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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue Forderungen an Nato-Partner "Trump setzt auf seinen Joker"
Donald Trump setzt mit Blick auf die Nato die Marschroute für seine Präsidentschaft. An seine Bündnispartner stellt er dabei horrende Forderungen. Kann das funktionieren?
Er hat es wieder geschafft. Der künftige US-Präsident Donald Trump hat die Nato-Partner aufgefordert, fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Eigentlich hatten sich die Bündnismitglieder auf zwei Prozent geeinigt, aber das reicht dem Republikaner offenbar nicht mehr. Mit seinem Vorstoß mischt Trump kurz vor seiner Amtseinführung und wenige Wochen vor der Bundestagswahl einmal mehr die westliche Welt auf.
"Sie können es sich alle leisten, aber sie sollten bei fünf Prozent und nicht bei zwei Prozent liegen", sagte der 78-Jährige, der am 20. Januar seine zweite Amtszeit als US-Präsident antritt, bei der Pressekonferenz am Dienstag in seinem Privatanwesen Mar-a-Lago in Florida.
Deutschland hatte die Zwei-Prozent-Marke lange Zeit nicht erreicht, wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wuchsen die Ausgaben für Verteidigung in den vergangenen Jahren jedoch kräftig an. Auch hierzulande gibt es immer wieder Forderungen nach weiteren Erhöhungen der Verteidigungsausgaben. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck etwa befürwortet im Wahlkampf Ausgaben von 3,5 Prozent des BIP. Doch kann Deutschland das überhaupt stemmen? Und wie realistisch ist die Umsetzung von Donald Trumps höherer Forderung überhaupt?
Wie viel geben Nato-Staaten aktuell für ihre Verteidigung aus?
Das bisher gültige, langfristige Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses geht auf den Nato-Gipfel in Litauen 2023 zurück. Zuvor hatten die Bündnispartner 2014 lediglich festgelegt, auf die zwei Prozent hinzuarbeiten. Damals lagen die meisten Mitgliedstaaten unter dieser Marke. Inzwischen hat sich das im Zuge der zunehmenden Bedrohung aus Russland zwar geändert, doch längst nicht alle Partner erfüllen die Vorgabe.
Nach der jüngsten Nato-Statistik vom Juni 2024 liegen von den 32 Nato-Staaten nur noch acht Länder unter zwei Prozent, wobei Island als Mitglied ohne eigene Streitkräfte nicht berücksichtigt wird. Diese acht Länder sind Kroatien, Portugal, Italien, Kanada, Belgien, Luxemburg, Slowenien und Spanien.
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Allerdings sind alle Mitglieder des Bündnisses weit von Trumps Wunschvorstellung von fünf Prozent entfernt – auch die USA selbst. Spitzenreiter in dieser Statistik sind die an Russland grenzenden Länder Polen und Estland. Deutschland liegt 2024 der Schätzung vom Juni zufolge bei 2,12 Prozent, was vor allem am Bundeswehr-Sondervermögen liegt, das der Bundestag nach der russischen Vollinvasion in der Ukraine beschlossen hat.
Warum fordert Trump nun eine Erhöhung?
Dass Trump diese Forderung nun stellt, ist keine Überraschung. Bereits Ende Dezember hatte es entsprechende Berichte gegeben. Außerdem erklärte Nato-Generalsekretär Mark Rutte damals, das Bündnis brauche "viel mehr als zwei Prozent". Er warnte, dass die europäischen Länder nicht auf die Gefahr eines künftigen Krieges mit Russland vorbereitet seien. Es war wohl eine Vorbereitung auf das, was Donald Trump am Dienstag verkündete.
Die Verteidigungsexpertin Ulrike Franke beobachtet beim künftigen US-Präsidenten Donald Trump seit Längerem eine "Faszination" für die Nato. "Er sieht die Organisation als ein Beispiel dafür, wie die Europäer die USA ausnutzen", sagt sie t-online. Auch deshalb habe er bereits während seiner ersten Amtszeit mit einem Austritt aus dem Bündnis gedroht.
Zur Person
Ulrike Franke (Jahrgang 1986) ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR). Sie forscht zu deutscher und europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik, insbesondere zur Rolle von Drohnen und neuen Technologien in der Kriegsführung. Frank hält einen PhD-Titel der Universität Oxford.
