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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Koalition der Willigen" Diese Option ist nun wieder auf dem Tisch
Erneut gibt es den Vorschlag, europäische Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Worum geht es dabei? Und ist ein solcher Einsatz realistisch?
Ein Schreckgespenst geht in Europa um, das nur allzu bald Realität werden könnte. Die Amtseinführung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump findet in weniger als zwei Monaten statt. Und wenn der Republikaner am 20. Januar 2025 erneut ins Weiße Haus einzieht, könnten die Europäer mit Blick auf den Ukraine-Krieg bald auf sich allein gestellt sein.
Mehrfach hat Trump angekündigt, in nicht weniger als "24 Stunden" den Krieg beenden zu wollen. Laut einem Bericht des "Wall Street Journal" von Anfang November fasst sein Team dabei folgenden Plan ins Auge: Zunächst soll die Ukraine für mindestens 20 Jahre von ihrem Ziel absehen, dem Verteidigungsbündnis Nato beizutreten. Außerdem soll die Frontlinie eingefroren und eine demilitarisierte Zone geschaffen werden. Demzufolge will Trumps Team, dass europäische Truppen diese Zone überwachen.
Laut einem Bericht der Zeitung "Le Monde" diskutieren zumindest Frankreich und Großbritannien bereits über die Entsendung von Bodentruppen. Angesichts dessen ist in Europa nun eine heiße Debatte entbrannt. Der Politikwissenschaftler Carlo Masala etwa befürwortet die Idee. "Wir brauchen eine Rückfalloption für den Fall, dass die USA ihre Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Dabei geht es um eine Koalition der Willigen, die im Zweifel auch bereit ist, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden."
Doch wie realistisch ist der Vorschlag? Worum geht es dabei genau? Und was würde eine Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine für Europa und den Krieg bedeuten? t-online gibt einen Überblick.
Worum geht es?
Die Diskussion ist nicht ganz neu. Bereits im vergangenen Februar hatte der französische Präsident Emmanuel Macron die Idee einer Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine aufgebracht. Macron erklärte damals im Rahmen einer Ukraine-Hilfskonferenz mit mehr als 20 Staats- und Regierungschefs in Paris, dass "in der Dynamik" des Krieges "nichts ausgeschlossen werden" dürfe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte dies jedoch kategorisch ab. Insgesamt konnte auf dem damaligen Treffen keine Einigkeit in der Frage geschaffen werden. Mit Blick auf Trumps baldige Präsidentschaft aber bekommt die Debatte wohl erneut Aufwind.
Masala bezog sich mit seinen jüngsten Äußerungen auf ein Treffen von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seinen Amtskollegen aus Frankreich, Großbritannien und Polen sowie der italienischen Verteidigungsstaatssekretärin am Montag in Berlin.
Pistorius sagte im Anschluss an den Termin mit Blick auf den möglichen Rückzug der USA "Je früher wir uns darauf einstellen, desto besser." Wegen der Involvierung nordkoreanischer Truppen in den russischen Angriffskrieg sei das "kein regionaler Konflikt mehr, er hat internationale Dimensionen bekommen". Seine Gesprächspartner pflichteten ihm bei, forderten "Mut" ein und dass man "auf jede Situation vorbereitet sein" müsse.
Schon im Februar ging es Macron offenbar nicht darum, dass französische Truppen direkt in den Krieg eingreifen sollten. Sein damaliger Außenminister Stéphane Séjourné erklärte danach, dass der Präsident vielmehr Themen wie Cyberabwehr, die Produktion von Waffen in der Ukraine und die Minenräumung ins Auge gefasst habe.
Insgesamt aber ging es wohl insbesondere darum, die Unterstützung für die Ukraine zu erhöhen. Das dürfte auch jetzt der Stein des Anstoßes sein – speziell, wenn die USA ihre Hilfen ganz einstellen oder deutlich zurückschrauben sollten.
Welche Staaten haben sich noch zur Entsendung von Bodentruppen geäußert?
Das Thema war bereits im Oktober vom Außenminister Litauens, Gabrielius Landsbergis, aufgebracht worden – jedoch ohne größere Reaktion. Angesichts der Beteiligung von Nordkoreanern im russischen Angriffskrieg müssten Macrons Ideen vom Jahresbeginn neu begutachtet werden, "besser früher als später", schrieb Landsbergis auf X.
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Auch sein estnischer Amtskollege Margus Tsahkna äußerte sich in der vergangenen Woche dazu. Die europäischen Anführer sollten darauf vorbereitet sein, Truppen in die Ukraine zu entsenden, falls es zu einem Friedensdeal von Donald Trump kommen sollte, sagte er der "Financial Times".
"Wenn wir über echte Sicherheitsgarantien sprechen, bedeutet das, dass es einen gerechten Frieden geben wird. Dann reden wir über eine Nato-Mitgliedschaft", wurde Tsahkna zitiert. Ohne die USA sei das jedoch unmöglich.
Trump lehnt die Mitgliedschaft der Ukraine ab, auch andere Nato-Partner äußerten bereits Zweifel an dem Beitritt des Landes, solange es sich im Krieg befindet. Dann aber rede man über eine Sicherheitsgarantie im Sinne von Bodentruppen, so Tsahkna weiter.
