanten Dokumenten zufolge allein Angolas Ölkonzern um 58 Millionen Dollar erleichtert haben.

Die Schamlosigkeit ihrer Selbstbedienung findet sich quer durch das Datenleck. Öl, Diamanten: was der Boden Angolas zu bieten hat, taucht in den Papieren wieder auf. Isabel dos Santos lebt heute in London, und man darf sich fragen, wieso sie das unbehelligt hat tun können. Denn überraschend ist ihre Raffgier keineswegs.

Dass es auch anders geht, zeigt der Druck auf den Sprössling eines anderen Potentaten: Dem bis ins Mark korrupten Sohn des Präsidenten von Äquatorialguinea, ebenfalls von Öl gesegnet und von Kleptokraten ausgebeutet, sitzen US-Strafverfolger und ihre Kollegen aus mehreren europäischen Staaten im Nacken. So muss das sein! Wenn also Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang Februar nach Angola reist, dann weiß sie vermutlich, dass manche Probleme Afrikas zu Hause in Europa lösbar wären. Die Korruption auf Kosten der Bevölkerung ist ein Verbrechen. Für die Blutsauger in Amt und Würden muss die EU deshalb ein heißes Pflaster sein – kein bequemer Rückzugsort, wenn man zu Hause in Ungnade gefallen ist. Wenn wir eine Geschichte wie die von Isabel dos Santos hören, dann wollen wir nicht denken, ja, ja, so ist das halt – sondern staunen, dass solche Dreistigkeiten überhaupt noch möglich sind.


WAS STEHT AN?

Großbritannien steuert geradewegs auf den Brexit zu. Damit der EU-Austritt in knapp zwei Wochen einigermaßen geordnet über die Bühne gehen kann, muss nach dem Unterhaus nun auch das Oberhaus zustimmen. Darum geht es heute im Parlament, und es dürfte aus Sicht der Brexiteers alles glattgehen.


In Koblenz beginnt heute der Prozess gegen einen mutmaßlichen iranischen Spion in der Bundeswehr. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Landesverrat in besonders schwerem Fall vor, seine Gattin ist wegen Beihilfe angeklagt.


WAS LESEN?

Die brenzlige Lage in Nahost, Konflikte in Afrika, der unberechenbare Trump: Deutsche Außenpolitiker müssen derzeit durch ein Minenfeld manövrieren. Umso eindrucksvoller, wenn sie trotzdem die Fähigkeit haben, Klartext zu reden. So wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. Ihren Besuch in unserem Newsroom werden wir lange in Erinnerung behalten – ebenso wie das Interview mit meinen Kollegen Tim Kummert und Daniel Schreckenberg.


Vor einigen Tagen sorgten Fotos für Schlagzeilen, die die beiden Hauptverdächtigen im Mordfall Walter Lübcke auf einer AfD-Demonstration in Chemnitz zeigen. Meine Kollegen Lars Wienand, Philip Friedrichs und Adrian Röger haben nun weitere Videobilder unter die Lupe genommen und bemerkenswerte Beobachtungen gemacht.


Die Wannsee-Konferenz dauerte nur anderthalb Stunden, hatte aber grauenhafte Folgen für Millionen Menschen: Heute vor 78 Jahren kamen dort führende Vertreter der NS-Regierung und der SS zusammen, um den Holocaust zu organisieren. Die Ausstellung in den Räumen der Villa war früher schon erschütternd, zog aber auch Kritik auf sich, weshalb sie nun überarbeitet worden ist. Die Kollegen des "Tagesspiegel" haben sie bereits gesehen.


Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle nicht oft englischsprachige Artikel, aber diesen hier sollten Sie wirklich gelesen haben. Weil er erläutert, wie rasant und tiefgreifend digitale Erfindungen unser Leben verändern. Stellen Sie sich vor, ein Mann hätte eine neuartige App zur Gesichtserkennung programmiert. Mit dieser App könnte jedermann binnen Sekunden herausfinden, wer vor ihm steht, sobald man die Smartphone-Kamera auf ihn oder sie richtet. Das könnten also nicht nur Partygänger in der Disco tun, sondern auch Polizisten. Oder Überwachungskameras in einer Diktatur. Oder Kriminelle. So, und nun ersetzen wir den Konjunktiv durch den Indikativ. Denn es gibt diese App, und sie wird bereits eingesetzt. Mehr erfahren Sie in der "New York Times".


WAS AMÜSIERT MICH?

Gut, wenn man Bescheid weiß.

Ich wünsche Ihnen einen gut informierten Wochenstart. Morgen schreibt Peter Schink den Tagesanbruch, mich lesen Sie am Mittwoch wieder. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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