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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Außenminister über Bedrohung Europas "Der größte Sturm kommt erst noch"
Als litauischer Außenminister war Gabrielius Landsbergis einer der größten Unterstützer der Ukraine. Auch nach seiner Amtszeit soll das kein Ende haben. t-online spricht mit ihm über die Gefahren für Europa – und über Olaf Scholz.
Erst im Dezember verkündete er seinen vorläufigen Rückzug aus der Politik, ruhiger ist das Leben des vormaligen litauischen Außenministers Gabrielius Landsbergis dadurch aber nicht geworden. Taipeh, Brüssel und Tallinn – das sind die Stationen, die der 43-Jährige allein in den vergangenen Tagen bereist hat. Als t-online Landsbergis zum Interview erreicht, befindet er sich nach seiner Taiwan-Reise erst seit wenigen Stunden in der belgischen Hauptstadt. Er klagt nach der 15-stündigen Reise über Jetlag, wirkt allerdings aufgeweckt, sobald das Gespräch auf die aktuelle geopolitische Lage kommt.
Als litauischer Außenminister war Landsbergis einer der lautstärksten Unterstützer der Ukraine – schon bevor der russische Nachbar das Land am 24. Februar 2022 überfiel. Auch nach seiner Amtszeit wolle er daran ansetzen und dazu ein Fürsprecher für andere bedrohte Länder wie Georgien, Moldau oder eben Taiwan sein, berichtet der konservative Politiker. Im Interview zeigt er auf, wo seiner Meinung nach die größten Gefahren für Europa liegen, spricht sich für deutlich höhere Militärausgaben aus – und kritisiert Bundeskanzler Olaf Scholz scharf.
t-online: Herr Landsbergis, heute wird Donald Trump als US-Präsident vereidigt. Eines seiner zentralen Versprechen im Wahlkampf war, den Krieg in der Ukraine zu einem schnellen Ende zu bringen. Kann das klappen?
Gabrielius Landsbergis: Als Trump davon sprach, den Krieg innerhalb von 24 Stunden nach seiner Vereidigung zu beenden, ohne dass die Ukraine große Zugeständnisse an Russland machen müsse, war ich besorgt. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie das eigentlich gehen soll.
Mittlerweile sprechen Trumps Berater eher von einem Kriegsende in Monaten.
Das ist auch rationaler. Trumps Leute verstehen nun besser, wovon sie eigentlich reden. Eine Niederlage für die Ukraine würde auch eine Niederlage für die USA bedeuten – und damit auch für Donald Trump. Ihm ist gewinnen aber sehr wichtig. Seine Leute arbeiten an einer Strategie, mit der sie am Ende als Sieger aus der Sache herausgehen.
Was ist dafür nötig?
Die Ukraine muss in einer stärkeren Position als Russland sein. Also muss sich Trump dafür einsetzen, dass die Ukraine in diese Position gelangt. Ich hoffe sehr, dass das passiert. Denn wenn die Ukraine verliert, verlieren wir alle.
Wegen Trump wird derzeit viel über mögliche Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gesprochen. Ist die Ukraine bereit dafür?
Die Antwort auf Ihre Frage ist einfach: Die Ukraine ist bereit, Russland jedoch nicht. Putin glaubt, er könnte gewinnen. Solange er das glaubt, wird er seinen Krieg fortsetzen. Russland gibt zwar vor, ein Interesse an Verhandlungen zu haben. Im Moment ist das jedoch nicht mehr als eine Show, da sich Russland auf der Siegesstraße wähnt.
Zur Person
Gabrielius Landsbergis (geb. 1982) war zwischen 2020 und 2024 litauischer Außenminister. Von 2015 bis zur Niederlage bei den Parlamentswahlen 2024 führte er die konservative Partei Vaterlandsbund in seinem Heimatland. Nach seinem Rückzug aus der Politik hat Landsbergis laut eigenen Aussagen ein "demokratisches Start-up" zur internationalen Vernetzung demokratischer Akteure gegründet. Außerdem schreibt er an einem Buch, das auf dem Tagebuch aus seiner Amtszeit als Außenminister basiert. Eine Rückkehr in die Politik schließt der 43-Jährige im Gespräch mit t-online nicht aus.
Glauben Sie denn, dass die Ukraine im Krieg die Oberhand gewinnen kann und am Ende in Verhandlungen wohl keine großen Zugeständnisse an Russland machen muss?
Offensichtlich denkt Putin, dass er auch den Rest der Ukraine einnehmen kann, wenn nur genug Zeit vergeht. Dementsprechend ist die wichtigste Aufgabe der Verbündeten der Ukraine, ihm zu zeigen, dass es unmöglich ist, so weiterzumachen wie bisher. Dafür muss die Ukraine so viele Waffen bekommen. Damit Putin einfach keine Chance hat, den Rest des Landes einzunehmen. Der Preis, den seine Armee dafür zahlen müsste, muss unbezahlbar werden.
Was kann der Westen noch tun, außer die Ukraine aufzurüsten?
Er kann der Ukraine Sicherheitsgarantien geben.