Heute aber ist die Diskussion eine andere: "Es wird viel über das Konzept der 'dormant Nato', also der 'schlafenden Nato' gesprochen", sagt Franke. Demnach würden die USA nicht austreten, sich aber ein Stück weit aus dem Bündnis zurückziehen. "Nach dieser Logik würden die USA innerhalb der Nato nur noch das Nötigste tun – also den nuklearen Schutzschirm stellen", erklärt die Verteidigungsexpertin des European Council on Foreign Relations. Diesem Konzept könnte Trump folgen.
Welche Druckmittel hat Trump gegenüber Europa?
Die Nato selbst sei ein Druckmittel für Trump gegenüber den Europäern, so Franke. Das hat zwei Gründe: "Weil die Arbeitsaufteilung innerhalb der Nato in der Tat unausgeglichen ist und weil mehr Verteidigungsausgaben in Europa zwangsläufig mehr Einnahmen für die US-amerikanische Verteidigungsindustrie bedeuten."
Die Gesamtausgaben der Nato beliefen sich im vergangenen Jahr auf rund 1,5 Billionen US-Dollar. Davon steuerten die USA allein 967,7 Milliarden US-Dollar bei – der Löwenanteil, der allerdings nur zu einem Bruchteil in das Bündnis selbst und zum Großteil in das globale militärische Engagement der Vereinigten Staaten fließt. Trump scheint also darauf zu setzen, dass die Europäer den USA einen Teil dieser Ausgaben über Waffenkäufe "erstatten" und ihre Verteidigung künftig selbst übernehmen. Washington konzentriert sich schon länger auf den Indopazifik und den Konflikt mit China.
Nato-Generalsekretär Rutte möchte der US-Administration dabei entgegenkommen. Er will Trump dazu bringen, den Europäern einen leichteren Zugang zu Waffensystemen der US-Rüstungsindustrie zu verschaffen. Die Ausgaben der europäischen Verbündeten in den USA beliefen sich bereits heute auf Hunderte Milliarden Dollar, sagte Rutte der Deutschen Presse-Agentur. Es könnten aber noch viel mehr werden, "wenn die US-Verteidigungsindustrie liberalisiert und mehr geöffnet wäre und man nicht die Zustimmung durch den Kongress, das Pentagon und das Weiße Haus einholen müsste".
Laut dem ehemaligen Nato-General Hans-Lothar Domröse könnte der Republikaner aber ein noch größeres Druckmittel nutzen. "Trump setzt auf seinen Joker: die nukleare Abschreckung", sagt Domröse im Gespräch mit t-online. Diese sei im Rahmen der Nato heute die gewichtigste Sicherheitsgarantie für die Europäer. "Fällt die nukleare Teilhabe weg – etwa weil Trump mit einem Rückzug aus der Nato droht –, dann fehlt Europa ein wichtiges Druckmittel, das nicht so einfach zu ersetzen ist", warnt er mit Blick auf die Bedrohung aus Russland.
Zur Person
Hans-Lothar Domröse (Jahrgang 1952) ist General a. D. des Heeres. Der Berufsoffizier trat 1973 in die Bundeswehr ein. In seiner Dienstzeit war Domröse Truppenführer auf allen Ebenen, daneben im Verteidigungsministerium, im Bundeskanzleramt und bei der EU/Nato tätig, dort zuletzt bis zu seiner Pensionierung 2016 als Befehlshaber des Allied Joint Force Command Brunssum (Niederlande).
Die einzige ernst zu nehmende Nuklearmacht in Europa sei derzeit Frankreich, so der Militärexperte. "Und Frankreich verfügt, wenn es die nukleare Teilhabe und Gesamtverantwortung für Europa übernimmt, nicht annähernd über ein so großes Arsenal wie die Vereinigten Staaten." Auch Großbritannien verfügt über Atomwaffen, hat diese aber zumindest teils von den USA geleast.
Weiterhin verfügen die USA laut Ulrike Franke über andere militärische Fähigkeiten, die die Nato-Partner in den vergangenen Jahren vernachlässigt hätten: "Es fehlt Europa ganz konkret an Fähigkeiten wie Luftbetankung, Lufttransport, Aufklärungsfähigkeiten wie Satelliten und etwa Drohnen."
Ist Trumps Forderung nach fünf Prozent realistisch umsetzbar?
Franke zweifelt weniger an der Umsetzbarkeit, hält die Zahl allerdings für willkürlich: "Die fünf Prozent scheinen, wie bei Trump üblich, eine eher arbiträre Größe zu sein", sagt die Verteidigungsexpertin. Seine Logik scheine folgende zu sein: Zwei Prozent sind zu wenig, im Normalfall sollte ein Land vier Prozent seines BIP für Verteidigung ausgeben – und wegen der aktuellen Unsicherheitslage wären fünf Prozent nötig.
