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Trump und Putin im Ukraine-Krieg: Sie fürchten das Jüngste Gericht nicht


Kolumne "Russendisko"
Sie fürchten das Jüngste Gericht nicht

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

17.04.2025Lesedauer: 3 Min.
Wladimir Putin und Donald Trump (Archivbild): Ein Ende des Krieges gegen die Ukraine ist nicht absehbar.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Donald Trump (Archivbild): Ein Ende des Krieges gegen die Ukraine ist nicht absehbar. (Quelle: KEVIN LAMARQUE/reuters)
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Der Krieg gegen die Ukraine wütet weiter: Putin will es so, Trump zügelt ihn nicht. Zukünftige Generationen werden sich für die beiden schämen, meint Wladimir Kaminer.

Nach geltendem Völkerrecht ist ein Angriffskrieg moralisch nicht vertretbar. Nur haben Staaten kein Leben nach dem Tod, sie müssen sich nicht vor dem Jüngsten Gericht fürchten und agieren deswegen immer wieder jenseits jeglicher Moral. Staatsmänner seien daher nicht nach moralischen Maßstäben zu beurteilen – diese Behauptung ist eine alte, durch die Zeit wandernde Floskel von erstaunlicher Lebensdauer, sie wird mal Machiavelli, dann dem Kardinal Richelieu und auch Henry Kissinger zugeschrieben.

Diejenigen Staatslenker von heute, die mit unserer Welt Golf spielen, hätten diesen Spruch auch bringen können, allen voran zwei: der nach eigener Aussage von seinen Handelspartnern "arschgeküsste" US-Präsident und sein vom Kriegsgott umarmter russischer Amtskollege. Die "Friedensverhandlungen" sind faktisch gescheitert, über eine Feuerpause wird nicht mehr groß gesprochen, der Fleischwolf des gegenseitigen Abschlachtens dreht sich weiter.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein neuestes Buch "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen" erschien am 28. August 2024.

Unzählige Militärexperten berichten auf beiden Seiten täglich von Kämpfen entlang der Frontlinie. Es wird hauptsächlich ums "Häuschen des Försters" gekämpft, eine Bezeichnung von russischen Kriegsberichterstattern für die Dörfer, deren Namen niemandem etwas sagen und die noch dazu schwer auszusprechen sind. Auf beiden Seiten fehlen Soldaten, am 1. April hat in Russland die planmäßige Einberufung begonnen. Die Altersgrenze wurde mittlerweile etwas nach oben korrigiert, es werden nun wehrpflichtige Männer bis 30 Jahre einberufen. Früher war mit 27 Jahren Schluss.

Offiziell dürfen die Neueinberufenen nicht gleich an die Front geschickt werden, sie müssen zuerst eine Einwilligung unterschreiben. Dafür werden sie aber in den Kasernen mit sehr überzeugenden Argumenten konfrontiert. Für kurze Zeit hatte sich im März die Bereitschaft der Bürger, gegen Bezahlung den Armeekontrakt zu unterschreiben, beinahe verdoppelt. Wegen der Scheinfriedensverhandlungen hatten viele gedacht, dass der Krieg kurz vor seinem Ende stände. In ihren Augen war dadurch die Wahrscheinlichkeit, bald reich und gesund zurückzukehren, höher geworden. Doch sie haben sich geirrt.

Suche nach den Männern

Die russische Armee ist eine Angriffsarmee, laut einer alten Kriegsregel verlieren Angreifer drei- bis viermal mehr Soldaten als die Verteidiger. Die Vermutung liegt nahe: Die über hunderttausend identifizierten Namen der bereits getöteten russischen Soldaten sind nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Verluste. Aktuell ist die Kriegslust in der Bevölkerung trotz patriotischer Propaganda wieder gesunken. Auch die Einberufung läuft nicht so wie gedacht. Die Männer bis 30 verstecken sich. Der April hat entsprechend mit Razzien in russischen Klubs und Fitnesszentren begonnen – und das in den Großstädten, etwa in Moskau und Sankt Petersburg, deren Bewohner bis jetzt von solchen Aktionen verschont geblieben waren.

Auch in der Ukraine werden die Heimatverteidiger rar. Meine Freunde in Odessa am Schwarzen Meer erzählen, die Männer seien aus dem Stadtbild verschwunden. Tagsüber verstecken sie sich zu Hause, und nachts ist Ausgangssperre. Es gibt einige wenige Lokale, erzählte mir eine Freundin, wo Männer zum Essen hinkommen, es seien wohl die Läden, die einen privatwirtschaftlichen Pakt mit den Einberufungsbrigaden geschlossen haben, die mit Bussen durch die Stadt fahren und Ausschau nach Männern halten. Man sehe tagsüber nur Frauen und sehr alte Menschen auf der Straße.

In der Ukraine können Männer bis zum Alter von 60 Jahren eingezogen werden, eine Erhöhung auf 70 Jahre wird im Parlament diskutiert. Diese Entscheidung soll wohl von der körperlichen Fitness jedes Einzelnen abhängen, schreibt dazu die Pressestelle. "Viele Siebzigjährige sind gut in Form und können ihren Dienst für die Armee leisten". Selbst nach drei Kriegsjahren staunen die Beobachter über russische "Fleischstürme", sinnlose direkte Angriffe aus ungünstiger Position heraus mit zahlreichen Verlusten, eine Taktik, die aus dem Zweiten Weltkrieg bekannt ist.

Unnötiges Sterben

Vor achtzig Jahren fand die letzte große Schlacht des letzten Weltkrieges in Europa statt, die Schlacht um die Seelower Höhen. Die Rote Armee stand am Oderbruch, rund 70 Kilometer von Berlin entfernt, das Naziregime hatte den Krieg bereits verloren, militärisch war es bedeutungslos, die Seelower Höhen zu stürmen. Doch der Fleischwolf des Militärs hatte seine eigene Logik, Zigtausende Rotarmisten fielen in den letzten Wochen des längst gewonnenen Krieges.

In der russischen Propaganda wurden diese Menschen unter dem Sammelbegriff "Der Unbekannte Soldat" geehrt. Dabei waren diese Menschen, jeder von ihnen, durchaus keine Unbekannten, sie hatten Familien, Freunde, ihre Liebsten. Einer von ihnen war mein Großvater. Er gilt als verschollen, hat nicht einmal ein Grab. Damals hat die Rote Armee ihr Land verteidigt und Europa vom Nationalsozialismus befreit. Heute hat die russische Armee ein Nachbarland angegriffen, das keinen Krieg gegen Russland führen wollte: Für diesen Angriff werden sich die nächsten Generationen schämen.

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