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USA: Student alarmiert Secret Service mit Anti-Trump-Aufsatz


"Wann müssen wir sie töten?"
Secret Service greift nach Anti-Trump-Aufsatz ein


Aktualisiert am 24.04.2025 - 13:04 UhrLesedauer: 6 Min.
Nicholas Decker: Der Student (l.) ins Visier der Sicherheitsleute von US-Präsident Trump geraten.Vergrößern des Bildes
Nicholas Decker: Der Student (l.) ins Visier der Sicherheitsleute von US-Präsident Trump geraten. (Quelle: Samuel Corum (ZUMA Press Wire)/imago-images-bilder)
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Ein US-Student veröffentlicht einen provokanten Essay mit der Frage, wann Gewalt gegen die Trump-Regierung gerechtfertigt sei – und bekommt Besuch vom Secret Service. Ein Fall freier Meinungsäußerung oder gefährlicher Rhetorik?

Bastian Brauns berichtet aus Washington

Plötzlich klingelt es an der Tür von Nicholas Decker, einem Studenten im Bundesstaat Virginia. Zwei Beamte des Secret Service, jener US-Sicherheitsbehörde, die in erster Linie für die Sicherheit des amerikanischen Präsidenten zuständig ist, stehen vor dem Haus in der Stadt Fairfax. Etwas hat sie gehörig aufgeschreckt und sie fragen Nicholas, ob er eine Schusswaffe oder ein Messer besitze, und ob er eine Gefahr für sich oder für andere darstellen würde. So berichtet der 24-Jährige von seiner ungewöhnlichen Begegnung. Alle Fragen verneint er.

Die Beamten ziehen schließlich ab – jedoch nicht, ohne eine Warnung, die auch ein gut gemeinter Rat sein könnte, dazulassen: Nicholas solle eine bestimmte Linie besser nicht überschreiten. Sonst könnte er womöglich beim nächsten Mal nicht mehr so einfach davonkommen. Das Aufeinandertreffen mit dem Secret Service des US-Präsidenten hat er als Video mit seinem Smartphone festgehalten.

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Nicholas Decker ist derzeit Doktorand für Wirtschaftswissenschaften an der renommierten staatlichen George Mason University vor den Toren Washingtons – bekannt unter anderem für ihre Nobelpreisträger und ihre teils libertäre Lehre von größtmöglicher individueller Freiheit. Inzwischen ist klar: Der Besuch der Sicherheitsbeamten, die das Leben von Trump schützen sollen, am 18. April war kein Zufall.

Was die Behörde alarmiert hat, ist ein Aufsatz von Decker, den er zwei Tage zuvor ins Internet gestellt hat. Geschrieben ist er wie ein politisch aufrührerisches Manifest mit dem provokanten Titel: "When Must We Kill Them?" Zu Deutsch: "Wann müssen wir sie töten?" Wer mit "sie" gemeint ist, daran lässt Decker in seinem Aufsatz keinen Zweifel: "Das Böse ist über Amerika gekommen. Die gegenwärtige Regierung betreibt Barbarei", schreibt er. Sein Text ist nicht weniger als ein Aufruf an die übrigen Amerikaner zur Gewalt als Mittel zum Widerstand gegen die Trump-Regierung.

Zwischen Tyrannei und Widerstand

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Seinen Appell knüpft Nicolas Decker an eine Bedingung, die dafür erfüllt sein müsse. Decker schreibt, Gewalt könnte etwa dann notwendig werden, wenn die Regierung die Wahlen oder die Demokratie abschaffen würde. Rhetorisch bewegt sich der Student auf schmalem Grat. Denn wann ist jemand dabei, eine Demokratie abzuschaffen und wann ist es vielleicht schon zu spät? Nicholas Decker schreibt explizit von weiteren "Gründen für eine Revolution."

Die seien vorhanden, wenn die Regierung etwa "Anordnungen von Gerichten direkt missachten", "Wahlbetrug begehen", die "Meinungsfreiheit ihrer Gegner unterdrücken" und "ihre politischen Gegner inhaftieren" oder "den Willen des Kongresses ignorieren" würde, so Decker. Im direkten Austausch mit t-online bejaht er die Frage, ob Trumps jüngstes Ignorieren von Gerichtsurteilen bezüglich unschuldig abgeschobener Migranten in ein Gefängnislager nach El Salvador für ihn der Anlass für seinen Aufsatz gewesen sei. "Die Menschen sollen den Ernst der Lage begreifen", antwortet er.

In seinem Text schreibt Decker dazu: "Sollten diese Maßnahmen zur Normalität werden, könnte die Regierung jeden verhaften und ohne Grund ins Ausland abschieben, ohne Hoffnung auf Rechtsbeistand." Die Schlussfolgerungen des Studenten aus Virginia sind radikal und klingen nach jenem Unabhängigkeitskrieg, den Amerika einst gegen einen als Tyrannen empfundenen britischen König geführt hat. Man würde auch jetzt in "außergewöhnlichen Zeiten" leben, schreibt Decker. Man dürfe nicht abwarten und wie die Schafe zur Schlachtbank gehen. Es dürfe keine Kapitulation geben, denn Kapitulation bedeute die Unterdrückung von allen.

Amerikanische Tradition oder gefährlicher Aufruf?

Mehr als 11 Millionen Mal wurde der Post, in dem Nicholas Decker auf der Plattform X für seinen Aufsatz wirbt, inzwischen aufgerufen und tausendfach geteilt. Deckers Gegner werfen ihm vor, zum Morden aufzurufen oder gar einen Bürgerkrieg riskieren zu wollen. Auf die Frage, ob er mit seinem Text nicht Öl ins Feuer gießen würde, antwortet er t-online: "Das ist möglich. Der Inhalt des Essays war jedoch nichts weiter als amerikanische Standardrhetorik." Der Student und seine Unterstützer verteidigen seinen Beitrag als freie Meinungsäußerung.

Und tatsächlich gibt es mit dem Fall "Brandenburg vs Ohio" eine berühmte Grundsatzentscheidung des amerikanischen Supreme Courts. In dieser wurde im Jahr 1969 geurteilt, dass Meinungsäußerungen im Grunde nur dann bestraft werden können, wenn sie unmittelbar darauf abzielen, bevorstehende gesetzwidrige Handlungen anzustiften oder diese zu verursachen.

Die Strafverfolgungsbehörden wurden im Fall von Nicholas Decker trotzdem alarmiert. In einem Beitrag seiner eigenen Universität war zu lesen, dass man kriminelles Verhalten und jegliche Aufrufe zur Gewalt verurteilen würde – ohne explizit zu behaupten, dass man den Aufsatz des eigenen Studenten als solchen definieren würde.

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Keine Reue trotz Konsequenzen

Nachdem ihm die Beamten des Secret Service einen Besuch abgestattet hatten, ergänzte Nicholas Decker seinen Aufsatz allerdings noch mit ein paar einordnenden Sätzen. "Ich möchte einige Punkte klarstellen: Gewalt ist das letzte Mittel, nicht das erste", schrieb er nun. Sie dürfe erst nach Ausschöpfung aller möglichen Rechtsmittel eingesetzt und auch nur zielgerichtet gegen Personen, die Macht unrechtmäßig an sich reißen würden. Der rechtsradikale US-Podcaster Tim Pool hatte Decker zuvor vorgeworfen, ganz allgemein "zum Mord an Konservativen" aufzurufen.

In der Tat hatte der Doktorand in seinem Aufsatz geschrieben: "Das Problem ist nicht ein einzelner Mann, sondern eine ganze Gruppe von Menschen." Und sein Aufruf klingt an einigen Stellen nach einem großangelegten Plan. "Gewalt ist nur als Teil einer koordinierten Strategie sinnvoll", heißt es darin etwa. Sollte der Moment einst gekommen sein, findet Decker, gebe es keinen anderen Ausweg. "Wir müssen das Richtige tun. Wir müssen uns auf den Tod vorbereiten."

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Auf Nachfrage von t-online, ob er an seiner bisherigen oder späteren Version etwas bereuen würde, sagt Nicholas Decker entschieden: "Nein". Dabei kommt sein Aufsatz zu einem Zeitpunkt in den USA, in dem ein einzelner Vorfall zu einer Art Explosion führen könnte. Viele Amerikaner sind angesichts der vielen radikalen Trump-Anordnungen verunsichert, verängstigt und wütend. Die Sorge um die Demokratie alarmiert dabei nicht nur Verfassungsexperten.

Inzwischen wird sie sogar bis ins Lager der rechten Konservativen geteilt. So distanzierte sich etwa der bekannte Podcast-Moderator und Trump-Unterstützer Joe Rogan von den aktuellen Vorgängen. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu Monstern werden, während wir gegen Monster kämpfen", sagte er in seiner jüngsten Folge. Rogan skizzierte dabei, wie folgenreich der von der Regierung erhobene Vorwurf "Du bist ein Gangmitglied" ohne Rechtsverfahren am Ende ausgehen könnte. Niemand muss dann eine Schuld nachweisen und niemand kann dann seine Unschuld beweisen.

Die treuesten und radikalsten Trump-Anhänger hat Nicholas Decker mit seinem Gewaltaufruf allerdings massiv gegen sich aufgebracht. Seitdem er seinen Text veröffentlicht hat, erhält er massive Drohungen. Der Doktorand veröffentlicht regelmäßig provokante Texte. Die sind ebenfalls öffentlich einsehbar, meinungsstark und werden ihm jetzt von ganz rechts um die Ohren gehauen. Darunter ein Beitrag, in dem er es als moralische Pflicht bezeichnet, Migranten gezielt zu ehelichen, um ihnen einen legalen Aufenthalt in den USA zu ermöglichen. Für die Rechten ist Decker "woke" und linksradikal. Auf t-online-Nachfrage, wo er sich selbst im politischen Spektrum einordnen würde, antwortet er offenbar halb-ironisch: "Autistisch". In der Selbstbeschreibung seines Blogs ist hingegen zu lesen: "pragmatisch liberal".

Shitstorm von rechts und ein Hitlervergleich

Die Behörden eingeschaltet habe er trotz der Morddrohungen nicht, sagt er zu t-online. "Das ist mir egal", so Decker. Während im Internet der Shitstorm gegen ihn tobte, verkündete er sogar öffentlich, wo genau im Haus er sich gerade aufhalten würde. Die Hetzjagd gegen sich nimmt er in Kauf – und die Konsequenzen offenkundig auch:

Wegen der vielen Aufmerksamkeit und der Drohungen hat ihm sein Vermieter nun das Zimmer in Virginia gekündigt. Kurzzeitig startete Decker daraufhin einen Spendenaufruf für sich, um sich eine neue Bleibe finanzieren zu können. Immerhin rund 4.000 Dollar kamen dabei zusammen. Das Geld spendete er dann aber nach eigenem Bekunden an eine gemeinnützige Organisation mit dem Namen GiveWell. Er selbst habe inzwischen eine neue Unterkunft gefunden, sagt er.

Zurzeit befindet sich Nicholas Decker in der Hauptstadt Washington. Am Telefon sagt er, dass er sehr beschäftigt sei und darum aktuell keine Zeit für ein Treffen habe. Zeit zum Schreiben nimmt er sich. In einem weiteren Beitrag auf der Plattform X, der gegen Donald Trump gerichtet sein dürfte, schrieb er zuletzt: "Ist es nicht verrückt, dass Hitler nach seinem Putschversuch neun Monate lang ins Gefängnis gesteckt und dann einfach wieder freigelassen wurde? Gott sei Dank würden wir diesen Fehler nicht wiederholen!" Ob er sich selbst vor einem Bürgerkrieg fürchten würde? Darauf antwortet Nicholas Decker mit "Ja".

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher und telefonischer Austausch mit Nicholas Decker
  • nicholasdecker.substack.com: "When must we kill them" (englisch)

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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