Darin gibt die Expertin Trump sogar grundlegend recht: Denn während des Kalten Krieges seien Ausgaben im Bereich von drei bis vier des BIP in Europa "nicht unüblich" gewesen. "Fünf Prozent ist allerdings wirklich das obere Ende und in der Tat die Zahl, die in verteidigungspolitischen Zirkeln für den Fall diskutiert wird, dass die US-Unterstützung für Europa komplett entfällt." Noch ist das also allenfalls ein Worst-Case-Szenario.
"Ein abrupter Anstieg ergibt wenig Sinn"
Deutschland gibt derzeit rund 2,1 Prozent seines BIP für Verteidigung aus, etwa 52 Milliarden Euro. Ein Anstieg auf fünf Prozent würde also – je nach Höhe des BIP – Ausgaben von jährlich weit mehr als 100 Milliarden Euro bedeuten. "Wenn es den politischen Willen beziehungsweise die Notwendigkeit gibt, mehr Geld für Verteidigung auszugeben, kann dieses Geld gefunden werden", ist sich Franke sicher. Dann müsste allerdings in anderen Bereichen gespart oder die Steuern müssten angehoben werden.
Franke erwartet jedoch nicht, dass eine Bundesregierung tatsächlich die fünf Prozent anvisieren würde. "Was klar ist: ein abrupter Anstieg ergibt wenig Sinn", sagt die Expertin. Denn weder die derzeitigen Bundeswehrstrukturen noch die Industrie würden einen solchen Anstieg verwaltungstechnisch bewältigen können. Die Nachfrage bei der Industrie ist seit Jahren hoch.
Welchen militärischen Bedarf gibt es in Deutschland und Europa?
Der Bedarf ist groß, macht Ex-Nato-General Domröse deutlich: "Angesichts des russischen Vormarsches in der Ukraine und der gewaltigen russischen Rüstungsproduktion muss der Westen nachziehen, um sich im Ernstfall erfolgreich und nachhaltig gegen Russland verteidigen zu können." Russland produziere rund 60 Panzer im Monat, "davon kann die Bundeswehr nur träumen", so Domröse.
Die Bundeswehr verfügt aktuell über 295 Kampfpanzer des Typs Leopard 2. Bei anderem Gerät wie den Schützenpanzern Marder bzw. Puma sind die Angaben älter. Laut dem "Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr" aus dem Jahr 2017 verfügte das deutsche Heer damals über 381 Marder. Allein 140 Stück wurden bereits an die Ukraine abgegeben.
Bei der Aufstellung von Streitkräften stehe stets die Bedrohungslage im Zentrum, sagt er. Ist die Bedrohung niedrig, braucht es weniger Material und Soldaten, steigt sie aber, muss entsprechend nachgerüstet werden. "Insofern braucht die Bundeswehr heute mehr Material als noch vor der russischen Vollinvasion in die Ukraine, denn sowohl qualitativ als auch quantitativ reicht ihre Ausstattung nicht", so Domröse.
"In den 1980er-Jahren verfügte die Bundeswehr über zwölf Heeresdivisionen"
Was das bedeutet, verdeutlicht der Ex-General an einem Beispiel: "In den 1980er-Jahren verfügte die Bundeswehr über zwölf Heeresdivisionen, heute sind es noch drei." Eine Division ist ein militärischer Großverband, der in der Bundeswehr bis zu 23.000 Soldaten umfasst.
Angesichts des Mangels müsse nun dringend mehr getan werden, eine Verdopplung der jetzigen Fähigkeiten sei dabei das Minimum, so Domröse. "Ob es dafür auch eine Verdopplung der Verteidigungsausgaben oder sogar mehr braucht, lässt sich derzeit nicht seriös bewerten." Ohnehin seien Prozentwerte nachrangig: "Viel wichtiger ist die adäquate Befähigung der Streitkräfte. Wir müssen mehr in unsere Freiheit und Sicherheit investieren."
- Anfrage an Ulrike Franke und Telefoninterview mit Hans-Lothar Domröse
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- de.statista.com: "Anzahl der Kampfpanzer der einzelnen NATO-Mitgliedstaaten im Jahr 2024"
- Bundesverteidigungsministerium: "Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr 2017" (PDF)
- esut.de: "NATO-Zahlen der Verteidigungshaushalte 2024"