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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Blockieren, verschweigen, dementieren Andreas Scheuer, der Verquerminister
Andreas Scheuer muss erneut im Maut-Ausschuss aussagen. Doch von der versprochenen Aufklärung und Transparenz scheint der Minister weit entfernt. Sein Spiel auf Zeit könnte erfolgreich sein.
In wenigen Stunden tritt das ein, was die Opposition im Deutschen Bundestag seit Monaten unbedingt verhindern wollte: Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erzielt einen Erfolg. Schon wieder. Es ist eher nur ein Achtungserfolg, aber immerhin.
Denn Scheuer sagt an diesem Tag zwar erneut als Zeuge im Maut-Untersuchungsausschuss aus, doch der Bundesgerichtshof wird erst im Februar über die Offenlegung seiner E-Mail-Korrespondenz entscheiden. Zu dem Zeitpunkt ist die Beweisaufnahme des Ausschusses dann längst abgeschlossen. Und persönlich befragt wird Scheuer dazu wohl erst recht nicht mehr.
Für die Opposition sieht die Sache daher so aus: Am Donnerstag zieht der Blockade-Minister Scheuer die letzten Schrauben seiner Barrikade fest. In der Aufklärung der Mautaffäre scheint seine Behörde nur das Nötigste preiszugeben. Das wurde beispielsweise an einer internen E-Mail deutlich, die skizzierte, wie man kritische Berichterstattung "torpedieren" könne.
Als sicher gilt, dass das Spiel auf Zeit für Scheuer erfolgreich sein könnte: Den Untersuchungsausschuss scheint er politisch zu überstehen – und damit die Legislaturperiode. Was danach kommt, ist in der aktuellen Affäre für den Minister nebensächlich.
In Fraktions- und Parteikreisen der großen Koalition war man sich schon vor Monaten praktisch einig, dass der Minister sich nur noch aufgrund der Corona-Pandemie im Amt halten konnte. Dennoch verlor Scheuer nie vollständig den Rückhalt von CSU-Chef Markus Söder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Auch als zwei zentrale Zeugen in der Mautaffäre ihn schwer belasteten und er sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, das Parlament belogen zu haben, konnte er sich auf jene verlassen, die am Ende über sein Schicksal entscheiden.
Dass seine erneute Befragung im Ausschuss an dieser Ausgangssituation Entscheidendes ändern wird, ist nicht zu erwarten. Denn schließlich hätte es in den vergangenen Jahren mehr als genug Anlässe gegeben, Scheuer den Rückhalt aufzukündigen.
Nun, da er wohl einfach weitermacht – nein: weitermachen darf –, als wäre nichts gewesen, bleibt wohl vor allem eines von seiner Amtszeit: Er hat die Maßstäbe dafür, wann ein Bundesminister zurücktreten muss, wohl dauerhaft verschoben. Früher traten Spitzenpolitiker noch zurück, weil sie das falsche Briefpapier benutzten (Jürgen W. Möllemann 1993), es Probleme in der BSE-Krise gab (Andrea Fischer und Karl-Heinz Funke 2001) oder sie beim Plagiieren ertappt wurden (Karl-Theodor zu Guttenberg 2011).
Wenn es im Fall von Scheuer schlecht läuft, muss der Steuerzahler am Ende mehr als eine halbe Milliarde Euro Schadenersatz an die Mautbetreiber zahlen. Und da sind all die Beratungs- und sonstigen Kosten der Maut noch gar nicht mitgerechnet. Und eine andere Affäre, deren Kosten noch gar nicht komplett absehbar sind.
Scheuer muss das nicht weiter stören. Für ihn zählt möglicherweise nur, dass er politisch erst einmal überlebt. Probleme hat er ja genug. Die Maut ist schließlich nicht das einzige Beispiel, bei dem der Minister nur zögerlich mit Akten rausrückt – und wo er sich querstellt, wenn die Fragen zu unangenehm werden. Ein Überblick.
Affäre 1: Die Pkw-Maut
Es sollte für die CSU eines der größten Prestigeobjekte der laufenden Legislaturperiode werden und Milliarden Mehreinnahmen für den Bund generieren – es endete jedoch in einem Desaster mit wohl Hunderten Millionen Euro Schaden für den Steuerzahler. Obwohl rechtlich umstritten, vergab Scheuer im Dezember 2018 vertraglich den Auftrag für die Pkw-Maut an ein Betreiberfirmen-Konglomerat. Zu früh. Ein halbes Jahr später erklärte der Europäische Gerichtshof die Planungen für rechtswidrig. Scheuer kündigte die Verträge – nun sieht sich der Bund hohen Schadenersatzforderungen ausgesetzt.
Nach dem Scheitern der Maut versucht Scheuer, in die Offensive zu kommen. Er lässt sich im Juli 2019 öffentlichkeitswirksam mit einem Rollwagen ablichten, auf dem er 21 Aktenordner in eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses schieben lässt. Die Aktion soll den Anspruch symbolisieren, an dem er künftig gemessen werden wird. "Wir haben nichts zu verbergen", sagt Scheuer – und er verspricht: "maximale Transparenz".
Schon damals ist die Opposition nicht zufrieden, später gibt es deshalb den Untersuchungsausschuss, der die Mautaffäre bis heute aufzuklären versucht. Heute, fast anderthalb Jahre später, ist sich die Opposition einig: "Die Aufklärung wurde an vielen Stellen massiv behindert", sagt Oliver Luksic, FDP-Berichterstatter im Maut-Untersuchungsausschuss, zu t-online. Sein Amtskollege Oliver Krischer von den Grünen sagt: "Dieser Mann zieht eine Mauer überall hoch, wo es nur geht."
Worum es aus Sicht von Krischer beispielsweise geht, ist Scheuers E-Mail-Kommunikation. Scheuer hat für die Maut-Kommunikation nicht nur sein E-Mail-Konto als Minister benutzt, sondern auch sein Abgeordnetenkonto – und möglicherweise sogar ein völlig privates. Der Minister beteuert mehrfach, alle sachbezogenen E-Mails zur Verfügung gestellt zu haben. Doch das stimmt offensichtlich nicht. Es kommen "tröpfchenweise" weitere nach, wie Krischer t-online berichtet. Der Ausschuss setzt einen Sonderermittler ein, der aber auch keinen Zugriff auf die gesamte Kommunikation bekommt. Nun beschäftigt sich der Bundesgerichtshof damit.
Andere mögliche Hinweise verschwinden gleich ganz: Scheuers Handydaten sind gelöscht, was dazu führt, dass sich der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, SPD-Politiker Udo Schiefner, im Mai mit einem Beschwerdebrief an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wendet. Er dringt in dem Brief, der t-online vorliegt, auf "nachprüfbare Regeln für die Sicherung und Archivierung der Daten von Diensthandys für oberste Bundesbehörden" und schreibt: "Diensthandys sind kein rechtsfreier Raum."
"Scheuer behindert den U-Ausschuss bei seinen Mails, auch die Handy-Daten sind gelöscht", sagt FDP-Politiker Luksic. "Mit der versprochenen maximalen Transparenz hat das überhaupt nichts zu tun." Und er weist auf noch einen Aspekt hin, an dem Scheuer mauere: "Es gibt ein unabhängiges Gutachten im Schiedsverfahren zwischen Bund und Betreibern, was die zentrale Frage der Höhe eines möglichen Schadensersatzes genau analysiert – das wird dem Bundestag aber nach wie vor vorenthalten."
Affäre 2: Augustus Intelligence
Was die Firma "Augustus Intelligence" tatsächlich anbot oder an Expertise innehatte, ist bis heute unklar. Bekannt ist nur, dass einige Politiker der Union sich ungewöhnlich für das vollkommen unbekannte Digital-Unternehmen einsetzten. Während zunächst der Abgeordnete Philipp Amthor deswegen in Verruf geriet, ergaben weitere Recherchen auch fragwürdige Kontakte zwischen Scheuer und dem vermeintlichen Start-up. Bei einem Treffen wurden Planspiele über Investitionen des Bundes erörtert.
Als die Affäre um Philipp Amthor und seine Bemühungen für die Firma "Augustus Intelligence" durch einen "Spiegel"-Bericht bekannt wird, ist Scheuer zunächst nicht Teil der Schlagzeilen. Das ändert sich wenig später, als durch eine alte Pressemitteilung auffällt, dass er das Unternehmen zu einem Expertengespräch über Künstliche Intelligenz ins Ministerium einlud. Stück für Stück muss das Ressort anschließend weitere Kontakte einräumen.
War zunächst nur von einem Expertengespräch im September 2018 die Rede, gibt die Behörde schließlich dann auch ein "Kennenlerngespräch" im Juli zu. Gegenüber der Bundestagsopposition offenbart das Ministerium sogar erste Kontakte ab Februar. Und auch der Inhalt des Expertengesprächs hat es in sich: Recherchen von t-online fördern letztlich zu Tage, dass ein mögliches gemeinsames Start-up unter staatlicher Beteiligung zur Sprache kam. Als "Gedankenspiele" tut das Ministerium die im Protokoll festgehaltenen Überlegungen im Nachhinein ab. Zu einer Förderung sei es nicht gekommen. Was der Minister in WhatsApp-Nachrichten mit den Verantwortlichen von "Augustus Intelligence" besprach, ist weiterhin unbekannt.
Affäre 3: Die Autobahnreform
Für das zweite Prestigeprojekt des CSU-geführten Verkehrsministeriums ist 2017 sogar das Grundgesetz geändert worden. Nun, da die bundeseigene Autobahn GmbH zum 1. Januar die bisherige Verwaltung der Fernstraßen von Bund und Ländern übernommen hat, erweisen sich die Planungen allerdings als fehlerbehaftet und kostspielig.