Frankreich will "keine roten Linien" – Großbritannien winkt ab
Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot erklärte am vergangenen Freitag im Gespräch mit dem britischen Sender BBC, dass es bei der Unterstützung der Ukraine "keine roten Linien" geben sollte. Auf die mögliche Entsendung von Bodentruppen angesprochen, erklärte er: "Wir schließen keine Option aus."
Großbritannien zieht sich indes teils aus der Diskussion heraus. Außenminister David Lammy erklärte im Rahmen des G7-Treffens mit seinen Amtskollegen im italienischen Fiuggi am Dienstag: "Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir bereit sind und die Ukrainer weiterhin unterstützen werden, insbesondere mit Ausbildungsmaßnahmen."
Man habe jedoch schon seit Langem die Position vertreten, keine britischen Truppen in das Einsatzgebiet zu entsenden. "Das ist und bleibt die Position des Vereinigten Königreichs zu diesem Zeitpunkt." Damit bestätigte er Aussagen von Regierungschef Keir Starmer vom Vortag.
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Bisher hat sich kein Vertreter der Bundesregierung dazu geäußert. Macrons Vorschlag vom Februar hatte Kanzler Scholz damals jedoch ausgeschlossen. Auch in einer Regierungserklärung vom Januar 2023 hatte Scholz die Entsendung von Bodentruppen abgelehnt.
Was würde die Entsendung von Bodentruppen für Europa und die Nato bedeuten?
Das kommt ganz auf die Art des Einsatzes an. Bereits Ende vergangenen März hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags deutlich gemacht, dass der Alleingang eines Nato-Staates – also etwa die Entsendung französischer Truppen – nicht automatisch alle anderen Bündnispartner zur Kriegspartei machen würde. Ein solcher unilateraler Einsatz wäre laut dem Dienst übrigens nach Artikel 51 der UN-Charta völkerrechtlich zulässig.
Ferner würde wohl auch ein russischer Angriff auf Nato-Truppen in der Ukraine nicht zur Ausrufung des Artikels 5 des Nato-Vertrags führen. Jener Artikel reguliert den Bündnisfall, also wenn Nato-Staaten einem Partner nach einem Angriff auf dessen Territorium zu Hilfe eilen müssen.
Hier liegt derweil die Krux: Damit der Bündnisfall in Kraft tritt, müssen Nato-Länder oder -Truppen auf oder über ihrem Territorium angegriffen werden. Ein Einsatz in der Ukraine würde den Artikel 5 also ausschließen.
Putin droht – Geheimdienstchef lehnt Einfrieren des Kriegs ab
Russland hatte zuletzt in Person von Kremlchef Wladimir Putin Staaten gedroht, die die Ukraine mit weitreichenden Waffen unterstützen und ihr erlauben, russisches Territorium damit anzugreifen. Putin sagte vergangene Woche, Russland nehme sich das Recht heraus, militärische Ziele in jenen Ländern anzugreifen. Das würde im Falle von Nato-Staaten wie den USA, Großbritannien oder Frankreich zur Ausrufung des Nato-Bündnisfalls führen.
Großbritannien hat bereits seit 2014, als der Kreml den Krieg im Donbass mittels pro-russischer Milizen begann, sogenannte Militärberater in der Ukraine. Anfang November hob zudem US-Präsident Joe Biden das Verbot zum Einsatz von privaten US-Militärfirmen in der Ukraine auf. Diese sollen bei Reparaturen und der Instandhaltung von US-Waffen in der Ukraine helfen. Es ist unklar, ob Donald Trump als Präsident diese Erlaubnis aufrechterhalten wird. All das hat nicht dazu geführt, dass die Länder Kriegsparteien geworden wären.
Ein Einsatz von europäischen Bodentruppen zur Absicherung eines Waffenstillstands ist daher bisher am wahrscheinlichsten – wenn es überhaupt zu einem solchen Trump'schen Deal kommen sollte. Denn Russland lehnt nach Angaben des Auslandsgeheimdienstes ein bloßes Einfrieren des Konflikts in der Ukraine strikt ab. Die Führung in Moskau brauche einen "soliden und langfristigen Frieden", der die Kernursachen der Krise löse, sagte Russlands Geheimdienstchef Sergej Naryschkin. Wie der aber aussehen soll, ist unklar. Die Initiative auf dem Schlachtfeld liege bei Russland. Es sei offen für Gespräche, so Naryschkin.
- rnd.de: "Pistorius will mehr Hilfe für die Ukraine – und Europa militärisch stärken"
- lemonde.fr: "Discussions over sending European troops to Ukraine reignited" (englisch)
- wsj.com: "Trump Promised to End the War in Ukraine. Now He Must Decide How." (englisch)
- ft.com: "European troops in Ukraine would secure Trump peace deal, says Estonia" (englisch)
- bbc.com: "No 'red lines' in Ukraine support, French foreign minister tells BBC" (englisch)
- edition.cnn.com: "Biden administration to allow American military contractors to deploy to Ukraine for first time since Russia’s invasion" (englisch)
- faz.net: "Bodentruppen in Ukraine völkerrechtlich zulässig"
- x.com: Beitrag von @GLandsbergis
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters