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Kontroverse Untersuchung: Studie sieht großen Einfluss der Agrarlobby auf die Politik


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Kontroverse Untersuchung
Studie sieht großen Einfluss der Agrarlobby auf die Politik


Aktualisiert am 30.04.2019Lesedauer: 5 Min.
Traktor auf einem Feld am Oermter Berg in NRW: Eine Studie der Uni Bremen berichtet über fragwürdige Verbindungen zwischen Politik und Agrarfirmen.Vergrößern des Bildes
Traktor auf einem Feld am Oermter Berg in NRW: Eine Studie der Uni Bremen berichtet über fragwürdige Verbindungen zwischen Politik und Agrarfirmen. (Quelle: Reichwein/imago-images-bilder)
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Die deutsche Agrarpolitik wird in großem Maße von Verbänden und Unternehmen beeinflusst, warnt eine aktuelle Studie der Uni Bremen. Doch an der Untersuchung gibt es Kritik.

Eine aktuelle Studie der Uni Bremen stellt die Unabhängigkeit der Agrarpolitik in Bundestag und EU-Parlament in Zweifel. Nach Ansicht der beteiligten Wissenschaftler nimmt ein unionsnahes Netzwerk von Personen mit engsten Kontakten zu Verbänden und Unternehmen aus der Landwirtschaft erfolgreich Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse. Die Folge sei eine Politik, die die Lösung drängender Problemlagen behindere und Reformen zum Wohle von Umwelt, Tieren und Verbrauchern blockiere.

Die Union weist die Vorwürfe zurück, die Opposition sieht durchaus Schwierigkeiten. Sie weist auf problematische Verbindungen zwischen agrarnahen Firmen und Volksvertretern hin. Zugleich gibt es Kritik an einer pauschalen Brandmarkung von Abgeordneten mit landwirtschaftlichem Hintergrund. Die Untersuchung ist deshalb auch umstritten.

560 personelle Verflechtungen

Die Autoren der Studie – Wissenschaftler des Bremer Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) – haben für den Zeitraum von 2013 bis 2018 die Verbindungen von über 90 Akteuren sowie von 75 Institutionen untersucht. Sie stießen dabei nach eigenen Angaben auf mehr als 560 personelle und institutionelle Verflechtungen "innerhalb des Agribusiness-Netzwerks", zu dem Akteure unter anderem aus Finanzwirtschaft, Agrochemie, Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie aus Verbänden zählten.

Eine Schlüsselrolle nimmt nach Erkenntnis der Autoren der Deutsche Bauernverband DBV ein. Um den DBV hätten sich in den vergangenen Jahren verschiedene Formate und Hotspots etabliert, bei denen wichtige Akteure und Institutionen zusammenkämen, um ihre agrar- und umweltpolitischen Positionen abzustimmen. Die Studie nennt Plattformen wie das Forum Moderne Landwirtschaft (FML) und die Verbindungsstelle Landwirtschaft-Industrie e. V. (VLI), die wichtige Netzwerkfunktionen erfüllten.

Zu den herausragenden Akteuren in diesem Netzwerk zählt die Studie den Vorsitzenden des Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Der 57-Jährige besetzt neben seiner Rolle als Verbandschef auch wichtige Posten bei der für die Landwirtschaft wichtigen R+V-Versicherungsgruppe, bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank (LR), der KfW-Bankengruppe und der BayWa AG. In seiner Funktion als Präsident des Europäischen Bauernverbands (COPA) hat er zudem Zugang zu den Agrarministerkonferenzen der EU.

Daneben hebt die Studie unter anderem den Bundestagsabgeordneten Johannes Röring hervor. Die Seite des Bundestages weist für den CDU-Mann Nebentätigkeiten für zahlreiche agrarnahe Unternehmen aus, so etwa den LVM Pensionsfonds, die Westfälische Landschaft Bodenkreditbank, die R+V-Versicherung und die Land-Data GmbH. Überhaupt stellten Mitglieder der Unionsfraktion wichtige Verbindungsglieder zur Agrarwirtschaft dar, wie die Studienmacher schreiben. Über die Hälfte ihrer Entsandten im Agrarausschuss besetze Ämter im Bauernverband.

"Hinweise auf interessengeleitete Einflussnahmen"

Die vielfältigen Vernetzungen zwischen Politik, Verbänden und Agribusiness geben laut der Studie "Hinweise auf interessengeleitete Einflussnahmen auf rechtliche und förderpolitische Rahmensetzungen in der EU und in Deutschland". Dies könne ein Grund sein, heißt es weiter, warum wesentliche agrar- und umweltpolitische Entscheidungen im Widerspruch zu aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Empfehlungen stünden.

Interessenkonflikte seien unausweichlich: Die Umsetzung einer Agrarpolitik zum Wohl der Allgemeinheit würde in diesem Rahmen kaum Unterstützung erfahren. Das Gegenteil sei der Fall: "Trotz offensichtlicher Anpassungsbedarfe leisten die Akteure bislang kaum einen Beitrag zur Lösung der vielfach dokumentierten Problemfelder. Hierzu gehören der agrarstrukturelle Wandel, der Umwelt-, Natur- und Klimaschutz sowie eine tierartgerechte Erzeugung."

"Ein grundsätzliches Problem"

In den Fraktionen im Bundestag trifft die Studie auf Nachfrage von t-online.de auf ein geteiltes Echo. Die Union weist Einflussnahme aus dem Agribusiness auf ihre Abgeordneten von sich. Politiker von Grünen und Linken hingegen kritisieren die Verflechtungen mit der Wirtschaft.

So sagt etwa die Linken-Politikerin Kirsten Tackmann, Sprecherin für Agrarpolitik in ihrer Fraktion, t-online.de: "Abgeordnete haben in Aufsichtsräten oder vergleichbaren Gremien nichts zu suchen. Dass Lobby-Gruppen, die keine gesamtgesellschaftlichen Interessen vertreten, zu viel Einfluss auf bundespolitische Entscheidungen haben, ist ein grundsätzliches Problem."

Tackmann nennt als aktuellstes Beispiel von agrarwirtschaftlicher Einflussnahme die Verlängerung der Ferkelkastration. "Hier zeigte sich eindrucksvoll, wie sogar über Berichte der Bundesregierung, die die Existenz von praxisreifen Alternativen bereits vor Jahren feststellten, hinweggegangen wird auf Druck von Schweinemästern und Bauernverband im Schulterschluss mit Schlachtindustrie und Lebensmitteleinzelhandel."

Der Grünen-Agrarexperte Friedrich Ostendorff kritisiert, dass aus den Reihen der Unionsfraktion Reformen blockiert werden. "Es passiert nichts beim Schutz des Grundwassers oder beim Verbot der Ferkelkastration. Es werden Reformen verhindert, die bei der Vergabe von Agrarsubventionen das Gemeinwohl honorieren. Stattdessen findet die bisherige Praxis, die Betriebe pauschal nach der Fläche belohnt, in den Vertretern der Agrarwirtschaft ihre größten Verteidiger."

Kritik an der Studie

Ostendorff beklagt eine enge Verzahnung von Agrarpolitikern mit nachgelagerten Firmen und Verbänden etwa aus der Versicherungs- und Bankenbranche. Kritisch werde es besonders dann, wenn die betroffenen Personen weit mehr mit ihren Nebentätigkeiten verdienten als über ihr Mandat im Bundestag. Allerdings verwahrt sich der Grünen-Politiker gegen eine pauschale Kritik an Verbindungen von Politik und Landwirtschaft. "Natürlich ist es legitim, dass Bauern Mitglieder des Bundestages sind", sagte Ostendorff t-online.de.

Auch der Sprecher im Arbeitskreis Landwirtschaft in der AfD, Stephan Protschka, äußert Kritik an der Studie. "Grundsätzlich ist gegen eine 'Verzahnung' der Agrarindustrie nichts einzuwenden, wenn diese Verzahnung darauf beruht, der Politik Einblicke in den Industriezweig zu gewähren und mit branchenwichtigen Informationen zu versorgen", sagte Protschka t-online.de.

Allerdings grenzt aus seiner Sicht das Verhalten einiger Unionsabgeordneter an Vetternwirtschaft. Über Jahre sei eine ungesunde Verbandelung zwischen dem Bauernverband und der Union entstanden. "Aus meiner parlamentarischen Arbeit heraus habe ich feststellen können, dass der Bauernverband selbst bei vielen landwirtschaftlichen Familienbetrieben in der Kritik steht, weil hier eine toxische Symbiose aus Abhängigkeiten eines einzelnen Interessenverbandes und der Politik entstanden ist, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe sind völlig auf der Strecke geblieben, was man an ihrem starken Rückgang im letzten Jahrzehnt beobachten kann."

Der FDP-Politiker Frank Sitta sagt t-online.de, dass Politiker, die sich in der Entscheidungsfindung durch persönliche Interessen für befangen halten, selbst zurücknehmen sollten. "Einen gesetzlichen Ausschluss würde ich für einen Fehler halten ... Dürften dann etwa Abgeordnete, die von Beruf Lehrer sind – und womöglich Mitglieder einer Lehrergewerkschaft – sich auch nicht an Entscheidungen beteiligen, die die Arbeitsbedingungen an Schulen betreffen?"

"Seit wann schadet Kompetenz?"

Die Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Gitta Connemann, weist den Vorwurf der Einflussnahme gegen ihre Kollegen entschieden zurück. "Jede Fraktion steht im Austausch mit Verbänden und Interessenvertretern. Unsere macht da keine Ausnahme", sagte Connemann t-online.de. Natürlich redeten Vertreter ihrer Fraktion mit Agrarverbänden wie auch mit Gewerkschaften oder Kirchen, daran sei aber nichts Anrüchiges. "Ein Problem besteht nur dann, wenn sich Abgeordnete von außen bestimmen lassen. Das kann ich bei uns aber nicht erkennen."


Dass Abgeordnete mit engen Verbindungen zur Agrarindustrie in parlamentarische Entscheidungsprozesse involviert sind, ist für Connemann kein Problem. "Seit wann schadet Kompetenz? Es ist doch gut, wenn ein Abgeordneter weiß, worüber er spricht." Das gelte doch auch für Gewerkschaftsvertreter, die im Ausschuss für Arbeit und Soziales sitzen, oder Mediziner im Gesundheitsausschuss. "Wieso sollte gerade die Landwirtschaft da eine Ausnahme bilden müssen? Und im Übrigen: Dann dürfte sich kein Politiker mehr neben seinem Mandat engagieren."

Verwendete Quellen
  • Internetseite des Bundestages
  • Eigene Recherchen
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