Die ersten Kosten sind von 41 Millionen auf 325 Millionen Euro gestiegen. Die Betriebskosten explodieren ebenfalls. Bei Gehältern für Führungskräfte kommt es zu Unregelmäßigkeiten. Und der Bundesrechnungshof rügt einige Regelungen als verfassungswidrig. Nun müssen Verträge in Höhe von 20 Milliarden Euro möglicherweise neu ausgeschrieben werden – oder von der alten Bundesfernstraßenverwaltung fortgeführt werden.
Auch diese Affäre brachten Medienberichte ins Rollen. Demnach habe der Aufsichtsrat den Geschäftsführern im September wegen überzogener Managergehälter die Entlastung verweigert. Im Bundestag bestätigte das Ministerium "Unregelmäßigkeiten", ließ aber offen, welche das waren. Einen internen Prüfbericht stuften Scheuers Beamte als Verschlusssache ein. Öffentlich herausgeben, wenn möglich in Teilen geschwärzt, wie es der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven Kindler verlangt, wollen sie das Dokument schon gar nicht. Fragen weicht das Ministerium aus.
"Wie schon bei der Deutschen Bahn AG scheint die Bundesregierung hier kein Interesse an echter Kontrolle durch das Parlament zu haben", kritisiert Kindler. "Minister Scheuer sollte endlich den Skandal aufklären, anstatt alle Unterlagen dazu in seinem Tresor zu verstecken." Denn auch an anderer Stelle mauert das Ministerium – sehr zum Unwillen der Opposition: Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu umstrittenen Autobahnprojekten in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) wie der A49 in Hessen sind weiter nicht öffentlich.
"Wie schon bei der Pkw-Maut hält der Minister auch bei ÖPP-Projekten alle wichtigen Akten gezielt unter Verschluss", sagt Kindler t-online. Das widerspreche dem Koalitionsvertrag mit der SPD. "Alle veröffentlichten ÖPP-Verträge sind stark geschwärzt. Wenn die wesentlichen Passagen geschwärzt sind, dann ist das eben keine volle Transparenz." In der Vergangenheit waren ÖPP-Projekte immer wieder Ziel von Kritik. Wirtschaftlich waren sie selten.
Der Rückhalt bröckelt – aber hält
In Berlin kämpft Scheuer um sein Amt, in der CSU um seine politische Zukunft. Denn allmählich bröckelt auch in den Reihen der eigenen Partei für Scheuer der Rückhalt. In der CSU ist es ein offenes Geheimnis, dass "der Scheuer-Andi" aus einer wohlhabenden Familie stammt. Mancher raunt, er betreibe Politik als ein gut bezahltes Hobby. Eines, das der Partei in letzter Zeit einen regelrechten Sturm von negativen Schlagzeilen einbringt.
Hinter vorgehaltener Hand ärgert sich mancher: Markus Söder ist in den Umfragen seit Monaten einer der beliebtesten Politiker in Deutschland – da kann der Führungszirkel der Partei den immer weiter schwelenden Skandal um den Verkehrsminister überhaupt nicht gebrauchen. Doch offen sagen will das niemand.
Zumindest in Berlin kann sich Andreas Scheuer noch auf den Rückhalt im CSU-Teil der Unionsfraktion verlassen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Bundestagsfraktion, Stefan Müller, sagt t-online: "Im Moment wird jede Woche ein vermeintlich neuer Vorwurf gegen Andreas Scheuer aus dem Hut gezaubert. Dabei liegen doch die Fakten auf dem Tisch und unser Minister kann und wird dazu auch ausreichend Stellung nehmen."
Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Georg Nüßlein, der selbst CSU-Abgeordneter ist, erklärt: "Ich sehe da jetzt kein Versagen bei Andreas Scheuer. Fast überall in Europa gibt es eine Maut, nur im Fall Deutschland verhindert der EuGH sie in letzter Sekunde. Dass ein Minister den entsprechenden Beschluss des Bundestages operativ durchsetzen wollte, das ist doch aller Ehren wert."
Der CSU-Chef Söder will in die Partei offenbar ein Gefühl einer Wagenburg-Mentalität vermitteln. Er stärkt ihm den Rücken. t-online erfuhr, dass Söder bei der Klausurtagung der Partei im Januar Andreas Scheuer ausdrücklich lobte. Das ist selten, denn oft sagt Söder einfach gar nichts über die CSU-Politiker, die er gerade besonders verachtet.
Dass Andreas Scheuer im nächsten Bundeskabinett sitzt, gilt trotzdem als zweifelhaft. Denn sollte Markus Söder Bundeskanzler werden, dürfte sich die Anzahl der CSU-Ministerposten ohnehin reduzieren. Und auch wenn ein CDU-Mann zum Kanzler gewählt wird — die CSU wird dann wohl das Kabinett mit mehr Frauen besetzen. Andreas Scheuer, so heißt es in der Fraktion, bräuchte schon arg viel Glück, um nach der Wahl im September weiterhin auf seinem Sessel zu sitzen.
- Eigene Recherchen