Darüber wird bereits breit diskutiert. Wie müssten die aussehen?
Die einzige Sicherheitsgarantie, die in den vergangenen Jahrzehnten für Europa Wirkung gezeigt hat, ist die Nato. Das ist der günstigste und effektivste Weg. Alles andere wäre ungleich riskanter – sowohl für Europa als auch die Vereinigten Staaten. Wenn Putin glaubt, dass Sicherheitsgarantien nicht mit Taten unterfüttert sind, dann demütigt er nicht nur die Ukraine, sondern den ganzen Westen. Kiew muss genauso sicher sein wie Berlin, Washington oder Warschau. Sonst laufen wir in Putins Falle.
Nun hat Russland allerdings vier ukrainische Regionen annektiert. Glauben Sie, dass Putin die so einfach aufgeben würde?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ukraine diese Regionen an Russland abgibt. So funktioniert die Welt nicht. Kein Dorf in diesen Regionen ist russisch. Über zeitlich begrenzte Lösungen muss die Ukraine entscheiden. Und ich glaube, was das angeht, könnte Kiew bereits Pläne in der Hinterhand haben.
Die russische Aggression bedroht auch den Rest des Kontinents. Sollte Putin nach dem Krieg weiter nach Europa greifen, scheint der Kontinent nicht auf einen möglichen Konflikt mit Russland vorbereitet zu sein. Was muss passieren, damit sich das ändert?
Das ist eine gute Frage. Wir haben einen Krieg mitten in Europa – und die Menschen wachen trotzdem nicht auf. Mögliche Szenarien, bei denen die Menschen verstehen würden, dass die russische Aggression uns alle angeht, sind wahrlich gruselig. Ist es, wenn Putin vor Warschau steht? Vor Berlin?
Die Nato-Partner brauchen einen neuen Standard jenseits der jetzigen zwei Prozent. Ich plädiere für sieben Prozent.
Gabrielius Landsbergis
Noch sind solche Szenarien wohl wirklich für viele kaum vorstellbar. Woran liegt das denn?
Ich weiß es nicht. Russlands Armee hat 1,2 Millionen Soldaten. Es wird vom Iran mit Drohnen, von Nordkorea mit Truppen und von China mit militärischer Technologie unterstützt – und die Europäer wachen trotzdem nicht auf.
Könnte Trumps Auftreten das ändern? Er vertritt das Konzept "Frieden durch Stärke" und fordert von den Nato-Staaten, dass sie fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Wie realistisch ist das?
Schauen Sie sich Polen oder die Staaten im Baltikum an, die ihr Militärbudget an diese fünf Prozent des BIP annähern. In vielen anderen Staaten ist eine Erhöhung des Militärbudgets sehr unpopulär: Versuchen Sie mal, den Menschen beizubringen, dass Sie die Steuern erhöhen, um mehr Geld ins Militär zu stecken – sie werden in riesigen Demonstrationszügen durch die Straßen laufen und dagegen protestieren.
Das ist teils verständlich. In vielen Staaten könnte etwa auch im sozialen Bereich zugunsten des Militärs gekürzt werden. Wie schätzen Sie die Verteidigungsfähigkeit der Nato denn aktuell ein?
Unsere Debatten drehen sich um die ferne Zukunft, um 2050 oder frühestens 2040. Das ist besorgniserregend, denn Russland hat bereits jetzt eine Armee und produziert weiterhin Waffen und anderes Kriegsgerät. Was dort in einem Monat an Munition produziert wird, schafft Europa gerade mal in einem Jahr. Während des Kalten Krieges war das anders. Da standen 400.000 Nato-Soldaten an den Außengrenzen des Militärbündnisses. Wenn wir diese Zahlen wieder erreichen wollen, um uns effizient zu schützen, müssen wir deutlich mehr Geld ausgeben. Die Nato-Partner brauchen einen neuen Standard jenseits der jetzigen zwei Prozent. Ich plädiere für sieben Prozent.
Das ist eine horrende Forderung. Litauen hat bereits erklärt, zwischen 2026 und 2030 auf sechs Prozent abzuzielen. Sollten sich die Nato-Staaten wirklich auf eine Zahl, ob fünf, sechs oder sieben Prozent, versteifen?
Einige Verbündete sagen, 1,7 Prozent wären genug, weil sie das Geld sehr effizient investieren. Aber wir müssen uns vor Augen führen, dass ein großer Teil des Geldes in Besoldung, Sozialversicherung und Ähnliches gesteckt wird. Dann bleibt nicht mehr viel Geld, um neue Ausrüstung anzuschaffen. Unser Mangel an modernem Kriegsgerät ist eines unserer Hauptprobleme.
Putin deeskaliert nur, wenn der Westen eskaliert. Er will nicht gegen eine starke Nato kämpfen.
Gabrielius Landsbergis
Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt, der Westen dürfe Russland keine Möglichkeit zur weiteren Eskalation geben. Wie können die westlichen Länder das in einer Zeit schaffen, in der pro-russische Parteien in ganz Europa stärker werden?
Wenn die Europäer Politiker wählen, die die Errungenschaften der Nachkriegszeit zerstören wollen, kann es sein, dass Europa aufhört zu existieren. Das wäre unser Ende. Will Europa weiter existieren, müssen wir Putin zurückdrängen. Denn Putin wird weiterhin Krieg führen – egal ob in der Ukraine, in Litauen oder in Deutschland. Und an noch einem weiteren Punkt müssen wir ansetzen: den sozialen Netzwerken.
Was genau meinen Sie?
Putin führt einen hybriden Krieg: Er mischt sich in Wahlen in ganz Europa ein, unterstützt radikale und antidemokratische Kräfte. Wir sehen das aktuell in Rumänien und Georgien. Dort war Putins Unterstützung für einen rechtsextremen Kandidaten wie eine kalte Dusche für das ganze Land, nach der sie verstanden haben, dass das ein Angriff auf ihre Demokratie war. Wahlen werden nicht mehr an der Urne, sondern in den von Russland oder China kontrollierten sozialen Netzwerken entschieden. Das ist angsteinflößend.
Zur hybriden Kriegsführung zählen auch die jüngsten Vorfälle in der Ostsee: Mehrfach kam es zu Sabotageakten an Unterseekabeln. Russland und seine Schattenflotte gelten als Verdächtige. Was kann der Westen gegen diese Bedrohung unternehmen?
Die Nato muss Russland deutlich machen, dass die Patrouillen auf der Ostsee zur Tat schreiten werden, wenn sie einen Verdacht hegen. Sie müssen verdächtige Schiffe stoppen und entern sowie die Besatzungen festnehmen können. Putin muss klargemacht werden: Wenn du einen falschen Schritt unternimmst, sind wir hinter dir her.
In Helsinki haben die Nato-Partner vergangene Woche beschlossen, mehr Präsenz auf der Ostsee zu zeigen. Reicht das?
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es kommt aber auf die Einsatzbefehle an. Mein Standpunkt ist, dass wir nicht erwarten können, dass Putin auf Deeskalation des Westens hin selbst deeskaliert. Im Gegenteil: Er wird das als Chance zur weiteren Eskalation begreifen. Putin deeskaliert nur, wenn der Westen eskaliert. Er will nicht gegen eine starke Nato kämpfen.
Die Standpunkte des Kanzlers sind beim Thema Ukraine-Krieg manchmal schwierig. Scholz gibt Putin damit Luft zum Atmen.
Gabrielius Landsbergis
Während Ihrer Amtszeit als Außenminister haben Sie eng mit Ihrer deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock zusammengearbeitet. Gleichzeitig haben Sie Bundeskanzler Olaf Scholz mehrfach kritisiert, etwa für sein jüngstes Telefonat mit Putin. Spricht Deutschland außenpolitisch mit einer Stimme?
Ich habe die Zusammenarbeit mit Deutschland stets geschätzt. Gemeinsam mit Annalena Baerbock und auch Verteidigungsminister Boris Pistorius haben wir Fortschritte beim Thema Sicherheitspolitik gemacht: etwa die Bundeswehr-Brigade, die ab 2027 in Litauen stationiert werden soll. Es gibt aber mindestens zwei verschiedene Standpunkte in der Bundesregierung. Damit meine ich besonders Kanzler Scholz.
Bitte erläutern Sie das.
Die Standpunkte des Kanzlers sind beim Thema Ukraine-Krieg manchmal schwierig. Scholz gibt Putin damit Luft zum Atmen. Die drei Milliarden Euro an Waffenhilfe für die Ukraine, die er jetzt gestoppt haben soll, sind ein Beispiel. Das sendet nicht nur ein falsches Signal an die Ukraine und an Putin, sondern auch an Donald Trump.
Warum an Trump?
Das ist genau das, wofür Trump uns Europäer kritisiert. Er sagt, wir tun nicht genug. Wenn ich vor den Wahlen als Außenminister in den USA war, habe ich stets versucht, Republikaner davon zu überzeugen, dass Europa manchmal langsam ist, aber dennoch genug tut. Dann werden drei Milliarden Euro für Kiew gestoppt.
In etwa einem Monat wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Laut aktuellen Umfragen wird Scholz dann nicht mehr Kanzler sein – sondern Friedrich Merz. Was erwarten Sie von ihm?
Deutschland spielt eine zentrale Rolle in der neuen geopolitischen Umgebung. Deutsche Führung ist deshalb nötiger denn je. Meine Hoffnung ist, dass der nächste Kanzler sich dessen annimmt. Stärke ist ein Wort, das die Deutschen nicht gern hören. Aber Stärke und Führung werden in Europa gebraucht. Der größte Sturm kommt erst noch.
Das klingt drastisch. Worauf spielen Sie an?
Russlands Bedrohung für Europa ist offensichtlich. Aber möglicherweise steht auch ein Handelskrieg mit den USA unter Trump vor der Tür. Hinzu kommen Chinas Machtansprüche und der Konflikt zwischen Washington und Peking. Europa ist derzeit schwach und ohne deutsche Führung noch schwächer. Dann erwartet uns eine schwierige Zukunft.
Herr Landsbergis, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Gabrielius Landsbergis